Problem von Anonym - 15 Jahre

Papa <3

hi ihr,
also ich bin 15/ weiblich
ich hab dieses wosrt papa schon so lange nicht mehr gesagt weil ich jedes mal wenn ich es höre anfange möchte zu heulen!
also als ich in der 5. klasse war also 11 oder so wurde bei meinem dad er war 46 krebs festgestellt und meine eltern haben beschlossen uns also mir und meinen zwei kleineren brüdern nicht zu sagen weils ja noch hoffnung gegeben hat
aber ich habs hald trotzdem irgentwie mitbekommen, weil er ja immer im krankenhaus und auf reha war, ich hab aber immer so getan wie wenn ich nichts wüsste , weil ich nicht darüber reden konnte und ich habs ja damals selber nicht ganz verstanden und dachte halt immerdas sowas meinem papa gar nicht passieren kann, weil er einfach zu mir gehört hat
ich war immer das papamädchen, hab seine augen und seinen charakter, ich hab ihn einfach über alles geliebt und deshalb hab ich es einfach ignoriert das er sterben könnte
jedenfalls war mein papa danach über ein jahr nur auf reha oder im krankenhaus, er kam dann bald auf so ne station die heißt palletivstation, ich hab immer gemeint, das das einfach ne ganz normale station ist und hab mir nichts dabei gedacht
naja aber dann einmal hab mich auf der station umgesehen und hab so nen ruheraum entdeckt mit so nem album mit vielen einträgen und fotos und die gingen alle über menschen die in dieser station gestorben sind und da hab ichs erst verstanden.!!!
dann ist er wieder heim gekommen, ich weiß noch wie mich das gewundert hat, weils ihm wirklich schlecht ging. es war auch ne krankenschwester dabei die ihm die nächsten tage immer geholfen hat
dann es war freitag ging ich in der früh in die schule und mein dad rief mir noch aus seinem bett nach : danke für alles kleine und bis bald... ich hab mir nichts dabei gedacht aber als meine oma mich am nachmittag von der busstation abgeholt hat war das schon seltsam und sie hat nichts gesagt auf die frage wo meine mama sei... dann daheim hab ich als aller erstes meinen kleinen bruder heulent auf der terrase sitztn sehen und hatte so nen richtigen schock so als wenn ich nicht mehr atmen könnte (denhab ich seitdem jedesmal wenn ich jemanden weinen sehe) und er nur so: papa! geh zum papa!! ich wollte nicht... ich wusste ja eh was los war und ich wollte nur noch weglaufen!!
mein dad war irgentwie nicht mehr er selbst , irgentwie so komisch, wie auf drogen oder so... also er war ansprechbar ober er hatt uns nicht verstanden aber er war so glücklich, er hat die ganze zeit nur gelacht und wollte mir und meiner familie irgentwas sangen aber wir habens nicht verstanden, erst als ich wieder aus der tür draußen war verstand ich was los war... und ich fing an zu weinen... ich weinte den ganzen tag und keiner konnte mich beruhigen, ich war den ganzen tag bei meinem papa und er versuchte mich zu trösten obwohl er nicht bei sich war... meine oma und mein opa waren auch da und ich hab die ganze zeit gesangt : papa darf nicht sterben weil ich hoffte das jemand sagt : nein das wird er nicht...aber es hat niemand gesagt!!
am abend wollten wir alle nicht ins bett gehen aber mein papa , der immer noch nicht bei sich selbst war schob uns weg und er weinte er war nicht mehr glücklich... ich weinte immer noch und ich verstand warum er das morgens zu mir gesagt hat... er hatte sich von mir verabschiedet!!
am nächsten morgen war er tot... und ich war tot, tot in meinem herz... i ch weinte nicht, den ganzen tag nicht saß nur neben meinem papa und weigerte mich weg zu gehen... ich hatte ihn doch so lieb
warum is die welt so ungerecht??
warum ist gott so ungerecht??
warum darf mein papa den ich so krass liebe nicht leben??
ich vermisse ihn so doll....

