Problem von Tobias - 18 Jahre

Online Spielsucht, oder doch nicht?

Guten Tag und Grüße an das ganze Team,

mein Problem dreht sich um Online Rollenspiele, genauer gesagt um "World of Warcraft", vielleicht ist das ja dem einen oder anderen ein Begriff.
Dieses Spiel spiele ich jetzt seitdem ich 10(!) Jahre alt bin. Zu dem Spiel bin ich damals durch meinen Bruder gekommen, der hatte das damals nämlich auch gespielt und hat mich direkt dafür begeistern können.

Momentan habe ich Ferien und Spiele das Spiel ungefähr 12 Stunden am Tag oder mehr. Normalerweise stehe ich immer so um 9.00 Uhr auf und gehe um Mitternacht ins Bett, was bedeutet, dass ich rund 3 Stunden für andere Aktivitäten ausnutze - Sport, Freunde und so weiter.

Ich weiß nicht genau, ob man das bei mir als Spielsucht betiteln kann. Alles was ich zu tun habe wird erledigt, sei es Schularbeiten, Hilfe im Haushalt oder sonstige Leistungen, erst danach wird gespielt - und dennoch kommen dabei solch enorm hohe Spielstunden am Tage zusammen, während der Schulzeit sind es oft auch mehr als 6 Stunden.

Probleme in der Schule hatte ich bisher auch nie, ich wiederhole zwar das letze Schuljahr, das hat aber mit Todesfällen - ja, leider Mehrzahl - in meiner Familie zu tun.

Mein Problem an der ganzen Sache ist, dass mir das Spiel viel mehr Spaß macht als ständig etwas mit Freunden zu unternehmen, das war auch der Punkt wo ich gedacht habe, es könnte sich doch um eine Sucht handeln. Denn eigentlich freut man sich doch, wenn mal ein Kumpel vorbeikommt, aber bei mir ist das oft nicht der Fall, weil ich weiß, dann machen wir wieder das und das und im Endeffekt würde es mir mehr Spaß machen vor dem Computer zu sitzen.

Jetzt bin ich ein wenig unschlüssig: Könnte es sich um eine unterbewusste Sucht handeln oder habe ich einfach nur Langeweile und bin nicht in der Lage mit sozialen Kontakten mehr Spaß zu haben als mit einem Computerspiel?

Vielleicht habt ihr ja ein paar Tipps für mich, Anlaufstellen um vielleicht mit einem Spezialisten das ganze mal ausführlich durchzukauen - ich bin mir nämlich nicht sicher, ob das alles so normal ist.

Mit freundlichen Grüßen,

Tobias

Florian Anwort von Florian

Hallo Tobias

Danke das Du Dich mit Deinem Problem an uns gewandt hast.

Was zunächst Deine grundlegende Frage betrifft, ob Du an einer Computerspielsucht leidest oder nicht, so muss ich zuerst darauf hinweisen, dass wir keine verbindlichen Aussagen zu solchen psychiatrischen Krankheitsbildern machen können. Ich werde trotzdem versuchen, Dir einen gewissen Überblick zu verschaffen, der Dir auch zu einer besseren Selbsteinschätzung verhelfen soll.


Um eine bessere Einschätzung zu bekommen ist zunächst wichtig zu wissen welche Symptome überhaupt eine Computerspielsucht hat. Als typische Symptome werden immer wieder nachfolgende genannt:

- Verwendung eines hohen Zeitaufwandes für das Spiel bzw. um zu Spielen
- aggressives Verhalten bei Entzug oder Störung des Spiels
- Verlust des Zeitgefühls -> Stunden des Spiels fühlen sich an wie wenige Minuten, Termine und Fristen werden nicht eingehalten
- Soziale Isolation -> wenige bis keine Freundschaften, keine Unternehmungen mit Anderen außerhalb des Spiels, mehr virtuelle Freunde als reale Freundschaften
- Gedanken im Alltag kreisen nur um das Spiel bzw. ums Spielen
- Leugnung der Spielsucht -> auch wenn durch Verwandte oder Freunde darauf hingewiesen wird
- Verwahrlosung -> Vernachlässigung der Körperhygiene, der Nahrungsaufnahme sowie der Arbeit bzw. Schule und des Haushaltes

Vergleichen wir das nun mit Deiner Nachricht:
Die von Dir erwähnte Zeit, 12 Stunden in den Ferien und 6 Stunden während der Schulzeit, nur mit dem Spiel zu verbringen, ist bereits ein deutliche Hinweis darauf, dass eine Sucht vorliegt. Auch das Du mehr Spaß durch das Spielen als mit Deinen Freunden erlebst und Du Dich somit auch sozial isolierst ist ein sehr ernstes und deutliches Warnsignal. Mit Langeweile hat dies nichts mehr zu tun, sondern es ist eine klare Abhängigkeit vorhanden!

