Problem von Julia - 14 Jahre

Mein leben in 13308 Buchstaben - ich weiss nicht weiter!

Also.
Es fing alles an, als ich 8 war.
Ich hatte nie wirklich etwas von irgendwelchen Streitigkeiten meiner Eltern mitbekommen.
Na ja, vielleicht doch, im Sommer 2002, als ich noch mit meiner Mutter, meinem Vater und meinem 3 Jahre älteren Bruder im urlaub war. Für mich, als 8 Jähriges Mädchen waren die Streitereien, die meine Eltern auch im Urlaub hatten nicht von großer Bedeutung.
Doch eines Abends im Herbst 2002 riefen meine Eltern mich und meinen Bruder herunter an den Esstisch in unserer großen Wohnung.
Ich bemerkte schon beim Betreten des Raumes, das irgendetwas nicht stimmte. Irgendetwas Schlimmes war passiert. Wir setzten uns also an den Tisch und ohne großes rumdruchsen erklärten unsere Eltern uns dann, dass sie sich trennen wollen. Ich nickte nur stumm und schluckte schon damals die Tränen hinunter.
Doch sobald unsere Eltern uns sagten, wir dürften aufstehen, rannte ich in mein Kinderzimmer, packte mir meinen kleinen Kuscheltier-Tiger, meine Jacke und lief ganz leise die Treppe wieder runter. Ich wollte gerade leise in meine Schuhe schlüpfen, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte. Es war mein Bruder, der wohl mitbekommen hatte, dass ich abhauen wollte. Er hielt mich davon ab. Doch ich lag trotzdem die ganze Nacht weinend in meinem Bett.
Soweit so schlecht, bisher könnte man das erlebte ja noch ziemlich einfach verarbeiten. Wenn es bei der Scheidung geblieben wäre, wäre mein Leben vielleicht auch ganz anders verlaufen.
Nachdem meine Eltern entschieden hatten, sich zu trennen, war für mich und meinen Bruder ersteinmal ganz Klar, dass wir zu unserer Mutter in eine Wohnung ziehen würden. Oh Gott, hätte ich damals gewusst, was das für Folgen haben würde!
Naja. Das erste Jahr mit meiner Mutter in einer Wohnung war toll. Mein Bruder und ich hatten jeweils eigene zimmer, meine Mutter schlief auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer.
Wir führten ein schönes ruhiges Familienleben und jedes 2te Wochenende besuchten wir unseren vater, welcher eine kleine Wohnung auf einem Bauernhof gefunden hatte.
Doch irgendwann , kurz nach meinem 10ten geburtstag, fing meine Mutter an, ständig andere Männer bei sich zu haben. Und das immer abends, und uns durften sie nicht sehen. Das sie sich nicht nur Unterhielten, sobald meine Mutter glaubte, ich wäre eingeschlafen, ist wohl klar. Ich konnte sie immer ganz genau hören, denn mein Bett stand genau an der Wand , an der auch das bett meiner Mutter stand. Einmal bin ich aufgestanden und wollte an die Wohnzimmertür klopfen, doch die sich windenden Schatten , die ich durch das Mosaikglas in der Tür sah und die geräusche verschreckten mich. Es war mir so unglaublich peinlich. Einmal passierte es sogar, dass eine Freundin bei mir schlief, als meine Mutter einen Mann dahatte. Ich und meine Freundin waren noch länger wach. Irgendwann hörte ich dann wieder diese Geräusche von nebenan. Ich hatte Angst, auch meine Freundin könnte sie wahrnehmen, so machte ich eine Hörspielkassette an, und das nicht besonders leise.
Innerhalb von 5 Minuten stand meine Mutter, Nackt in eine Decke gewickelt in der Zimmertür und schrie mich an.
Naja. Ich glaube, ich schreibe zu Detailreich.
Hm.
Naja. Also Frühjahr 2004 oder so lernte meine Mutter dann Tom kennen. Anfangs war er nur noch so eine Männerbekanntschaft, doch sie kam mit ihm zusammen und wollte schon Herbst 2004 zu ihm ziehen.
Meinen Bruder und mich hatte sie nicht gefragt, ob wir das auch wollen.
Wir mussten einfach mit. Und so kam es, dass ich mir ab Herbst 2004 ein winziges Zimmer mit Einem Hochbett, unter dem ein Schreibtischschrank stand, einem Schrank, der gerade eben so aufging und einer Schlafcouch, auf der mein Bruder schlief, teilte.
Logischerweise hatten wir uns täglich in den haaren.
Wir stritten uns nur noch. Auch wenn wir jedes zweite Wochenende bei meinem Vater waren, welcher auch inzwischen wieder eine Beziehung zu einer Frau hatte, mit der ich mich sehr gut verstand, und wo wir glücklicherweise in getrennten Zimmern schlafen durften, waren, ging der Streit weiter. Und es blieb nicht bei Verbalem Streit. Immer öfter wurde es auch Handgreiflich. Teilweise sogar so schlimm, dass mein Bruder mich mit dem Hals gegen die Wand presste oder dass ich mit einem Messer auf ihn losgehen wollte.
Und auch mit meiner Mutter, und besonders noch mit ihrem Freund Tom stritt ich mich unheimlich oft. Wir schrieen uns an und es kam auch schon mal vor das es eine Ohrfeige gab. Oder Man bekam was mit dem Schuhanzieher.
