Problem von Lotte - 28 Jahre

Gut ausgebildete, kompetent und trotzem keine Zukunft

Hallo liebes Kummerkastenteam,

wol soll ich nur anfangen? Ich weiß nicht mehr weiter. Kann nicht mehr. Sehe keine Zukunft. Weiß nicht mal, warum ich euch schreibe... Nur ein bisschen Hoffnung? EIn Rat von außen? Einfach mal alles runterschreiben? Keine Anung.

Ich versuche mich mal zu ordnen.

Ich habe Abi mit einem 1-Komma-Schnitt gemacht, habe drei Fächer studiert, mehrere Praktika gemacht (mit hervorragenden Arbeitszeugnissen) und bin nun auf der Suche nach einer Stelle.

So viel zusammengefasst. Im Detail: Ich habe einen Abschluss in Germanistik, einer Naturwissenschaft und habe anschließend noch Journalismus studiert. Nebenher ging ich arbeiten, war eine freie Mitarbeiterin, habe Praktika bei mehreren Firmen gemacht und außerdem Kurse belegt, die von Zeitungen angeboten wurden.

Seit Sommer bewerbe ich mich nun. Vor allem als redaktionelle Volontärin oder PR-Volontärin. An die fünfzig Bewerbubgen habe ich schon geschrieben. Die Bewerbungen habe ich mehrere Male fachlich überprüfen lassen. Trotzdem kamen fast nur Absagen zurück. Ein paar Mal bin ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Danach kamen aber wieder Absagen. Auch wenn ich mit den Worten entlassen worden bin, dass ich einen sehr positiven Eindruck gemacht hätte und sie sehr von mir überzeugt wären.

Das letzte Mal war ich sogar eine Woche probearbeiten. Ich habe mir sehr viel Mühe gegeben und als Feedback bekam ich dann, dass an meiner Arbeit fachlich nichts auszusetzen sei, aber ich nicht Zitat "genügend positive Energie ausgestrahlt hätte" und "ich so ernst gewesen sei" "die Leichtigkeit gefehlt hätte".. Aber hey, was haben sie denn bei einer solchen Situation, sprich Probearbeiten, erwartet? Natürlich habe ich die Wochen nicht als Urlaub angesehen und wollte zeigen, was ich kann. U

Das Traurige ist, dass ich kurz davor eine Zusage bekommen hatte. Damit ich in Ruhe probearbeiten kann, habe ich ich die Leute bei dieser Stelle um etwas Bedenkzeit gebeten. Nun fürchte ich, dass sie sich in den zweieinhalb Wochen jemand anderen ausgesucht haben und ich nun wiede rmit leeren Händen da stehe.

Von allen Seiten kommt Druck. Ich lebe von Erspartem und von Unterstützung meiner Eltern (und das mit 28!) Aber es wird allmählich knapp. Meine Eltern fordern langsam natürlich Ergebnisse. Freunde schauen mich schräg an, weil ich nicht arbeite. Schütteln den Kopf, weil "Journalismus ja Luxus ist, den eine Gesellschaft eigentlich nicht braucht". Meine Meinung ist zwar eine andere, sonst hätte ich ja nicht so zielstrebig auf diesen Beruf hingearbeitet, aber langsam fange ich auch an zu zweifeln. Haben sie recht? Habe ich mir den falschen Traumberuf ausgesucht? Und warum will mich niemand? Was mache ich falsch?

Ich sehe allmählich keine Zukunft mehr für mich. Ich habe das Gefühl, dass meine Fähigkeiten entweder nicht genügen oder nicht benötigt werden. Aber für die ganzen Berufe, die gerade gesucht werden, Ingenieure, Maschinenbauer etc, habe ich einfach kein Talent, das weiß ich genau. Mein Gespür für Zahlen und Physik enstpricht ungefähr dem einer Haselnuss.

Ich bin nicht nur ratlos, traurig, verzweifelt und deprimiert, sondern auch verdammt wütend. Ich fühle mich wie ein Fußabtreter, dem man die ganzen Absagen einfach reinschieben kann. Scheiß auf gute Ausbildung, Ehrgeiz, Können, Zielstrebigkeit, Idealismus! Andere brechen ihre Ausbildung ab und werden Superstar, verdienen Millionen. Ich habe alles, was ich angefangen habe, knallhart durchgezogen, immer mit einem festen Ziel vor Augen. Nun fange ich an über die Steine zu stolpern, die mir in den Weg gelegt weren, und ich frage mich, wann ich endgültig auf die Nase falle oder ob ich es nicht schon bin.

Was soll nur aus mir werden? Wie mache ich weiter? Mache ich weiter?

Hilfe...

Judith Anwort von Judith

Liebe Lotte,

Vielen Dank für Deine Zuschrift. Dein Brief spricht Millionen von jungen Menschen aus der Seele und spiegelt den traurigen Alltag wider. In Deutschland haben wir es noch vergleichsweise gut: In Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit gerade bei über 50%! Gerade mir (ich bin Personalberaterin im "richtigen Leben") tut es immer sehr weh, wenn ich so gut ausgebildete, resolute Menschen sehe, die arbeitslos sind. Ich verstehe sehr gut, dass Du frustriert bist, denn Du machst alles richtig - ziehst Dein Studium durch, machst Praktika, bildest Dich weiter - und doch kommt nichts dabei rum, wie es scheint.

Ich möchte Dir mehrere Dinge raten.

1. Bleib dran! Du machst alles richtig, aber die Konkurrenz ist gross. Lass Dich nicht entmutigen von Freunden und Familie, sondern verfolge Deinen Traum weiter!
2. Bleib flexibel. Vielleicht ist es vielversprechender, wenn Du Dein Netz etwas weiter aufspannst, also auch Jobs in Erwägung ziehst, die nicht ganz offensichtlich zu Deinem Wunschbereich gehören (z.B. im Bereich Marketing / PR oder Freelancer Stellen).
3. Networking ist das A und O, zusätzlich zur klassischen Bewerbung. LinkedIn, XING,Twitter sind die gängigen Social Media, auf denen Du mit einem Profil präsent sein solltest. Knüpfe Kontakte, so kannst Du ggf. an Stellen kommen, die gar nicht ausgeschrieben sind.
4. Events - misch Dich unter die Leute! Schau, was es für Kongresse, Marketing Events, Tagungen, Vorlesungen etc. zu den Themen gibt, die Dich interessieren, und geh hin. Druck Dir eine Handvoll Visitenkarten und verteile sie - aber sammel auch Karten ein.
5. Wenn es finanziell eng wird, gibt es immer die Möglichkeit, einen Nebenjob anzunehmen, der die Rechnungen zahlt, und dennoch weiterhin Bewerbungen zu schreiben.

Ich weiss, Lotte, wie schwierig es ist. Ich habe viele Freunde, die in derselben Lage wie Du sind: Ende 20/Anfang 30, Studienabschluss, hochmotiviert und dümpeln von einem Praktikum zum nächsten. Da *nicht* den Mut zu verlieren, ist nicht leicht.

Aber bleib dran!

Letztlich kannst Du auch immer zum Amt gehen und vorübergehend Harz IV / Unterstützung beantragen. Klar ist das nicht ideal, aber dafür ist das Sozialsystem der BRD doch da - um zu helfen.

Ich wünsche Dir alles Gute, toi toi toi.

Judith