Problem von Anonym - 15 Jahre

Die Dunkelheit der Einsamkeit

hey,
ich bin fast 16 und habe schon einiges durchgemacht..
als ich 10 war, war meine mutter psychisch krank und musste in eine klinik.. in der zeit war mein papa immer für mich da und hat sich um mich gekümmert, aber ich habe nie wirklich mit jemanden darüber geredet, wie ich mich fühle. ich hab meine mom so sehr vermisst, ich habe sehr oft geweint in dieser zeit. einmal, als ich zu hause war und hausaufgaben gemacht habe, waren meine mom und ein paar verwandte oben und ich hab sie reden gehört.. sie wollten mit meiner mom reden, weil sie wussten, es geht ihr nicht gut. meine mom hat angefangen zu weinen und hat geschrien: '' lasst mich doch einfach sterben ! ich will sterben ! '' das was ich in dem moment gefühlt habe, war unbeschreiblich, ich bin nach oben gerannt und hab geheult und schrie warum sie sowas sagt. ich hatte so angst. einige zeit später, als wir dachten, es würde ihr besser gehen, war ich mit ihr draußen auf dem feld und wir gingen spazieren.. es war nicht mehr weit weg von zu hause, ich hab das erste mal wieder gelacht, weil ich dachte jetzt wird alles wieder okey, aber da täuschte ich mich.. ich schaute sie an und sah dunkelheit in ihren augen - angst und dunkelheit. sie schaute sich schnell um und fragte mich wo wir sind und wann wir endlich zu hause sind, obwohl sie eigentlich genau hätte wissen sollen, wo wir sind. die zeit, als sie im krankenhaus war, verging so langsam, sie schien für mich endlos. aber sie fand zu sich zurück und wurde wieder gesund. bei mir ist das so, dass ich vieles im gefühl habe und wenn ih spüre, dass etwas passiert, dann ist das auch meistens so. aber ich geh darauf nicht ein, weil das im unterbewusstsein ist und ich nicht weiter drüber nachdenke. und so hatte ich auch oft das gefühl, dass mein papa nicht mehr lange da sein wird. als in den nächsten jahren alles wieder seinen lauf nahm und alles mal wieder in ordnung schien, kam meine mom einmal zu mir und sagte mir, dass papa krebs hat. ich glaub ich war für einen moment starr.. ich ging sofort zu ihm und fragte, ob das stimmt. er schaute mich nicht mal an und meinte flüchtig : '' ja, aber das ist nicht so schlimm. '' ich dachte mir '' nicht schlimm ? wie kannst er damit so locker umgehen ? '' ich verstand es nicht. er machte immer so einen starken eindruck, auch als er so krank war. er ist sogar noch nach afrika geflogen und ist dort mountain-bike gefahren, er hat weiterhin gearbeitet und war auch weiterhin der selbe starke, harte mann, den so schnell nichts umhaute. aber erst danach fing es an schlimm zu werden.. ich hatte tief im inneren immer angst, er würde es nicht schaffen und immer wenn mama sagte '' er schafft das ! '' dachte ich mir immer '' nein...er hat immer alles geschafft, aber das nicht mehr...'', obwohl ich wusste, die hoffnung stirbt zuletzt. ich erlebte, wie mein papa langsam immer schwächer und die arztbesuche öfter wurden. ich entfernte mich von ihm, aber nicht mit absicht.. ich war es nicht gewohnt, ihn so zu sehen, ich konnte