Einmal bin ich auch abgehauen, zwar nur für ein paar stunden, doch als ich wiederkam, stand meine Mutter mit einem Metall-Schuhanzieher da und meinte nur ,, Sei froh, dass ich dich nicht gefunden habe. Sonst hättest du damit was draufbekommen.??
Zu der Zeit fing ich auch an, mich selbst zu verletzen. Ich fing an, mir Haare herauszureißen, mir die haut blutig zu kratzen und mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen.
Zu den Problemen, die ich zuhause hatte, kam es dann auch noch, dass ich die Schule wechseln musste. Denn durch den Umzug zu Tom und die Trennung meiner Eltern war ich in der fünften Klasse des Gymnasiums, welches ich besuchte, extrem abgerutscht. Durch den Wechsel an die Gesamtschule und den gleichzeitigen Umzug verlor ich fast gänzlich den Kontakt zu meiner besten Freundin. In der alten schule hatte ich nur sie gehabt und jetzt kam ich in eine neue Schule, in eine fremde klasse. Ich fand anfangs absolut keine Freunde in der Klasse. Ich hatte so ziemlich keinen Kontakt zu irgendwem, es sei denn es machte sich jemand über mich lustig.
Und dann passierte etwas, was mein leben vollkommen verändern sollte. Meine Mutter hatte keine Lust mehr.
Eines Abends im Frühjahr 2004 sagte meine Mutter zu uns, wir sollten unsere Sachen in zwei große Umzugskartons packen. Wir hielten es für einen Scherz, doch es war leider keiner.
Eigentlich sollten wir in zwei Wochen eh zu meinem vater und seiner Freundin mit ihren zwei söhnen ziehgen, denn dieser hatte ein haus für uns gefunden, welches noch renoviert wurde. Doch halt erst in zwei wochen.
Wir mussten also alles, was uns gehörte einpacken und dann setzte meine mutter und in ihr Auto und fuhr uns zur Wohnung meines vaters.
Sie stellte uns mit den Kartons vor die Tür, doch mein vater war nicht da.
Mein Bruder erreichte ihn auf dem handy und stammelte nur etwas von ?rausgeworfen? , da riss ihm meine Mutter das handy aus der hand und sagte nur ,,Die Kinder sind jetzt hier. Sie gehören dir, ich will sie nicht mehr?? , legte auf und fuhr davon und lies uns im dunkeln und in der Kälte stehen. Ich war so schockiert. Und es tat mir so weh. Zuerst weinte ich, doch mein Bruder versuchte mich aufzumuntern.
Irgendwann hockte ich dann nurnoch zusammengekauert auf einer mauer. Ich beobachtete mich selbst. Denn da passierte es zum erten mal, dass ich das Gefühl hatte, mich als ausenstehende Person zu beobachten. Ich fühlte nichts, ich sah nur zu.
Irgendwann kam dann die Polizei mit meinem vater.
Ich kam die zwei wochen bei meiner cousine unter.
Dann zogen wir in das neue Haus ein.
Eigentlich müsste man denken, jetzt könnte es nur noch bergauf gehen, doch das Gegenteil ist der Fall.
Die Erinnerung an den Abend, an dem meine Mutter mich rausschmiss und der unterbrochene Kontakt zu ihr nagten an mir. Es fraß mich von innen auf und es tat so weh. Und dann kam es eines Abends, dass ich mir die haut blutig gekratzt hatte, doch das war nicht genug. Ich ging an den Badezimmerschrank und fand dort Rasierklingen, die wohl der Freundin meines Vaters gehörten.
Und ab da hatte ich ein Ventil gefunden. Ein Ventil für all das, was ich die ganze zeit über herunterschluckte.
Doch helfen tat das schneiden selbstverständlich nicht. Mit 11 Jahren bekam ich Depressionen. Ich hatte natürlich keine Ahnung, das es welche waren, mir ging es bloß immer total schlecht, ich war nur noch traurig und lachte kaum. Ich weinte viel und isolierte mich vollkommen von allen. Meinem Vater gegenüber wurde ich immer verschlossener und wenn er mich auf irgendetwas ansprach, dann reagierte ich patzig.
Und irgendwann ging es mir dann so schlecht, dass ich meinen Lebenswillen verlor. Anfangs kam es vor, dass ich einfach irgendwelche Tabletten aus dem Medizinschrank schluckte. Ich trank auch absichtlich Flüssigkeiten, von denen ich wusste, dass sie giftig sind, z.B Nagelackentferner oder putzmittel. Ich hatte starke Suizidgedanken, doch ich hatte nicht den Mut mich selbst zu töten.
Und dann stand ich einmal auf einer Brücke über einer Autobahn. Ich wollte springen, doch eine Autofahrerin hielt an und redete auf mich ein. Sie sagte, alles würde wieder gut und dass es für alles eine Lösung gibt. Ich hätte nichrt auf sie hören sollen, aber ich tat es. Die frau fuhr mich zu Dr. J***, bei dem ich schon zuvor an einer ;Therapie? teilgenommen hatte, bei der ich allerdings nie über das gesprochen hatte, was in mir vorgeht.
