Problem von Birgit - 23 Jahre

Wie kann ich mir helfen?

Liebes Kukateam,

ich weiß, extrawünsche sind nicht so gern gesehen, aber wäre es möglich das mir Dana antworten könnte? Ich würde mich sehr freuen.

Ich habe sehr schlimme Dinge erleben müssen. Das schlimste daran ist, dass es meine eigene Familie war. Sie haben mich geschlagen, missbraucht, gequält, genötigt, vergewaltigt und gedemütigt. Ich hatte viele Schutzengel, denn es hätte so oft schief gehen können, da ich als Kind auch innere Blutungen hatte. Mein Problem ist jetzt, das ich niemanden mehr an mich ran lassen kann. Ich habe das Vertrauen in Menschen verloren. Dazu muss ich sagen, das ich erst mit 17 Jahren aus meiner Familie raus kam. Neun Jahre hatte ich schon Therapie, doch ich weine immer noch abends, da mich die schrecklichen Erlebnisse einholen. Ich habe große Angst, wenn ich im dunklen Raum schlafen muss. Angst, wieder ausgeliefert zu sein oder sogar umgebracht zu werden. Wenn es draußen dunkel wird, fühle ich mich wieder ganz klein und schutzlos. Da ich aus meiner Familie niemanden hab, der für mich da ist, bin ich auf mich allein gestellt. Dazu muss ich auch sagen, das es keinen gibt, der mir nicht etwas angetan hat. Alle haben voll versagt, sagte mal meine Therapeutin. Ich habe sogar Angst vor ihnen. Mitte letzten Jahres habe ich meine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, obwohl ich schon weit unten war. Ich wurde vom Psychiater für ein halbes Jahr (bis April 2012) krank geschrieben. Das war auch bessser so, denn arbeiten hätte ich niemals gehen können. Doch den Beruf den ich erlernt habe, kann ich nicht mehr ausführen. Ich weiß nicht mehr weiter. Keine Ahnung was ich noch bringe, denn seelisch bin ich derzeit zu nichts in der Lage. Ich wollte eigentlich eine neue Ausbildung zur Kinderkarnkenschwester machen, doch ich bin nicht mehr belastungsfähig. Ich habe mir geschworen, das mich meine Vergangenheit nicht daran hindert, beruflich das zu machen, was ich immer wollte, mit Menschen zu arbeiten. Doch nun merke ich, das mich meine Vergangenheit eingehollt hat und ich nichts mehr kann:-( Ich fühle mich so gestresst von mir selbst, denn ich wollte eigentlich mal eine kleine Familie haben und sicher im Beruf stehn. Nicht mal die kleinsten Wünsche kann ich mir erfüllen, da ich finanziel kaum so über die runden komme.

Mich an öffentlichen plätzen auf zu halten, stresst mich, weil ich kein bisschen selbstvertrauen habe. Wie auch, wurde alles raus geprügelt und nieder gemacht. Das nächste was mich sehr stört ist, das ich mich selbst hasse. Ich weiß das ich den Hass meiner Familie auf mich produziert habe, doch ich kriege diesen Selbsthass nicht raus. Manchmal habe ich schon vor mir selbst angst, da ich meine Wut kaum noch kontrollieren kann. Ich hoffe wenigstens, das mein Vater für seine Taten bestraft wird, denn ich habe mein ganzen Mut zusammen genommen und ihn Ende 2011 angezeigt. Ich habe seit meiner frühen Kindheit den Wünsch, endlich tod sein zu wollen. Oder eher nicht mehr fühlen zu wollen, denn Leben bedeutet für mich unerträgliche schmerzen zu haben. Schmerzen, die mich schon als kleines Mädchen so sehr gequält haben, das ich z.B. mein Kopf gegen die Wand schlug oder mich bis zur besinnungslosigkeit selbst schlug. ich tat mir bis vor kurzen noch schreckliche Dinge an, um mich wieder fühlen zu können und um das Gefühl zu haben das ich noch lebe. Doch das mach ich jetzt nicht mehr. Jetzt esse ich bis ich breche :-(

Naja, Hoffnug stirbt ja zu letzt!

