Problem von Anonym - 18 Jahre

Gefangen im Weltbild der Familie

Die Bibel war das erste Buch, das mir in die Hand gedrückt wurde, bevor ich überhaupt lernte zu lesen. Nachdem ich übelst indoktriniert worden bin, wurde aus mir ein christlicher Fundamentalist, genau wie meine Eltern es sind. Sie gehören einer in den USA entstandenen, christlichen, kreationistischen Glaubensgemeinschaft an und ich verteidigte diese Weltanschauung mit Vehemenz. Diese Erziehung machte mich intolerant und engstirnig.

Ich ging sogar so weit, Grausamkeiten aus dem Alten Testament gutzuheißen. Meine religiöse Überzeugung verdarb mein Moralgefühl. Es gab bestimmte Fragen, die man am besten nicht stellen sollte/durfte und Dogmen, die als absolute Wahrheiten galten/gelten.

Seit über einem Jahr hat es in meinem Kopf *klick* gemacht. Ich verstand die Evolutionstheorie Darwins und die Eleganz dieser Erklärung. (Ich las heimlich und mit anfangs schlechtem Gewissen allein in der Bibliothek "Die Entstehung der Arten") Ich verstand, dass die Komplexität des Lebens das Produkt aus Zufall und Notwendigkeit ist. Ich verstand, dass unser Planet nicht der Mittelpunkt des Universums ist.

Was aber das Wichtigste war: Ich verstand, dass es nicht vernünftig ist, sein Leben nach einem archaischen Buch zu richten. Ich bemerkte die Unzulänglichkeiten der Bibel. Sie mag lediglich literarisch interessant sein.

Jetzt, wo ich meine religiöse Last abgeworfen habe, spüre ich eine Befreiung von sinnlosen Pflichten, Zwang, Dogmen, Schuldgefühlen, Ignoranz und so weiter. Ich habe meinen Fundamentalismus hinter mir gelassen.

Im Haus meiner Eltern sind folgende Dinge verpönt und verboten: Bücher und Filme, die um Fantasy, Science-Fiction, Zauberei handeln. Außerdem sind Romane jeglicher Art verboten, weil sie angeblich das Hirn mit unwichtigen Dingen "vernebeln".

Meine Eltern vertreten so obskure Ansichten, dass ich manchmal denke, ich befinde mich in einer Irrenanstalt. Aber das auszuführen, würde den Umfang des Textes verdoppeln.

Wenn meine Eltern meinen Gesinnungswandel bemerken würden, dann würden sie mich garantiert verstoßen, wahrscheinlich noch nicht einmal mehr in die Augen blicken. Ich fühle mich so eingeengt wie in einem Gefängnis. Ich kann nicht Ich selbst sein und werde bald wahnsinnig. Der Druck ist so groß.

Bernd Anwort von Bernd

Lieber Unbekannter,

Jede Art von elterlicher Einflussnahme kann grundsätzlich 3 ganz unterschiedliche Ergebnisse zeitigen: die komplette (kritiklose) Übernahme des vermittelten Gedankengutes; die komplette Ablehnung und (genauso kritiklose) Übernahme des kompletten Gegenteils [wenn meine Eltern auch so denken, muß es also falsch sein!]; und die kritische Reflektion, die es notfalls auch zulässt, dass sich die Eltern nicht überall nur getäuscht haben!

Dieser Gedanke kam mir, als ich diesen Deinen Satz gelesen hatte:

"Jetzt, wo ich meine religiöse Last abgeworfen habe, spüre ich eine Befreiung von sinnlosen Pflichten, Zwang, Dogmen, Schuldgefühlen, Ignoranz und so weiter. Ich habe meinen Fundamentalismus hinter mir gelassen"

"Last abwerfen" und "sich befreien" sind ganz tolle Sachen! Aber:

Freiheit bedeutet auch, sich selber die Grenzen zu setzen, die ein unbeschwertes Miteinander mit der Durchsetzung unserer eigenen Gedanken (Gefühle, "Gesetze"[?]) in Einklang zu bringen versucht?!

Du wirst das alte Testament nicht ganz loswerden, wenn Du nicht für Dich den ersten Brief an die Korinther Kapitel 13 dagegensetzen kannst?

http://www.deutsche-liebeslyrik.de/gottesliebe/gottesliebe_korinther.htm

Es ist richtig, dass Du Dich über "Indoktrination" erhebst!

Aber bitte werfe nicht nur "Lasten" ab! Fülle die Leerstellen mit eigenen, positiven Inhalten!
Freiheit heißt immer auch "Eigenverantwortung"! Es gibt keine Freiheit, die uns nicht auch Verantwortung bringt!

Hast Du gefühlsmäßigen Zugang zu dem Text in meinem link?
Kannst Du Dir vorstellen, diesen Text mit Deinen Eltern zu besprechen? Zu diskutieren?

Heute kann ich Dir nur einige Gedanken und Fragen zurückgeben!

Schreib mir gerne nocheinmal! Und ich werde diese Diskussion gerne wieder aufnehmen!

Alles Liebe,

Bernd