Dr. J*** rief meinen vater ein und veranlasste meine Einweisung in die Kinder- und Jugendpsychatrie G***.
Ich kam spät abends dort an, mein Vater fuhr mich dorthin. Ich kam, da ich noch 11 war auf die Kinderstation, Station 1.
Zuerst war alles unglaublich beängstigend für mich. Ich stand unter ständiger beobachtung eines Pflegers, darum musste ich in einem Bett auf dem Flur schlafen. Die ersten Tage konnte ich nichteinmal alleine aufs Klo gehen.
Danach bekam ich Meldebögen, mit denen ich mich jede 5,10,15,20 oder später sogar nur alle 30 Minuten bei einem Pfleger melden musste.
Ich bekam dann, sobald die Bögen abgesetzt waren Kunst- ,Musik. Und Einzeltherapie.
Letzteres fiel allerdings oft aus, da die Therapeutin krank oder verhindert war. Dabei benötigte ich dies am meisten.
Na ja.
Ich konnte sogar später zur Krankenhausschule gehen. Ich bin insgesamt 6 Monate in der Klinik gewesen. Doch geholfen hat es mir nicht. Und was mir besonders half: Meine Mutter besuchte mich. Ich war glücklich sie zu sehen. Auch wenn sie mich so verletzt hatte.
Doch der Kontakt zu ihr tat mir gut. Sie besuchte mich fast regelmäßig.
Als ich nach den 6 Monaten nach hause und zurück in meine alte Klasse an der Gesamtschule kam, machte ich zwar zuerst äußerlich einen besseren eindruck, doch innerlich ging es schon wieder bergab. Und auch der Kontakt zu meiner Mutter war wieder dahin. Man sah sich noch ganz selten mal, doch sie hatte wieder immer weniger zeit und lust sich um mich zu kümmern.
Und dann kam Herbst 2006 der nächste Zusammenbruch. Ich hatte während einer Sprechstunde mit Dr.J*** die nerven verloren und war zusammengebrochen. Ich war Psychisch wieder total am Ende. Mit dem schneiden hatte ich schon gegen ende meines letzten Klinikaufenthalts wieder angefangen und auch die Depressionen und Suizidgedanken waren wieder zurückgekehrt. Ich wurde wieder in die Klinik eingewiesen, wieder auf Station 1, auch wenn ich inzwischen 12 war. Und es war wieder nur dasselbe. Beobachtung. Kontrolle. Hin und wieder mal Gespräche. Diesmal hielt ich das ganze wieder 6 Monate, einen davon in der Tagesklinik aus. Bin 4 mal abgehauen. Und wurde jedes Mal wieder von den Bullen eingesammelt.
Als ich dieses mal aus der Klinik zurückkam, ich wurde einen Tag vor meinem 13ten Geburtstag entlassen, ging es mir tatsächlich besser. Der Kontakt zu meiner Mutter war zwar im Laufe der Zeit gänzlich abgebrochen, doch mir war es plötzlich recht.
Ich baute mir auch in meiner Klasse langsam Kontakte auf und auch den Kontakt zu meiner Besten Freundin nine fand ich wieder. Wir trafen und beinahe jedes Wochenende und feierten mit viel alk und guter laune. Irgendwann fingen wir dann auch das Kiffen an ( das rauchen hatte ich schon während meines ersten Klinikaufenthaltes angefangen) und es ging uns richtig, richtig gut.
So ging das bestimmt beinahe ein Jahr. Was das schneiden angeht war ich auch fast ein jahr clean. Und dann kam Sylvester.
Ich war auf dem weg zu einer Freundin, nine wollte auch da sein.
Da begegnete ich einem Jungen türken. Er war voll gepumpt mit irgendwelchen Drogen. Und er hatte eine Waffe. Er fragte mich wer ich sei und was ich wolle, sagte ich sähe ggut aus und kam immer näher. Er hielt mir die Waffe an die kehle und dann passierte ES. Und wieder einmal konnte ich mich selbst beobachten. Ohne Gefühle. Auch danach, nachdem er mich liegengelassen hatte war ich emotionslos. Ich weinte nicht mal, hatte nicht einmal schmerzen.
Ich ging nach hause und duschte mich. Und lag danach nur noch im bett und versuchte zu schlafen.
Ich habe dieses Sylvester ein halbes jahr verdrängt.
Ich habe weiter mit nine partys gefeiert und gekifft, ich habe mir tatsächlich die Birne zugekifft, um die Realität nicht sehen zu müssen.
Und es half mir. Doch vor ca einem halben jahr nun fingen die Albträume an. Ich durchlebte viele schlechte Momente meines lebens in meinen träumen, wachte zitternd und schreiend auf und versuchte bald , nachts nicht mehr zu schalfen.So isses auch diese nacht gewesen. Ich wollte nicht schlafen. Denn ich habe angst, das die träume zurückkehren.
Und seid die Albträume zurück sind, hat auch das schneiden wieder angefangen. Und die schnitte werden immer tiefer und immer mehr. Ich kann meine schultern , oberarme und beine schon nirgendwo mehr sehen lassen.
Oh gott, ich weiß einfach nicht weiter.
Doch es fühlt sich irgendwie gut an das alles nun mal aufgeschrieben zu habe.
Danke fürs zuhören.
Julia

