Problem von Anika - 21 Jahre

Bin ich ein schlechter Mensch?

Liebes Kummerkasten-Team,

Ich versuche mein Problem kurz zu fassen:

Mein lieblicher Vater ist pädophil.
Als ich noch ein Baby war, hat er versucht die Tochter der besten Freundin meiner Mutter zu vergewaltigen.
Meine Mutter hat sich aber erst von ihm scheiden lassen, als sie ihn dabei ertappte, wie er mit mir in der Badewanne saß und dabei eine Erektion hatte.
Nach langer Haft wurde mein biologischer Vater wieder entlassen, jedoch wurde er rückfällig und muss deshalb lebenslänglich ins Gefängnis.


Obwohl ich diese genauen Details bis zu meinem 16. Lebensjahr nie erfahren habe, wusste ich schon seitdem ich denken kann, dass er etwas sehr schlimmes getan hat. Jeder wollte es mir verheimlich, aber Kinder kriegen mehr mit als man denkt...

Ich lebe jetzt nun seit 5 Jahren in diesem Wissen und klar am Anfang war es ein Schock zu hören was mein Vater wirklich getan hat.
Aber es war eigentlich nur eine Bestätigung von dem was ich zu wissen glaubte.
Schon nach kurzer Zeit dachte ich, es wäre alles nicht so schlimm. Ich habe keinerlei Beziehung zu meinem leiblichen Vater. Ich habe keine Erinnerungen, nichts. Nicht mal ein Foto..
Ich habe versucht normal weiter zu leben und alles irgendwie zu verdrängen.

Aber langsam begreife ich, dass ich irgendwie doch darunter leide.
Ich finde mich ungelogen einfach nur hässlich, ich kann mich und vorallen Dingen meine "Seele", mein "inneres ich" nicht ausstehen.
Wenn ich in den Spiegel schaue sehe ich zwar eine recht hübsche Fassade, aber wenn ich tief in meine Augen schaue, kommen mir meist Tränen..
Finde ich ziemlich komisch naja =/

Ich wusste nie genau warum ich so fühle, ..ich habe schon immer eigentlich meine Nägel gekaut, aber mit 16 habe ich angefangen mir weh zu tun,z.B. schneide ich mir heute noch meine Fußnägel so kurz bis es blutet.

Früher hatte ich das Gefühl grundlos traurig zu sein. Aber ich habe immer und immer wieder versucht mich zu analysieren, warum ich mich nicht mag usw. und dann bin ich auf folgenden Schluss gekommen:

Wenn ich mich betrachte sehe ich einen schlechten Menschen in mir, der schlechte Gene trägt. Ein Mensch mit abstrusen Gedanken und anormalen Gefühlen...
Klar wenn ich mich so reden höre, dann denk ich boah du spinnst aber wenn ich dann traurig bin, kommt dieser Gedanke einfach in meinen Kopf.

Extrem merke ich das in meinem Sexualleben. Kein Mann kann mich wirklich erregen, ich habe Sex und fühle nichts.
Manchmal sage ich ihm er soll sehr brutal sein, damit ich mich hinterher schmutzig und benutzt fühle...erst dann fühle ich mich "befriedigt", ähnlich wie als würde ich mich blutig schneiden.
Dann schwebt dieser Gedanke wieder in meinen Kopf herum, dass ich ein schlechter Mensch bin, dem sowas auf irgendeiner Weise gefällt...


Ich weis nicht wie ich das ändern kann..
Vielleicht wisst ihr, wie man mein(e) Problem(e) betiteln kann oder wie ich es schaffe meine Gefühle zu ordnen.

Vielen Dank, dass ihr euch Zeit dazu nehmt meinen Kummer anzuhören.
Lg
Ani


Julia Anwort von Julia

Liebe Anika..

es muss ein Schock sein zu erfahren, was hinter der Geschichte deines Vaters steht, das kann ich mir gut vorstellen. Und genauso kann ich mir vorstellen, dass dieses Wissen um seine "Krankheit" (wenn ich es mal so ausdruecken kann) dich beschaeftigt und begleitet. Sehr viele Familien hueten ein offenes oder weniger offenes Geheimnis, erleben schreckliches etz. Und ich denke es ist ganz normal, dass man sich da auch irgendwie mit der Familie vergleicht und aneckt, sich fragt woher das Verhalten kommt und ob man dadurch irgendwie auch anders ist.

Bei dir darf man nicht vergessen, dass dieses Geheimnis in deiner Pubertaet gelueftet wurde. Eine Zeit mit vielen Auf und Abs, eine Zeit in der man versucht sich selbst zu finden, in der man sich schnell und haeufig aendert und in der Gefuehle oft als sehr stark empfunden werden. Du schreibst davon, dass du versucht hast dich "selbst zu analysieren", dass zeigt dir doch grosses Interesse an deiner eigenen Person, was natuerlich gut und wichtig ist. Anderseits loest dieses "analysieren" auch viele Intrepretationen aus und man wird schnell hin und her gerissen von eigenen Gefuehlen und Gedanken. Manchmal ist dies vielleicht zuviel des Guten, man pumpt sich dann mit all den Gedanken voll, hat sich schon tausende Warums selbst erklaert und kommt doch irgendwie immer zu einem anderem Ergebnis. Sowas kann belasten, obwohl man sich doch genau das Gegenteil davon erhofft.

Was hinter deines selbstverletzendem Verhaltens steht, warum du an manchen Tagen in einer Art Depression verfaellst, oder du eine Art von Sexualitaet bevorzugst die nicht dem Durchschnitt entspricht (aber was bitte schoen ist durchschnittliche Sexualitaet) kann ich dir natuerlich nicht sagen. Es ist wohl nicht sehr weit hergeholt es auf die Geschichte deines Vaters zu schieben, kann aber auch durchaus ganz andere Gruende haben. Wenn du das Gefuehl hast, es bedrueckt dich so sehr und es schraenkt dich in deinem Leben ein (sprich du verletzt dich selbst etz) dann wird dir hier ein Psychologe helfen koennen. Manchen Menschen hilft es ungemein mit einer Vertrauensperson darueber zu sprechen, sich die Gedanken aufzuschreiben wie eine Art Tagebuch, sie in Kunst auszudruecken oder aehnliches. So kann man seine Gedanken durchaus versuchen zu verarbeiten und in den meisten Faellen klappt es auch, ich spreche da auch aus eigenen Erfahrungen. Hilft es dir aber nicht, wuerde ich dir, wie gesagt, raten dich an einen Therapeuten zu wenden. Mit ihm kannst du reden und herausfinden, wie du daran arbeiten kannst.
Schau mal hier rein:
http://www.therapie.de/psychotherapie/
Du kannst dich auch an deinem Hausarzt wenden, der dich dann gegebenden Falls ueberweist. Ansonsten rate ich dir, mit Jemanden darueber zu sprechen der dir nahe ist und dich eventuell auch verstehen kann.
Somit brauche ich deine Frage, ob du ein schlechter Mensch bist, nicht mehr zu beantworten, denn du bist nicht dein Vater, dein Vater ist nicht du.

Ich wuensche dir fuer deine Zukunft alles Gute
Julia