Problem von Jenny - 19 Jahre

Habe ich eine Persönlichkeitsstörung?

Hallo liebes KuKa-Team,

ich verstehe, dass ihr sehr viel zu tun habt und daher meine letzten drei Versuche euch zu errechein unbeantwortet geblieben sind. Ich versuche es trotzdem noch einmal und bedanke mich schon im Vorraus - ihr macht das echt klasse!

Also nun zu meinem Problem. Wie ihr der Überschrift schon entnehmen könnt, habe ich die Befürchtung, dass ich an einer Persönlichkeitsstörung leide und damit nicht umzugehen weiß. Doch zunächst etwas zu mir: Ich bin Jenny, 19 Jahre alt und ab Ende Juni werde ich (hoffentlich) mein Abitur in der Tasche haben. Ich weiß, dass ich gewisse Verhaltensweisen aufweise, die nicht "normal" sind, mir sogar sehr schaden. Ich habe eine Essstörung, ich kann NIE ohne ein schlechtes Gewissen etwas zu mir nehmen. Wenn ich dann doch etwas esse, kotze ich es zwar nicht wieder aus, aber dafür hungere ich Tage darauf...Schwierigkeiten mit dem Essen habe ich schon seit ich 13/14 bin, seither belasten mich meine Gedanken ums Essen sehr.

Seit ich 15 bin habe ich dann angefangen, mich für mein "Fehlverhalten" bezüglich des Essens zu bestrafen, Hungern allein hat mir nicht mehr gereicht. Zuerst kam der Alkohol, der mich alles vergessen lassen hat. Dann habe ich angefangen, mich für körperliche Bindungen auf Typen einzulassen. Außerdem ritze ich mich jetzt schon fast seit einem Jahr und gebe meinen Körper für Sex her. Damit meine ich, dass ich mich nicht auf etwas Festes einlassen kann, sondern ausschließlich nach Sex für eine Nach suche. Während ich dann aber mit einem Kerl schlafe, habe ich das Gefühl, rein gar nichts zu fühlen bzw....ich weiß nicht so recht, wie ich es beschreiben soll...Auf der einen Seite finde ich es unglaublich erregend, von einem Mann richtig hart rangenommen zu werden - fast, als wäre ich ein Tier, es ist ein animalisches und ekelerregendes Verlangen nach Sex, es widert mich selbst an. Aber auf der anderen Seite lasse ich das alles über mich ergehen. Warum, weiß ich nicht so recht. Es ist, als hätte ich die Beziehung zu meinem eigenen Körper verloren. Es hat mir mal verdammt weh getan, was ich mit mir selbst schon alles angestellt habe, aber mittlerweile spüre ich diesen Schmerz nicht mehr. Und ich glaube, dass das sehr gefährlich für mich enden könnte. ..

Die Ursache für mein Verhalten könnte viell mit den Umständen, unter denen ich aufgewachsen bin, zusammenhängen - Eine wirkliche "Familie" habe ich nicht. Ich habe viel Alkohol miterlebt, meine Mom hatte eine grauenvolle Kindheit, hat sich auch geritzt und musste Sklavenarbeit verrichten. Daher ist sie selbst seelisch im Eimer, viell sogar noch mehr als ich. Meinen Dad kenne ich nur vom Telefon. Es war Amerikaner und hat auch in den Usa gelebt, vor 2 Jahren ist er schließlich verstorben. Amsonsten kenne ich nur noch meinen Großvater, der mich aber nur in finanzieller Hinsicht unterstützt hat. "Liebe" ist somit nur ein Fremdwort für mich. Ich bin ohne sie groß geworden und auch jetzt gerade bekommt niemand aus meiner Blutsverwandschaft mit, dass ich am Zerbrechen bin. Denn abgesehen von meiner Mom und meinem Großvater leben alle im Ausland und ich kenne sie nicht. Zudem habe ich in der Kindheit einiges Unschönes erlebt. Z.B. habe ich mitbekommen, wie jemand meine Mom umbringen wollte, ich wurde von anderen dazu gezwungen, mich nackt auszuziehen und an mir ""rumzuspielen", ich sollte auch an den Genitalien anderer experimentieren, hatte den Schwanz eines über 60jährigen in der Hand....bei all dem war ich nicht älter als 7/8 Jahre...

Nach außen gebe ich mich jedoch sehr selbstbewusst, glücklich, aufgeweckt, etwas verrückt, optimistisch...aber nach innen fühle ich mich tot, als wäre ich bereits am verrotten...Ich lebe in einem ständigen Zwiespalt, heule mir jeden Abend die Augen aus, schlitze mir dann die Beine auf und am nächsten Morgen tue ich so, als wäre nichts gewesen, lache, habe Spaß mit meinen Freunden...

