Problem von anonym - 17 Jahre

Versinken im Nichtstun

Hallo erstmal.Wie so oft geht es hier um das psychische Befinden eines Menschen,nämlich um das meine. Eigentlich würde ich meinen seelischen Zustand zurzeit als relativ stabil bezeichnen, aber es gibt einige Dinge, die mich von innen heraus auffressen und auch mein Verhalten ist manchmal so bizarr und überrascht mich selbst zutiefst. Es fühlt sich wie chronische Lethargie an. Ich sitze stundenlang vor meinem Laptopbildschirm und schaue mir Blogs an, Abnehmtipps (wovon ich leider keine anwende) und verkrieche mich in den unendlichen Weiten des Internets. Ich bin einfach ein langweiliger Mensch, ich lese viel, um in andere Welten zu flüchten, da mir diese Welt als nicht erstrebenswert erscheint, ich bin nicht gerade attraktiv, esse viel zu viel und schreibe tagtäglich depressive Einträge in mein Tagebuch. Dazu muss ich sagen, dass ich bereits ein Jahr Therapie erfolgreich hinter mir habe und nun auf eigenen Beinen stehe. Nach der Therapie sind die immerwährenden Suizidgedanken deutlich zurückgegangen und es ist nur noch ein kleines Stimmchen in meinem Hinterkopf, das in letzter Zeit jedoch ab und zu lauter wird. Ich möchte auch nicht wieder zu meiner Therapeutin, schließlich war es eine Qual für mich sich immer so öffnen zu müssen. Ich brauche meine kleine Welt in meinen Tagträumen und Büchern, denn da geht es mir gut und dort fühle ich mich wohl. Mein Tagesrythmus ist total gestört, was mich innerlich fertig macht, da ich ihn nicht mehr retten kann,egal wie viele To-do-Listen ich anfertige.Nach der Schule verbringe ich meine Zeit im Internet oder in den schönen Geschichten meiner Bücher und mache die Hausaufgaben sehr herzlos morgens im Bus, kurz vor Beginn der Schule(Gymnasium,Oberstufe,Durchschnittsschülerin).Alles wird aufgeschoben und mein Leben wirkt ziellos und unkontrolliert. Ich habe mir viele Ziele gesetzt und kann keins davon erreichen. Mein Selbst hat daraus geschlossen, dass ich einfach zu nichts fähig bin ,nicht mal zu so etwas einfachem, wie einem geregelten Tagesablauf. Jedes Mal wenn ich in den Spiegel schaue ist es als wäre da eine andere Person vor mir , irgendein ein faules,armseliges Wesen, das ich nicht sein möchte. Ich starre dann einige Minuten in die Augen meines Spiegelbildes und entgleite.Mir wird schwindelig, weil ich mich einfach nicht diesem unschönen Körper und dieser depressiven,faulen "Kuh" zugehörig fühle. Ich habe gute Freunde, denen ich das aber nicht erzählen möchte, da ich sie schon genug mit meinen früheren Problemen zugetextet habe. Es ist so schwer erwachsen zu werden und auf eigenen Beinen zu stehen.Ich bin zu schwach und zu pessimistisch für diese Welt hier. Manchmal wünsche ich mir jemanden, der mich liebt und den ich aufrichtig liebe, weil ich denke, dieser imaginäre Typ könnte mich glücklicher machen. Aber dann wird mir klar, dass meine Fähigkeit zu lieben fehlt und dass ich eine Einzelgängerin bin. Zudem bin ich zu unsichtbar und unattraktiv(aufgrund meines leichten Übergewichts) für das andere Geschlecht und mit meinem Charakter kann ich auch nicht punkten. Wahrscheinlich werde ich noch hunderte solcher Dinge schreiben, während ich einfach nur so vor mich hin lebe. Es kann mir ja egal sein, ich bin selbst daran schuld.
Liebsten Dank fürs Zeit nehmen(obwohl es nur Zeitverschwendung wäre).

Dana Anwort von Dana

Liebe Unbekannte,

auch wenn du dich eigentlich nicht mehr öffnen willst, schön, dass du es hier doch nochmals getan hast und auch recht ehrlich dem Zustand gegenüber warst, in dem du dich gerade befindest. Dadurch gibst du mir jetzt die Möglichkeit, da mal reinzugreifen und recht genau beraten zu können.