es nicht sehen. ich hatte das schon mit meiner mom verkraften müssen und das mit 10 ! und dann mit 14 auch noch das.. ich baute eine schutzmauer auf und versteckte mich dahinter. meine mom hat sich immer gewundert, warum ich nicht zu ihm gehe, aber der anblick meinen vater angefesselt am krankenbett zu sehen, diesen anblick ertrug ich nicht. er verlor seine haare von der chemotherapie und er ist so dünn geworden, dass man hätte denken können, er knickt zusammen. er war in der zeit noch zu hause, weil meine mom ihn versorgen wollte. aber dann passierte das, was mir niemals aus dem kopf gehen wird: meine mom brachte meinen papa auf die toilette und fing auf einmal an zu schreien, ich soll schnell kommen. als ich kam, sah ich papa auf dem boden... er schaute starr in die leere, die augen weit geöffnet, ohne zu zwinkern.. er flüsterte ganz leise etwas, was man aber nicht verstehen konnte - er hatte angst. ich dachte, jetzt ist es vorbei. meine mom schrie und fing an zu heulen '' nein ! nein ! bitte nicht ! bitte nehm ihn uns nicht weg ! '' sie rief den krankenwagen. mein vater kam langsam wieder zu sich und sagte, er brauche keinen krankenwagen. wir legten ihn aufs sofa und warteten, bis hilfe kam. ich kann mich heute nur noch daran erinnern, wie sie meinen vater auf die liege legten, in den krankenwagen trugen und sie wegfuhren.. er war nicht lange m krankenhaus und kam wieder nach hause. er sagte immer, er wolle zu hause sterben und er hatte einen traum, dass er im bett liegt und die familie um ihn steht und sieht wie er aufhört zu atmen.. er ist dann nochmal zu hause umgekippt und wollte aber sofort wieder aufstehen.. es hat so wehgetan ! so wehgetan zu sehen, wie dünn er war, wie er nichts mehr essen oder trinken konnte, weil ihm das schlucken weh tat ! aber das, was mir auch heute noch am meisten wehtut...: meine mom machte das essen. mein papa saß am esstisch...er rief mich zu sich...ich wusste nicht was jetzt kommt und ich werde diesen moment niemals wieder vergessen. er schaute mir in die augen, nahm meine hand und fing an zu weinen. er sagte : '' es tut mir leid, dass ich so schwach bin ! '' dann drehte er sich weg, weil er so weinen musste. und ich habe nichts gesagt und wusste nicht wie ich reagieren sollte ! das ist wie ein messerstich, wenn ich heute daran denke !
papa wurde einige tage später ins krankenhaus gebracht..
ich verkapselte mich und ließ keinen schmerz zu. dann, in der nacht vom 17. oktober auf den 18., fuhr mom ins krankenhaus und meine beste freundin übernachtete bei mir. das war so komisch.. so um 3 uhr nachts oder so, als wir noch unten waren und nach oben gehen wollten, klingelte es an der haustür. sie meinte, ich soll nicht hingehen oder gucken, wer weiß wer das ist ! ich beugte mich langsam nach hinten und sah aber niemanden.. wir rannten nach oben und sperrten uns in meinem zimmer ein. meine mom kam am nächsten morgen mit ihrer freundin nach hause und rief mich. als ich nach unten ging, sah ich ihre gesichter. meine mom sagte mir, dass papa am frühen morgen verstorben ist.

