Problem von Anonym - 23 Jahre 10.11.10

Vergewaltigung, dass Ereignis ist mir plötzlich wieder bewusst

Liebes Kummerkasten-Team,
ich schreibe Ihnen, weil ich mich zurzeit sehr unwohl in meinem Körper fühle. Vor circa zwei Jahren wurde mir bewusst, dass ich mit 14 Jahren vergewaltigt wurde. Ich muss dieses Ereignis komplett verdrängt haben, jedenfalls hatte ich all die Jahre danach keine Erinnerung mehr an die besagte Nacht. Durch einen Umzug in meine ehemalige Heimatgegend, in der sich der Vorfall ereignet hatte, aber auch durch Probleme in meiner damaligen Partnerschaft kamen die Erinnerungen Stück für Stück wieder. Zuerst empfand ich eine Abneigung gegen mich selbst. Ich ekelte mich vor meinem Körper und vor meiner Sexualität, mit der ich all die Jahre zuvor nie Probleme gehabt hatte. Manchmal spürte ich mich leer und ausgelaugt, manchmal empfand ich grundlos tiefe Trauer, die ich mir einfach nicht erklären konnte. Und plötzlich war das Erlebnis wieder da in meinem Kopf, als wäre es nie verschwunden gewesen. Ich erinnere mich an alle Details und weiß, dass ich vergewaltigt wurde.
Seitdem ich mir dessen bewusst bin, quälen mich sämtliche Fragen. Ich frage mich, wie es sein kann, dass ich all die Jahre über keine Erinnerung an dieses Ereignis hatte. Ich denke, dass es doch nicht sein kann, dass ich es so stark verdrängt habe, dass es wirklich wie ausgelöscht war. Zumal ich all die Jahre über keine Probleme hatte. Es war nicht so, dass ich bewusst nicht mehr daran denken wollte, weil es mich belastet hat, stattdessen war es vielmehr so, als wäre nie was passiert. Hätte mich jemand zu diesem Zeitpunkt gefragt, ob ich mal vergewaltigt wurde, ich hätte es verneint und ich hätte nicht gelogen. Gibt es sowas, dass man ein deratiges Erlebnis einfach aus der Erinnerung löscht? Und wieso ist es plötzlich wieder so stark präsent, quasi von heute auf morgen?
Außerdem belasten mich die Gefühle, die ich seit der Erkenntis habe. Ich empfinde urplötzlich starke Trauer, fange an zu weinen, und weiß nicht mal wieso. Dann habe ich oft Agressionen in mir, für die es eigentlich keinen Grund gibt. Ich werde wütend und möchte nur noch schreien, dann werde ich unfair gegenüber anderen Menschen und das belastet mich nur noch mehr. Hinzu kommen meine Träume, in denen nicht wirklich etwas konkretes passiert, mich jedoch so ängstigen, dass ich mitten in der Nacht aufwache und nervlich am Ende bin.
Ich weiß nicht, wie ich mit meinem Freund umgehen soll. Ich habe ihm erzählt, dass ich vergewaltigt wurde, Details kennt er jedoch nicht. Er war total lieb und hat mich in den Arm genommen und mir angeboten, dass ich mit ihm darüber reden kann, wenn ich will. Aber ich kann nicht. Ich habe Angst ihn zu verlieren, weil ich das Gefühl habe, nicht mehr in meinem Kärper zu stecken. Es ist als stünde ich neben mir, würde mir selbst zusehen bei meinen Gefühlsausbrüchen, jedoch ohne jegliche Möglichkeit einzugreifen und sie zu stoppen. Was soll ich nur tun? Ich fürchte, meinen Partner zu vergraueln, weil ich so zerrissen bin. Ich fürchte, ihn zu überfordern. Gibt es Wege für mich, mit meinen Ausnahmesituationen umzugehen, sie zu überwinden? Sicher werdet ihr mir jetzt zu einer Therapie raten, aber das möchte ich nicht. Ich möchte meine Ängste alleine in den Griff bekommen, zumal ich das Gefühl habe, dass ich übertreibe. Schließlich habe ich mich all die Jahre nicht an die Nacht erinnert und somit stellte sie auch keine Belastung für mich dar. Somit muss es doch auch möglich sein, wieder vergessen zu können ohne sich mit alledem konkret auseinander setzten zu müssen. Wer wird mir das schon glauben? Das ich vergewaltigt wurde und mich neun Jahre lang nicht an den Vorfall erinnern konnte. Das ist doch absurd und ich zweifle an mir und meiner Zurechnungsfähigkeit, immer wieder. Sowas kann es doch nicht geben.
Was soll ich denn jetzt tun?