Problem von Tamma - 17 Jahre

Magersucht & Borderline

Hallo mein Name ist Tamma und ich bin 17 Jahre alt.
Ich leide seitdem ich 14 bin an Magersucht. Eigentlich schon viel laenger .. seitdem ich denken kann hatte ich immer Angst dick zu werden. Als 6-jaehrige habe ich mit einem Filzstift alles umkreist was "weg sollte".
Ich hatte es vor 10 Monaten eigentlich geschafft von meiner Essstoerung wegzukommen. Ich habe 10 kg zugenommen (von 42 kg auf 52 kg, ich bin 1.72m groß).
Die Gedanken dass ich fett bin und das schlechte Gewissen bin ich nie losgeworden aber ich habe es unterdrueckt. Niemand weiß von meiner Essstoerung ausser meiner Cousine , die leider dem Pro Ana Lifestyle vor einigen Monaten verfallen ist.
Seit ein paar Tagen nun kann ich die Gedanken nicht mehr ignorieren und hungere wieder.
Ich muss weinen wenn ich meinen Koerper ansehe.
Eigentlich sollte ich mir bewusst sein dass ich mit einem BMI von gerade mal 17,1 nicht dick bin , aber wie es bei dieser Krankheit nunmal ist , bin ich das dickste Maedchen in meinen Augen.
Es macht mich so traurig und fertig das ich mich seitdem ich denken kann noch nie duenn / schlank wahrgenommen habe.
Neben der Magersucht leide ich auch noch an Borderline und Depressionen.
Meine Famillie weiß davon nichts und soll es auch nicht erfahren.
Ich weiß einfach nicht mehr weiter !
Dieser starke Selbsthass bringt mich dazu , Sachen zu machen die objektiv gesehen schlecht sind, fuer mich jedoch die einzigen die mir "helfen".
Ich ritze mich und ich hungere.
Ich komm mit meinem Leben nicht klar.
Mit 13 hat es angefangen. Damals dachte ich noch dass das von alleine wieder wird und dass das wahrscheinlich nur eine Phase ist, dass ich mir das alles nur einbilde.
Langsam denke ich, dass ich da niemals rauskomme.
Ich bin nicht gluecklich, und ich war es schon sehr lange nicht mehr.
Ich kann mich nicht richtig auf die Schule konzentrieren (gehe in die 11.Klasse des Gymnasiums, bin in der 10. Klasse einmal durchgefallen), scheitere an leichten Arbeiten im Haus , wie z.B. Geschirrspuelmaschine ausraeumen, und bin dauernd muede.
Schlafprobleme habe ich auch. Ich habe Albtraeume und kann nur unter Traenen einschlafen.
Meine Gedanken sind gemein zu mir. Ich bin gemein zu mir.
Ich hasse mich selber so und ich finde keinen Ausweg.
Ich hoffe ihr koennt mir vielleicht helfen , Tipps geben und mich motivieren .
Denn alleine schaffe ich das nicht.
Danke <3
Tamma

Pia Anwort von Pia

Liebe Tamma,
schön, dass du dich hier gemeldet hast.

Es ist sehr schwer, dir etwas Hilfreiches zu schreiben, aber ich möchte es gerne versuchen. Ich bin froh, dass du geschrieben hast, denn das zeigt, dass du gesund werden möchtest und dass du gegen deine Krankheiten ankämpfen möchtest. Diese Einsicht ist leider oft nicht selbstverständlich und für die Arbeit, gesund zu werden, sehr wichtig.



Du hast schon richtig erkannt, dass du eigentlich zu dünn bist, aber dich nicht so fühlst. Das ist das verzerrte Selbstbild. Man sieht in den Spiegel und man sieht sich dick, obwohl das nicht so ist. Man schaut nur auf die Stellen, die man nicht mag. Versuche doch das nächste mal auf die Stellen zu schauen, die für dich zufriedenstellen sind. Bei deinem BMI solltest du eigentlich gar nicht lange suchen müssen. Kennst du auch das Gefühl, dass du bisschen Angst bekommst, weil du an manchen Stellen schon zu dünn bist? Die werden dich motivieren etwas zu ändern. Wie du dein falsches Selbstbild los wirst, ist schwer. Dafür bräuchtest du eigentlich professionelle Hilfe.


