Problem von uwe - 57 Jahre

Habe Angstzustände und wollte mir schon 2mal das Leben nehmen

ich weiß nicht wie ich anfangen soll, alles fing ungefähr vor 3Jahren an, da bekam ich Angstzustände und Platzangst, das eventuell auch mit meiner Gesundheit und der Arbeitssituation zusammenhängen könnte. Ich habe eine wundervolle Familie, zwei Kinder von 17 und 14 Jahren sowie eine tolle Frau. Ich bin schon seit Jahren arbeitslos und habe Gesundheitliche Einschränkungen ( Rückenbeschwerden, Magen- und Herzprobleme).Ich habe nun meine EU Rente eingereicht,die wurde aber erstmal abgelehnt, meine Frau geht arbeiten und steht zu mir,genau wie meine Kinder, aber ich habe schon zweimal versucht mir das Leben zu nehmen. Ich habe Abends einfach die Augen geschlossen und eine viel befahrene Straße überquert, aber jedesmal haben die Fahrer mir ausweichen können. Ich war auch schon in Behandlung, aber ich kann mich nicht öffnen. Wären meine Kinder nicht, hatte ich es schon längst getan. Wegen meiner Rückenschmerzen bekomme ich Morphintabletten und andere Schmerzmittel ,da habe ich schon gesammelt. Die Sucht zu Sterben wird immer größer.

Franzi Anwort von Franzi

Lieber Uwe,

ich freue mich, dass du dich an uns wendest!

Weißt du, als ich deine Mail las, wurde ich richtig böse! Dementsprechend wird auch meine Antwort ausfallen! Ich hoffe, dass du sie nicht persönlich nimmst, sondern als Anstoß zum Nachdenken nimmst!

Erkläre mir mal bitte, wie man daran denken kann, sich das Leben zu nehmen, obwohl man eine wundervolle Familie hat, die hinter einem steht! Klar, du hast gesundheitliche Probleme, aber das ist kein Grund, sich das Leben zu nehmen!

Ich will dir mal von mir erzählen: Vor 5 Jahren, kurz nach der Geburt meines Sohnes, bin ich ganz blöd gestürzt und habe mir dabei einen Wirbel gebrochen. Das Rückenmark war acuh verletzt, so dass ich meine Beine nicht mehr bewegen konnte. Ich wurde ins Krankenhaus gefahren und wurde sofort operiert, damit das Rückenmark nicht noch weiter geschädigt wird. Meine Wirbelsäule wurde verteift.

Nach der OP ging ging es langsam aufwärts. Ich konnte zum Glück meine Beine nach ein paar Tagen wieder bewegen. Leider funktionierte die Blase aber nicht mehr richtig. Ich habe nicht gemerkt, wenn sie voll war.Heute ist es leider immer noch so, dass ich zwar merke, wenn sie voll ist, aber dann läuft es einfach. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist das für mich nicht gerade angenehm. Ich bin 27 Jahre alt und kann nicht mehr ungezwungen lachen, niesen, husten, schneller laufen, etwas schwereres tragen, geschweige denn Sport machen, weil der Urin einfach läuft.

Als ich wieder zu Hause war, ging es mir soweit ganz gut. Natürlich hatte ich durch die Versteifung einige Schwierigkeiten, weil ich mich nicht mehr so bewegen konnte, wie ich es wollte. Mein Baby konnte ich seitdem nie wieder tragen, weil er für die Versteifung zu schwer war. Ich konnte mein Baby genau 4 Monate und einen Tag alleine versorgen! Danach war Schluss damit!

Nach 1 1/2 Jahren wurden die Schrauben und Stäbe wieder entfernt und der ganze Horror fing an! Meine Wirbelsäule ist regelrecht in sich zusammen gesackt, ich bin ganze 5 cm kleiner geworden. Hinzu kamen unvorstellbare Schmerzen. Auch ich wurde mit Morphin, Fentanyl usw. behandelt. Doch nichts half. Es ist ein beschissenes Gefühl, von jedem Arzt zu hören, dass sie nicht mehr helfen können.

2009 suchte ich dann eine Spezialklink auf. Dort entschied man sich zu einer erneuten OP. Meine Wirbelsäule wurde wieder versteift. Diesmal allerdings ein Wirbel mehr. Ein Wirbel mehr bedeutet noch weniger Bewegungsmöglichkeiten!

Leider brachte diese OP auch nicht den gewünschten Erfolg. Auch die Reha, die 6 Monate später statt fand, verschlimmerte die Schmerzen. Heute ist es so, dass ich eine Medikamentendosis bekomme, die wahrscheinlich einen Menschen ohne Toleranz töten würde. Fentanyl& Co. gehören nun einfach zu meinem Leben dazu. Genau so wie die Schmerzen! Ich muss mich irgendwie damit abfinden, dass ich nun wie eine alte Frau leben muss.

Hinzu kommt, dass bei mir vor ein paar Monaten Krebszelen gefunden wurden. Das macht mich natürlich zusätzlich fertig.

Dennoch habe ich meinen Lebensmut nicht verloren! Mein Sohn (mitlerweile 5 Jahre alt) gibt mir jeden Morgen neue Kraft. Sein Lächeln entschädigt alles!