Ich möchte wieder in ein Sportveien gehen, um mich wieder etwas fit zu machen und Spaß in meinen Leben zu bekommen, doch schäme ich mich so extrem für mich selbst, das ich weinen könnte. Ich sehne mich so sehr nach liebe, zertlicher Zuneigung und Nähe anderer Menschen, doch komme ich nicht mehr aus mein inneren Schutzbunker raus. Hoffentlich jammer ich hier jetzt nicht für Sie. Ich muss noch so viel an mich arbeiten, das macht mir angst, denn mitlerweile glaube ich nicht mehr, das ich das schaffen kann.

Ich könnte noch so viel schreiben, doch das wichtigste ist eigentlich ja gesagt. Achja, das ich noch mal eine Therapie machen müsste, ist mir bewusst, doch ich komm nicht mit der Nähe und Distanz klar. Mein Herz sehnt sich schon ein Leben lang nach ein bisschen Zuneigung, das es alles an sich ziehen will, wenn es sich mal geöffnet hat.

Ich fange jetzt an ein Buch über mein Leben zu schreiben, vielleicht hift es mir. Haben Sie eine Idee was mir helfen kann?

Vielen lieben Dank, das Sie mir helfen wollen und sich die Mühe machten, mein Text zu lesen. Sie sind ein toller Mensch :-)

Dana Anwort von Dana

Liebe Birgit!

Dein Brief wurde an mich weiter geleitet und ich habe ihn aufmerksam gelesen.
Zuerst möchte ich dir etwas sagen, das dich vielleicht überrascht:

Ich glaube, du weißt gar nicht, wie stark du bist.

Das, was du in deinem Schreiben angedeutet hast, hätte viele Menschen mit Sicherheit in den Freitod getrieben. Die Dinge, die du erlebt hast, sind so schlimm, dass es einiges an Kraft braucht, da überhaupt durch zu kommen.
Und ich ziehe meinen Hut vor dir, dass du nicht aufgibst. Dass du für dich kämpfst, dass du immer wieder im inneren Dialog mit dir selbst stehst und alles versuchst, um dein Leben wieder in Gang zu bekommen.

Sieh das als wunderbares Zeichen an! Du bist eine starke Frau, auch wenn dich die Dinge im Leben traumatisiert haben und du der Meinung bist, darunter zu zerbrechen.

Das Wichtigste:
Du bist wertvoll. Du bist ein Mensch, der es wert ist, geliebt zu werden und wert ist zu leben. Und man sieht, dass du mit allen Mitteln versuchst, dir das zurück zu holen. Weiter so! Auf keinen Fall aufgeben!

Dass deine Familie gewalttätig zu dir war, hat dir als Kind leider einprogrammiert, wertlos zu sein. Denn wen schlägt man denn? Wem tut man Gewalt an? Wen missbraucht man? Doch sicher nur jemanden, der es verdient hat und der nix wert ist.

Aber das ist GRUNDFALSCH.

Die, die dir das angetan haben, haben jeglichen Sinn für Recht und Unrecht verloren. Sie haben DIR UNRECHT getan. Sie haben kriminelle Handlungen an dir begangen, nicht weil du wertlos bist, sondern weil sie unglaublich dumm waren. Nur jemand, der nicht in der Lage ist, seine Probleme verbal zu lösen, der nicht merkt, wo die Probleme sitzen, holt sich einen Sündenbock und drischt auf ihn ein.

Du bist eine kluge Frau, Birgit. Du arbeitest mit dir, immer und immer wieder. Dass diese Traumata tief sitzen und lange brauchen, bis sie bearbeitet sind, ist leider "normal". Die Seele ist so tief verletzt worden, dass sie sich nur mit viel Zeit erholt. Gib ihr die Zeit. Lass die Ängste zu, lass die "Marotten" zu, versuche lediglich, sie zu verharmlosen, indem du zB mit Licht im Zimmer schläfst oder eben erstmal kleine öffentliche Plätze bewusst ansteuerst. Diese tiefen Wunden heilen nicht sofort. Sie brauchen lange Beschäftigung, viel Pflege und sowohl Stärkung im Alltag als auch die kontinuierliche Beschäftigung damit, wie du lernen kannst, damit umzugehen.