Das, was ich durch das genaue Lesen deines Beitrages erkenne, ist, dass du deine Stärken gegen dich anwendest. Du hast zB einen sehr großen Brocken an Fantasie. Du kannst dir die Welt bunt malen, du kannst eintauchen in Geschichten, du kannst schreiben, du hast das Talent dazu, Dinge in Worte zu fassen - und damit auch das Köpfchen, denn ohne Intelligenz geht das nicht. Und das alles nutzt du, um dich in Melancholie zu suhlen, depressive Dinge zu schreiben - im Prinzip verwendest du die Farbe Grau für dein Leben, obwohl dir die bunten Farben viel mehr liegen, was man ja an deinen Lesegewohnheiten sieht.

Auch sonst schaffst du es, dich eher unter Druck zu setzen, anstatt entspannt an dein Leben heran zu treten.
Beispiele dafür:
- das Setzen von zu vielen Zielen, der Wunsch, alles auf einmal schaffen zu wollen (funktioniert so nie)
- der Selbsthass, der dich in der realen Welt total hemmt
- die schlechte Einteilung deines Tages und der damit verbundene blöde Teufelskreis aus Druck, Flucht und Frust
- das schon erwähnte Suhlen in Melancholie und der "Erkenntnis", dass ja eh alles vergebens ist.

Wie soll man denn bei solchen Punkten noch Motivation finden? Es ist kein Wunder, dass dein Leben momentan so läuft, wie es das tut. Du kannst ja gar nicht anders, weil du dich selbst total fesselst. Du siehst dich selbst als "Zeitverschwendung", als graue Maus, als unwichtig und unsichtbar. In deiner Fantasie bist du das nicht und in deiner Fantasie sind alle Dinge bunt und schön, träumerisch und strahlend.

Und jetzt käme der "Clou": du müsstest es WOLLEN, dich aufzuraffen und deine Realität anzustreichen! Ohne dein Zutun und dein wirkliches Wollen geht das nicht. Du magst deine Fantasien. Und jetzt müsstest du schauen, wie du es nach und nach hinbekommst, deine Realität deiner Fantasie anzugleichen! Denn es ist nunmal so, dass eine Fantasie einem zwar schöne Stunden beschert, aber nicht in der Lage ist, einem das Leben lebensfähig zu machen. Träumer, die Traum und Realität total trennen, werden in der Realität immer versanden, weil sie sich immer weiter aus ihr zurück ziehen. Du merkst das ja auch schon, dass die Realität immer schwieriger wird, dir immer mehr Unschönes bringt und dich arg unter Druck setzt.

Und der Teufelskreis ist der: Druck durch die Realität, Schwierigkeiten --> Flucht aus der Realität --> Aufschub von wichtigen Dingen, da die Fantasie dir die Zeit nimmt --> Frust, Unmut, Selbsthass --> kein Fortkommen --> Realität drückt weiter.

Und das wird ewig so weitergehen, wenn du dir selbst nicht sagst: "Ok, aufstehen, auf geht's, ich muss was tun".

Wenn du dir das sagen könntest, gäbe es nämlich durchaus Möglichkeiten, diesen Stillstand, den du momentan hast, zu durchbrechen und deine kleine Welt in deine große Welt zu tragen. Es gibt einige Punkte, die du angehen könntest, um in die richtige Richtung zu laufen:

1) deine Texte
2) das Suhlen in Melancholie
3) du - von Kopf bis Fuß
4) deine Freunde
5) die Schule
6) deine Realität

Das sind jetzt so die ersten Punkte, die mir einfallen, da gibt es sicher noch viel mehr, wenn du selbst drüber nachdenkst. Und davon gilt es immer nur EINEN zu nehmen und an ihm zu arbeiten. Viele Punkte ergeben sich aus anderen, viele werden damit gleich mit gelöst.

