Problem von anonym (w) - 20 Jahre

Ich will keine Hilfe

Liebes Kummerkasten-team!
Ich möchte zuerst ein bisschen meine Situation schildern:
Ich bin seit längerer Zeit sehr depressiv, habe Selbstmordgedanken, verletze mich, versuche Suizid. Ich esse nicht mehr oder kaum, fühle mich lustlos und habe große Motivationsprobleme (z.B. in Verbindung mit Studium oder meinem Sozialleben, also auch in der Freizeit). Meine Kontakte mit Mitmenschen gehen den Bach runter, weil ich mich immer mehr verstecke, um zu vermeiden dass jemand sieht wie es mir wirklich geht, die hässliche Wahrheit. Ich empfinde tiefe Schande für all diese Probleme. Die meiste Zeit grabe ich mich ganz alleine zu Hause ein und rauche Marihuana (ich lebe in den Niederlanden). Damit gehts mir ein bisschen besser, ich kann meine Probleme momentan vergessen oder verdrängen, aber ich frage ich mich ob der langfristige, oftmalige Gebrauch nicht gerade zu meiner Leere und Depression beitragt.
Ich bin sicherlich depressiv, und in letzter Zeit wächst die Vermutung dass ich auch am Borderline-Syndrom leide. Ich erkenne mich in 6 von 9 Symptomen dafür wieder.
Ich habe viele Ängste die mich in meinem Alltag quälen, vor allem ist es aber die Angst zu scheitern und Erwartungen andere oder mir selbst nicht zu erfüllen: Bevor ich das Gefühl habe, ich könnte ein Examen nicht sehr gut oder gut bestehen, bleibe ich lieber zu Hause und versuche es bei der Wiederholung (nur, dann bin ich in der Regel auch nicht besser vorbereitet...). In sozialen Situationen sage lieber gar nichts (und werde als langeweilig oder gar nicht wahrgenommen) als was Falsches zu sagen (um nicht negativ wahrgenommen zu werden). Das tägliche Leben wird zur Qual für mich, jeder Termin (auch privat!), jede Vorlesung, jede Freizeitaktivität, selbst kleine Dinge wie einkaufen gehen oder kochen werden zu einer Herausforderung und ich fühle mich dem Erwartungsdruck einfach nicht gewachsen. Nichts macht mir mehr Spaß, nachdem ich die organisatorische Leitung einer Musikgruppe übernommen habe zu der ich gehöre, ist auch mein letztes Hobby, das Singen, zur lästigen Verpflichtung geworden. (Ich dachte ursprünglich die neue Aufgabe würde mich aus meinem Loch ziehen, Spaß machen und motivieren...)
Für mich ist es extrem wichtig dass andere Menschen Respekt für mich haben, ich muss stolz auf mich sein können, und dazu muss ich "besser", erfolgreicher als die anderen sein. Dann geht es mir gut. Im Gegenteil dazu ist es mir ein Horror wenn andere Menschen mitbekommen wie es mir wirklich geht. Ich schäme mich dafür, denn andere sollen nicht an meiner "Spezialheit" (= Überlegenheit, nahezu Perfektheit) zweifeln. Darum weiß auch niemand aus meiner Familie, keiner von meinen sogenannten Freunden oder WG-Kollegen, wie es mir wirklich geht.
Der einzige Eingeweihte ist mein Freund, dem schön langsam alles zu viel wird, weil ich mich jedesmal an ihn wende wenn ich mir das Leben nehmen will, und das ist fast täglich. Er kann weder zeitlich und schon gar nicht emotional 24/7 mein Händchen halten und aufpassen dass ich nicht springe. Aber ich habe verdammt Angst, dass wenn ich mich mal nicht an ihn wende, das fatale Folgen hätte. Jetzt hat er mir eine Art Ultimatum gestellt, er kann nicht mehr für mich da sein wenn ich nicht zur Therapie gehe.
