Problem von Anonym - 27 Jahre

Situations-Chaos

Hallo zusammen,

seit Mitte 2007 stehe ich unter einer sehr belastenden Situation, in der ich nicht mehr weiß, wie ich mich zu verhalten habe.

Meine ältere Schwester hat im April 07 einen Sohn bekommen. Da sie lange Zeit medikamentensüchtig war und auch während der SS welche genommen hat, musste mein Neffe zwei Monate zum Entzug im KH bleiben, bis es dann hieß, er sei "clean" und gesund und könne nach Hause.
Am Tag seiner Entlassung kam dann die Hiobsbotschaft: die Stationsschwestern hatten mehrmals beobachtet, dass meine Schwester, die ja, und das wussten die Ärzte auch, immer noch "Ersatzdrogen" bekam, zeitweise plötzlich so tief einschläft, dass sie noch nicht mal von ihrem lauthals-schreienden Baby wach wird, dass sie auf dem Arm hatte (!).

Das Jugendamt schaltete sich ein und entschied, dass meiner Schwester das Sorgerecht entzogen würde und der Kleine für die Dauer ihres Entzuges zu Pflegeeltern kommen würde. Als meine Mutter das hörte, ist sie zusammengebrochen und hat durchgesetzt, dass der Kleine zu uns nach Hause kommt (ich lebe nach einem Auslandsaufenthalt, der 2005 zuende war, wieder daheim; meine beiden Schwestern sind beide ausgezogen).

So sehr ich die Entscheidung meiner Mutter verstand / verstehe, so sehr war mir klar, dass das nicht gut gehen würde. Meine Mutter ist Mitte fünfzig, mein Vater Anfang sechzig. Letzterer hält sich so gut wie total aus der Babypflege raus, arbeitet ja auch den ganzen Tag. Meine Mutter ist gesundheitlich in mehrerer Hinsicht angeschlagen und ist in dem Alter ohnehin nicht mehr so fit wie mit Mitte zwanzig, hat der Sache aber trotzdem zugesagt - brutal gesagt "ist sie selbst Schuld." Ich bin seitdem der Kleine hier ist total hin und hergerissen. Aus Mitleid ihm und meiner Mutter gegenüber bin ich dann hier wohnen geblieben, obwohl ich eigentlich zu der Zeit vor hatte, auszuziehen. Ich habe eine starke Bindung zu dem Kind entwickelt, sehe es öfter als seine eigene Mutter, weiß aber immer, dass er mittelfristig wieder weg ist, um mit seinen Eltern in eine vom Jugendamt vorgeschriebene "Eltern-Kind-Kur" zu gehen.
Kurz gesagt habe ich mich in den letzten knapp 10 Monaten psychisch sehr verändert. Es gibt kaum eine Nacht, in der ich nicht durch das Geschrei des Kleinen wach werde - und ich arbeite Vollzeit. Mein Neffe ist dazu kein einfaches Kind, schreit sehr oft und laut und will dauernd beschäftigt werden. Da meine Mutter sehr impulsiv ist, kommt es dann oft zu Kurzschlussreaktionen, die sich in Beleidigungen und wirren Vorwürfen mir gegenüber äußern.

Ich bin träge geworden, kaum noch belastbar, sehe in allem nur noch Probleme, habe auf der Arbeit schon Heulkrämpfe vor den Kollegen gehabt und bin sogar teilweise verbal aggressiv gegenüber meines Chefs geworden, der, nachdem ich ihm von der Situation erzählt habe, zwar verständlich reagierte, aber naturgemäß auch nicht viel daran ändern konnte.

Anfang diesen Jahres hab ich dann endlich einen Mietvertrag für eine eigene Wohnung unterschrieben, die ich ab dem 01.04. beziehen kann. Die Reaktionen meiner Eltern waren absolut wirr und kränkend; der Ort, in den ich ziehen werde, wurde schlechtgemacht und als ich meiner Mutter vorschlug, sie könne sich die Wohnung doch mal ansehen, kam ein patziges: "Interessiert mich nicht." und später so etwas wie: "Hättest ja auch gleich sagen können, das du dich nie mit mir verstanden hast." - Völlig sinnloses Zeug! ich versuche sogar, meine Mutter ab und zu aus dem Haus zu bekommen, indem ich ihr Ausflugsziele vorschlage und meine kleine Schwester bietet sich zum Babysitten an - aber meine Mutter ist seit je her ein Stubenhocker.

