Problem von Kilian - 21 Jahre

Laufe ich komplett in die falsche Richtung?

Liebes Kummerkasten-Team,

Ich bin 21 und ich studiere Luft- und Raumfahrttechnik in München und von ständigen Selbstzweifeln geplagt. Ich versuche mal zu erklären wie ich in diese Lage gekommen bin:
In der Schule hatte ich viele Interessen. Ich war seit der 5. Klasse in der Theatergruppe, war bei den Ministranten sehr engagiert, war beim Fechten (auch recht erfolgreich) und ich war gerne mit Freunden zusammen. Wir haben zusammen Poker gespielt, sind feiern gegangen, das Übliche was man so macht wenn man noch in der Schule ist. Abitur habe ich in Mathematik, Englisch, Erdkunde und Biologie gemacht und habe immerhin eine 2,0 (in Bayern ;)) hinbekommen. Danach hatte ich das Gefühl, dass mir die ganze Welt offen steht. Ich hab gedacht ich krieg alles hin. Aber ich wusste nicht was ich wollte. Normalerweise macht an in so einer Situation erstmal eine Auszeit, versucht herauszufinden wer man ist und was man in seinem Leben gerne machen möchte. Genau das habe ich leider nicht getan. Vielleicht lag es daran dass meine Mutter sehr darauf bedacht war, dass ich schnell meinen Studienplatz bekomme weil zwei Jahre nach mir dieser Doppeljahrgang vor der Tür stand und die Unis dann gerammelt voll gewesen wären. Sie hat immer gesagt, dass sie es überhaupt nicht verstehen könne warum manche Leute work-n-travel in Australien machen und dass sie dabei nur ihre Zeit verschwendeten. Ich habe ihr geglaubt und mich ins Studium gestürzt. Ich wollte kurz nach dem Abi eigentlich Pilot werden, allerdings habe ich mich dann informiert und habe irgendwie nur frustierte Piloten gefunden. Und als dann ein Kollege mit der Idee um die Ecke kam Luft- und Raumfahrttechnik zu studieren hab ich gedacht - hey du bist doch gut in Mathe, warum studierst du das nicht auch? Ingenieure werden ja auch immer gesucht!
Also bin ich nach München und habe angefangen und am Anfang habe ich auch echt gedacht dass das was für mich ist und habe mich richtig toll gefühlt. Ich hatte richtig Selbstbewusstsein, freute mich auf mein neues Leben und war richtig stolz wenn ich jemandem erzählt habe ich studiere Luft- und Raumfahrttechnik und dieser jemand dann mit großen Augen zurück blickte und sagte -wow wirst du mal Astronaut? Naja wie dem auch sei es kam die erste Prüfungszeit und ich habe gemerkt dass ich eben doch nicht alles hinkriege. Ich hatte ziemlich schlechte Noten obwohl ich viel gelernt hatte. Allerdings ging es den Menschen um mich herum genauso und da habe ich gedacht das wäre normal. Auch haben mir ältere Semester immer wieder versichert, dass es nach dem vierten Semester, also im Hauptstudium, besser wird mit den Noten und dass auch der Stoff interessanter wird. Also habe ich mich mit einigen Durchhängern und mit einer kleinen Depression nach dem dritten Semester durchgehangelt und mich ins Hauptstudium gerettet. Allerdings ist das hier nur der gleich Mist in grün und ich frage mich langsam wirklich ob ich das richtige mache. Ich habe das Gefühl ich laufe in die falsche Richtung und kann mich deswegen auch keine Durchhalteparolen halten, weil ich den Abschluss zu dem ich mich da durchkämpfe eigentlich gar nicht haben will. Ich war bei einigen Exkursionen und das Ganze hat mir so gar nicht zu gelacht. Man sitzt in einem Industriegebiet, umgeben von Männern und rechnet irgendwelche kleinen Zahlen aus die ein Flugzeug in 20 Jahren mal schneller oder effizienter machen sollen. Ich finde das ist nicht besondes erstrebenswert. Noch dazu kommt dass ich aus den letzten Semestern einen ziemlichen Berg an nicht bestandenen Klausuren mitschleppe, die ich alle noch nachschrieben muss. Ich müsste quasi den ganzen Sommer durchlernen und das will ich nicht ich meine schließlich bin ich 21 und möchte mein Leben genießen.
Ausserdem gefällt mir München als Stadt auch nicht besonders. Ich versuche es mir zwar manchmal einzureden aber ich denke die Stadt ist mir einfach zu groß.
Ich denke es ist jetzt klar geworden warum ich so nicht einfach weiter machen will. Ich weiß nur nicht was ich jetzt machen soll. Soll ich eine Auszeit machen um zu sehen wer in mir steckt oder soll ich mich durch Beratungen an mein Wunschstudium oder was auch immer daraus werden sollte, heranwagen. Dazu kommt noch dieses nagende Gefühl 5 Semester verschwendet zu haben, ohne wirklich was gesehen zu haben. Andere haben vielleicht eine Weltreise gemacht und kommen nach 1,5 Jahre wieder. Aber sie sind wesentlich reicher an Erfahrungen als ich. Sie haben sie Welt gesehen und ich nur meine Bücher!
Ich habe auch Angst schon wieder eine falsche Entscheidung zu treffen und noch mehr Zeit zu verlieren. Ich habe Angst weil ich mir immer so sicher war, dass alles gut wird. Ich war mir immer sicher, dass ich das Richtige tue und Erfolg haben werde aber jetzt bin ich das überhaupt nicht mehr. Ich habe Selbstzweifel und bei jeder kleinsten Kleinigkeit die schief läuft stelle ich wieder alles in Frage. Ich habe auch Angst davor was meine Eltern und Freunde sagen, die Personen, denen ich 2,5 Jahre quasi vorgespielt habe dass alles in Ordnung ist und dass das aktuelle Tief nur eine kleine Stimmungsschwankung ist, ist sich in kurzer Zeit wieder geben wird.
Ich habe auch Angst, dass ich irgendwann merke dass ich in meinem Leben einen entscheidenden Fehler gemacht habe. Dass irgendwann zu alt für irgendetwas bin oder dass ich vllt etwas nicht mehr studieren kann obwohl es damals mit Wartesemestern möglich gewesen wäre.
Weil ich dass ich grundlegend etwas ändern muss, aber nicht weiß was, bin ich total antriebsschwach. Ich komme morgens fast nicht aus den Federn und meine Freizeit verschwende ich mit Sitcoms und Computerspielen. Das schlimmste ist, dass ich das Gefühl habe mit niemandem darüber reden zu können. Ich fühle mich einsam im Sturm und bin der Steuermann, nur ich habe keinen Navigator der mir sagt wo das rettende Festland ist. Und das obwohl ich viele Freunde habe, aber eben weil ich mir selber und allen 2,5 Jahre etwas vorgemacht habe, habe ich Angst jetzt zuzugeben, dass ich alles falsch gemacht habe und in eine Sackgasse geraten bin.

