Anwort von Bernd

Lieber Dennis,

es gibt noch eine Frage, die Du zu stellen vergessen hast:

"wie kannst Du selber Dich davor schützen, dass Dein Mitleid nicht am Ende Dich in ein ebenso großes Loch hinabzieht, wie das, in dem sich Deine Freundin schon befindet?"

Ganz ehrlich? Nach Deinem Bericht habe ich genauso große Angst um Dich, wie um Deine Freundin!

Deine Freundin hat Dir erzählt, was für ein Problem sie mit ihrer Familie hat?
Sie hat Dich gebeten, nichts davon mit anderen zu besprechen?
Sie schickt Dir Fotos von dem, was sie sich selber antut?
Schreibt von ihrer Angst und wie "fertig" sie ist?

Deine Hilfe aber lehnt sie ab?

Was glaubst Du, Dennis?

Welchen Grund könnte es haben, dass sie Dich einerseits so bildhaft an ihrem Schmerz und ihrer Angst teilhaben lässt, wenn sie damit andererseits nicht verbindet, dass Du ihr helfen könntest?

Mir fällt dazu nur eines ein: sie will, dass Du mit ihr leidest! Und dabei macht sie sich wohl keine Gedanken darüber, wie Du dabei empfinden könntest!
Sie müsste wissen, dass die Situation Dich genauso überfordern muß, wie es sie selbst überfordert!
Es ist irgendwie unfair, Dich einerseits zum Mitwisser zu machen und Dir andererseits alle Möglichkeiten zu nehmen, ihr wirklich zu helfen!

Zuerst einmal DU!

Wenn es für Dich unerträglich wird, soviel Leid mitzubekommen, solltest Du unbedingt Deine eigene Seele entlasten!
Der "Zwickmühle" zwischen dem Versprechen zu schweigen und Deinem eigenen Wunsch, Dir einmal alles von der Seele zu reden kannst Du am ehesten entgehen, wenn Du Dir einen Pfarrer suchst, dem Du offen die ganze Geschichte erzählen (beichten) kannst. Übrigens: auch evangelische Pfarrer stehen unter dem Beichtgeheimnis! Es kann auch ein Schulpfarrer sein! Ein Krankenhausseelsorger, genauso wie die Bahnhofs- oder Telefonseelsorge!

Du darfst und solltest Dich selber zuerst einmal schützen! Vielleicht kannst Du dann auch wirksamer helfen!
Als Rettungsschwimmer will ich Dir das als Beispiel geben: Menschen ertrinken, wenn sie panisch werden! Panik bedeutet: seine eigene Lage nicht mehr gedanklich (logisch) bedenken zu können, weil ein "Gefühl" alle Gedanken überlagert.

Ertrinkende klammern! Es gibt für den Ertrinkenden, wie für den Rettungsschwimmer nur eine Möglichkeit, zu überleben:
der Retter darf sich nicht mit runterziehen lassen! Selbst, wenn er dem, den er retten will dafür zuerst einmal weh tun muß!

Übertragen auf Deine Freundin und Dich sehe ich das so:

Deine Freundin erzählt Dir alles über ihre Sorgen, Ängste und ihren Schmerz!
Du suchst und siehst Möglichkeiten, wie ihr geholfen werden könnte, aber sie lässt sich auf kein Hilfsangebot ein.
"Klammert" aber, indem sie Dir ihren Schmerz mit Bildern vor Augen führt!
Damit zieht sie Dich unweigerlich mit hinunter!

Es gibt Menschen, denen vor allem unsere Aufmerksamkeit fehlt! Eine unteilbare und unbedingte Aufmerksamkeit!

Diese Menschen haben manchmal sogar Angst davor, dass es ihnen "besser gehen" könnte, weil sie befürchten, dadurch einen Teil unserer Aufmerksamkeit zu verlieren.

Du darfst und Du solltest Deiner Freundin erzählen, wie sehr es Dich belastet, in einer Zwickmühle von ihr alleingelassen zu werden.

Wo sie keine Hilfe von Dir erwartet, sollte sie Dich auch nicht mit den Problemen belasten!

Sie muß verstehen lernen, dass Dein Mitleid immer nur der Anfang zu einer gemeinsamen Suche nach einer Lösung sein kann und darf!

Wo sie keiner Lösung zugänglich ist, muß Dein Mitleid aufhören! Sonst wirst auch Du ertrinken!

Helfen kannst Du nur, wenn Du frei bist!


Alles Liebe,

Bernd