Ich kann dir dennoch ein paar Tipps geben:

Nehme ein Seil etc. und schätze den Umfang von deinem Bauch. Lege dieses Oval auf den Boden und nehme ein weiteres Seil und messe damit den richtigen Umfang. Lege das zweite abgemessene Oval zu dem geschätzten Oval. Du wirst erstaunt sein, wie das Ergebnis ausfallen wird und wie du dich einschätzt. Das solltest du mit so vielen Körperteilen wie möglich wiederholen.

Eine weitere Übungen ist ein bisschen arbeitsaufwendiger, aber dennoch sehr effektiv. Fixiere ein menschen-großes Papier an der Wand und zeichne die Körpersiluette darauf, wie du dich einschätzt. Dann bitte jemanden darum, dass er dich mit einer anderen Farbe abzeichnet. Dafür stellst du dich an die Wand und der Andere zeichnet an deinem Körper entlang. Dann hast du den direkten Vergleich von Einschätzung und der Wahrheit.

Das verzerrte Selbstbild zu therapieren ist ein langwährender Prozess, habe Geduld mit dir. Denn du bist nicht dick! Du musst das unbedingt erkennen.



Jetzt mal zu deinem richtigen Körpergewicht. Dein BMI ist, wie du schon richtig erkannt hast, viel zu niedrig. Unter 17,5 ist man schon laut Definition der ICD-10 (international Diagnosekriterien) magersüchtig. Natürlich kommen noch andere Faktoren hinzu, welche ich aber bei dir erkennen kann. Unter dem BMI 19,0 hat man schon Untergewicht und gesund wäre ca. 19 – 21. Bis zu einem BMI von 24 hat man noch Normalgewicht und erst ab einem BMI von 25 wärst du im Übergewicht. Das wäre bei deiner Größe von 1,72m ein Gewicht von 74 kg. Merkst du was? Du bist meilenweit davon entfernt zu dick zu sein!! Du solltest dir auch nicht so viele Gedanken über das Gewicht machen, das ist nur eine Zahl und sagt überhaupt nichts über das richtige Körpergefühl aus, geschweige denn über deinen Charakter. Du solltest eher noch min. 5 kg zunehmen, als abnehmen. Ich schreibe dir noch Links, wo du dich darüber noch näher informieren kannst:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/23/Essstoerungen-bin-ich-zu-dick.html

http://www.magersucht-online.de/index.php



Du merkst langsam, dass es nicht von alleine weggeht und dass du unbedingt etwas machen musst. Außerdem schreibst du, dass du Borderline hast? Mich würde interessieren, wer das gesagt hat. Wie ich aus deiner Nachricht herauslesen kannst, bist du nicht in Therapie und diese Diagnose kann nur ein Facharzt für Psychiatrie stellen. Außerdem bist du noch etwas jung für diese Diagnose, weil man sie üblicherweise erst ab der Volljährigkeit stellt. Du musst da etwas vorsichtiger mit den Begriffen sein. Wenn man sich ritzt, heißt das nicht automatisch, dass man Borderline hat, aber es kann natürlich auch sein, dass du eine diagnostizierte Borderline Persönlichkeitsstörung hast oder zumindest einigen Kriterien entsprichst.
Das mit dem Ritzen ist auch eine Sache für sich. Erst einmal solltest du dich fragen, wieso du dich ritzt! Es ist wichtig, dass man darüber nachdenkt und die Gründe erkennt. Ist es, um dich zu spüren, um den Druck abzubauen, um dich selbst zu bestrafen, aus Trauer, aus Wut...? Überlege dir das mal und dann mache dir einen Plan für die Fälle, wie du das nächste Mal gegen den Drang, dich zu ritzten, ankämpfen kannst. Ritzen bringt überhaupt nichts, außer Narben. Aber es ist eine Sucht und aus dieser kommt man auch alleine nur schwer wieder heraus. Du kannst versuchen Alternativen zum ritzen zu finden, sogenannte Skills. Hier bekommst du noch mehr Informationen:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/30/Ich-ritze-mich-was-kann-ich-tun.html
 
http://www.magersucht-online.de/index.php/informationen-zu-magersucht/36-selbstverletzendes-verhalten-svv-


