Anwort von Carmen

Liebe Liya,

schön, dass du dich an uns wendest.
Vor nicht allzu langer Zeit hat uns ein Mädchen ziemlich genau das gleiche Problem geschildert. Ich habe es damals nicht beantwortet, sondern nur ein Feedback geschrieben. Ich stütze mich auf diesen Text, also falls du auf der kuka Seite darüber stolperst, ich arbeite nicht mit Copy und Paste, sondern schreibe wirklich an dich und habe einiges geändert :)
Du schreibst, du hast dieses Gefühl schon mit 8 gehabt, das ist durchaus schon eine Zeit, in der man sich seines Geschlechts bewusst wird. Vermutlich wird es jetzt in der Pubertät deutlicher und drängender. Natürlich ist das auch eine seelische Belastung, und wenn du nachts schon weinst, ist es wichtig, dass sich schnell etwas verändert.
Zuersteinmal: Wir reden darüber dass du dich als Transsexuelle siehst, ums mal gleich beim Namen zu nennen. Das bedeutet, du gehörst körperlich eindeutig einem Geschlecht an, fühlst dich aber dem anderen zugehörig und strebst danach auch so anerkannt zu werden, sprich, du willst als Junge leben. Du schreibst nichts darüber, dass du dir nicht ganz sicher bist, ein Junge zu sein oder wie du diesen Wunsch wirklich umsetzten kannst. Trotzdem komme ich zuerst einmal dazu und werde später noch etwas zu dir und deiner Familie schreiben.

Als erstes will ich etwas wichtiges sagen: Der Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung muss gut überlegt sein und sollte nicht leichtfertig ausgesprochen werden. Nur wenn du dich wirklich als Junge und nicht als Mädchen fühlst, nicht nur wenn du vom typischen Mädchenbild abweichst, kannst du diesen Weg gehen. Es ist eine Entscheidung fürs Leben und nicht wieder rückgangig zu machen. Es ist auch heutzutage kein leichter Weg zu einem anderen Geschlecht!

Ein gutes Zitat dazu aus einem der links unten:
"Höchstens jeder zweite Transsexuelle wünscht sich eine Operation. Immer häufiger sind es jedoch Teenager oder sogar Kinder, die mit ihren Eltern auf eine medizinische Behandlung drängen. Sie fürchten sich vor den unumkehrbaren Folgen der Pubertät. Breite Schultern, Bartwuchs, ein männlicher Bass - all dies sind Merkmale eines als falsch empfundenen Geschlechts, gegen die das Skalpell später nichts mehr ausrichten kann. Mitunter schlucken schon Zwölfjährige Hormone, um die körperlichen Veränderungen aufzuhalten.

Die Ärzte stehen vor einem Dilemma: Einerseits drängt die Zeit. Andrerseits können sie sich gerade bei Pubertierenden nicht sicher sein, ob wirklich eine Transsexualität vorliegt. Mitunter steckt hinter dem Wunsch nach einem Geschlechtswechsel auch ein ganz anderes Problem - eine seelische Störung, sexueller Missbrauch oder frühe Anzeichen einer Homosexualität.

Außerdem kann die Pubertät wegen gesundheitlicher Risiken nur für einen begrenzten Zeitraum aufgeschoben werden, bevor sich die oder der Jugendliche endgültig für oder gegen eine Operation entscheiden muss. In Deutschland sind so weitreichende medizinische Maßnahmen bei unter 18-Jährigen nur in Ausnahmefällen erlaubt. Ob sie überhaupt zu verantworten sind, darüber streiten sich noch die Experten."

Damit will ich dir aber keine Angst machen! Viele Menschen sind diesen Weg gegangen und sind sehr, sehr glücklich damit.
Es ist toll, dass es diese Möglichkeit heutzutage gibt und sie wird dir hoffentlich helfen, dich in deinem Körper wieder wohl zu fühlen. Du schreibst einen Text, aus dem der Wunsch wirklich deutlich wird.
Deshalb denke ich, du solltest dich darüber informieren, welche Möglichkeiten es gibt, um deinen Wunsch zu erfüllen. Es ist sicher gut zu wissen, dass du vor dem Beginn jeglicher Therapie mit Experten, vor allem Psychotherapeuten und Psychiatern sprechen musst! Du wirst also Hilfe bekommen, dir deiner Entscheidung sicher zu sein. Und auch deine Eltern werden beruhigt sein, dass sichergestellt wird, ob die Therapie Sinn für dich macht. In deinem Alter ist medizinisch vieles einfacher, als nach dem Abschluss der Pubertät.
Ich werde am Ende des Textes Links anhängen, ich denke da ist viel nützliches für dich dabei.Ich werde jetzt nicht ewig auf Transsexualität eingehen,da du danach nicht fragst. Kann man sich ja auch gut online informieren :)

Jetzt aber zu deinen Eltern. Du willst irgendwas tun und das offene Gespräch vermeiden, sie sollens halt merken.
Meine Meinung? So wird das nichts. Sei ihnen nicht böse! Du magst kurze Haare und hattest eine Freundin. Also ist deine Mama der Meinung, du wärst lesbisch. Ist ja auch naheliegend!. Erwarte nicht von ihr, einfach zu merken, was in dir vorgeht. Du wirst nichts "tun" können. Egal wie viele Hinweise es gibt, auf Transsexualität muss man auch erstmal kommen, als Elternteil. Es gibt viele Lesben, die sich ziemlich jungenhaft kleiden. Deine Mama hat anscheinend schon deine Liebe zu Frauen akzeptiert, auch wenn sie deine Freundin nicht mochte. Das ist schon ein toller Schritt, und du solltest ihn würdigen. Aber vielleicht haben deine Eltern ein ganz falsches Bild von Transsexualität oder es kam ihnen einfach noch nicht in den Sinn. Auch für die tolerantesten, liebevollsten und besten Eltern der Welt, ist es schwierig zu erraten, das ihr Kind transsexuell ist. Und letztendlich willst du doch etwas an der Situation ändern, oder?