ich schrie laut '' nein! '' und ließ mich weinend zu boden fallen. ich fühlte nichts als leere in mir. es fühlte sich alles so unreal an, als sei das leben ein spiel und ich die spielfigur und alles ist gleich vorbei. meine mom und ich durften uns noch den leichnam angucken, bevor er verbrannt würde.. ich fasste ihn an und er sah aus wie eine puppe.ganz weiß und die haut fühlte sich auch anders an.. ich nahm seine hände und hielt sie, streichelte seinen kahlen kopf und betrachtete ihn voller tränen. er hatte ein leichtes lächeln im gesicht und wir sagten uns, es würde ihm jetzt gut gehen. ich hätte ewig dort stehen können.. ich wollte nicht mehr gehen und es fiel mir schwer, ihn loszulassen..
trotz der trauer ging ich direkt wieder zur schule und versuchte mich so gut wie möglich wieder in den alltag einzubringen. ich redete mit niemanden über den schmerz. ich überspielte alles und ließ mir nicht anmerken, wie es mir geht. nach einem 3/4 jahr nach dem tod, fing mir aber langsam alles an zuviel zu werden. vom wachsen habe ich leichte schmerzen bekommen, die sich aber leicht vergessen ließen. aber jetzt.. jetzt sind sie extrem stark, mir ist immer schlecht und ich hab kreislaufprobleme. ich hab mich die letzten tage nur darüber beschwert, aber ob es wirklich das alleine ist ?
ich hab ziemlich viel stress, auch zu hause. und ich habe die ganze zeit versucht so zu sein wie papa. so stark und keiner sieht ihm an, wie es ihm wirklich geht. ich glaube, jetzt zeigt sich der ganze schmerz, der sich in mir zusammengebraut hat seitdem papa gestorben ist. und ich will eigentlich mit niemanden drüber reden, ich red noch nicht mal mit meiner besten freundin darüber ! dem einzigen, dem ich das vielleicht erzählen würde ist markus.. wir waren vor einem jahr '' zusammen '' und als wir uns trennten, wurde unsere freundschaft sehr stark. ich glaube, er wäre der einzige, dem ich heulend um die arme fallen würde und ihm alles erzählen würde. ich schäme mich dafür, dass ich seit 4 tagen nicht in der schule war, weil es mir so schlecht geht und ich weiß, es versteht bestimmt sowieso keiner. ich habe auch so angst, die schule nicht zu schaffen, obwohl ich gut bin. es gehen tausend fragen durch meinen kopf.. '' was ist wenn ich die schule nicht schaffe ? was soll ich dann machen ? wäre alles anders gekommen, wenn papa noch da wäre ? trägt das psychische schäden bei mir mit ? wieso kann bzw will ich mit niemanden drüber reden ? wieso baut sich so eine wart mauer auf, sobald mich jemand fragt, was los ist ? warum geht es mir außgerechnet jetzt so scheiße ? geht es mir wirklich so oder bilde ich mir das nur ein, weil ich papa vermisse ? ''
die ganzen fragen gehen jeden tag durch meinen kopf..
und dann auch noch diese albträume..
bei einem verwandelt sich mom in einen geist, der mich töten will und ich renne und renne, damit sie mich nicht bekommt.
bei dem anderen bin ich in irgendeiner komischen knetmasse gefangen, in der ein monster ist, dass mich jagt. ich sehe den ausgang und die sonne, die draußen scheint und versuche zur befreiung zu gelangen mit all meinen kräften, aber ich schaffe es nicht, weil ich immer ausrutsche.
oder ich träum etwas schlimmes und schreie auf mit tränen in den augen !
und manchmal liege ich im bett, versuche zu schlafen und mein herz fühlt sich komisch an.. es schlägt ungleichmäßig, langsamer und viel stärker als normal. ich fühle mich auch oft alleine und ich hasse dieses gefühl..