Zumindest will er eine gemeinsame, eine Art Paar-Therapie wo er lernen kann wie er mit mir und meinen Suizidwünschen umgehen muss. Ich finde das ja alles total verständlich, und es tut mir enorm leid, dass ich ihn da reingeritten habe. Darum habe ich erstmal dieser Paar-Geschichte zugesagt, für ihn. Ich habe nämlich große Schuldgefühle weil ich ihn einfach rücksichtslos in mein Unglück mitreiße.
Aber ehrlich gesagt: das mit der Therapie will ich überhaupt nicht! Ich habe null Lust mich von irgendwelchen dahergelaufenen, selbsternannten Profis auslachen zu lassen, die glauben sie sind in der Position über mich zu urteilen und mir zu sagen, wie ich mein Leben leben muss und was ich nicht alles falsch mache. Ist es nicht absurd dass normale, selbst nur imperfekte Menschen nach 4 Jahren Studium glauben sie wissen wie alles geht? (Keine andere Berufsgruppe mutet sich an, andere Menschen glücklich machen zu können...ich finde das hat schon etwas narzistisch!) Außerdem habe ich keine Lust, mein verletzliches Innerstes, meine tiefsten und dunkelsten Gefühle vor einem Fremden auszubreiten der sich das alles nur antut weil er Geld dafür bekommt oder weil's ihm besser geht wenn andere noch schwerwiegendere Probleme als er selbst haben.
Auch diese Paar-Therapie scheint mir potenziell emotional vernichtend, denn es ist doch jetzt schon klar (und da brauch ich keinen Psychologen dafür) dass es meine Schuld ist dass es meinem Freund nicht gut geht und dass ihn einfach überbeansprucht habe. In dieser Therapie werden unsere Beziehungsprobleme nur in die Öffentlichkeit getragen und mein Freund bekommt Verstärkung von einem dritten während ich am Ende ganz alleine dastehe und nicht mal mehr meinen Freund habe mit dem ich reden kann. Es geht mir bei dieser Therapie nicht darum ob es mir selber besser geht oder nicht, ich weiß auch so schon dass ich keine Hilfe will, dass es mir sowieso nicht helfen würde - sonst könnte ich auch besser in Einzeltherapie gehen. Es geht mir hier ausschließlich um meinen Freund, dem ich die Situation erleichtern will - und er ist steif und fest davon überzeugt dass wir darum eine gemeinsame Therapie brauchen. Ich habe Angst dass uns diese nur weiter entzweien könnte, indem sie mich noch mehr schwächt und unter Druck setzt, und es damit für mich unmöglich macht die Erwartungen meines Freunds und des Therapeuten zu erfüllen. Ich habe Angst dass ich am Ende ganz alleine dastehe.
Ich war schon mal in Therapie wegen Depressionen, das hat mir gar nichts geholfen, im Gegenteil, ich habe mich nur noch wertloser gefühlt weil man mich nicht ernstgenommen hat. Meine damalige Psychologin ist jetzt glücklich liiert mit dem Ex-Freund meiner Mutter, der einer der Hauptgründe meines Therapiebedarfs war. Ich fühle mich einfach hintergangen und nicht ernstgenommen!
Mir ist wohl bewusst dass es etwas paradox ist mich an euch zu wenden mit diesem Problem, ihr seid ja auch "welche von denen". Hoffentlich aber ein bisschen professioneller...

