Problem von Karen - 16 Jahre

Nachwirkungen der Vergewaltigung

Hallo Sabine,

danke für die letze Mail.... sie kam fast zu spät .... ich wurde gerettet nach dem ich mir die Pulsadern aufgeschnitten hatte und der Pastoralreferent wurde inzischen von meinen freunden angezeigt.
Meine Eltern wissen bislang noch nichts und das ist auch besser so ... sie würden mir eine Moralpredigt halten wie dumm ich gewesen bin usw... mich einfach so mit jmd im inet zu treffen!
Ich glaube das ich schuld war daran , weil ich ihm hoffnungen gemacht habe, dass wir vll zusammen kommen. Ich war damals sehr enttäusch von meinem Freund den ich sehr geliebt habe und jetzt wieder zusammen war und es dann wieder aus war ... weil ich kein sex mehr wollte! Was auf Grund seiner Krankheit meiner Meinung nach eh nicht funktionieren würde! Aber ich glaube ich werde nun nie wieder sex haben , weil dann all die Erinnerungen in mir wieder hochkommen... ich war entzwischen einen Monat in einer Klnik. Und dennoch sitzt die Sache noch sehr tief in mir drinn.... Kann ich so weiter leben ? Frage ich mich immer wieder !!! Schon wenn ein Junge mich berührt oder mir die Hand gibt kommen all meine gedanken wieder in mir hoch !!! War das bei dir auch so ? Viele leute glauben mir nicht mal , weil ich doch damals soviel gelogen habe ( siehe: Ich lüge um Aufmerksamkeit zu bekommen) aber das habe ich mir wohl selbst eingebrockt ! Ich habe nun daran gedacht eventuell eine Beziehung mit einer Frau einzugehen aber das kann ich meiner Familie nicht antun! Diese Schande und ausserdem liebe ich keine Frauen!

Danke noch mal für die Mail

Karen

Anwort von Sabine

Hallo Karen,

danke für Deine Mail und Dein Vertrauen.

Nein, ganz so war es bei mir damals nicht. Ja, ich habe - wenn ich ehrlich bin - auch darüber nachgedacht, dass ich nicht so weiter machen möchte oder nicht mehr so empfinden möchte, wie zu dem Zeitpunkt, als ich stets an alles erinnert wurde. Die Wohnung, der Ort, die Zeit. Alles war schrecklich und ich wusste ebenso wenig wie Du, wie ich diese Gedanken loswerden sollte. Ja, ich habe darüber nachgedacht nicht mehr da zu sein und gehofft so alles zu vergessen, aber ich habe dann auch sehr schnell kapiert (anhand meines Umfelds und meiner eigentlichen Lebenseinstellung), dass der Freitod sicherlich keine Lösung wäre, sondern nur noch mehr schlimme Dinge bringen würde.

Was ich in Deiner Mail gar nicht leiden kann, sind die Worte, dass Du denkst, dass du daran Schuld bist. Nein! Du bist nicht daran Schuld. Egal, was zu dem Zeitpunkt war, es war nicht Deine Schuld. Egal, was Du ihm für ein Gefühl gegeben hast, es war nicht Deine Schuld, denn niemand und wirklich niemand auf dieser Welt hat das Recht einem anderen Menschen sowas an zu tun. Gewalt ist verboten, strafbar und sicherlich nicht die Schuld des Opfers, sondern immer des Täters.

Deine Frage wie Du weiterleben kannst mit den vielen Gedanken:
Meine Antwort: fange an Dich zu lösen. Mache Dich nicht zum Täter.
Wie man sich lösen kann? Rede, meine Liebe. Rede und löse Dich so von den Gedanken und Erinnerungen. Es braucht seine Zeit, aber es ist wichtig, dass Du Dich nicht versteckst hinter Lügen, denn dann wirkt das Leben wie eine Bühne und Du schauspielerst gegenüber den anderen. Fange wieder an Du selber zu sein. Deine Eltern können Dich nicht verstehen, wenn Du sie belügst. Sie können Dir nicht helfen, wenn Du nicht aufrichtig bist. Ich bin mir sicher, dass sie helfen wollen. Vielleicht kennst Du eine Freundin mit der Du sprechen kannst. Irgendjemandem, dem Du Dich anvertrauen magst (neben mir, natürlich). Gern bin ich für dich da, aber die persönlichen Gespräch sind auch sehr wichtig.
Ich weiß, dass es super schwer ist darüber zu sprechen und gewisse Gedanken zu erklären. Viele Gesprächspartner können damit auch gar nicht umgehen. Sei aber auch ein wenig egoistisch und erzähle und sprich, denn es hilft Dir.
Wie es mir ergangen ist?
Ich habe auch sehr viel daran gedacht, aber auch sehr viel darüber gesprochen mit den Menschen, die mir zugehört haben oder die auch bereit waren zuzuhören. Ich habe auch all meine Gedanken irgendwann mal aufgeschrieben, nur damit ich sie aus dem Kopf bekomme. Sicherlich hat es nicht sofort geholfen, aber die Zeit hat auch geholfen. Hobby und Arbeit haben mich auch auf andere Gedanken gebracht. Ich hatte nach einiger Zeit nicht mehr zugelassen, dass diese Gedanken meinen Alltag bestimmen. Nur - wie schon gesagt - es brauchte seine Zeit.
Vor 6 Wochen habe ich erfahren, dass er aus dem Gefängnis entlassen wurde. Ich hatte immer Angst vor dem Tag. Nun musste ich jedoch feststellen, dass ich viel stärker bin, als ich anfangs dachte. Wahrscheinlich, weil ich gelernt hatte mich nicht mehr zu verstecken.
Ja, ich hatte auch Angst vor Berührungen neuer Bekanntschaften und auch Angst davor wieder zu vertrauen. Irgendwie hatte ich - so wie Du - gedacht, dass ich nie wieder lieben kann. Doch, ich konnte. Ich musste es nur darauf ankommen lassen und viel Geduld haben. Erwarte keine Wunder. Lass die Wunden heilen und pflege Dich durch Ehrlichkeit und Offenheit und verletze Dich nicht weiter durch ein Versteckspiel. Man kann es wieder lernen. Neue Bekanntschaften brauchen länger, aber man kann es wieder lernen.
Danke Karen, dass Du Dich erneut gemeldet hast und uns so sehr vertraust. Wir sind gerne für Dich da. Bitte renne nicht vor Dir selber weg und vor allem gib nicht Dir die Schuld. Niemand anderes als der Täter trägt die Schuld. Nicht das Opfer.

LG, Sabine