Problem von Sofie - 13 Jahre

ist das ritzen, was ich mache?

Liebes KuKa-Team.
Ich weiß nicht, ob mein Problem wichtig genug ist,aber ich schreibe es mal auf.
Ich habe mich gestern zum ersten Mal geritzt. Aber es gibt keinen wirklichen Grund. Natürlich habe ich auch einige kleine Probleme(Trennung von Freund, Sorge um Freundinnen, Notenabsturz ) . Außerdem hat eine junge Frau, der ich bisher alle "Probleme" erzählt habe, mir gesagt, dass ihre nicht alles negativ sehen soll, so dass ich ihr auch nicht mehr schreiben kann. Das führt dazu, dass manchmal meine Gefühle, die ich sonst immer verdränge, überhand nehmen, und ich ziemlich fertig bin. Der direkte Auslöser gestern war ein Familienstreit, doch das gibt es auch ab und zu mal...
Aber irgendwie habe ich gehofft, mich dann nicht mehr allein zu fühlen.
Ich habe mit einer Haarnadel immer wieder über meine Haut gekratzt. Heute das gleiche, nur dass ich jetzt auch Schere und Messer dazugenommen habe. Die Schnitte bluten nicht, sie schwellen bloß ein bisschen an.
Mir ist bewusst, dass da gerade etwas in die falsche Richtung läuft, aber ich fühle mich irgendwie dazu hingezogen.
Jetzt meine Frage: Ist das überhaupt ritzen, wenn ich keine Probleme habe, und es auch nicht blutet.
Und wenn ja, was soll ich tun, oder mit wem sprechen?
Meine Eltern wären damit glaube ich überfordert.
Liebe Grüße, Sofie

Dana Anwort von Dana

Liebe Sofie!

Gut, dass du dich gleich in den Anfängen deines Problems an uns wendest, da kann sicher noch einiges repariert werden.

Das, was du gerade machst, ist der Versuch, Kontrolle über dich und deinen Körper auszuüben, dich selbst wieder mehr zu fühlen, dich frei zu machen von dem Denken, das dich belastet. Du kennst das ja: ein kleine Wunde tut weniger weh, wenn plötzlich eine größere Wunde kommt. Der Schmerz der größeren Wunde überdeckt einfach den der kleineren.

Und bei diesen ersten Ritzversuchen ist das ähnlich. Es ist ein Ventil, Dinge für kurze Zeit zu vergessen, weil etwas anderes (das Ritzen) in den Vordergrund rückt. Es gibt dir das Gefühl, selbst am Hebel zu sitzen.

Du schreibst selbst: "hier läuft gerade etwas in die falsche Richtung". Das ist richtig. Selbstverletzung - und da ist es egal, ob das nun ein Kratzen oder ein Ritzen oder ein Kneifen oder Schlagen ist - ist IMMER ein falsches Ventil. Warum? Es bekämpft die Ursache nicht. Es ist für einen kurzen Moment mal alles "besser", aber ist es das wirklich? Nein. Es wird nur alles übernebelt mit dem leichten Schmerz (der, wenn du stärker ritzen würdest, ja noch schwerer würde und dir starke körperliche Schäden zufügen würde), aber gelöst wird gar nichts. Die Probleme sind danach noch da - und gerne auch mal stärker als vorher.

Ich hatte mal eine Schülerin, die, immer wenn sie einen Fehler machte, sich schlug. Fest ins Gesicht. Sie war böse auf sich selbst und setzte sich sehr unter Druck. Und was hat das Schlagen gebracht? Sie wurde nur noch nervöser, die Schläge taten mit Sicherheit weh und das Stück, das sie spielte, ging danach nicht besser. Eine solche Aktion ist einfach sinnfrei, da sie nur destruktiv (zerstörend) und null konstruktiv (aufbauend) ist.

Bei dem, was du da beginnst, ist der Sinn ebenfalls gleich Null. Es baut vielleicht Spannungen ab für den Moment, aber es löst keine Probleme. Die kann man nur anders angehen.