das alles ist jetzt fast 3 jahre her und seitdem hab ich das wort papa kein einziges mal benutzt
wenn irgentjemand über seinen vater redet, oder meine mutter oder meine brüder oder sonst irgentwer über meinen dad reden gehe ich einfach weg...ich kanns einfach nicht ertragen oder glauben
alle haben immer zu mir gesagt ich muss darüber reden und ich war auch bei einer therapeutin aber ich kann es nicht...
das hier ist das aller erste mal das ich dashier erzähle und er fällt mir echt schwer

meine mama weint oft aber ich kann es nicht ich weiß nicht warum aber ich kriegs nicht fertig zu weinen... ich will immer stark sein! stark für miene mama für meine brüder für alle... ich vermisse ihn doch so
es tut mir echt leid das ich euch das schreibe und ich will nicht aufdringlich wirken oder so... aber ich musste das alles einfach los werden...
lg jojo

papa ich liebe dich überalles und ich vermisse dich so doll

Dana Anwort von Dana

Meine liebe Jojo.

Zuerst einmal möchte ich dir gratulieren. Das mag jetzt in deinen Augen seltsam zu lesen sein, aber ich meine das ernst. Du scheinst zum ersten Mal den Mut gefasst zu haben, dein Inneres zu beschreiben und deine Mauer fallen zu lassen. Das ist ein guter Schritt und ich danke dir für dein Vertrauen uns gegenüber.

Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob du Trost brauchst, einfach eine Hand, die deine eine Weile hält oder ob du gerne deine Warums beantwortet haben möchtest und etwas erhoffst, das dir danach den Schmerz leichter macht.

Ich versuche einmal letzteres, denn Trost ist schwer zu geben, wenn jemand stirbt. "Er hat es jetzt besser" und "er ist noch in unseren Herzen" hast du sicher oft gehört. Aber es hilft ja meist nichts.

Lass uns ein wenig über deinen Vater, seine Krankheit und dich sprechen und einfach mal meine Gedanken zu deinen Gedanken dazu tun.

Dein Papa war eine sehr wichtige Figur für dich. Er war groß, stark, eine Leitperson, zu der du aufgeschaut hast. Ich merke, dass ihr beiden einen guten Draht zueinander hattet, der durch seinen Tod gekappt worden ist. Dazu kommt der "Fall des großen Mannes", ein Mensch, bei dem du es nie für möglich gehalten hättest, schwächelt und verliert den Kampf.

Dies alles tobt in dir. Tobt immer noch so in dir, zusätzlich zu den ganzen Verlustschmerzen, dass du dich komplett einigelst. Du erwähnst deinen Vater nicht, erträgst es nicht, wenn jemand anderes ihn erwähnt oder sogar nur "einen Vater", nicht deinen.

Jeder Mensch reagiert anders auf den Tod eines geliebten Menschen. Du schließt alles weg. Die Frage ist aber doch, ob dein Papa das verdient hat. Meinst du nicht, es wäre schöner, wenn er auf eine Art und Weise wenigstens ein bisschen weiter leben könnte? Nämlich in den Gesprächen und in den guten Erinnerungen? Dass man zusammen sitzt und laut Rotz und Wasser heult?

Übrigens hat das nicht nur dein Papa nicht verdient sondern du auch nicht. Der Schmerz bohrt sich immer tiefer, du merkst ja, dass du selbst nach drei Jahren da nicht weiter kommst. Du bist wie ein Stauwehr, das mit aller Macht der Wasserkraft trotzt, die sich auf der anderen Seite aufbaut. Du versuchst stark zu sein und hoffst, dass das genau das ist, auf das alle (und vielleicht auch dein Vater?) stolz sein können. Aber der Druck wird irgendwann zu viel, Jojo. Irgendwann bekommst du Risse, weil da so viel drückt...und vielleicht hast du sogar schon den ein oder anderen.

