Problem von Anonym - 15 Jahre

Zu viel Empathie?

Hallo, liebes KuKa-Team!

Mein Problem ist ziemlich ungewöhnlich (oder auch nicht?), aber ich glaube, Sie sind die perfekten Ansprechpartner für dieses Thema. Ich habe nie gelitten, aber viele andere!

Gleich vorweg: Ich mache meinen Eltern keine Vorwürfe. Sie wollten nur verhindern, dass ich im Angesicht einer derart grausamen Welt wahnsinnig werde. Aber leider zählt der gute Wille allein in unserer Gesellschaft gar nichts. Sogar innerhalb der Familie ist das schon so...

Als ich ein kleines Kind war, dachte ich, überall auf der Welt wäre das Leben lebenswert. Ich hielt es für selbstverständlich, ein Dach über dem Kopf zu haben, jeden Tag satt zu werden, auf Unmengen an Wasser zugreifen zu können und Spielzeug zu besitzen. Heute sagen meine Eltern zwar, dass ich schon immer relativ bescheiden war, aber damals konnten sie mit meinen entwicklungsbedingten Unzufriedenheitsphasen einfach noch nicht richtig umgehen.

Als ich 6 war, erzählten sie mir von Kinderarbeit, Kindern im Krieg, Waisen und Armut. Sie dachten, ich wäre nun glücklich darüber, dass es mir besser ging als vielen anderen. Aber der Schuss ging nach hinten los. Ich war traurig, dass es den anderen schlechter ging als mir. Ich dachte mir, wenn mein Leben schon so wenig Spaß macht, wie geht es dann erst den anderen? Wie halten die das bloß aus? Oder halten sie es gar nicht aus? Das frage ich mich bis heute.

Nur wenige Monate später wurde meine Schwester geboren. Sie wurde von Anfang an ganz anders erzogen: Lass dich nicht herumschubsen, in dieser Welt überleben nur die stärksten! Für mich sah es damals so aus, als würden meine Eltern sie zur Egoistin erziehen, damit sie die Wahrheit besser verkraftet als ich. Klappte sogar. Allerdings hat sie jetzt, mit 8 Jahren, die Autoritätsprobleme, die man normalerweise nur von Pubertierenden kennt. Mich wollten sie auch nachträglich zum Egoisten machen, aber mit 6 Jahren war es einfach schon zu spät. Meine Persönlichkeit war schon längst festgelegt. Außerdem wehrte ich mich dagegen.

Ich befinde mich nun wieder in so einer Phase, in der mein Antrieb immer mehr nachlässt. Ich bin übrigens leicht depressiv veranlagt und weiß nicht, was genau diese Phasen auslöst. Es kann jederzeit passieren. Und da beginnt auch schon der Teufelskreis: Ich fühle mich total mies, meine Motivation lässt nach, meine Noten werden schlechter. Dadurch wird mein Vorhaben, später beruflich viel Geld zu verdienen und folglich auch viel für gute Zwecke spenden zu können, gefährdet. Nun erinnere ich mich wieder an das Grauen, vor dem ich die Menschen nicht beschützen kann und fühle mich noch mieser.

Dazu kommen natürlich auch Selbstmordgedanken. Seit ich zurückdenken kann, grüble ich immer wieder darüber nach. Es läuft aber jedes Mal darauf hinaus, dass ich hier noch etwas zu erledigen habe. Ich möchte wenigstens ein paar Menschen die Lebensfreude zurückgeben, aber wie? Ich kann mich ja selbst nicht mehr daran erinnern, was das überhaupt ist! Im Moment weiß ich nur, dass ich das nicht mehr lange aushalte. Es gibt nur 2 Möglichkeiten: Entweder werde ich so gefühlskalt, dass mein Leben trotz der grausamen Wahrheit erträglich ist, oder ich beende mein Leben einfach. Ersteres bewirkt, dass die Probleme der anderen mich einfach kalt lassen und ich keinen Grund sehe, ihnen zu helfen. Zweiteres macht Hilfe gar unmöglich und verletzt meine Angehörigen zutiefst, klingt aber immer verlockender.

Aus Suizid hat sich dann noch eine dritte "Möglichkeit" entwickelt. Wer stirbt, hinterlässt Trauernde, ist selbst aber endlich erlöst. Was, wenn alle sterben? Dann gäbe es nur Erlöste und keine Trauernden mehr. Diese Fantasie macht mir deshalb so viel Angst, weil ich weiß, dass viele Amokläufer früher genau so selbstlos und übertrieben gutmütig waren (oder sein wollten) wie ich heute.

Wie machen Sie das? Wie können Sie so vielen Menschen helfen, ohne buchstäblich mit ihnen zu leiden? Wie führt man ein erträgliches Leben, obwohl man weiß, wie viel Leid es auf dieser Welt gibt?

Vielen Dank, dass Sie sich immer wieder Zeit nehmen! Ich bewundere Sie für Ihr freiwilliges Engagement!

Anwort von Marius

Hi,

dein Titel lässt erkennen, dass du zwei Dinge miteinander verwechselst.
Empathie ist das "Verstehen" des Leids. Mitgefühl.
Was du machst ist Mitleid haben und das hilft dir nicht und den Menschen nicht denen es schlecht geht. Das zu unterscheiden ist ein wesentlicher Punkt. Ich als Buddhist erkenne den Unterschied im Innern, da ich täglich lange meditiere. Wenn du davon loskommen willst musst du daher einen Willen entwickeln. Den Willen des Mitgefühls für die Menschen und den Willen das Mitleid in dir loszuwerden. Das macht dich stärker und hilft den Mitmenschen wesentlich mehr als, wenn du auch noch leidest. Wie soll ein besserer Zustand erreicht werden, wenn alle dasselbe leiden? Es muss auch Menschen geben, die nicht leiden und deshalb den Menschen helfen können. Das zu erreichen erfordert sehr viel Disziplin. Es ist eine Lebenseinstellung und dahin gehend gibt es kein Ende. Selbstdisziplin ist für mich das Wichtigste was ein Mensch tun sollte, danach kommt die Hilfe für andere.

Leb Wohl
Marius