Problem von Anonym - 19 Jahre

Viele Probleme - Wenig Übersicht

Hallo liebes Kk-Team,

ich habe ein sehr großes Problem, das sich in sich selbst begründet: in meinem Leben habe ich einfach zu viele Probleme: absolut alles ist scheiße, wie zum Beispiel meine soziale Isolation, die Schule... (nur beispielhaft ausgewählt, da mir die Übersicht über meine Probleme fehlt, in Wirklichkeit habe ich viel mehr Probleme) einfach alles.
Natürlich habe ich auch schon versucht, meine Probleme auf einen Zettel zu schreiben und zu ordnen. Hierin liegt mein größtes Problem: um meine Probleme aufzuschreiben und zu ordnen, brauche ich Ruhe. Diese Ruhe ist allerdings zu keinem Zeitpunkt gegeben. Immer ist es laut, es gibt keinen Platz auf der Welt, an dem ich mich konzentrieren kann. Deshalb fühle ich mich von meinen Problemen erschlagen.
Sehr gerne würde ich meine Probleme konkretisieren bzw. ermitteln, worin der Kern meiner Probleme liegt bzw. was meine Probleme überhaupt genau sind. Das klappt allerdings nie (aus dem genannten Grund) und deshalb muss ich mir immer wieder sagen: \"alles ist scheiße\". Das zieht mich dann immer runter, ich werde hoffnungslos und bekomme depressive Gefühle. Dann ist mir einfach alles egal und ich will einfach nur noch die Augen schließen.
Zwischendurch bekomme ich immer schubweise den Drang, es doch nochmal zu versuchen und zu versuchen, meine Probleme zu konkretisieren und daraus Ziele abzuleiten. Leider läuft das immer schief (absolut immer, ich habe es schon 100 mal versucht, aber jedes mal war es viel zu laut um mich herum, so dass ich mich nicht konzentrieren konnte) und nach der verschwendeten Zeit muss ich mir erneut sagen \"alles ist scheiße\". Das treibt mich dann noch tiefer in die Depression hinein.
Ich habe wirklich schon alles versucht, um meine Lebenswünsche zu konkretisieren, absolut alles. Ich habe alles versucht, um meine Probleme in Worte zu fassen, damit ich überhaupt eine Übersicht darüber habe, WAS meine ganzen Probleme sind. Sie sind so zahlreich, dass ich schlicht und einfach die Übersicht verloren habe. Wenn ich meine Probleme lösen will, brauche ich konkrete Ziele und dafür brauche ich eine Übersicht, in die ich mir meine ganzen Probleme aufschreibe. Dafür brauche ich wiederum konzentration, für die ich wiederum Ruhe benötige.
Es sieht also so aus: Ruhe -> Konzentration -> Übersicht über Probleme -> Lösungsansätze -> (hoffentlich:) Lösung.
Mein Problem ist nur leider, dass eben alles auf diesem ersten Punkt, der Ruhe aufbaut. Dafür ist in meinem Leben einfach kein Platz, denn immer wenn ich versuche, mir Ruhe zu nehmen, kommt irgendwas dazwischen, was laut ist. Es gibt auf dieser Welt einfach keinen Ort, an dem ich mich wirlich konzentrieren kann und an dem es ruhig ist. Ich habe schon so vieles versucht. An öffentlichen Plätzen ist es sowieso nicht ruhig. Bei mir zu Hause ist es sowieso niemals ruhig und wenn ich nach draußen gehe, ist es in der Umgebung immer zu laut. Deshalb befinde ich mich in einem Teufelskreis, denn wenn ich mir sage \"ich konkretisiere meine Probleme jetzt nicht\", habe ich keine Übersicht über meine Probleme, die mich tagtäglich verfolgen. Dann muss ich mir wieder sagen \"alles ist scheiße\". Das wird sich wahrscheinlich unendlich lang hinziehen.