Seit ein paar Monaten habe ich auch wieder eine Beziehung. Feste Beziehungen hatte ich bisher nur eine, folglich ist meine Mutter nicht gewohnt, dass ich öfter als 1x die Woche abends lange weg bin und erst wiederkomme, wenn sie schon im Bett liegt. Auch das kann sie nicht richtig einordnen und so kam eben wieder so ein Vorwurf: "Kannst ja gleich zu dem Kerl ziehen, wenn du den Spannungen hier nicht mehr ins Auge blicken willst!" Was soll denn das heißen? Bin ich schuld an den Spannungen? Bin ich verpflichtet, sie jeden Tag auszustehen? Ich erkenne langsam, dass ich die letzten Monate scheinbar nichts weiter als ein Puffer mit Daueranwesenheitspflicht gewesen bin. Mich hat niemand jemals gefragt, ob es mir etwas ausmacht, wenn ein kleines Kind ins Haus zieht, und es wurde auch bestenfalls mit halben Ohr zugehört, wenn ich von meinen dadurch entstandenen Problemen erzählt habe.

Meine Mutter hat klare Angst, den Rest ihres Lebens mit meinem Vater alleine zusammenzuleben; Streit ist bei ihnen an der Tagesordnung. Leider ziehen zur gleichen Zeit quasi alle aus diesem Haus aus: ich, mein Neffe und meine Tante / mein Onkel, die unter uns wohnen und die für meine Mutter immer noch etwas Ablenkung bedeutet haben. Ich wollte nicht mit ihr tauschen, aber ist es nicht ein gesunder Egoismus, wenn ich mit meinen 27 Jahren sage: "Das ist ein Problem, mit dem du selbst fertig werden musst; ich kann weder für dich neue Hobbies beginnen noch eine Scheidung einreichen?"

Somit habe ich mein Problem eigentlich schon definiert. Meine Frage ist einfach, wie ich mich am Besten zu verhalten habe, so lange ich noch hier wohne. Ich meide wirklich weitestgehend Kontakt, insbesondere zu meinem Vater, da die Wellenlänge hier überhaupt nicht mehr stimmt. Er gibt einem immer das Gefühl, ein entscheidungsunfähiger Ignorant zu sein und weiß immer alles besser.. Das hat mich schon zulange vor eigenen Entscheidungen zurückgehalten.

Zu meiner Mutter habe ich eigentlich ein gutes Verhältnis, was aber seit ich meinen neuen Freund habe, angeknackst ist. Ich habe ihr von ihm erzählt. Sie gibt mir ständig das Gefühl, ich müsse ihr jeden Tag Rechenschaft darüber abgeben, wo ich mit ihm war und wie sich die Sache entwickelt. In solchen Momenten wünschte ich wirklich, ich könnte meine Wohnung schon beziehen.

Ich will in Frieden mit meinen Eltern aus dem Haus gehen und weiß auch, dass ein so entstehendes, distanziertes Verhältnis auf Dauer besser ist. Aber wie soll ich mich bis dahin verhalten?

Danke für eure Antworten im Voraus.

Grüße
~*S.

Anwort von Sabine

Hallo!

Schwer zu sagen. Du beschreibst Deine Eltern als Personen, mit denen man nicht reden kann. Umerziehen kann man sie auch nicht. Im Grunde würde ich Dir raten - wie Du es schon machst - dass Du versuchst ihnen weitestgehend aus dem Weg zu gehen und Diskussionen zu vermeiden, wenn sie nicht akzeptieren können, wie Du leben möchtest. Ja, Du bist 27 Jahre und ich denke auch, dass Du Deine Entscheidungen treffen kannst. Die Verhaltensweise zwischen Deiner Mutter und Deinem Vater zueinander wirst Du wohl kaum in kurzer Zeit aus den beiden herausbekommen. Manchmal hat sich eine Ehe schon so eingefahren, dass es für sie - wie Du auch schreibst - schon selbstverständlich ist, so miteinander umzugehen. Die beiden sind selber für sich verantwortlich und kaum ein Elternpaar lässt sich gerne etwas von den eigenen Kindern sagen. Außendstehende, wie Freunde oder Verwandte, haben in Gespräch da oftmals mehr Glück.
Ich würde sagen, dass Du Dich einfach wohl nur gedulden musst, bist Du in die eigene Wohnung kannst. Versuche auch geduldig mit den Reaktionen Deiner Eltern umzugehen. Du kennst sie am besten und ich denke, dass Du es auch am besten einschätzen kannst, wann Du wie am besten zu reagieren hast. Für mich ist es schwer zu raten, wenn ich sie doch gar nicht kenne oder je erlebt habe.

LG, Sabine