Ich denke, dass du eine Traumatherapie gemacht hast, bzw mehrere. Du schriebst, dass du beim Psychiater warst, das ist eigentlich eine gute Sache, denn dieser hat auch eine medizinische Ausbildung und könnte dich medikamentös einstellen. Durch das Trauma werden in deinem Körper auch falsche Botenstoffe ausgeschüttet, die mit einem Medikament eingedämmt werden könnten, so dass es dir im Alltag besser geht und du wieder mehr Kraft schöpfen kannst.

Punkt "Nähe und Distanz" kann ich voll verstehen. Es ist aber schwierig, da als Fachmann anders zu handeln. Man hat seine Patienten, um die man sich auch wirklich kümmert. Aber stell dir vor, der Therapeut würde die Probleme desjenigen oder derjenigen zu seinen eigenen machen und diese Nähe komplett zulassen. Er würde ja erdrückt werden. Kein Psychologe könnte dann lange arbeiten, nach ein paar Wochen oder Monaten wäre er fertig mit der Welt und müsste selbst in Therapie. Diese Distanz ist also ein Schutz, auch weiterhin erfolgreich helfen zu können. Wenn du versuchen könntest, dies wenigstens zu tolerieren, wäre das ein guter Schritt. Die Therapie würde ich auf jeden Fall wieder aufnehmen. Wenn dir der Arzt nicht gepasst hat, geh zu einem anderen. Sorge dafür, dass du dich in der Therapie wohlfühlst.

Ich persönlich würde dir sogar zu einem längeren Klinikaufenthalt raten, erstmal abgeschieden vom sonstigen Leben wieder zu lernen, mit dir selbst umzugehen. Dich selbst wieder zu schätzen. Du hast lediglich erfahren, dass du wertlos bist, daher auch der Selbsthass. Es ist kein Wunder, du wurdest ja nie anders geprägt. Aber genau diese "Mechanismen" in dir drin gilt es zu durchbrechen. Und da du selbst nach neun Jahren nicht aufgibst, wie man sieht, kämpfe bitte weiter!

Die Idee, ein Buch zu schreiben und die Dinge auf diese Art und Weise zu verarbeiten, ist sicher eine gute, ich würde dir aber raten, dies nur in Begleitung mit einer Therapie zu tun. Dich werden Dinge überrollen, die dann beim Fachmann verarbeitet werden müssen. Wenn du darüber zu schreiben beginnst, kommen viele Erinnerungen wieder. Was allerdings auch ein gutes Ventil ist: assoziatives Schreiben. Man setzt sich hin und schreibt ohne Nachdenken einfach drauf los. Da kommen die interessantesten Dinge zum Vorschein.

@Sport:
setz dich nicht unter Druck. Wenn du noch nicht bereit bist, fordere es nicht von dir. Geh viel spazieren, lass dir die Luft um die Nase wehen, bewege dich, ohne den Zwang, jetzt in einen Verein zu müssen oder sowas. Du kannst auch Walking machen, Trainingshose an und raus ins Feld oder den Wald. Bewegung und Luft pusten gerne mal frischen Wind überall rein...das tut mehr als gut.

Liebe Birgit, du schriebst, dass du dich für dich selbst schämst. Ich schreibe jetzt nicht "mach das nicht, gibt doch keinen Grund!". Doch, es gibt einen. Der Grund heißt "Jahrelange falsche Prägung". Du hast es einfach nicht anders gelernt. Dir wurde nie gezeigt, dass du toll bist, dass du wundervoll bist - und woher sollte also die Selbstliebe kommen? Wenn ich immer gesagt bekommen würde, dass mein neuer Teddy total bescheuert ist, irgendwann würde er unten in die Spielekiste fliegen. Und so ist das bei dir auch. Du kannst das mit der Selbstliebe nicht einfach "können". Du musst es langsam lernen. Und dafür brauchst du Geduld.