Manchmal glaube ich sogar tatsächlich dass wirklich mein ganzes Leben (durch und durch, jedes einzelne Bestandteil) scheiße ist. Mit dieser Einstellung möchte ich ungerne leben, aber aufgrund des von mir geschilderten Problems kann ich diese Einstellung wohl nicht ändern. Hab absolut keine Ahnung, wie ich aus diesem Teufelskreis wieder herauskomme, denn jeden Tag erfahre ich aufs Neue, dass alles in meinem Leben schief läuft: in der Schule, bei der Interaktion mit Anderen, zu Hause, einfach an jedem Ort. Leider weiß ich nicht, was meine Probleme genau sind und wo ihr Kern liegt. Das werde ich wahrscheinlich auch nie herausfinden können, denn bei mir zu Hause ist es immer laut: entweder spielt mein Vater laut Orgel, oder mein kleiner Bruder hat die Musik laut aufgedreht, oder laute Gäste sind da. Irgendwas ist immer los. Meine Ruhe geht gegen 0. Ich merke schon wie ich mit meinem Alltag immer überforderter bin, da ich einfach nie Ruhe (akustische) finde. Oropax helfen auch nicht, die schirmen dieses ganze Wirrwarr von Lärm nur ab und machen es etwas leiser. Die Reizüberflutung bleibt trotzdem bestehen. Neben der Reizüberflutung denke ich mir dann, wie viele Probleme ich habe. Allerdings kann ich sie nicht konkretisieren, da ich dafür Ruhe brauche.

Also ist ein kleiner Teil meiner Probleme, zumindest der Lösungsansatz schonmal konkretisiert: das Finden von Ruhe. Das wäre der Schlüssel zur Lösung aller anderen Probleme. Leider ist mir dieser Schlüssel verwährt und ich muss mir mein Leben lang, egal was ich auch tolles in meinem Leben mache, sagen: es ist alles scheiße. Denn das bekomme ich jeden Tag (in der Schule, zu Hause, bei der Interaktion mit Andern) vermittelt. Vielleicht hab ich ja auch bereits aufgrund des ganzen Stresses ein psychisches Problem entwickelt. Das würde meine Reizüberflutung noch weiter in die Höhe treiben, da ich dann auch noch zwischen 100 Psychiatern hin- und herrennen müsste.

Vielleicht könnt ihr mir weiterhelfen, ich weiß es absolut nicht mehr. Viele Menschen machen sich gar nicht so viele Gedanken wie ich. Die ziehen einfach ihr Ding durch, ohne über die Probleme nachzudenken. Ich habe allerdings das Problem: ich muss über meine Probleme auch mal nachdenken, wenigstens 1 mal. Sonst muss ich mir für den Rest meines Lebens sagen \"alles ist scheiße\" und da hab ich keinen Bock drauf, da kann ich mich gleich erhängen, als dass ich mich noch 60 Jahre mit dieser Einstellung rumquäle (und mit der Erkenntnis der Tatsache, dass ich nicht mal meine Probleme konkretisieren kann: ich will nichtmal die Lösung meiner Probleme, noch nicht mal einen Lösungsweg, ich möchte meine Probleme überhaupt erstmal richtig erfassen und das ist meiner Meinung nach wirklich nichts, was zu viel verlangt wäre. Allerdings fühle ich mich eben so vom Pech verfolgt, dass ich dies aufgrund mangelnder Ruhe nicht kann. Zu oft habe ich es schon versucht).

Auf jeden Fall herzlichen Dank schonmal im Voraus und Herzliche Grüße,
Tobi

Sarah L. Anwort von Sarah L.

Lieber Tobi,

ich hoffe du hast die nötige Ruhe um meine doch etwas längere Antwort lesen zu können.
Vielleicht Kopfhörer mit einer nicht zu aufdringlichen Musik, falls es bei dir zu Hause grade wieder zu laut ist?

