Problem von Simone - 31 Jahre

Aggressionen (3)

Hallo Sabine,

ich melde mich nach über einem Monat zurück :-)

Ich wollte einfach von mir hören lassen und dir schreiben, dass ich in den zurückliegenden Tagen, Wochen und Monaten richtige Fortschritte gemacht habe. Michael und ich sind nach wie vor zusammen und mir geht es besser denn je. Ich habe meine Aggressionen gut in den Griff bekommen, kann in einer Diskussion mit meinem Freund ruhig und gelassen reagieren, brauche nicht schreien, geschweige denn Dinge durch die Gegend schmeißen. Ich kann meine Meinung vertreten, ohne gleich ausfallend zu werden und habe das Gefühl, als bekäme ich auch meine Vergangenheit endlich in den Griff. Viele Dinge, die damals passiert sind, als ich noch ein Kind war, habe ich wirklich jahrelang verdrängt. U.a. der sexuelle Missbrauch meines Stiefvaters und seine Schläge, als ich noch ganz klein war. Doch auch das bekomme ich sehr gut mit Hilfe meines Therapeuten in den Griff. Regelmäßig besuche ich die Therapiesitzungen bei ihm, gehe fast alle zwei Wochen zu ihm und wir führen lange und ausdauernde Gespräche. Er schenkt mir Ruhe und gibt mir Kraft, hilft mir, mit den vergangenen Sachen fertig zu werden, so dass ich das besser für mich verarbeiten kann.

Aber wer mir momentan große Sorgen bereitet, ist Michael! Ich hatte ja bereits erzählt, dass ich Michael sehr liebe und wir uns gemeinsam eine Zukunft vorstellen und daran arbeiten. Michael hat momentan sehr viel Stress in seinem Job, er ist Filialleiter einer Bank und trägt eine große Verantwortung. Vor ein paar Wochen hatten wir ein Gespräch mit seinen Eltern, die bedenken, ihr Haus zu verkaufen und dann ein neues zu bauen. Sie haben evtl. schon ein Grundstück, das alte Haus wird verkauft und sie möchten nur eine Wohnung in dem neuen Haus haben, wo alle Räumlichkeiten auf einer Ebene sind, so dass wenn man älter und evtl. gebrechlicher wird, man alle Räume gut und unproblematisch erreichen kann. Seine Mutter meinte dann zu mir, sie wollten in die obere Etage dann eine Wohnung für Michael und mich bauen, ganz nach unseren Wünschen. Es würde eine Menge Vorteile bieten, sie könnte dann auf die kommenden Enkel aufpassen etc. Ich war überrascht und kann dir gar nicht sagen, wie schön ich das fand, denn Michaels Familie ist auch meine Familie, noch dazu, wo ich nie eine richtige Familie gehabt habe. Außerdem waren seine Eltern immer für mich da, wenn ich sie gebraucht habe, besonders, als ich so krank war damals. Sie würden sich nie in irgendwas einmischen, denn auch jezt wohnen sie keine fünf Minuten von ihrem Sohn entfernt, haben zwar einen Schlüssel zu seiner Wohnung, aber würden nie unangemeldet hereinplatzen oder die Wohnung umstrukturieren oder so. Auf jeden Fall machten Michael und ich uns an diesem Tag auf den Weg nach Wuppertal, wo wir uns Fertighäuser anschauten und Pläne für die Zukunft schmiedeten.

Aber mehr und mehr veränderte sich Michael. Er wurde zunehmend depressiv. Wenn er abends von der Arbeit kam, schob er sich mal eine Pizza in den Ofen und legte sich sofort ins Bett und schaute noch ein wenig fern, bis er einschlief - was nie lange dauerte, denn er ist sehr abgespannt in der letzten Zeit. Michael bekommt zunehmend Druck von seinem Chef, eine Mitarbeiterin ist ihm apanden gekommen für dieses Jahr, so dass er die Arbeit auf die übrigen Mitarbeiter/-innen verteilen musste, die Umsatzzahlen fürs zweite Halbjahr sind extrem angestiegen, er arbeitet in einem amerikanischen Unternehmen und da wird, sobald man das Umsatzziel mal nicht erreicht, sofort hemmungslos und ohne Vorwarnung schon am Stuhl gesägt und man ist eher weg vom Fenster, als das man gekommen ist.