Es macht mir Sorgen, dass du mit deinen Problemen so alleine bist. Ich kann verstehen, dass du es niemanden sagen möchtest, aber es wäre echt das Beste. Ich finde es mutig und gut, dass du deiner Cousine vertraust. Aber wie du schon beschrieben hast, ist sie keine gute Ansprechpartnerin, weil sie selbst gerade in eine Essstörung hineinrutscht oder schon drin ist. Der Pro Ana Lifestyl ist eine sehr schlimme, einflussreiche und negative Sache und ich rate deiner Cousine und dir, euch bloß davon fernzuhalten! Es ist eine ernstzunehmende Krankheit und Nichts, was man verherrlichen sollte. Magersucht ist eine sehr schlimm und kein Wunschtraum eines Mädchens. Die meisten zerbrechen dabei, entweder weil sie total in die Magersucht rutschen oder weil sie es nicht „schaffen“. Ich finde das schrecklich. Ich weiß, dass du das nicht hören möchtest, aber bitte gehe nie in so ein Forum. Schalte es ab und nach einiger Zeit wirst du merken, dass du es gar nicht brauchst! Du machst dir wieder vermehrt Gedanken über dein Essverhalten und dass sind schon erste Anzeichen für eine Verschlechterung.


Du merkst langsam, dass du da alleine nicht mehr herauskommst, dass du mit deinen Kräften am Ende bist und dass du nicht mehr kannst. Die Schule geht in Richtung Abitur und du sollst Höchstleistungen bringen, im Haushalt helfen und auch sonst richtig funktionieren. Du merkst, dass du zu müde und schwach bist, wie soll dein Körper das alles auch schaffen, wenn du ihm nichts dafür gibst? Er braucht Nahrung um Energie und Kraft zu bekommen. Du musst etwas tun, weil wenn das so weiter geht, dann bist du irgendwann am Ende.
Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem du handeln musst, auch wenn es erst einmal ein schwieriger Weg wird, aber mache es jetzt, bevor es zu spät ist. Ich denke wirklich, dass du professionelle Hilfe brauchst, denn mit Magersucht und selbstverletzendem Verhalten sollte man nicht spaßen. Ich würde dir dringend raten einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Wenn du dich nicht traust, selbst einen anzurufen, dann solltest du zu deinem Hausarzt gehen und dich beraten lassen. Der kann dich dort hin überweisen und wenn er nett ist, dann hilft er dir auch bei der Suche. Nehme dir Zeit bei der Auswahl deines Therapeuten, denn nur wenn die „Chemie“ zwischen euch stimmt, dann kannst du effektiv an deinen Problemen arbeiten. Andere Anlaufstellen sind auch die Caritas etc, schau einfach mal im Internet. Hier sind noch einige hilfreiche Tipps zur Therapeutensuche:
http://mein-kummerkasten.de/Soforthilfe/31/Wie-finde-ich-einen-Psychologen.html

Habe keine Angst davor, es ist keine Schande zum Therapeuten zu gehen. Außerdem solltest du auch wissen, dass deine Eltern nichts davon erfahren müssen. Die Ärzte und Therapeuten etc. haben alle Schweigepflicht und du kannst das heimlich machen. Es ist zwar nicht die optimale Lösung, aber wenn du es deinen Eltern nicht sagen möchtest, dann würde ich das so lösen. Du kannst außerdem eine Freundin darum bitten, dich zu unterstützen oder einen Bekannten oder in der Schule Hilfe suchen (Lehrer, Vertrauenslehrer, Schulpsychologe), die sind dafür ausgebildet.


Ich habe dir jetzt ziemlich viel geschrieben, aber dein Problem lag mir wirklich am Herzen. Ich möchte, dass es dir wieder besser geht und dass du dich wieder gut fühlst. Es wäre schön, wenn du lernst dich zu lieben oder wenigstens zu akzeptieren. Bitte rutsche nicht in die Pro Ana Szene hinein! Du kannst es schaffen - du kannst wieder gesund werden. Bitte habe keine Angst und suche dir einen Therapeuten, denn du wirst überrascht sein, wie viel dir das bringt! Es ist so wichtig für deine Persönlichkeit und auch für deine Schule und die damit verbundene Zukunft. Ich weiß du kannst es schaffen! Den ersten Schritt hast du schon getan und dich hier gemeldet. Bleibe bitte jetzt nicht stehen und gehe weiter. Ich glaube an dich!



Ich wünsche dir von Herzen alles alles Gute und viel Erfolg!
Ich hoffe, ich konnte dir wenigstens ein bisschen helfen?!

Ganz liebe Grüße,
Pia