Problem von Angelina - 18 Jahre

SVV

Hi liebes Kummerkasten-Team!

Ich bin 18 (bald19) Jahre alt und ritze mich seit meinem 12ten Lebensjahr. Ich bin eigentlich ein Mensch, der gerne lacht,
Spaß hat, anderen Menschen hilft und etwas in seinem Leben erreichen möchte. Aber meine Situation wird immer
schlimmer und jeden Tag nimmt meine Lust zu leben ab. Ich habe keine Geschwister und wohne bei meinen Eltern.
Mit meinen Eltern verstehe ich mich überhaupt nicht. Meine Mutter ist vor ca. 6 Jahren krank geworden. Hauptsächlich
psychische Probleme (Depressionen...),die sie auch heute noch hat. Ich denke mir oft, dass sie wirklich durchdreht. Na ja,
seitdem hat sie sich überhaupt nicht mehr um mich gekümmert. Vielleicht hört sich das jetzt ja blöd an, aber ich habe
seitdem von niemandem mehr Liebe bekommen. Meine Mutter hat mich nie mehr in den Arm genommen, wirklich kein
einziges Mal und ich habe von ihr auch noch nie gesagt bekommen, dass sie mich gern hat. Das verletzt mich extrem.
Mittlerweile möchte ich das aber auch alles gar nicht mehr von ihr haben und hören. Ich verbinde mit meiner Mutter größtenteils
echt nur noch Hass und ich bin froh, wenn ich sie nicht sehen muss. Wir reden auch nie miteinander. Wir können stundenlang in einem
Raum sein, ohne ein Wort miteinander zu reden. Für mich ist es ab einem gewissen Zeitpunkt zwar unerträglich, aber meiner Mutter
scheint das nichts auszumachen.
Mit meinem Vater komme ich auch überhaupt nicht klar. Er ist sehr streng. D.h. ich darf eigtl. so gut wie gar nichts machen. Ich
darf weder bei einer Freundin übernachten, noch darf eine meiner Freundinnen bei mir schlafen. Einen Freund darf ich schon gar
nicht haben, wobei mich das jetzt nicht so stört, da ich bisexuell bin und hauptsächlich auf Frauen stehe. Das wissen meine Eltern
natürlich auch nicht.
Ich darf auf keine Party gehen, ich darf nicht mit meinen Freunden in eine andere Stadt shoppen gehen. Also ich könnte jetzt noch
ewig aufzählen.....Im grunde genommen darf ich überhaupt nichts. Ich tue das alles trotzdem, aber heimlich. Das ist aber auch
nicht das Wahre, denn es ist anstrengend und ich hab auch keine Lust drauf, ständig lügen zu müssen.
Bis vor kurzem konnte ich mit niemandem über meine Probleme reden, da ich niemandem vertrauen konnte. Ich wurde so oft
enttäuscht, dass es mir schwer fällt zu glauben, andere Menschen könnten mich tatsächlich ernst nehmen und wollten mir
helfen. Aber mittlerweile wissen zwei Personen über meine ganzen Probs bescheid. Einmal ist das meine beste Freundin und dann
meine Lehrerin. Wenn ich die beiden nicht hätte, dann wüsste ich wirklich nicht, was ich tun sollte.
Um noch mal auf das Ritzen zurückzukommen: das wird immer schlimmer. Ich schneide mich hauptsächlich mit einem Messer
in die Arme, Oberschenkel und Knöchel. Meine Narben an den Armen sind nicht schlimm, da ich sie hinterher immer versorge und pflege.
Ich will mich nicht selbst verstümmeln oder so, ich finde nur kein anderes Ventil um meine Wut, Angst, Traurigkeit etc. loszuwerden.
Bzw. sind die anderen Ventile, die ich habe, keinen Deut besser. Ich stecke mir in letzter Zeit oft den Finger in den Hals. Einmal, weil ich
momentan auf dem "Trip" bin, dass ich mich zu dick fühle, wobei ich eigtl. weiß, dass es nicht so ist und zum anderen, weil
ich mich danach einfach besser fühle. Ich weiß nicht wie ich das beschreiben soll, aber ich fühle mich dann so, als hätte ich
die ganze Wut oder was auch immer, die ich in mich hineingefressen habe, ausgekotzt. Als wäre ich sie damit los. Dieses Gefühl
hält zwar nie lange an, aber wenigstens ist es mal da.
Was mich auch noch sehr viel Kraft kostet ist, dass ich nach außen hin immer fröhlich wirke. In der Schule bin ich immer gut gelaunt,
lache und höre meinen Freunden zu wenn sie Probleme haben. Und daheim weine ich dann oder verletze mich wieder? Das ist wie ein Teufelskreis. Mir ist mittlerweile auch bewusst, dass ich nur mit dem Ritzen und so aufhören kann, wenn ich eine Therapie mache. Aber ich denke mir, solange ich bei meinen Eltern wohne, wird die Therapie auch nichts nutzen, da sozusagen die ?Verursacher? ja immer noch jeden Tag um mich herum sind. Ich fühle mich so oft, als würde ich platzen. Manchmal ist dieser Druck, den ich in mir spüre so unerträglich, dass könnt ihr euch nicht vorstellen. In solchen Momenten würde ich am liebsten abhauen oder mich umbringen. So, ich denke ich habe meine Hauptprobleme jetzt erklärt. Ich hoffe wirklich ihr könnt mir irgendwie weiterhelfen, denn ich habe bald echt keine Kraft mehr!
GlG, Angie

Anwort von Sabine

Hallo Angelina!

