Problem von Sohn - 28 Jahre

Kontakt zur Familie abgebrochen

Hallo Kummerkasten Team,

seit Jahren beschäftigt mich ein Gedanke. So ziemlich genau ist es jetzt 10 Jahre her, dass ich den Kontakt zu meiner Familie abgebrochen habe.

Damals war ich 18 und es gab nur Probleme. Einen Vater hat ich irgendwie nie, dafür irgend so einem Typen der in die Familie geheiratet wurde. Gleich mit Kind und dann noch eins zusätzlich gemacht. Mit diesem kam ich von vorne herein nicht klar. Allgemein war es ein total chaotischer Haushalt ohne Plan und alles. Es gab nur Streit bis hin zu Prügel und was alles dazu gehört.

Irgendwann eskalierte die Situation so, dass ich einfach gegangen bin und mich nie wieder gemeldet habe. Einzelheiten möchte ich jetzt lieber nicht dazu nennen. Ich gebe keinem einzelnen direkt die Schuld daran. Sicher ist es zum Teil auch meine. Dafür hab ich alle über einen Kamm geschert und damals beschlossen "leckt mich".

Sicher tat der Abstand für alle gut. Ich lebe mein Leben und komme sehr gut zurecht. Trotzdem beschäftigt mich immer wieder der Gedanke, ob es nicht falsch gewesen ist so einen radikalen Schritt zu gehen.

Natürlich fällt es anderen auf, dass ich ohne Familie durchs Leben gehe. Freunde fragen hin und wieder danach, warum ich Weihnachten alleine bin oder nie von denen rede oder besuche und so.

Auf der anderen Seite möchte ich mir gar nicht vorstellen wie es ist mit meiner Familie wieder auf einmal zu reden. Ich wüsste überhaupt nicht was ich sagen sollte. Mir wäre die ganze Situation total unangenehm, da jetzt alles erklären zu müssen, Wieso, Weshalb und Warum. Und wenn der Typ von damals immer noch da ist, ob es nicht gleich wieder alles eskaliert und alle aufeinander losgehen.

Ich habe auch irgendwie überhaupt keine emotionale Bindung mehr zu meiner Familie. Kann man so etwas "ablegen"? Mir ist es irgendwie egal, mich stört es nicht wenn alle von ihren Familien reden und wie gut sich alle verstehen. Ich habe in solchen Momenten immer nur ein total verzerrtes Bild vor mir und kann es mir gar nicht vorstellen.

Irgendwie erwarte ich, dass irgendwann mal ein Brief im Briefkasten von irgendeinem Anwalt liegt indem steht: Ein angehöriger ist Verstorben, bitte melden sie sich da und da ...

Ist es falsch so einen Eindruck von seiner Familie zu haben? Muss man sich bei diesen melden, nur weil sie einen zur Welt gebracht und "aufgezogen" haben? Ich selber werde wohl nie eine eigene Familie haben, da ich es nicht so mit Frauen habe. Aber selbst das wissen die bis heute nicht und wäre wohl nur der Tropfen auf dem heißen Stein.

Wäre toll eine Meinung von euch dazu zu hören. MFG

Bernd Anwort von Bernd

Hallo "Sohn",

Du hattest sicherlich Deine Gründe, vor 10 Jahren Dein eigenes Leben über das von einer "Familie" zu stellen, die Du nicht als solche erkennen konntest. Die Gründe eines 18-Jährigen.
Zur Selbständigkeit muß jeder seinen eigenen Weg finden.

Wenn Du nun wirklich wissen willst, wie Deine Mutter in den vergangenen 10 Jahren empfunden hat, wie es ihr geht, was sie bewegt, dann baue Du ihr eine Brücke: Du hast den Kontakt abgebrochen, Du bist um 10 Jahre reifer geworden (sonst gäbe es für Dich dieses Problem nicht).
Du bist "Mann" genug, den ersten Schritt zu tun!
Was auch immer Du vor 10 Jahren empfunden haben magst: Vielleicht kann es Dir Deine Mutter mit dem zeitlichen Abstand besser begreiflich machen, warum sie damals genau das getan hat, was Dich aus dem Haus getrieben hat.
Vielleicht kannst Du dann Deine eigene Rolle in der Familie von vor 10 Jahren auch anders sehen, als Du es damals empfunden hast.
Vielleicht habt ihr das Glück, zu erkennen, dass damals jeder von Euch das eigene Recht auf "Glücklichsein" vor das Recht des Anderen gestellt hat. (Auch Deine Mutter hatte und hat ein Recht darauf!)
Vielleicht könnt Ihr Euch dann gegenseitig verzeihen.
Mein Rat:
Mache Dich zu allererst frei von allem Groll. Frei von allen Vorwürfen, die Du gegen Deine Mutter hegst. Mach Dich bereit, Sie zu fragen, was sie bewegt hat.
Mach Dich bereit, zuzuhören!
Wenn Du diese Freiheit gefunden hast, bist Du bereit, Deiner Mutter zu schreiben.
Schreibe ihr z.B. eine Karte mit Deinen besten Wünschen zu Weihnachten und dass Du gerne wüßtest, wie es ihr geht.
Mehr nicht!
Kein Vorwurf. Keine Verpflichtung.
Eine Brücke eben, über die Deine Mutter dann gehen muß!
(Vergiß nicht, alle Kontaktmöglichkeiten anzugeben, über die sie Dich erreichen kann (Festnetz, Mobil, E-Mail, Wohnsitz).

Ich kann Dir keine Garantie darauf geben, ob etwas folgt. Aber Du hast nach Deinem ernsthaften Versuch die Gewissheit, alles Dir mögliche getan zu haben, zur Familie zurückzufinden.
Auch wenn Dich das Ergebnis nicht glücklich macht: es wird Dich erleichtern, Dir die Gewissheit bringen, nach der Du suchst.

Zum guten Schluß noch ein (vielleicht unerwünschter) Rat: Das Bild, das Du Dir von Deiner Mutter machst, solltest Du nicht auf "die Frauen" allgemein übertragen. Vielleicht wird Dich ja Deine Mutter davon überzeugen können, dass Dein Bild von vor 10 Jahren nur die halbe Wahrheit ist. So oder so: gib den Frauen eine Chance. Es gibt mit Sicherheit die Eine, die die Chance verdient hat.

Herzlichst,
Bernd