Weder dein Vater würde das von dir verlangen, noch deine sonstige Familie verlangt, dass du diese unmögliche Stärke beweisen musst. Du musst überhaupt nichts. Du musst Kind sein, Jugendliche sein, Trauernde sein, Weinende sein, Ärgerliche sein, du darfst fluchen und schreien, warum Papa gehen musste. Du darfst das alles rauslassen...und du wirst merken, wie sich plötzlich die Arme deiner Mutter um dich schließen und dich halten. Man leidet ZUSAMMEN, man trauert ZUSAMMEN.

Es ist insgesamt sehr schade, dass ihr nicht zu Lebzeiten deines Papas schon mit der Verarbeitung angefangen habt. Es ist immer besser, Kindern nichts vorzuenthalten sondern sie aktiv einzubeziehen. Das Verstehen ist einfacher, der Prozess, in dem die Rolle deines Vaters vom Starken der des Kranken und Todgeweihten weicht, geht schneller.

Du merkst selbst, dass dich die Geschehenisse traumatisiert haben. Es steckt richtig fest, du kannst niemanden weinen sehen, das Wort Papa ist ein Tabuthema.

Aber du hast den ersten Schritt gemacht, aus diesem Tabu heraus. Du hast geschrieben: Papa <3 . Schreib es noch öfter. Schreibe Seiten damit voll! Weine, lass es raus. Und wenn du das kannst, dann sprich es aus. Sprich Papa. Er hat es verdient, in deinen Mund genommen und nicht totgeschwiegen zu werden. Du hast es verdient, deinen Vater in einer schönen Erinnerung zu behalten.

Das alles wird nicht von heute auf morgen besser. Aber du bist losgelaufen und merkst, dass sich das alles angestaut hat und dass es raus MUSS. Es muss raus. Und nicht nur in diesem Brief an uns sondern auch innerhalb der Familie und auch innerhalb einer Therapie. Dass ihr es schon einmal versucht habt, ist gut, dass es nicht geholfen hat, kann passieren, ist aber kein Beinbruch, dann muss man eben nochmals mit jemand anderem ansetzen. Ich würde dir empfehlen, mal in Richtung Traumatherapie oder Trauerbewältigung zu gucken. Die Therapeuten, die das anbieten, kann man bei Google heraus kriegen, wenn man die Schlagworte und die Heimatstadt zusammen eingibt. Du kannst auch mal deine Mama bei eurem Hausarzt nach diesen Therapiemöglichkeiten fragen lassen. Wenn du erstmal keine Therapie möchtest, gibt es auch die Möglichkeit der Selbsthilfegruppen. Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben, geben anderen Menschen Tipps, wie sie damit fertig werden.

Hier kannst du vielleicht mal Kontakt aufnehmen, wenn du merkst, dass dir Schreiben leichter fällt:

http://www.trauernde-kinder.de/

Diese Seite widmet sich ausschließlich trauernden Kindern und Jugendlichen, das heißt, die haben viel mehr Erfahrung als ich. Ich glaube, dass das ein sehr guter Weg für dich sein kann, deinen Stau loszulassen und auch neue Möglichkeiten und Ziele zu bekommen.

Bevor ich schließe, möchte ich dir gerne noch ein paar Gedanken zu deinen WARUMs mitgeben.

Warum is die welt so ungerecht??
Die Welt ist ein großes Gefüge, ein riesiges Zusammenspiel von allem, was auf der Erde existiert. Man empfindet sie so "ungerecht", weil man von einem winzigen Standpunkt aus die Welt betrachtet. Wenn man zB um gutes Wetter bittet, weil man etwas Schönes draußen vorhat, kann das total gegen den Wunsch eines Bauern gehen, der unbedingt Wasser für sein Feld braucht. Die Welt KANN nicht gerecht sein. Nicht für so viele Menschen.

Sicherlich, du empfindest es als das Ungerechteste schlechthin, dass dein Vater gestorben ist. Aber dein Vater war sehr krank. Er hatte eine Krankheit in sich, die auf der Welt existiert und die viele Menschen haben. Und es ist eine Krankheit, an der man oft stirbt. Aber dennoch ist deinem Vater vorher viel Liebe widerfahren. Er hatte ein tolles Leben mit seinen Kindern. Etwas, das vielen anderen Menschen verwehrt bleibt, weil sie keinen Partner finden, weil sie keine Kinder bekommen können.