Also...deine Texte. Du sagst, du schreibst immer so depressiv und melancholisches Zeugs in dein Tagebuch. Dadurch "tunnelst" du immer in die schwarzgraue Richtung, die kaum Raum für Licht und Buntes lässt. Deine Grundstimmung ist dunkel und schwer. Das Problem, das ich so sehe: ich habe nicht das Gefühl, dass du es groß anders haben möchtest. Dass du es genießt, sowas zu schreiben und dich dann so melancholisch und selbsthasserisch zu fühlen. Das ist auch keine Abwertung, es gibt diese Art von Mensch. Wenn du das allerdings ändern möchtest, dann würde ich dir empfehlen, bei Punkt 1 und 2 anzusetzen. Schau bewusst auf kleine, schöne Dinge. Auf Sonnenstrahlen, die dein Gesicht wärmen, auf die Farben in der Natur, auf kleine Blumen am Wegesrand, auf eine freundschaftliche Geste einer deiner Freunde, auf ein Lächeln von irgendjemandem, vielleicht sogar auf ein Lächeln von dir? Schreibe Texte über Dinge, die schön sind, die dir als "schön" auffallen, die du wahrnimmst.

Schreibe Gedichte, schreibe Texte, schreibe Geschichten...lenke deine Fantasie selbst in eine bunte Richtung, wie Bücher dir das schon vorgeben. Sei selbst ein Buch! Schreibe! Versuche Freude zu empfinden an dem Schönen. Sei erstmal nur Beobachter, schau, was es alles so gibt, schreibe es auf. Versuche nicht gleich, selbst ein Teil von allem zu sein, das macht nur wieder Druck. Aber schau, wie es anderen gelingt, fröhlich und gut gelaunt zu sein, schau bei deinen Freunden, was sie machen. Warum sind sie, wie sie sind? Analysiere das auch ein wenig und notiere das in deinen Büchern.

Und dann kommt ein großer Part, nämlich das "DU SELBST". Ich schrieb "von oben bis unten" und meinte das auch so. Dazu kommt noch "von innen nach außen". Nur du bist in der Lage, dich selbst so zu verändern, dass da jemand steht, den du im Spiegel betrachten kannst, ohne das Kotzen zu kriegen. NUR DU kannst das. Niemand anderes, keine Psychologin, keine Eltern, keine Freunde...nur du. Du selbst musst den Hebel umlegen.

Ich würde damit anfangen, mir etwas zu gönnen, nämlich einfach mal zu einer "Beauty-Beratung" zu gehen. Das macht Spaß, das entspannt total, man kann das mit Freundinnen machen, man wird beraten, wie man die Haare macht, wie man sich schminkt, was man tragen sollte. Dass du ein paar Pfunde zu viel hast, ist nicht so wichtig, wie du damit umgehst ist es. Ich habe auch zu viele Pfunde und bin, jedenfalls, was mein Umfeld sagt, trotzdem ein Sonnenscheinchen. :D Es gibt an jedem Menschen Dinge, die schön sind. Und die gilt es zu verstärken und nicht, wegen der "Makel" rumzulaufen wie eine graue Maus mit dem Gedanken: "Hey, ich bin ja eh unsichtbar...".

Lass dich da mal verwöhnen (vielleicht lässt du dir das von deinen Eltern schenken, die sind sicher auch total froh, wenn sie dir mal helfen können) und lass dir zeigen, wie du mit deinem Äußeren am besten umgehen kannst. Es ist unglaublich, was so eine äußere Veränderung ausmacht, ich habe das im Bekanntenkreis schon mehrfach erlebt. Die Frauen (es waren alles Frauen) sind danach mit einem geraden Rücken gelaufen, stolz und mit einem völlig neuen Selbstwertgefühl...total klasse. Und das wirkt dann auch auf das Umfeld ganz anders.

Danach kommt die Konzentration auf deine Stärken. Wo sitzen deine Stärken, außer beim Schreiben? Wie kannst du dich positiv ins Leben einbringen? Richte den Blick nach innen und außen und vor allem nach vorne! Ja, du warst lange ne graue Maus und hast im Zimmer rumgehockt. Das sollte genau AB JETZT passé sein. Du willst das nicht mehr? Dann tu was. Von alleine fällt da nichts vom Himmel, so isses halt leider.

Solltest du dann später an deinem Körper arbeiten wollen, ist da auch Zeit dafür. Sport, Bewegung, richtige Ernährung...etwas FÜR DICH tun.