Natürlich habe auch ich Momente, wo ich nicht mehr weiß, wie es weiter gehen soll. Auch ich habe viele Medikamente hier, die ich nur alle nehmen müsste, um dem Ganzen ein Ende zu setzen. Machen würde ich es aber niemals! Solche Gedanken sind bei Schmerzpatienten absolut normal, weil zu den Schmerzen, die man schon ewig hat, irgendwann eine Depression dazu kommt. Allerdings sollte man sich wirklich Hilfe suchen, wenn man diese Gedanken in die Tat umsetzen will!

Wenn es mir schlecht geht, rede ich mit meiner Familie, mit meinen Freunden oder mit meinen Lieben vom Kummerkasten darüber und schon weiß ich, dass das Leben lebenswert ist. Ich habe gelernt, mich über Kleinigkeiten zu freuen, die für andere selbstverständlich sind. Ein sonniger Tag, die Blätter an den Bäumen, die sich gerade in ihrer schönsten Farbenpracht zeigen, ein Tag ohne dolle Schmerzen, das Lächeln meines Sohnes... Es gibt sooo viel, über das man sich freuen kann!

Davon bist du allerdings weit entfernt... Du musst dir klar machen, dass es auch ein Leben MIT Schmerzen und Krankheiten geben kann. Natürlich muss man es anders gestalten, aber es ist machbar. Du hast deine Familie jeden Tag um dich rum. Ich habe nur meinen Sohn hier, weil ich alleinerziehend bin. Ich muss alles alleine machen. Das fängt schon beim Einkaufen an: Ich darf max. 5 kg tragen. Wie soll ich da bitte Getränke in meine Wohnung kriegen? Ich muss also ständig fragen, wer mit mir einkaufen gehen kann. Schön finde ich das nicht, aber es muss nunmal sein. Ich habe akzeptiert, dass ich nicht mehr ohne fremde Hilfe leben kann. Ich musste akzeptieren, dass ich vor 4 Monaten gekündigt wurde, weil ich schon sehr lange arbeitsunfähig bin. Ich muss akzeptieren, dass ich nie wieder richtig arbeiten kann. Ich muss akzeptieren, dass ich mit einem Behindertenausweis und als alleinerziehende Mutter sehr schwer einen neuen Arbeitsplatz finde, den ich zusätzlich mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen überhaupt bewältigen könnte. Ich muss akzeptieren, dass mich meine "Freunde" im Stich lassen, weil ich nicht mehr so sein kann wie früher.

Meinst du, mir ist es leicht gefallen, das alles zu akzeptieren? Ich hatte unheimliche Schwierigkeiten. Aber was bringt es mir, wenn ich daran denke, meinem Leben ein Ende zu setzen? Wem ist damit geholfen? Meinst du nicht, das es Menschen gibt, denen es viel schlechter geht als dir und mir? Meinst du nicht, dass wir uns genau von diesen Menschen etwas abgucken können?

Du solltest versuchen, dein Leben nicht so einseitig zu betrachten! Schließlich weißt du genau so gut wie ich, dass es trotz Krankheit und Schmerzen sehr viele schöne Dinge gibt!

Ich würde dir dringend empfehlen, eine multimodale Schmerztherapie zu machen (Ich selbst habe diese Therapie in ein paar Wochen vor mir). Bei dieser Therapie ist es nicht so, wie bei normalen Schmerztherapien. Es geht viel mehr um die Patienten, bei denen Medikamente und physikalische Therapien nicht mehr wirklich viel Besserung bringen. Bei der multimodalen Schmerztherapie geht es um die Psyche. Du lernst dort, deine Schmerzen zu akzeptieren und den Alltag MIT deinen Schmerzen zu gestalten. Du lernst dort, dass das Leben auch mit Schmerzen lebenswert ist und dass man auch mit Schmerzen Freude am Leben haben kann. Zu diesen Therapien gibt es zusätzlich Sporteinheiten, Ergotherapie, Rückeschule, usw. Eben multimodal!

Ich habe mich schon sehr lange mit dieser Therapieform auseinandergesetzt und bin auf eine Klinik in Dachau gestoßen. Das soll eine der besten Kliniken sein. Allerdings bieten die die multimodale Therapie nur ambulant an. Ich habe dem Professor dort geschrieben und er hat mir verschiedene Kliniken empfohlen, die für mich in Frage kommen würden. Ich habe also ein bisschen recherchiert und habe mich nun für die Klinik in Enzensberg entschieden, weil man dort keine langen Anträge bei der Rentenversicherung stellen muss. Es genügt ein ewig langer Aufnahmebogen und eine ganz normale Krankenhauseinweisung. Auch wenn diese Klinik fast 900km von mir entfernt ist, werde ich es dort versuchen, weil es meine einzige Chance auf ein Leben mit (zumindest) weniger Schmerzen ist. Schau dir die Seite in Ruhe an und lass dir die Aufnahmebögen zuschicken! Ich bin mir sicher, dass diese Klinik es schafft, dich aus diesem Tief rauszuholen. http://www.fachklinik-enzensberg.de/index.shtml?interdisziplinaeres_schmerzzentr

Und wer weiß, vielleicht treffen wir uns sogar dort und du sagst mir dann, dass deine Mail an uns total unbegründet war?!

Nimm dein Leben wieder in die Hand! Deine Kinder und deine Frau brauchen dich!

Alles Liebe,
Franzi

P.S.: Ich hoffe, du verstehst, wie ich meine Antwort meine. Ich meine es nicht böse, sondern will dich nur "wach rütteln"!