Du musst offen mit ihnen reden.
Da führt kein Weg vorbei! Selbst wenn sie etwas ahnen sollten, Menschen sind Meister der Verdrängung!
Also trau dich!
Herausfinden sollen sie es doch, so geht es am effektivsten, ohne Missverständnisse und in einer selbst gewählten Atmosphäre.
Alles, wovor du möglicherweise Angst hast, kann auch passieren, wenn sie von selbst drauf kommen. Ich denke, dann wären deine Eltern auch viel verunsicherter und wüssten gar nicht wie sie mit ihrer Ahnung umgehen sollten.

Mein Rat für das Gespräch:
Informier dich. Schreib dir auf was du wichtig findest, wie du dich fühlst und woher du weißt, dass du ein Junge sein willst.
Dann such dir vielleicht zuerst eine Freundin,einen Freund, einen anderen Verwandten, einen Vertrauenslehrer, ein Kummerkastentelefon. Sprich mit demjenigen durch, was du deinn Eltern sagen willst, quasi als Training und natürlich auch um eine persönlich Meinung und hoffentlich Unterstützung zu finden.
Und dann such dir einen entspannten Tag und sag deinen Eltern, dass du mit ihnen reden möchtest. Nimm deine Notizen mit, vllt. auch einen ausgedruckten Artikel oder so. Möglicherweise hilft die Anwesenheit einer dritten Person, z.B. aus deiner Familie. Du wirst dich erwachsen verhalten müssen, wenn du ernstgenommen werden willst. Keine Anschuldigungen, keine Streitthemen, zeige dass es dir etwas bedeutet.
Am Besten :" Ich möchte mit dir über etwas reden, es ist etwas wirklich Wichtiges und ich möchte das ihr mich ernst nehmt!"
Fall nicht gleich mit der Tür ins Haus. Besser "ich habe lange nachgedacht und bin nicht glücklich, so wie ich bin. Ich habe das Gefühl im falschen Körper zu sein. Ich brauche eure Hilfe, damit ich nicht alleine damit klarkommen muss. Ich könnte Transsexuell sein und möchte zu einem Therapeuten" als "Ich bin ein Junge, Punkt schluss aus." Ich denke der Vorschlag (gemeinsam?) zu einem Psychotherapeuten zu gehen, würde deiner Familie zeigen, dass du nicht einfach in einer "albernen Phase" steckst, sondern dir wirklich Gedanken machst und auch profesionelle Meinung annehmen würdest. Mach ihnen auch bewusst, wie sehr du dich seelisch belastet fühlst.

Und am wichtigsten: Versuch auch ihre Reaktion zu verstehen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sofort sagen "Ja, versteh ich, ich unterstütze dich bei der Entscheidung" (aber ich hoffe es! :) Deine Mama hat eine Tochter geboren, beide haben vielleicht keine Ahnung von Transsexualität und sind verunsichert. Gib ihnen Zeit um das Gespräch zu verdauen und erwarte nicht gleich viel Handlung. Ich bin mir sicher deine Eltern lieben dich und wird dich unterstützen. Sie wollen, dass du glücklich bist!

Falls du wirklich sehr viel Angst vor dem Gespräch hast, kannst du auch einen Brief an deine Familie schreiben.

Sollte sie dich letztlich nicht unterstützen wollen und das Thema ablehnen, versuche Unterstützung durch eine Vertrauensperson zu finden, die deine Eltern respektieren. Sobald diese Person mit ihnen spricht wird klar sein, wie wichtig es dir ist! Du kannst auch jederzeit alleine einen Psychotherapeut aufsuchen, schau dazu am besten bei googlen nach spezialisierten Therapeuten in deiner Gegend.

Ich hoffe, ich konnte dir Mut machen und dich von einem Outing überzeugen. Ich würde mich freuen, wenn du uns nochmal schreibt, wie das Gespräch ausgegangen ist.
Liebe Grüße.
Carmen

Hier die Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Transsexualit%C3%A4t (grundlegendes)

www.trans-eltern.de (forum, für euch beide. Hilft deinen Eltern sicher auch zu sehen, dass sie und ihr nicht alleine seid!)

http://www.stern.de/gesundheit/transsexuelle-fremd-im-eigenen-koerper-1521741.html (sehr guter Artikel)

http://www.spiegel.de/schulspiegel/leben/als-junge-im-falschen-koerper-aus-janina-wird-jan-a-546503.html (Wohnprojekt)

http://www.transsexuell.de/start.shtml

http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/transsexualitaet-gefangen-im-falschen-koerper-1464243.html (Problematik des Alters und der Therapie)

http://www.stern.de/gesundheit/4-transsexuelle-fremd-im-eigenen-koerper-1521741.html