Aber ich denke, vorher muss noch etwas anderes her. Dieser Selbsthass muss aufhören. Das Problem: das geht nicht an einem Tag. Du hast ein Jahr Therapie hinter dir, schreibst du...und der Selbsthass ist immer noch da. Zwar ist der Wunsch nach Selbstzerstörung weitestgehend weg, aber noch nicht ganz. Ich kann das verstehen, dass es in der Therapie echt anstrengend ist, aber dies wäre ja eine andere Therapie, nämlich eine Verhaltenstherapie. Wie bricht man die eingefrästen Verhaltensmuster auf? Wie kriegt man dich in Gang? Das ist eher positives Arbeiten, als das dauernde innere Rumwühlen. Dazu könntest du auch eine andere Therapeutin aussuchen, das Recht dazu hättest du. Einfach eine, die völlig neu dran geht und bei der du auch klar sagst, was du dir von der Therapie versprichst, denn auch das darfst du. Du darfst sagen, was du willst und was du nicht willst. Stehe für dich ein. Ich würde dir durchaus nochmals zu so einer Therapie raten, einfach dass du jemanden als Begleiter hast.

Du siehst momentan einfach das Schlechte in dir. Und eigentlich nur das. Deine Talente und deine Freunde erwähnst du nur in Nebensätzen, dabei sind das die Hauptsätze! Das ist das, was dich vor allem ausmacht! Das, was du kannst, das was du willst und das, wo deine Stärken liegen. Rumdümpeln und sich selbst bemitleiden ist keine Stärke. Das macht schwach und immobil. Merkst du ja selbst.

Ich würde dir raten, dich deinen Eltern nochmals anzuvertrauen, mit ihnen den neuen Weg mal durchzusprechen und Hilfe von ihnen zu erbitten. Ich weiß, dass sie dir das sicher liebend gerne erfüllen, weil sie dich glücklicher sehen wollen. Auch deine Freunde kannst du da mit hineinziehen. Lass zu, dass sie dich aus deinem Grau rausholen, mit dir Dinge machen, vielleicht auch mit dir lernen und Hausaufgaben machen? Lass dir helfen, das ist nicht peinlich und nicht doof. Damit wäre auch für die Schule ein großer Teil getan. Lerngruppen sind toll, man kann sich gegenseitig helfen und ist eingespannt. Der Druck, morgens im Bus dann zu arbeiten und nur Durchschnitt zu sein, wäre dann auch gegessen. Ich bin mir sicher, dass du eigentlich nicht Durchschnitt wärst! Du bist intelligent, klug, wortgewandt...da ist einiges in dir drin, das du momentan verhungern lässt.

Ich finde es zB interessant, dass ich aus deinem Brief eine große Stärke rauslesen kann. Du bist nicht schwach. Du bist stark, aber diese Stärke wird von so vielem unterbuttert, weil du sie gar nicht ins Licht treten lässt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du in der Lage wärst, jetzt aufzustehen und dein Leben langsam aber sicher so zu verändern, dass die Farbe der Bücher, die Farbe der Fantasie, die in dir ist, immer mehr und mehr auch auf dein Leben überschwappt. Vielleicht wirst du eine tolle Schriftstellerin? Vielleicht freut sich die Schulzeitung über ein neues Mitglied? Vielleicht gibt es in eurer Stadt Literaturkreise? Ich habe einen Schüler, der irgendwann in einen "Rapclub" eingetreten ist. Lauter junge Rapper, die tolle Texte schreiben und sich gegenseitig austauschen...super Sache. Man muss nur etwas suchen, damit sein Leben von dem, was man möchte (Fantasie) nicht zu weit weg ist, sondern viele Brücken baut!

Du siehst, ich könnte zu dir Romane schreiben. Die Zeit, die ich hier investiert habe, wäre aber komplett umsonst, wenn du jetzt nicht loslegst. Gehe es der Reihe nach an. Fang damit an, deinen Eltern zu sagen, dass du einiges in deinem Leben verändern möchtest. Bitte sie um die Möglichkeit, diese Veränderung durchzuführen (auch finanziell, was diese Beautyberatung und ein paar Klamotten angeht, aber vor allem helfend und behütend) und sei offen für das, was die Realität kann. Geh mit deinen Freundinnen los, frag nach der Möglichkeit einer Lerngruppe, schreibe Texte über EIN kleines positives Detail, das dir aufgefallen ist... Es ist nie falsch, sein Herz auch nach außen zu öffnen. Ich zB hüpfe mit einem total offenen Herzen durch die Gegend...und noch nie war das ein Fehler. Und mein Leben ist bunt und schön! Deins kann das auch werden.

Ich wünsche dir den Mut, jetzt aufzustehen und loszulegen, ich wünsche dir Durchhaltevermögen und Erfolge!

Alles Liebe,

Dana