Letzte Woche Mittwoch hatten Michael und ich einen Streit. Er warf mir Dinge aus der Vergangenheit vor, wir hätten nur Stress gehabt, was auch stimmt, aber ich mache ja nicht umsonst eine Therapie. Er wisse nicht, wie wir jemals stressfrei zusammen leben sollen, er wäre ja auch nur unterwegs von der Arbeit aus, immer in einem anderen Hotel, würde oft aus dem Koffer leben, er wolle nicht, dass ich leide. Außerdem würde er jetzt keine Pläne für die Zukunft machen, das hätte er noch nie gemacht. Er würde alles auf sich zukommen lassen. Ich würde ja unbedingt Kinder wollen (hierzu sei gesagt, dass wir die immer beide wollten), er aber in diesem und im nächsten Jahr keine Kinder wollen würde etc. Also im Grunde, dass er sich eine Zukunft mit mir jetzt nicht mehr vorstellen kann. Alles brach für mich zusammen, wie ein Kartenhaus. Er behandelte mich so von oben herab, ich aber äußerte mich ruhig zu allem und sagte ihm, dass ich das nicht gut finden würde, noch dazu weil ich gar nicht wußte, wie er auf einmal auf Kinder und das alles zu sprechen kam. Ja, ich hatte mal erwähnt, dass ich Kinder haben möchte, mir sehnlichst Kinder für mein Leben wünsche, aber nicht jetzt. Wie kam er nur darauf?

Wir redeten ein paar Tage nicht mehr zusammen, ich meldete mich nicht mehr bei ihm, weil für mich alles gegessen war. Keine gemeinsame Zukunft... ich war wie vor den Kopf gestoßen. Michael schrieb am Wochenende eine sms, nach der nächsten. Wie sehr er mich doch liebte, dass er nie vorhatte, sich von mir zu trennen, wie leid ihm alles täte, dass er bald einen Zusammenbruch haben würde, ohne mich würde gar nichts gehen, er würde nur weinen etc. und ich mich doch bitte, bitte, bitte auf ein Treffen mit ihm einlassen sollte. Er hätte mir etwas Wichtiges zu sagen.

Also traf ich mich gestern mit ihm, wir redeten stundenlang über alles. Er sagte mir, dass er es nicht so gemeint hätte, beruflich würde alles drunter und drüber gehen zurzeit. Er erzählte mir dann erst mal, dass er am 16.07. für eine Woche nach Mallorca fliegen würde, wo sein bester Freund und zwei Freunde von ihm auf ihn warteten. Michael würde dann eine Woche mit ihnen Urlaub machen, es wäre ein Vorschlag seines Freundes gewesen, weil der gesehen hatte, wie schlecht es Michael doch ging. Eigentlich wollten wir zusammen Urlaub machen, ich sagte nichts in der Richtung, aber die Enttäuschung saß tief. "Denkt der denn jetzt nur noch an sich?" schoss es mir durch den Kopf. Aber ich verkniff es mir, weil ich sah, wie furchtbar erschreckend der Anblick aus Michaels Gesicht doch war: Er hatte nur geweint, tiefe Ringe unter den Augen, weil er nicht geschlafen hatte, er hatte bestimmt 5 Kilo abgenommen in den letzten Tagen, er war richtig blaß und sah total ausgelaugt aus. Alles hatte ihm sehr zugesetzt! Beim Reden kniete er sich vor mich hin, ich saß auf einer Bank. Er erklärte mir, was er für mich empfinden würde, dass das alles scheiße von ihm gewesen sei, dass er sich natürlich eine Zukunft mit mir wünscht, ich ihm bitte glauben solle.

Sabine... es tat ja so weh, seinen Partner so zu sehen, zu sehen, wie er leidet und ihm einfach nicht helfen zu können. Ich kann nicht mehr tun, als für ihn da zu sein. Für mich ist es auch sehr schwer, befinde mich ja immer noch in Therapie und muss auch erst mal mein Leben neu ordnen. Möchte Michael aber in keinem Falle verlieren, auch, wenn ich in der letzten Woche keinen gemeinsamen Weg mehr für uns gesehen habe, so sehe ich es jetzt anders, weil ich seine Hintergründe kenne und ihn verstehe. Aber was ich auch machen wollte, wollte mit ihm beispielsweise wegfahren übers Wochenende, ich wäre gefahren und er hätte sich einfach überraschen lassen können etc., er wollte es nicht.