Deine Mail ist sehr ausdrucksstark und Du kannst Deine Gefühle sehr gut in Worten wiedergeben. Ich denke schon, dass ich ein wenig verstanden habe, was in Dir vorgeht. Bin mir nicht 100 % sicher, aber ich denke zum größten Teil habe ich es verstanden.
Es klingt, als versteckst Du Dich im Alltag hinter einer Maske. Jeder der Dich ansieht soll nicht erkennen, dass es Dir im Grunde schlecht geht, so wie Du lebst und so, wie es in Deinem Leben aussieht. Dann das Ritzen. Ich denke, es hängt alles zusammen.
Solange Du niemanden hinter diese Maske schauen lässt und Dich niemanden anvertrauen kannst mit Deinen Problemen, wird die Maske immer fester sitzen und die fast angehenden Depressionen, die werden steigen. Diese Unlust leben zu wollen sind die ersten Anzeichen für Depressionen.
Das Du Dich Deiner Freundin und Lehrerin anvertraut hast, war ein sehr guter Schritt von Dir. Du beschreibst in Deiner Mail selber, dass Dir beide sehr gut tun und das Du froh bist, dass es diese beiden Personen in Deinem Leben gibt. Du hast also festgestellt, dass es gar nicht so falsch ist die Maske abzunehmen und darüber zu sprechen.
Auch uns hast Du Dich anvertraut und anhand der ausdrucksstarken Schreibform und Wahl der Wörter, konnte man richtig spüren, dass es Dir wie ein Last genommen wird. Du bist auf dem richtigen Weg um alles loszuwerden und Dich den Problemen zu stellen.
Ich weiß, dass es schwer ist gegen die Eltern anzukämpfen, wenn man doch eine ganz andere Meinung vertritt, aber es ist auch nicht richtig ihre Worte einfach hinzunehmen und es zu akzeptieren, wenn man anderer Meinung ist. Du hast genauso wie sie ein Recht auf Deine eigene Meinung. Man muß es nicht im Streit ausdiskutieren, man kann auch ganz vernünftig darüber sprechen. Vorwürfe gehören nicht in ein Gespräch. Diese lösen oft Streitgespräche aus. Deine Eltern erlauben Dir mit 18 viele Dinge nicht und ich denke, dass auch Deine Eltern lernen sollten, dass Du mit 18 auch für Dich selber verantwortlich sein musst und für gewisse Dinge gerade stehen musst. Natürlich gibt es in einem Haushalt Regeln und Ordnungen, die man einhalten sollte, aber man sollte auch immer eine Mitte finden und feste Regeln und Ordnungen haben, an die sich jeder halten sollte. So kann man schon eine Menge Streitereien vermeiden. Die Vertrauensbasis zu Deinen Eltern, die scheint gebrochen zu sein und wenn Du wirklich wieder eine Vertrauensbasis zu Deinen Eltern aufbauen möchtest, dann wirst Du mit ihnen sprechen müssen und ihr solltet eine vernünftige Lösung finden, mit der jeder zurecht kommt. Jeder muß mit Sicherheit Abstriche machen, aber jeder gewinnt auch dabei. Ganz besonders wieder an dem Vertrauen. Es wäre ein Versuch und da Du schon auf dem richtigen Weg bist, lasse auch diesen Versuch nicht aus.
Das Ritzen lenkt Dich vielleicht im Moment von dem Kummer und Problemen ab, aber es ist mit Sicherheit keine Lösung. Versuche es zu lassen. Du siehst selber, dass es nur Narben bringt und im Grunde nur noch mehr Probleme. Darüber zu sprechen und sich den Problemen zu stellen, dass bringt eine Lösung und kann zu dem führen, was Du Dir so sehr im Leben wünscht.
Ich weiß, dass es nicht immer leicht ist sich den Problemen zu stellen und das man am liebsten immer fortlaufen möchte, aber es bringt nichts. Wegsehen oder fortlaufen bringt nichts. Man kommt nicht weiter. Man dreht sich nur im Kreis. Es kostet Kraft, dass weiß ich auch, wenn man sich den Problemen stellen muß, damit sich etwas ändert, aber Du hast im Moment die beste Rückendeckung überhaupt. Deine Lehrerin und Deine Freundin. Sie sind informiert über Deine Gefühle und Probleme und sie werden Dich jeder Zeit auffangen, wenn es wieder schwer wird. Nur, Du musst es auch zulassen, dass man für Dich da ist. Niemand kann in Dich hineinschauen und wissen, was in Dir vorgeht. Sie können es nur erahnen. Wenn Du willst, dass es sich ändert und Du das erreichen möchtest, was Du Dir so sehr wünscht, dann lass es auch zu und nimm die Hände, die Dir gereicht werden. Du wirst die Maske ablegen müssen, damit man Dich erkennt. Auch wenn es anfangs schwer sein wird und man wieder Gefahr läuft verletzt zu werden. Nur wenn Du Dich den Dingen stellst und die Rückendeckung annimmst, dann geht es auch voran. Der Wille und die Kraft sind da. Das hast Du mir in Deiner Mail gezeigt. Alles andere liegt jetzt in Deiner Hand. Du kannst es und Du willst es auch. Wenn der Anfang getan ist, wie das Gespräch mit Deiner Freundin und Lehrerin, dann kommt der Rest von ganz alleine und die Zeit wird Dir zeigen und danken, dass es eine gute Entscheidung war.

Lieben Gruß.