Was ist mit mir los ? was soll ich tun ? Ich weiß ja noch nicht mal selber, ob irgendwas mit mir nicht stimmt oder ob ich mir das einbilde.. oder kommt gerade wirklich alles einfach nur zusammen, die wachstumsschmerzen, das was ich erlebt habe..? :(


Sebastian Anwort von Sebastian

Hallo liebe Unbekannte.

Du konntest deiner Mutter zur Seite stehen, warst für sie Stark. Und das bereits in solch jungen Jahren. Gemeinsam mit deinem Vater und deinen Verwandten, ist es euch gelungen deiner Mutter zu helfen. Ihr habt diese schwierige Situation verarbeitet und sie hinter euch zu ruhe kommen lassen.
Hinter dir steht eine sehr starke Familie, von der ich glaube, das sie dazu in der Lage ist, sich umeinander zu kümmern und zu helfen, wenn jemand Hilfe benötigt.
Du siehst also, du bist nicht alleine.

Du schreibst sehr sympathisch und aus deinem Text schließe ich, dass du eine sehr einfühlsame und auch kreative Person bist. Und als solche solltest du versuchen zu verstehen, das jeder von uns einmal in Not gerät und mit Schicksalsschlägen konfrontiert wird, und das diese oft unvermittelt und ganz plötzlich auftreten. Sie entreißen uns unseren Alltag. Man steht neben sich und weiß nicht weiter. Auch wenn du glaubst, dies alles bereits im Vorfeld gespürt zu haben, ist die Wucht, mit der uns so ein Schicksalsschlag trifft, leider nicht mit weniger Schmerzen verbunden.

Sei dir der Stärke deines Vaters weiterhin bewusst. Lasse sie dich auf deinen künftigen Wegen begleiten. Aber mache sie dir nicht selbst zur Bürde. Vor allem nicht jetzt.
Du bist noch sehr jung. Und in der Situation in der du dich befindest, kann kein Mensch alleine die Kraft aufbringen, die nötig wäre, um solch einen Verlust zu verarbeiten.
Du fühlst dich verloren, empfindest Schuld, Trauer, Wut. Hast vielleicht auch Angst, dass dich deine Emotionen überschwemmen könnten. Auch Albträume bleiben da nicht aus. Aber der Strom deiner Gefühle möchte fließen, sich befreien. Hindurch durch die Mauern die du aufgebaut hast. Aber du stemmst dich dagegen, mit allem was du hast. Aber genau das, versuche zu unterlassen. Lasse die Mauern einbrechen. Es ist ein Heilungsprozess und kein Zeichen von Schwäche. Es ist menschlich, und besonders für dich, wichtig.
All das ist ein Prozess den du zulassen musst, damit es dir wieder besser gehen kann.
Nutze deine Energie stattdessen um wieder zu dir selbst zu finden. Dir dein eigenes Leben ganz langsam, Schritt für Schritt, wieder vor Augen zu führen. Wer bist du? Welche Ziele hast du? Was ist dir wichtig im Leben?
Aber räume dir auch hierfür genügend Zeit ein. Wechselnde Lebensumstände und Veränderungen brauchen genügend Raum um sich zu festigen, damit man sich an sie gewöhnen kann. Auch wenn es dir sehr schwer fallen wird, das zu akzeptieren.

Dein Vater ist nun leider nicht mehr da. Aber deine Mutter ist es. Du hast ihr Kraft geschenkt als sie sie brauchte. Nun gebe ihr die Chance für dich das selbe zu tun. Öffne dich. Lasse die Nähe zu deiner Mutter zu. Du brauchst sie, und sie wird dir dabei helfen deine Schmerzen besser zu verstehen und auch zu verarbeiten.

Und was deine Schule anbelangt: Frage deinen Klassenlehrer ob er in den Pausen oder nach dem Unterricht etwas Zeit für dich hat. Gib ihm zu verstehen, das du noch nicht soweit bist, dem Unterricht die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Zusammen mit deiner Mutter, und in Absprache mit deinen Lehren, werdet ihr auch da die richtigen Schritte finden.

Wenn du trotz alle dem nicht das Gefühl hast, voran zu kommen, dich mit der Zeit nicht besser fühlst, dann überlege dir, ob du nicht deinen Arzt zu Rate ziehen möchtest.

Ich bin jedenfalls sehr von dir und deiner Ausdauer beeindruckt, und wie gut du das alles bisher gemeistert hast. Aber nun musst du dir selbst eingestehen, auch nur ein Mensch zu sein. Mit all der Trauer und all der Freude, und all den anderen Gefühlen die da zusammen kommen. Du hast Menschen um dich herum, die dich lieben und die dir helfen werden. „Gemeinsam sind wir stark“, das kommt nicht von ungefähr.


Für dich alles erdenklich Gute

Sebastian