Du bist ein Geschenk für ihn gewesen und ich bin mir sicher, dass er glücklich war. Gerechter wäre es natürlich, wenn alle Menschen so leben könnten, wie sie es wollen, so lange, wie sie es wollen und mit den Menschen, mit denen sie zusammen leben wollen. Aber du kannst nicht in die Zukunft schauen. Du weißt nicht, was vielleicht auf deinen Vater noch gewartet hätte, hättet ihr die Wahl gehabt zu entscheiden, dass er bleiben darf. Was würde mit der Welt passieren, wenn jeder bestimmen könnte, wie lange er bleiben dürfte? Oder soll das nur für dich und deine Familie gelten? Sollte jemand anderes dafür lieber sterben? Du siehst...man kann überhaupt keine befriedigende Antwort geben. Die Welt und das Leben ist wie es ist. Und als das muss man es nehmen. Man darf trauern, man darf wütend sein, dass der Papa nicht mehr ist. Aber eine Antwort auf ein "warum ist die Welt zu fies?"...gibt es nicht.

warum ist gott so ungerecht??

Das ist eine beliebte Frage. Gott wird gerne für alles verantwortlich gemacht. Ich weiß nicht, wie gläubig du bist, aber Gott ist niemand, der alle Menschen an Fäden hat und jeden Schritt ihres Lebens beäugt. Und er setzt nicht bewusst einem Menschen eine Krankheit ein. Man kann an Gott als das Große Ganze glauben, man kann an Allah glauben oder an Shiva oder an sonstige Götter. Doch keiner dieser Götter ist so personifiziert wie das ein Mensch mit seinem Gehirn erdenken kann.

Gott thront nicht da oben und lässt leben und lässt sterben. Das ist nicht seine Aufgabe. Er ist auch nicht dafür verantwortlich, dass die Menschen gut oder böse werden, dass sie ihre Welt ausbeuten oder nicht. Gott ist keine Menschenperson. Das ist natürlich ein Riesenthema, das ich hier nicht behandeln kann. Aber Menschen haben einen freien Willen und können sich frei bewegen. Sie werden krank oder bleiben gesund, ohne dass Gott da zuteilt, wer krank und wer gesund ist.

Niemand ist schuld, dass dein Papa gestorben ist. Seine Zellen im Körper haben sich verändert und das konnte der Körper nicht überleben.

Er konnte nicht mehr länger leben, weil die Krankheit das nicht zuließ.

Du liebst deinen Papa heiß und innig, dann sieh zu, dass sein Geschenk nicht in sich zusammen fällt. DU. Du musst aus Liebe zu deinem Papa heraus unbedingt wieder LEBEN. Halte deinen Papa im Gedächtnis, sprich über ihn! Lass dir helfen! Du hast seine Augen, sagst du! Dann versuche alles dran zu setzen, dass sie wieder leuchten können! So wie die Augen deines Papas sicher oft geleuchtet haben. Du trägst viel von deinem Papa in dir! Und das soll weiter leben und nicht innerhalb einer Mauer wohnen.

Ich kann dir nur ans Herz legen, den Gedanken an eine Therapie oder eine Selbsthilfegruppe weiter zu verfolgen. Lass dir helfen, das ist nicht peinlich oder schlimm. Du verlierst dadurch auch nicht dein Gesicht. Im Gegenteil. Du wirst es wieder gewinnen.

Und damit wäre wenigstens eine Ungerechtigkeit aus der Welt genommen, nämlich die, dass die große Tochter des Verstorbenen nicht mehr aufleben kann.

Lass diese Ungerechtigkeit nicht zu! Kämpfe dagegen an!
Und lass das, was in dir von deinem Papa ist, leben.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute, liebe Jojo!

Liebe Grüße,

Dana