In dem was ich lese erkenne ich einen sehr intelligenten und auch sehr emotionalen Menschen, und es ist kein Wunder dass so jemandem manchmal alles zu laut und zu viel wird.
Auf den ersten Blick sieht das für andere vieleicht so aus, als würde mit dir etwas nicht stimmen, aber deine Reaktion ist eigentlich normal. Bei der ganzen Hektik und dem Lärm und der Reizüberflutung überall um uns herum ist es ein Wunder dass überhaupt so viele Leute es schaffen dicht zu machen und nicht krank davon zu werden.
Wobei man sich natürlich streiten kann, ob dieses Dichtmachen eine akzeptable Lösung ist - für mich wäre es keine.

Es ist gut möglich, dass durch deine Depression auch die Reizempfindlichkeit zugenommen hat und umgekehrt. Oder du leidest an etwas ganz Anderem, nämlich einer Übersensibilität.

Ich denke du solltest dir einen guten Therapeuten suchen. Selbst wenn die Suche eine Weile dauern kann, so findest du dort Raum und Ruhe - und Ruhe meine ich nicht nur im Sinne fehlenden Lärms - um deine Probleme erst einmal zu ordnen, dir eine Übersicht zu verschaffen, und damit schon ein großes Stück des Stresses loszuwerden.

Ich erkenne mich in Eingem wieder, was du geschrieben hast, und auch dieser Zustand der völligen Überschwemmung ist mir nicht fremd.
Ich weiß dann genau, dass ich das Fadenende des riesigen Knäuls finden und dann mit ein paar Zupfern (mehr oder weniger ;) ) alles entwirren könnte, wenn ich mich nur einen Augenblick genug konzentrieren könnte um hinzusehen! Das ist frustrierend und dieser Zustand der Rastlosigkeit ist belastend und ganz schon kräftezehrend!
Mir hat meine Therapie geholfen, in der ich eigentlich wegen einem Haufen anderer Sachen bin, aber jedes Mal wenn ich vor diesem Problem stehe dann habe ich zumindest die Sicherheit dass ich nur bis zu meinem Termin diese oder kommende Woche warten muss weil ich da den Raum habe, den ich brauche.

Eigentlich schreit das Problem des Probleme-Ordnens nach einer Verhaltenstherapie, weil du da ganz konkrete, praktische Hilfe bekommst um den Alltag bzw. deine Probleme anzupacken. Auf der anderen Seite würde es mich nicht wundern wenn bei dir schon früher Sachen schief gelaufen sind und es für deine Probleme tiefersitzende Ursachen gibt. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht dass Verhaltenstherapeuten tendenziell nicht so gut sind für hochsensible Menschen, weil sie recht antreibend, schubsend, fordernd in ihrer Art sein können. Liegt an der Therapieform.
Aber die Entscheidung wirst letztendlich du treffen müssen, denn du weisst am Besten, was da in dir noch alles begraben liegt. Außerdem kann man immer wechseln, wenn die Therapieform, die man gewählt hat nicht (mehr) passt.

Überlege außerdem, ob du nicht besser von zu Hause ausziehst. Die Welt draußen ist schon Moloch genug, da solltest du wenigstens in deinen eigenen vier Wänden Sicherheit und Ruhe (emp)finden. Auch etwas, das mir sehr, sehr geholfen hat - mein eigenes Nest haben.
Falls das nicht geht schau im Internet mal ob du dir nicht eine Schallisolierung selbst basteln kannst um die Geräusche wenigstens abzudämpfen.
Der Sommer kommt auch bald, vielleicht findest du dann einen ruhigen Platz irgendwo draußen - Wald, Feld, Stadtpark?

Eine offensichtliche Möglichkeit ist natürlich immer das Gespräch mit deiner Familie und der Bitte um Ruhe. Ich bin mir nur nicht sicher ob du das im Augenblick überhaupt kannst. Aber wenn du es dir zutraust glaube ich dass es den Versuch auf jeden Fall wert ist!

Ich wünsche dir alles Gute, und dass du deine Empfindungsfähigkeit nicht verlierst, auch wenn du im Augenblick darunter leidest.
Wenn du deine Probleme besser ordnen konntest - oder Rückmeldung geben möchtest welchen Weg du eingeschlagen hast - schreib gerne wieder.

Sarah L.