Ich würde mich über eine Antwort und vielleich einen Rat sehr freuen. Es hat gut getan das alles mal niederzuschreiben und zu wissen, dass es jemand wohl wollendes liest.

Viele Grüße
Kilian

Monika Anwort von Monika

Lieber Kilian,

danke erst mal für dein Vertrauen in uns!
ich habe selbst so ziemlich das gleiche erlebt. Nach dem Abitur soll man plötzlich wissen was man für den Rest seines Lebens machen möchte. Das sind leider schlappe 60 Jahre - daher ist es nicht verwunderlich, dass die Entscheidung an einem nagt und man sich immer fragt - mache ich das richtige? will ich das wirklich? würde mir was anderes mehr Freude bereiten?

Hinzu kommt dass man heutzutage so unendlich viele Möglichkeiten hat, will ich reisen, studieren, eine Ausbildung machen? wenn ja was? welche?
Aber genau das ist auch ein Vorteil! Hast du dich einmal für etwas entschieden muss das nicht für immer sein - du hast jederzeit die Möglichkeit dich umzuentscheiden, nochmal etwas anderes auszuprobieren, von neuem anzufangen. Heutzutage wird keiner sein Lebtag an der gleichen Arbeitsstelle verbringen.

Auch mir hat mein Studium nicht wirkllich gefallen und entgegen allen Erzählungen wurde auch das Hauptstudium nicht wesentlich interessanter. Studium ist nun mal sehr theoretisch und hat nicht immer viel mit dem praktischen Arbeitsalltag zu tun. Daher wäre es vernünftig, wenn du dich schlau machst, wie genau deine Arbeit später mal aussehen könnte. Wo werden Luft-und Raumfahrttechniker gebraucht? Welche Arbeitgeber gibt es? Vielleicht ja auch im Ausland? Am besten erfährst du das durch Praktika!
Nur so findest du mit Sicherheit heraus, ob es wert ist deinen Durchhänger im Studium durchzustehen, weil du dann mit deinem Abschluss etwas machen kannst, was dir entspricht, oder ob dein späterer Beruf gar nicht zu dir passt.

Falls du feststellst, dass du dich wirklich für das Falsche entschieden hast, ist das auch noch kein Beinbruch. Du kannst dein Studienfach ja wechseln, eventuell werden in deinem neuen Studium auch Prüfungen angerechnet, sodass du nicht alles umsonst gemacht hast.

Vermutlich weißt du aber noch gar nicht, was du dann machen möchtest stimmts?
Um das herauszufinden denk mal drüber nach was dir in der Vergangenheit Spaß gemacht hat, welche Hobbies hast du, wann vergisst du die Zeit, weil du einfach so vertieft bist, in das was du gerade machst? Arbeitest du gerne mit Menschen? Oder hängst du dich lieber hintern PC? Willst du draußen arbeiten oder lieber im Büro?
Hilfreich könnte es auch sein, wenn du zum Arbeitsamt gehst und dort einen Berufsinteressentest machst.

Es ist durchaus auch möglich ins Ausland zu gehen - eventuell ja sogar im Zuge deines Studiums? oder du schaust mal bei weltwaerts.de oder anderen Hilfsprojekten. Ich war mit ocep für ein paar Monate in Ghana (ocep-ghana.org). Das ist eine super Erfahrung du musst auch nicht gleich ein Jahr dort verbringen vielleicht reicht dir eine kleinere Auszeit ja schon aus?

Zudem würde ich dir empfehlen dich an die psychologische Beratungsstelle an der Uni zu wenden. Die haben immer wieder mit Studenten zu tun, die genau dein Problem haben und können dir sicher ein paar nützliche Tipps geben!

Zum Abschluss: Mach dich nicht verrückt!!! Du bist jung, schlau und hast alle Möglichkeiten! Und es gibt bestimmt nicht die EINE richtige Entscheidung. Es gibt viele Wege ans Ziel!


Alles Gute, wie auch immer du dich entscheiden wirst und wo auch immer es dich hinverschlägt!
Monika

PS: Ich bin mir sicher, wenn du mit Freunden redest wirst du feststellen, dass es ihnen ähnlich geht wie dir! Du bist nicht allein!