Problem von Anonym - 17 Jahre

Hass auf Menschen

Guten Tag,

ich habe in den letzten Wochen und Monaten starke Veränderungen an mir bemerkt.
Ich habe keine Freunde, und finde das erst einmal nicht schlimm, es ist größtenteils meine Schuld. Alle an meiner Schule sind diese naiven, unsymphatischen, oberflächlichen,globalisierten Modepüppchen (auch die jungen), und mit soetwas möchte ich einfach nicht befreundet sein. Ich hoffe ich kann mich einigermaßen verständlich ausdrücken.
Ich habe mich in diese Abneigung extrem hineingesteigert, und kann nun an fast keinem Menschen mehr vorbeigehen ohne ihn so zu betrachten.
Wenn ich einmal einigermaßen gute Laune habe, muss ich nur durch die Stadt gehen und ich werde wütend, dass diesen Menschen unsere Zukunft gehört. Ich werde richtig wütend, sodass ich am liebsten auf irgendwas einschlagen könnte.
Früher hatte ich auch noch nie Freunde, bevor ich diese Abneigung entwickelt habe, dabei habe ich mich immer sehr angestrengt. Ohne selbstgefällig zu wirken, darf ich an dieser Stelle auch anmerken, dass ich nun wirklich nicht in das Schema eines \"typischen\" freundelosen Menschen (rein äußerlich) passe.
Ich war so wütend, dass andere jeden Tag der Ferien mit Freunden in der Stadt verbrachten, während ich immer, wirklich IMMER zuhause saß.
Aber mir ist klar geworden, dass mich das nicht glücklich machen würde.
Wenn ich darüber nachdenke, habe ich keine Ahnung, was mich glücklich machen würde. Ich glaube, ich neige zur Misanthropie, oder bin so ziemlich das Gegenteil von einem Philanthrop. Ich hasse den Menschen an sich, seine Interessen, seine Naivität, sein Handeln.
Das einzige, glaube ich, was mich vom Suizid abhält, ist die Liebe zu meiner Familie, der Gedanke, dass sie dann trauern würden, macht mich sehr traurig.
Aber um meiner selbst Willen hätte ich schon längst Suizid begangen.

Ich habe bisher mit zwei Menschen über dieses Problem geredet, und der einzige Rat war, zu einem Psychiater zu gehen. Beide dieser Menschen haben nun Angst vor mir. Indem ich Ihnen schreibe, gehe ich einen Kompromiss ein, denn ich möchte keinen Psychiater besuchen

Ich erwarte nicht, dass Sie mein Problem lösen, aber ich erhoffe mir eine gewisse Hilfe.

Danke

Dana Anwort von Dana

Hey.

Zuerstmal danke ich für dein Vertrauen. Vor allem, nachdem du schon durchaus negative Erfahrungen damit gemacht hast, dich zu öffnen.

Dein Problem ist ein durchaus kompaktes, es liegen mehrere Faktoren offen, Verletzungen, Begebenheiten, die dich zu dem Menschen gemacht haben, der du heute bist.

Dir fehlt ein Platz, eine gerade Linie im Leben, die du so für dich selbst akzeptieren kannst, eigentlich auch im Zusammenhalt mit anderen Menschen, auf deren Mitwirkung in deinem Leben du allerdings gerne verzichten möchtest, weil sie dir anscheinend nicht gut tun und du die meisten Menschen aufgrund ihrer Lebenseinstellung verachtest.

Hast du mal überlegt, woher diese Wut kommt? Was diesen Zorn in dir drin ausmacht?

Da ich dich für ziemlich intelligent halte, mag ich keine Psychologenfloskeln loslassen. Ich probiere es mal mit direkter Ehrlichkeit, mit dem, was ich bei deinem Geschriebenen gedacht habe.

Mein erster Gedanke war:
"Er verachtet die Menschheit. Er hasst die Menschen, sie machen ihn wütend, er hält sie für nicht wert, unsere Zukunft zu bauen. Und trotzdem liebt er seine Familie und schreibt uns. Wie passt das zusammen?"

Mein zweiter Gedanke (völlig unabhängig vom ersten) war:
"Was hat ihn so verletzt, dass er in diese extreme Haltung, Menschen gegenüber, gerutscht ist?"

Und mein dritter Gedanke war:
"Ich selbst bin auch nur ein Mensch - ein Mensch mit Oberflächlichkeiten im Leben, mit Dummheiten und Fehlern...ist es überhaupt sinnvoll, jemandem einen Rat zu erteilen, der eigentlich die gesamte Bevölkerung für unwert hält? Schaffe ich es überhaupt, dass er meine Antwort an sich ran lassen kann?"
Wenn ich von der Welt nichts halten würde, würde ich wahrscheinlich denjenigen, der mir einen Rat gibt, nicht wirklich ernst nehmen...ich hoffe, du kannst es, schließlich hast du ja um Hilfe gebeten.