Dana Anwort von Dana

Grüße Dich, Julia!

Es wird sehr deutlich, wie schlecht es Dir ging und geht. Und es tut mir Leid, dass Dein Leben nicht so 'geradeaus', wie es wünschenswert ist, gelaufen ist. Aber wir müssen wohl alle mit den Karten spielen, die uns das Leben austeilt. Es geht immer weiter, es geht immer nach vorne, es kann sich immer etwas verändern.

Ich kann Dir nur ganz fest ans Herz legen, Dich wieder an einen Arzt zu wenden; vielleicht wieder an die Kinder- und Jugendpsychiatrie? Auch wenn ich Dich jetzt fast sagen höre "Nein, da gehe ich nicht hin!" sehe ich das als einen guten Weg für Dich. Schreckliche Erlebnisse lassen sich nicht einfach verdrängen; und wenn, dann immer nur zeitlich begrenzt. Du merkst, dass gerade alles wieder zuschlägt. Es muss verarbeitet werden, damit Du freier leben kannst. Verdrängen heißt, dass es zurückkommt. Verarbeiten, es los zu werden.

Du sagst, Du konntest nie mit den Therapeuten über das sprechen, was wirklich in Dir vorgeht. Etwas, was wohl viele Menschen erleben. Ich kenne einige, die mehr als eine Behandlung, mehr als einen stationären Aufenthalt brauchten, um sich zu öffnen. Und dieses Öffnen ist der Weg - denn heilen kann ein Arzt nur das, wovon er weiß.

Alles Gute und nur Mut!
Dana