Du schreibst es selbst: du fühlst dich allein. Vielleicht auch etwas unter Druck momentan, da du Sorgen hast und die Schule nicht so läuft. Dazu warst du anscheinend immer jemand, der sogar sehr gut seine Probleme nach außen tragen konnte, um sie zu verarbeiten. Nun ist die Ansprechpartnerin weg (vielleicht wurde es ihr einfach zu viel, das hat dann gar nichts mit dir zu tun) und dir ist somit ein Ventil genommen. Anstatt, dass du diese Punkte nun angehst, sonderst du dich ab und tust dir weh, suchst dir also ein Ventil, das dich sogar noch einsamer macht UND weh tut. Damit signalisierst du deinem Körper ja: "Du hast es verdient!". Stattdessen wäre die andere Richtung das Richtige.

Sprich mit deiner Familie über den Streit, sprich mit den Freunden über deine Sorgen oder mit Menschen, denen du vertraust. Das Ritzthema muss gar nicht unbedingt zur Sprache kommen, denn ich denke, das ist nur ein Ausdruck des Fehlens anderer Möglichkeiten gewesen und wenn diese Möglichkeiten wieder existieren, wirst du davon ablassen können. Wenn du dich alleine fühlst, mach doch nicht den Fehler, dich mit einer Nadel oder einem Messer noch mehr zu isolieren. Bitte um Nachhilfe oder mach eine Lerngruppe mit Freunden/Menschen, die gut in der Schule sind und mit denen du dich verstehst. Sorge aktiv dafür, dass deine Noten sich verbessern können, dass du unter Menschen bleibst.

Dazu kommt, dass du dich selbst wieder liebhaben musst. Auch wenn du dich alleine fühlst, bist du deshalb doch nicht gleich jemand, den keiner will. Du bist kein Niemand, du bist Sofie. Und Sofie hat ein Ritzen überhaupt nicht nötig, da ihr tausend Dinge einfallen werden, wie sie wieder mehr Farbe ins Leben bringt.
Einige davon:

Malen oder Gedichte schreiben als Ersatzventil. Die Bilder oder die Texte dürfen so düster sein, wie es eben sein muss, wenn du dich schlecht fühlst. Schreibe oder male aber auch, wenn du dich gut fühlst, so dass ein gutes Gleichgewicht entsteht.
Bleibe offen, was Freundschaften angeht, kläre die missliche Lage mit deiner Freundin ab (ich weiß ja nicht, was da ist)
Bleibe offen in der Familie - Familie ist so ein wichtiger Rückhalt.
Schon mal an einen Boxsack gedacht? Wenn du Aggressionen und Wut hast, muss man sie nicht unterdrücken, man kann sie rauslassen. Das tut so verdammt gut manchmal!
Vielleicht ein Vereinssport? Etwas mit Menschen zu tun, ist großartig und oft entwickeln sich da auch neue Freundschaften.
Eine AG in der Schule? Finde heraus, was deine Stärken sind, statt deinen Körper schwach zu machen. =)
Habt ihr eine Schulzeitung? Vielleicht magst du für sie schreiben?

Ich habe in dem kurzen Text schon zwei Stärken von dir heraus gefunden.
1. du bist intelligent und selbstreflektiert, das heißt, du kannst ehrlich über dich selbst nachdenken.
2. du bist ein absolutes Ass in Rechtschreibung, super! Dein Text wirkt wie der einer Erwachsenen.

Und ich wette, wenn ich als Fremde schon in ein paar Zeilen zwei Stärken von dir entdecke, dann wirst du, die sich selbst ja seit 13 Jahren kennt, noch viel mehr entdecken! Finde dich wieder, Sofie - und ich bin sicher, du wirst dann keine Nadeln und Scheren mehr brauchen, die sich in deine Haut bohren. Du wirst dir selbst zu schade dazu sein. =)

Alles Liebe und Gute!

Dana