Ich bin keine Psychologin. Ich kann nur sagen, was mir weiterhin beim Lesen durch den Kopf ging. Ich habe mit diesen drei Gedanken gespielt und die Informationen mal mit eingebaut, die du noch so gegeben hast.

Da schreibst du uns also, dass du keine Freunde hast, das aber eigentlich nicht so schlimm ist, weil du eh alle Leute nicht leiden kannst. Dazu schoss mir dann wieder ein Gedanke durch den Kopf, der sich mit deinem Hilferuf vermischt hat:

Kann es sein, dass du früher dadurch, dass du immer "Absagen" von den Leuten, trotz starker Bemühungen deinerseits, erhalten hast, ein hohes Maß an unterdrückter Verbitterung in dir hast? Und dass du dadurch wirklich verletzt worden bist? Aus einem bestimmten Grund wollte früher nie jemand mit dir etwas unternehmen. Das kann mehrere Gründe haben, die erstmal nicht Thema sind. Thema ist erstmal, wie es zu diesem Abstand zu anderen Menschen gekommen ist.

UND Thema sollte sein, warum du Suizidgedanken hast. Warum du denkst, du bist so wenig wert, dass es völlig egal ist, ob du lebst oder nicht.

Du hast dich damals bemüht, du wolltest in eine Gruppe gehören, Freunde haben. Wer will das nicht? Aus irgendeinem Grund hat das nicht geklappt. Du wurdest enttäuscht. Neben dieser Enttäuschung kamen mit Sicherheit auch die Selbstzweifel. "Warum wollen die mich nicht??" Und daraus, könnte ich mir vorstellen, erwuchs nach und nach dieser Hass auf andere Leute. "Was soll ich mit denen? Die sind eh nur oberflächlich und bescheuert." Gar nicht erst riskieren, dich einzulassen, um nicht gleich wieder ne Faust in den Bauch zu kriegen. Lange hast du dir gesagt, dass du dir alleine genug bist.

Aber dein Reden und Handeln widersprechen sich.

Du liebst deine Familie, du hängst an ihr. Da sind Leute, die dich lieben und die dich als den annehmen, der du bist. Ihnen zuliebe lebst du. Das ist schonmal wunderbar, dass es Menschen gibt, die das verdienen. Schlimm empfinde ich es jedoch, dass du für DICH nicht leben wollen würdest. Dass du dir anscheinend so egal bist und diese Verletzung in dir den Stachel festgenagelt hat "Ich bin nix."

Klar, es kann sein, dass du mir jetzt nen Vogel zeigst und sagst: "So ein Quatsch!" Aber ich würde dir raten, das mal in deinem Herzen zu bewegen. Oft tendieren Menschen nämlich nach einer Verletzung ins Gegenteil. Ich kenne eine tiefe Männerhasserin. Sie kann Männer nicht leiden, hackt immer auf ihnen rum, lästert über sie...bis ich irgendwann rausgefunden habe, dass sie mal sehr schlimm von einem Mann verarscht worden war. Das hatte sich so festgesetzt, dass sie immer auf Männer losgegangen ist, wenn sich die Gelegenheit bot.

Brauche ich nicht, so habe ich auch nicht die Gefahr, wieder verletzt zu werden.

Wenn du mit dem Weg, den du eingeschlagen hast, zufrieden wärst (also ein wirklicher Misantroph), dann hättest du uns nicht geschrieben. Daher unterstelle ich mal dreist, dass du das eigentlich ändern willst. Dass du diese Wut und den Hass auf andere Menschen gar nicht wirklich so produktiv für dich findest und merkst, dass dir diese Emotionen gar nicht wirklich gut tun.

Zuerstmal: KEINER verlangt von dir, dass du nun plötzlich ein Sonnenscheinmensch werden sollst. Du bist du, so wie du bist.

Aber diese Wut und das Gefühl, das du automatisch beim Betrachten von Menschen (auch denen, die du gar nicht kennst) hast, sind absolut ungesund, was dir ja selbst inzwischen auffällt.

Für mich wären jetzt zwei Dinge wichtig.

1. dass du dich selbst wieder mehr annehmen lernst.
2. dass du lernst, Menschen wieder eine Chance zu geben.

zu 1.
Zurückweisung ist immer ein Problem. Mit anderen Menschen nicht klar kommen, muss keins sein, kann aber eins werden, wenn es _alle_ Menschen um dich herum betrifft. Ich nehme an, dass du, aufgrund der Zurückweisung früher, ein dickes "Lasst-mir-meine-Ruhe!!"-Schild auf der Stirn trägst. Das tut man unbewusst. Mein bester Freund hat Pech mit den Frauen. Aber nur, weil er immer gleich ein "sieh-mich-nichtmal-an"-Schild trägt. Da gehen richtig die Klappen runter, weil er einfach Panik hat, dass wieder eine Abfuhr kommt. Also lieber gleich den Unnahbaren mimen.