Wirklich geredet habe ich noch mit niemandem darüber. Ich will nicht, dass andere diese Schwäche von mir mitbekommen. Ein paar Freunde wissen zwar, dass ich mich ritze und wollten mir helfen, einne Therapie zu machen, aber das war vor ca einem halben Jahr, als ich wegen einer Blutvergiftung durch das Ritzen ins Krankenhaus musste. Seitdem habe ich alles wieder runtergespielt und gebe die vergnügte lebenslustige Frau, die alle kennen und mögen. Alles in allem trage ich quasi zwei voneinander getrennte "Seelen"in mir, aber wie erkläre ich das am besten... Die eine ist von Hass erfüllt und zwingt mich dazu, die Dinge zu tun, die mich und vor allem meinem Körper zerstören. Die andere leidet dabei Höllenqualen, ist immer zu am schreien, aber wird nicht gehört, weil niemand in mich hineinsehen kann. Das, was Leute von mir sehen, ist nur die Fassade, eine Maske, die ich aufsetzte, sobald ich mit anderen zusammen bin. Und diese Maske ist niemals am Weinen, sondern nur am Lachen...

Und nun habe ich Angst, dass ich mir irgendwann noch viel schlimmere Dinge antue, wenn ich keinen Schlussstrich ziehe.

Jetzt ist der Punkt, an dem ich wahrscheinlich fragen sollte, was ich am besten machen sollte, aber eigentlich weiß ich das schon: Ich BRAUCHE eine Therapie, eigentlich. Aber die will ich nicht!!! Ich kann einfach nicht mit jemand anderem darüber reden, allein, dass ich euch das hier schreibe, ist schon eine Überwindung für mich. An sich habe ich keine Lust mehr, mich mit meinem Leben abzugeben, ich quäle mich ja doch nur über den Alltag hinweg....Tut mir echt leid, ich habe das Gefühl, eure Zeit überansprucht zu haben, falls das hier gelesen wird...

Pia Anwort von Pia

Liebe Jenny,
tut mir Leid, dass du uns so oft schreiben musstest um eine Antwort zu bekommen. Du hast schon sehr viel Schlimmes erlebt und da ist es klar, dass du so viele Probleme hast und dich dann fragt, ob du eine Persönlichkeitsstörung hast.

Wir sind leider keine Ärzte oder Psychologen, aber ich kann dir sagen, dass viele Symptome für eine Persönlichkeitsstörung sprechen. Ob es wirklich eine ist, kann dir nur ein Psychiater sagen und muss richtig diagnostiziert werden.

Dass du immer nach dem Essen ein schlechtes Gewissen hast ist wirklich nicht gut. Das ist auch schon eine Form von einer Essstörung und das Fasten ist eine Form von Bulimie. Um Bulimie zu haben muss man das Essen nicht unbedingt brechen, sondern es reicht schon, wenn man es durch fasten, Abführmittel oder exzessiven Sport versucht wieder loszuwerden. Hier kannst du dich etwas über die Krankheit informieren und Rat bekommen:
http://www.bulimie-online.de/index.php

Durch dein extremes schlechtes Gewissen suchst du nach Wegen um diese innere Spannung abzubauen und ritzt dich. Doch das ist nicht die Lösung. Dadurch wird alles schlimmer und du musst Lösungen finden um das zu vermeiden. Ich weiß, das hört sich einfacher an als es ist, denn Ritzen ist eine richtige Sucht und es ist schwer davon wegzukommen. Ich würde dir raten, dass du Alternativen ausprobierst oder dich irgendwie auspowerst und die Energie nicht gegen dich verwendest, sondern lieber gegen Andere/Anderes. Außerdem hilft es manchmal sich mit der Krankheit auseinander zu setzen und Bücher darüber zu lesen. Außerdem würde ich dir raten einen Kurs zu besuchen, in dem man lernt sich zu entspannen und die Spannung abzubauen: Hier sind Informationen zu selbstverletzendem Verhalten und sehr viele Alternativen dazu. Probiere alle mal aus:
http://www.magersucht-online.de/index.php/informationen-zu-magersucht/36-selbstverletzendes-verhalten-svv-

Ich merke schon, dass du sehr auf dich achtest, wie du reagierst, handelst und fühlst. Das ist sehr gut. Beobachte dich selbst, aber versuche durch diese Beobachtungen herauszufinden, was dir gut tut und was nicht. Vermeide das schlechte und fördere das Gute. Auch wenn du dich bestrafen möchtest und deshalb das Gute meidest, versuche dir trotzdem Gutes zu tun. Pass auf dich auf bei deinen sexuellen Erlebnisse, denn es ist dein Körper und du solltest auf ihn achten und ihn lernen zu lieben. Lass nichts mit dir machen, was du nicht möchtest und versuche einen netten und liebevollen Mann kennenzulernen, der auf deine Bedürfnisse eingeht und dich wirklich liebt. So eine feste Bindung wäre sehr gut für dich, auch wenn es dir schwer fällt.