Er meinte, er liebt mich, müsse aber erst mal raus hier, bräuchte eine Ortsveränderung etc. Ich bin froh, dass er seinen besten Freund hat und sich ihm - so wie es scheint - zumindest anvertraut und mir! Etwas Schöneres kann ich mir nicht vorstellen, wenn es auch manchmal schwer für mich ist, das alles unter einen Hut zu bringen. Denn wie es mir manchmal ergeht, sage ich ihm schon gar nicht mehr, dazu habe ich ja Freundinnen :-) Michael soll ruhig mit seinem Freund nach Cala Millor fliegen, ich hätte mir eh keinen Urlaub in diesem Jahr erlauben können. Vielleicht verbringen wir zumindest später noch eine Woche Urlaub zusammen, wer weiß. Und am 16., wenn Michael im Urlaub ist, bekomme ich eine neue Katze aus dem Tierheim, gerade mal 9 Wochen alt, die meinem Kater zu Hause Gesellschaft leisten soll.

Es ist sehr schwer für mich, Sabine. Einerseits dachte ich, Michael kann sich keine Zukunft mit mir zusammen vorstellen, aber jetzt weiß ich, dass es anders ist. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass eine Beziehung aus Zeiten besteht, in denen man viel Zeit zusammen verbringen kann und es Zeiten gibt, wo man sich gegenseitig wieder Freiraum gönnen muss. Und in den Zeiten des "Freiraums" darauf vertrauen muss, dass der andere nicht fremdgeht oder einen verlässt. Das ist meine große Angst, meine Verlustängste, die ich habe... weil ich Michael wirklich über alles liebe, Sabine, verstehst du das???

Trotzdem will ich stark sein, stark sein für Michael, stark sein für mich und stark sein für uns. Michael braucht jetzt eine starke Partnerin, die ihm beisteht und auf die er sich verlassen kann. Er weiß, wenn irgendetwas ist, er kann sich immer bei mir melden, mich anrufen oder mich sehen, ganz egal. Ich werde da sein!!!

Ich hoffe sehr, dass wir auch dieses Kapitel in unserer Beziehung gemeinsam meistern werden und es eines Tages wieder ein UNS geben wird. Ich werde alles dafür tun.

Anwort von Sabine

Hallo Simone!

Du hast davon geschrieben, dass er sehr abgespannt ist von der Arbeit und es aufgrund dessen wieder Streit gegeben hat.
Ich denke, dass die Idee mit dem Urlaub mit seinen Freunden keine schlechte Idee ist. Ihr habt eine Menge durchgemacht und so hart die Zeiten auch waren, ihr habt nie aufgegeben. Weder Du, noch er. Ihr habt euch immer zur Seite gestanden und immer wieder zueinander gefunden. Das kann mehr zusammenschweißen als viele andere Dinge. Je mehr man miteinander erlebt hat, um so intensiver kann die Beziehung werden. Ich denke, dass ihr genau das jetzt gerade erlebt habt und Du auch sehr schön erkannt und beschrieben hast.
Er liebt Dich und hat Dir vernünftig erklärt, dass er eine Woche Ruhe braucht. Diese Ruhe will er nicht von Dir, sondern von seinem Alltag und der Arbeit. Er braucht vielleicht wirklich mal einen Tapetenwechsel um wieder neue Kraft zu bekommen. Einen Teil seiner Kraft, die er braucht, die kannst mit Sicherheit Du ihm geben und Deine Therapie zeigt auch Erfolge. Doch um jetzt auch noch wieder ganz zu Kräften zu kommen, geht er seinen Wünschen nach und hat die Einladung seines Freundes angenommen. Als Außenstehende betrachtet, finde ich die Idee auch gar nicht so schlecht.
Warum sollte er Dich betrügen. Er liebt Dich und ihr habt Zukunftspläne. Das er vor ein paar Tagen alles angezweifelt hat, hing mit Sicherheit mit dem Stress zusammen, den er nicht richtig abbauen konnte. Ihr beide ihr seid so intensiv füreinander da, dass ich manchmal glaube, ihr versucht euch gegenseitig zu toppen. Süss. Die eine Woche, die er alleine in den Urlaub fährt, die wird Dir mit Sicherheit auch gut tun. Du kannst mal wieder mit Freunden alleine losgehen und außerdem ist so eine Woche ja auch schnell rum.
Ich wünsche euch beiden alles alles Gute für die Zukunft und ich lese anhand Deiner Mails, dass es wirklich sehr gut mit euch weitergeht. Versuche ihn nicht anzuzweifeln und Dich auch nicht. Ihr seid auf dem richtigen Weg und es geht voran. Es kann nur gut gehen.

Lieben Gruß.

http://mein-kummerkasten.de/8878/Aggressionen-2.html