Ich möchte wissen, was ist eure Antwort, was ist der psychologische Standpunkt wenn ich einfach keine Hilfe will? Die Idee einer psychologischen Sitzung (die ich durch meine Uni gratis angeboten bekomme) ist einfach purer Horror für mich, es ist sooo schwierig mich jemandem zu öffnen und dann mit der Furcht nur be-/ oder verurteilt zu werden.... Ich zweifle einfach dass man mich wirklich ernst nehmen, geschweige denn verstehen wird. Außerdem habe ich große Angst dass man mich mit Borderline-Syndrom diagnostiziert und ich als offiziell geisteskrank in eine Institution eingeliefert werde; oder dass die von der Universität beschäftigten Psychologen an eben jene meine Daten weiterleiten (müssen) und meine Probleme veröffentlichen.
Ist die richtige Antwort wirklich immer Therapie? Kann psychologische Betreuung nicht auch schaden? Hat die Therapie überhaupt irgendeine Chance auf Erfolg wenn mein Freund mich dazu "zwingt" indem er als Alternative mit Schlussmachen droht? Wie kann ich ihm die Situation anders erleichtern? Soll ich vielleicht einfach nicht mehr mit ihm über meine Depression reden?

Ich glaube insgeheim dass ich mich gar nicht töten will, sondern nur Zuwendung suche. Mir ist allerdings sehr bewusst dass es meinen Freund kaputtmacht, über meine Lebensmüdigkeit zu hören, und trotzdem hören meine Episoden nicht auf, im Gegenteil, werden stärker und häufiger. Als ob ich unbewusst ausreizen würde wie viel er aushält, wie weit er für mich geht. Glaubt ihr ich übertreibe und blase meine Depression künstlich auf? Kommt das auch durch das Borderline-Syndrom? In wie fern ist ein Borderliner wirklich verantwortlich und rechenschaftspflichtig für seine Gefühle und Handlungen?
Ist das alles emotionaler Missbrauch an meinem Freund?

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich!

Was möchtest Du? Wieder Spaß und Freude empfinden, Energie bekommen, zu Dir selbst zurückfinden, Motivation spüren, innerlich freier sein? Oder aber die Situation halten, wie sie ist, Dich zu Hause weiterhin eingraben und die schlechten Gefühle einfach verdrängen, damit sie in der nächsten Stunde nur geballt zurückschlagen?

So, wie ich es sehe, sind das die Auswahlmöglichkeiten. Die eine funktioniert über eine Therapie, für die andere brauchst Du einfach nichts zu tun.

Deine Beschreibung des Berufsbildes "Psychologe / Therapeut" empfinde ich als recht verdreht. Er maßt sich nicht an, Menschen glücklich zu machen. Sondern er hat gelernt, wie man Menschen hilft, selbst wieder glücklich zu werden. Er gibt die Anleitung - die Arbeit an Dir selbs liegt bei Dir. Stachelt das nicht auch ein wenig Deinen Perfektionismus an? Du kannst es schaffen - nicht ganz allein, sondern mit Hilfe. Aber Du bist diejenige, die schafft.

Vom Kummerkasten mehr Proffessionalität zu erwarten, ist ebenso ein Stück verdreht. Du hast die Seite gelesen? Du weißt, dass wir Menschen aus vollkommen unterschiedlichen Berufsgruppen sind und nur in unsere eigenen Erfahrungsschatzkiste greifen? Du erwartest zu viel von uns.

Du hast Angst davor, dass Dir Borderline diagnostiziert wird. Setzt Dich selbst aber sehr mit dem Gedanken daran auseinander und vermutest es selbst. Die Dinge sind auch dann wahr, wenn sie niemand ausgesprochen hat. Und erst dann kann man etwas dagegen tun. Erst, wenn man die Fakten kennt. Du möchtest das im Alleingang regeln? Würdest Du auch eine offene Fraktur selbst behandeln, weil ärztliche Hilfe ja nichts bringt und die Dir nur für Geld helfen?

Du empfindest Schuld, weil Du Deinen Freund in diese Lage gebracht hast. Er ist aber ein eigenständiger Mensch und wollte diese Lage an Deiner Seite; er hat entschieden, bei Dir zu bleiben, trotz der Selbstmorddrohungen. Er hätte beim ersten Mal gehen können. Seine Entscheidung. Und nun sieht er, dass er es allein doch nicht tragen kann und tut das einzig richtige: Hilfe suchen. Niemand kann immer alles allein. Er nicht. Du nicht. Es geht nicht darum, wer wen in welche Situation geritten hat - sondern darum, wie man wieder heraus kommt.

Alles Gute!
Dana