Problem von Chris - 17 Jahre

Keine Lust mehr...

Hallo,

Ich bin momentan 17 Jahre alt und mein Problem ist, dass ich 2 gewaltsame Auseindersetzungen meiner Mutter und ihres Ex-Mannes und ihres Ex-Freundes, die sich jeweils über ein paar Jahre hinzogen doch sehr zugesetzt haben. Der erste Streit war mit dem Ex-Mann, er war Alkoholiker und wurde wenn er voll war auch sehr aggresiv und hat meine Mutter geschlagen (einmal auch mich). Dies zog sich durch mein fünftes bis siebtes Lebensalter, soweit ich mich erinnern kann. Dies ist mir leider als einer der einzigen "Kindheitserinnerungen" hängen geblieben. Kurz darauf starb er an Tabletten und Alkohol. Ein paar Jahre später hat meine Mutter einen neuen Freund gefunden und wir zogen zu ihm. Da fing das ganze von neuem an. Meine Mutter hat/wurde geschlagen, ist die Treppe "runtergefallen" etc. . Dies zog sich über 1-2 Jahre hingweg. Ich war 12 und ging schon auf eine weiterführende Schule, dass war besonders schwierig für mich, da ich die Auseinandersetzungen schon morgens sehen musste und darauf hin strahlend in die Schule musste... . Was noch dazu kam, dass mich meine Mutter für dies verantwortlich gemacht hat und mich manchmal auch geschlagen hat.
Als sie auseinander gezogen sind, ist meine Mutter immer noch zu ihm gefahren und es gab laute Auseinandersetzungen so heftig, dass einmal die Polizei kam und Sanitäter meine Mutter in eine Klapse gesteckt haben.
Heute leben wir in einer Wohnung und lässt die Gewalt an mir aus, schlug mich manchmal (jetzt zum Glück nicht mehr) und wirft meine Sachen rum und macht sie kaputt. Nach meiner Meinung leidet sie unter "Borderline-Syndrom", ich bin zwar kein Experte, aber die Syntome bei Wikipedia bestätigen dies.

Durch diese Streits bin ich von einem eher fröhlichen Kind zu einem schüchternen, in sich gekehrten Jugendlichen gekommen. In meiner alten Schule hatte ich noch Freunde, konnte reden, trotz meiner Redeflußstörung. Auf meine neuen Schule jedoch, habe ich nicht wirklich Freunde, andere machen sie über mich lustig und ich kann mich nicht wehren, weil ich den Mund nicht aufkriege, da mir mein gewisses Selbstbewusstsein und ich empfinde, dass ich hässlich bin im Weg stehen. Ich habe immer Angst mich zu blamieren, traue mich kaum mit anderen zu Reden, wie z.B. am Telefon oder im Supermarkt. Meine mündlichen Leistungen in der Schule sind meist unter 5 Punkten und ich muss hoffen, dass ich dieses Jahr schaffe. Diese Chancen sind jedoch relativ gering, da ich einfach keine Lust habe was zu machen und den ganzen Tag vor Langeweile einfach am PC sitze und nichts wirklich sinnvolles mache. Körperlich kann ich mich nicht wehren, da ich relativ klein bin und mich außerdem nicht trauen würde.

Auch wenn der Streit vorbei ist, ist mein Leben immer noch fürn Arsch. Meine Mutter glaubt, ich würde nicht wollen, dass sie mit ihrem Freund zusammen ist und versucht mir alles vorzuschreiben, wird aggresiv, knallt Türen, weint laut etc. .

Was soll ich machen? Ich habe general keine Lust auf nichts, sitze nur rum und quäle mich jeden Tag in die Schule.

Ich hoffe dieser Text beschreibt meine Situation verständlich, auch wenn ich nicht der große Schreiber bin. Ich habe nicht auf Rechtschreibfehler geachtet, aber bitte verzeiht dies.

Adriano Anwort von Adriano

Lieber Chris,

vielen Dank für deine Nachricht!

Ich fange mal etwas anders an: Ich habe mir erlaubt, deinen Beitrag nicht unter "Probleme mit sich selbst", sondern unter "Probleme in der Familie" einzuordnen. Aber aus einem ganz plausiblen Gefühl heraus - das, was du wirklich sehr einfühlsam beschrieben hast, klingt für mich nicht danach, als gäbe es irgendein Problem mit dir in der ganzen Angelegenheit, sondern werden deine Probleme, die du hast, meiner Meinung nach eher durch die Lage daheim verursacht. Findest du nicht auch? Was ich damit sagen möchte: Nach dem Lesen deines Beitrages steht für mich fest, dass du keine Schuld daran trägst, dass Du dich so fühlst, wie Du dich gerade fühlst. Dass deine Leistungen in der Schule abfallen. Dass du ein geringes Selbstbewusstsein hast, dass du eher scheu im Kontakt mit Menschen bist. Woher sollst du auch diese Kraft nehmen? Nach allem, was du durchgemacht hast, ist es völlig klar für mich, dass dich diese Situation, in der du steckst, total hemmt, dich total unter Druck setzt, ja eben dafür verantwortlich ist, wie es dir geht. Keine Lust mehr? Zu Recht. Chris, die hätte jeder andere auch längst verloren.