Zuerst ist es wichtig, nach deinen Stärken zu suchen. Was kannst du gut? Worin bist du gut? Was macht dich aus? Ich erkenne aus deinem Brief ein sanftes, freundliches Wesen, ein kämpferisches Herz und einen guten Verstand. Und ich kenne dich nichtmal. Vielleicht findest du noch viele Dinge mehr?

Dann tu bewusst Dinge für dich, die dir gut tun. Das kann ein Wannenbad sein, das kann ein gesundes Essen sein, das dann vielleicht auch mal in dir drin bleibt und du dich nicht gleich wieder dafür bestrafst, Genuss gehabt zu haben. Das kann ein schöner Film sein, ein Friseurbesuch, ein Umstyling (kostet nicht die Welt!), es könnte ein gutes Buch sein, ein Glas naturtrüber Apfelsaft oder ein kleiner Rosenstock, den du dir kaufst und ins Fenster stellst. Es gibt viele Dinge, die einem gut tun. Hast du dir zB mal überlegt, dir eine Katze zu holen oder einen Hund? Ich weiß ja nicht, wie dein Leben später aussehen könnte, aber gerade ein Hund tut enorm gut. Man hat jemanden bei sich, man muss an die frische Luft und sich bewegen, man hat jemanden, für den man sorgt und von dem man Liebe bekommt. Und der Witz ist: man hat weniger Angst.

Ich bin zB auch jemand mit Dunkelheitsphobie. Sobald es draußen dunkel ist und ich alleine bin, reagiere ich extrem anfällig. Seit wir unseren Hund haben, ist das komplett vorbei. Es ist einfach immer jemand da, jemand mit einer Bindung zu einem selbst. Es ist nur ein Beispiel, eine Idee...vielleicht könntest du auch erstmal eine "Gassi-Geh-Mama" werden? Bei uns im Tierheim gehen jeden Tag viele Menschen von außen mit den Tieren Gassi, haben dadurch eine Weile Bewegung und tun dem Tier etwas Gutes. Du wärst mit Mensch und Tier zusammen und könntest dir so etwas Entspannung holen. Und wer weiß? Vielleicht wäre da ein Tier dabei, dem du dein Herz schenken möchtest?

Oder vielleicht mal bei der Caritas fragen, ob sie Hilfe brauchen, bzw jemanden einstellen würden? Auch da kann man mit Menschen arbeiten. Ein Bekannter von mir arbeitet dort. Und das, was er erzählt, klingt interessant und "wohltätig". Es kann zB ein sehr guter Weg sein, anderen zu helfen, um zu verhindern, dass ihnen dasselbe passiert wie dir. Aufklärung, Jugendarbeit...es gibt viele Wege! Ich könnte mir vorstellen, dass du, wenn du merkst, dass du für andere Menschen nützlich bist und Hilfestellungen geben kannst, auch wieder ein höheres Ansehen vor dir selbst hast.

Das sind alles nur Ideen, Birgit. Ich überlege einfach, wie dein Kampf für dich selbst und dein Leben erfolgreicher verlaufen könnte. Du hast bisher nicht aufgegeben und ich würde mich so freuen, wenn du es auch weiterhin nicht tun würdest.

Du bist wertvoll, Birgit und ein kluger, toller Mensch! Dass dir das nie gezeigt wurde, liegt nicht an dir. Überhaupt nicht. NUR an den anderen. Und ich würde mir persönlich wünschen, dass ich wieder von dir höre und lesen darf, dass es bei dir weiter gegangen ist. Das muss nicht morgen sein, das kann in ein paar Monaten sein! Wollen wir es so halten? Du gehst deinen Weg weiter, gehst wieder in Therapie, überlegst, was dich positiv ausmacht, arbeitest mit dem Psychiater an diesen positiven Wegen und dann erzählst du mir, wie es lief?

Ich würde mich sehr freuen!

Wirklich ALLES erdenklich Liebe für dich!

Dana