Hinzu kommt, gerade auch bei einer Sucht die schon fast Dein halbes Leben(!) lang vorliegt, dass sich eine gewisse Bewusstseinsveränderung eingestellt hat. So nimmt normalerweise der Spielspaß bei einem Computerspiel nach der ersten Woche rapide ab. Vielleicht wird dies noch durch ein paar Add-Ons immer wieder nach oben gesetzt, aber der Spaß wird nie wieder so groß sein wie beim aller ersten Mal des Spiels. Wenn das vom Unterbewusstsein erkannt wird, werden wir in der Regel das Spiel weniger bis gar nicht mehr spielen.
Bei einem Süchtigen jedoch, glaubt das Unterbewusstsein fest daran dieses Glückserlebnis und die Freude vom ersten Mal Spielen immer wieder erleben zu können. Er spielt also immer weiter und immer mehr. Dabei kann er das Glückserlebnis aber nicht wiederholen. Das Unterbewusstsein muss aber trotzdem das Bewusstsein weiter motivieren, da dieses sonst unterbrechen würde. So täuscht das Unterbewusstsein dem Bewusstsein Spaß vor, wo aber kein Spaß ist. So ist eine Sucht entstanden.

Auf Deine Situation bezogen bedeutet das, dass der Spielspaß den Du glaubst beim Spielen zu haben, eigentlich gar nicht vorhanden ist. Dein Bewusstsein wurde einfach immer wieder hereingelegt und das mit Erfolg.
Trotzdem kannst Du genau das unterbrechen! So auch in dem Moment, als Du festgestellt hast wie viel Zeit Du eigentlich zum Spielen aufwendest und selbst erkannt hast das es eigentlich doch sehr viel ist. Daraus hat sich dann die aktuell noch zweifelnde Selbsterkenntnis gebildet, dass Du möglicherweise an einer Computerspielsucht leidest. Und so predigt es jeder Suchtberater: "Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung"
Du bist nun sogar einen Schritt weiter gegangen und hast uns um Hilfe gebeten. Du suchst also bereits nach Antworten und Hilfe zum Thema Sucht bzw. Computerspielsucht.


Die Frage ist nun also, was Du weiter tun kannst.
Ein wichtiger Schritt wäre Dich an einer Suchtberatungsstelle zu melden. Es gibt unterschiedliche Anbieter die vom Roten Kreuz, der Caritas oder anderen Institutionen oder Vereinen (Links werden unten angegeben) betrieben werden. Diese bieten erste wichtige Beratungen mit geschulten Mitarbeitern. Dabei wird geklärt ob eine Sucht vorliegt, wie stark diese ist und welches weiteres Vorgehen am Besten für Dich wäre. Diese Hilfen sind in der Regel ehrenamtlich und anonym.
In einem weiteren Schritt kommt meist der Gang zum Psychotherapeuten oder Psychiater. Diese versuchen der Ursache für Deine Sucht auf den Grund zu gehen und diese letztlich mit Dir zusammen auszuräumen. Sie bekämpfen also Deine Sucht an der Wurzel. Die Kosten übernimmt eigentlich immer die Krankenkasse.

Nachfolgend ein paar Links für (die Suche örtlicher) Suchtberatungsstellen

http://www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/suchtberatung/suchtberatung
http://www.drk.de/angebote/hilfen-in-der-not/suchtberatung.html
http://www.suchtmittel.de/seite/interaktiv/suchtberatung/
http://www.internetsucht-hilfe.de/

Weiter wäre es durchaus hilfreich, sich einer Bezugsperson mit diesem Problem zu öffnen. Egal ob die Eltern, ein Freund oder auch ein Lehrer ist. Darüber zu sprechen kann, durch das Offenlegen der Sucht, helfen die Sucht bereits im Vorfeld etwas einzudämmen. Darüber hinaus ist es möglich das Verwandte, Freunde oder Bekannte bereits ähnliche Erfahrungen (vielleicht mit einer anderen Sucht) gemacht haben und dadurch hilfreiche Tipps geben können.


Dies sind alles Möglichkeiten die Dir helfen werden Deine Sucht zu besiegen. Ob Du diese Möglichkeiten nutzt, liegt nun alleine bei Dir.

Ich hoffe Dir etwas weitergeholfen zu haben und wünsche Dir viel Erfolg und alles Gute. Ich würde mich freuen wieder etwas von Dir zu lesen.


Gruß

Florian