Alles, was du beschreibst, liest sich schlüssig und absolut nachvollziehbar. Ich glaube, dass wir zwei uns auf das Epizentrum deiner Lage sehr schnell einigen können - nämlich, dass dich gerade die Beziehungen deiner Mutter zu gewalttätigen, alkoholabhängigen Männern sehr stark belastet hat. Du hast körperliche Gewalt miterlebt, ja sie sogar am eigenen Leib erfahren. Du hast Gewalt gegenüber deiner Mutter gesehen. Du warst klein, ja noch viel zu jung, als dass du dagegen hättest etwas ausrichten können, obwohl du alles schon sehr genau verstanden hast. Dass das, was dort geschieht, nicht richtig ist. Du hast erleben müssen, wie sich deine Mutter, die ihr Kind über alles lieben sollte, gegen dich stellt, dich beschuldigt, an allem schuld zu sein. Bitte entschuldige, wenn ich das alles aufzähle und es dich vielleicht schwer trifft - ich möchte dir jedoch aufzeigen, dass du quasi durch die Hölle gegangen bist, und dir dieser Weg einfach alles nahm, was andere in deinem Alter haben.

Doch, Chris, du schreibst in deinem Beitrag einen Satz, der irgendwie etwas Gutes in sich trägt. Auch wenn er auf den ersten Blick nicht danach aussieht, im Gegenteil. Du hast geschrieben, dass du hinter dem Verhalten deiner Mutter ein Borderline-Syndrom vermutest. Ich kann dich darin nicht bestätigen, wir zwei sind, wie du richtig gesagt hast, keine Experten. Aber manchmal ist es das eigene Gespür, das eigene Gefühl das, dem man trauen und folgen sollte. Dass du erkennst, dass deine Mutter an etwas leidet, an etwas stark Psychischem, das sie verändert hat, ist genau das richtige Mittel um dir vor Augen zu halten, dass deine Mutter möglicher Weise nicht einmal weiss, was sie dir antut, sich selbst antut. Sie tut es dir nicht bewusst an, sie scheint in einem Verhaltensmuster gefangen zu sein, was man durchaus als eine Erkrankung bezeichnen könnte. Lautes Schreien, aggressives Verhalten, starkes Weinen, Schuldzuweisungen am eigenen Kind - das alles sind Verhaltensmuster, die normaler Weise ja nicht auftreten, die eine Mutter normaler weise aufs Schärfste verurteilen würde. Es scheint mir, als ob der Nagel hier sehr, sehr tief steckt.

Gibt es denn Verwandte, Freunde, ja sogar Lehrer, mit denen du darüber sprechen kannst? Gerade hinsichtlich deiner schulischen Leistungen, die ja stark darunter leiden, würde ich dir sofort eine Maßnahme empfehlen, so blöd und unglaublich sie auch klingen mag: sprich einen Lehrer an, bitte um ein Gespräch und erzähle ihm alles, so wie du es auch hier getan hast. Wenn du dich nicht trauen solltest, in ein Gespräch zu gehen, dann setze einen kleinen Brief auf, den du im Sekretariat des Direktors/der Direktorin abgibst mit dem Hinweis, dass es sehr dringend sei. Egal wie - mach auf deine Lage aufmerksam! Du MUSST auf deine Lage hinweisen, Chris. Vielleicht gibt es sogar einen Therapeuten an deiner Schule, der für die Sorgen und Nöte der Schüler und Schülerinnen da ist? Falls ja - nutze diese Gelegenheit. Ich bin mir sicher, dass dich der Gedanke zunächst einmal sehr abschrecken wird. Es kann nämlich gut sein, dass dir jeder Lehrer so unsymapthisch erscheint, dass du selbst dadurch keine Besserung erwartest. Oder dass du einfach nicht möchtest, dass die Schule über die Lage daheim Bescheid weiss, dass du deine Mutter schützen möchtest, es dir peinlich ist, dich jemanden anzuvertrauen. Nur, glaub mir, Chris, deine Schule muss darüber Bescheid wissen! Und, wer weiss, vielleicht findet sich zumindest für deine schulische Situation daraufhin eine erste Lösung, die dir weiterhilft.

Die Situation, Chris, in der du steckst, ist wahrlich keine einfache. Du darfst dir aber nicht einreden, dass du sie alleine zu lösen hast. Im Gegenteil: es ist höchste Eisenbahn, dass dir andere dabei helfen! Vertraue dich Menschen an. Bitte um Hilfe. Wenn du dir es vorstellen kannst, empfehle ich dir sogar einen Besuch bei einem Therapeuten, dem du, genau wie hier, alle Sorgen mitteilen kannst, der dir zuhört und auf mehrere Lösungen zurückgreifen kann. Dein Hausarzt kann dir dabei schon sehr viel weiterhelfen und dich an einen Therapeuten weiter vermitteln. Dass du keine Lust mehr hast, kann ich nur zu gut nachempfinden, das ist auch nichts Verwerfliches. Jeder darf an diesen Punkt einmal kommen. Halte dir vor Augen, wie ich eingangs geschrieben habe, dass du jedoch keine Verantwortung dafür trägst, und es jeder genau so sehen wird.


Viel Mut & Kraft wünscht Dir,
Adriano