Deine Geschichte sehe ich auch als eine Ursache für deine heutigen Probleme, doch es ist wichtig, dass du dir klar machst, dass es kein Schicksal ist, das du erlebst, sondern, dass es heilbar ist. Du kannst etwas daran ändern und solltest nicht aufgeben. Es ist schrecklich was du und deine Mutter schon alles erleben musstest und das hast du nicht verarbeiten können. Es zerrt immer noch an deinem Herzen und es muss raus. Du musst unbedingt lernen, dich damit auseinander zu setzten, darüber zu reden oder zu schreiben, denn sonst wirst du nicht glücklich. Du hast nie Liebe erlebt und weißt nicht wie du damit umgehen sollst, das musst du lernen.

Du gibst dich taff und glücklich deinen Freunden gegenüber und wunderst dich darüber. Das machst du, weil du dich nicht verletzlich zeigen möchtest. Du musstest schon so vieles Schlimmes erleben und dadurch hast du ein Schutzschild entwickelt und lässt niemanden richtig an dich ran. Du hast Angst davor über deine Gefühle und Probleme zu reden, weil du Angst hast wieder verletzt zu werden. Doch viele Menschen wollen dir nur Gutes und wollen dir helfen. Es ist wichtig, dass du lernst dich mehr zu öffnen und auch mal zu zeigen, wenn du nicht gut drauf bist. Durch dieses Schutzschild fällt es dir auch schwer eine feste Beziehung einzugehen.

Ein weiteres Symptom sehe ich bei diesen Stimmungsschwankungen. Dadurch schützt du dich vor einem langanhaltendem Tief. Einerseits ist es gut Freude zu erleben, aber die extremen Tiefs sind gar nicht gut. Du bräuchtest etwas, das deine Stimmung stabilisiert und du deine Probleme besser lösen kannst, weil wie du merkst bringt das Ritzen und weinen überhaupt nichts. Dafür würde ich dir raten zu einem Psychiater zu gehen. Es hört sich für manche vielleicht schlimm an, aber es ist total normal. Er ist ein ganz normaler Facharzt und es ist keine Schande dort hinzugehen. Du schilderst ihm kurz deine Probleme und er wird dir Hilfe geben. Er kann dir dann Medikamente verschreiben, wie zum Beispiel Antidepressiva. Ich denke, dass würde dir viel helfen. Viele denken, dass man dadurch ja nicht die Probleme löst und es nichts hilft, aber das stimmt nicht. Es ist eine Stütze, damit du dich besser fühlst und du deine Probleme wirklich anpacken kannst. Dass du dich einfach besser fühlst und wieder mehr Freude am Leben hast und Motivation gesund zu werden und dir nicht zu viel Gedanken machst und nicht an diesem ungesunde schlechten Gewissen leidest.

Der Psychiater kann dich außerdem noch beraten, damit es dir wieder besser wird. Er wird dir bestimmt eine Psychotherapie vorschlagen, wie du selbst schon geschrieben hast. Ich verstehe, dass du Angst hast und dass du nicht über deine Probleme reden möchtest. Aber schon allein die Nachricht an uns zeigt, dass du etwas ändern möchtest und Hilfe suchst. Es ist wirklich nicht schlimm in eine Therapie zu gehen. Jeder hat von der Krankenkasse 5 Probegespräche, in denen du den Therapeut ausprobieren kannst und wenn die Chemie zwischen euch stimmt, dann kann ein Antrag für die Kostenübernahme gestellt werden. Nehme dir Zeit bei der Auswahl deines Therapeuten und probiere am besten mehrere aus und verschiedene Therapieformen.
Hier noch Informationen zur Therapeutensuche:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Wie-finde-ich-einen-Psychologen.html

Ich weiß es ist eine riesen Überwindung zu einem Psychotherapeuten zu gehen, aber du wirst das schaffen und es ist wirklich nötig. Es wird sich nicht von alleine lösen und wahrscheinlich wird es nur noch schlimmer. Jetzt hast du gerade dein Abitur geschafft und nun kannst du es anpacken, denn jetzt hast du Zeit und es fängt ein neuer Lebensabschnitt an.
Bitte probiere es aus, auch wenn du es vermeiden wolltest, denn du hast nichts zu verlieren und es wäre wirklich gut und wichtig. Es ist noch nicht zu spät etwas zu ändern und wenn du schon Angst hast, dass du deinem Leben ein Ende setzen könntest, dann wird es wirklich Zeit. Du musst auf dich achten und dir wieder Gutes tun!

Ich hoffe, ich konnte dir mit dieser Nachricht etwas weiterhelfen, denn leider können wir keinen professionellen Rat geben. Aber es ist wichtig, dass du deine Bedürfnisse und Probleme ernst nimmst. Ich wünsche dir für deine Genesung und Zukunft alles Gute und hoffe, dass es dir bald wieder besser geht.

Ganz viele liebe Grüße,
Pia