Ich befürchte, dass du in einer Art Konflikt feststeckst, der eben diesen Teufelskreis ausmacht. Abfuhr, schlechtes Selbstwertgefühl dadurch, Unnahbarkeit, Abfuhr. Und das hat sich dann gesteigert bis zu den sehr negativen Emotionen, die du jetzt hast. Du gibst niemandem mehr die Chance, auch nur auf einen "Seelenmeter" an dich ran zu kommen.

Es ist total wichtig, dass du weißt, dass du durchaus von Wert bist. Und dass es sinnvoll sein kann, dich zum Freund zu haben. Du musst dich dafür nicht ändern, lediglich etwas mehr öffnen. Konzentriere dich zB auf DICH, wenn du durch die Stadt gehst. Lass andere Menschen außen vor. Und vielleicht erwischst du mal ein positives Gefühl, das mit dir zu tun hat. Weil du gleich was Schönes kaufst etcpp. Damit fängt alles an. Kleine Schritte. Danach versuche, dieses "Hau ab!!"-Schild mal abzunehmen. Gar nicht mehr tun, als eben nicht NUR negativ zu gucken und zu mimen. Und damit wären wir dann auch bei Punkt 2: gib anderen Menschen eine Chance.

zu 2.
Du schriebst oben, dass du es hasst, wie oberflächlich Menschen sind. Aber genau diesen Vorwurf musst du leider auch dir selbst machen. Du scherst alle über einen Kamm, von vorneherein werden die Menschen in eine Schublade gesteckt, ohne näher hinzusehen. Sie sind hassenswert. Und das ist wirklich übel. Sie bekommen von dir vorweg schon keine Chance. Und das strahlst du aus. Warum sollte dann einer überhaupt mal was wagen und in deine Nähe kommen? Ich weiß, Feuer ist heiß, also geh ich nicht zu nah ran.

Menschen sind sehr komplexe Persönlichkeiten. Sicher, es gibt, gerade in deinem Alter, viele, die nur smalltalken, denen es nicht an Lästerthemen mangelt und die "angepasst" sind. Menschen, die nur an Mode denken oder wie sie auf den coolen Jungen in der Parallelklasse wirken. Wie der Nagellack ist und wann man sich "auf ein Käffchen" trifft. Doch es gibt auch andere. Menschen, die tiefgründig sind und kein schwieriges Diskussionsthema fürchten, die Interessen haben, denen sie nachgehen und die über Gott und die Welt philosophieren.

Es geht nicht drum, dass du jetzt lachend in die rosa Welt rausrennst und HIER BIN ICH!! brüllst. Es geht auch nicht darum, dass du morgen deiner ganzen Klasse je eine Rose schenkst und ich liebe euch! sagst. Es geht nur darum, diese verhärteten Fronten mal aufzuweichen. Nicht von vorneherein denken: SPACKO!! oder sowas in der Art. Es wird auch weiterhin Menschen geben, die du nicht abkannst. Und keiner verlangt, dass du plötzlich zum Philantroph wirst. Aber es gibt auf der Welt und auch in deinem Umfeld sicher Menschen, denen du nichtmal einen Blick gönnst, alleine, weil du diese Einstellung hast.

Ich könnte mir vorstellen, dass du, wenn du beginnst, nicht das Allerschlechteste in einem Menschen zu vermuten, bald auch mal ein offenes Gesicht zurück blicken siehst. Ein Versuch wäre es wert. Schlimmer als sich so wenig wert zu fühlen, dass man sterben könnte, kann es doch nicht werden.

Was den "Psychiater" angeht: auch dazu wird keiner gezwungen. Meist ist es einfach so, dass ein Therapeut (das würde ausreichen, ein Psychiater ist drei Nummern zu viel, denke ich) vom Fach ist und durch seine Arbeitserfahrung bestimmte Dinge schnell auflösen und klären kann. Das, was ich mir so denke, kann stimmen, kann aber auch nicht stimmen. Ein Therapeut nimmt sich nur Zeit für dich alleine und geht mit dir diese Fakten durch. Und er könnte einfach helfen und einen Weg aufzeigen.

Da du das momentan nicht als deinen Weg siehst, kann ich nur hoffen, dass dir meine Antwort irgendwas bringt.

Ich wünsche dir jedenfalls, dass du wieder lernen kannst, dich selbst zu mögen. Danach wird sich vieles weisen, denke ich. Wenn du noch Gesprächsbedarf hast, melde dich unter "Feedback". Verlinke das Thema im Titel, damit klar ist, wer du bist.

Liebe Grüße,

Dana