Problem von Nikolaus - 26 Jahre

Early Life Crisis

Hallo Kummerkasten,

ich heiße jetzt Nikolaus, bin zwischen 20 und 30 Jahren alt, komme aus dem Ruhrgebiet und habe (nach meiner eigenen Einschätzung) Schwierigkeiten in diversen "Problem-Kategorien", zwischen denen auf eurer Internetseite unterschieden wird.
Im meinem aktuellen Lebensabschnitt kämpfe ich besonders mit meinem unausgeprägtem Selbstbewusstsein, fehlender Motivation/Wille für Schule & Job und Drogen- & Onlinespielsucht.
Um einen besseren Einblick zu verschaffen, möchte ich versuchen einige Situationen aus meinem Leben nachzuerzählen.
Ich kam als erster Sohn und mit mehr als einer/einem Schwester/Bruder zur Welt. Meine Eltern beschrieben mich als ein verhaltensunauffälliges Kind. (keine Hyperaktivität)
Verhaltensauffällig wurde es wohl erst mit dem Beginn der weiterführenden Schule. (5.-10. Schuljahr)
Durch einen besonderen Umstand wurde ich nach dem ersten Tag der Einschulung einer anderen Klasse zugeordnet, in der es mir nicht leicht gemacht wurde, mich zu integrieren.
Die Situation als Steilvorlage nehmend, geriet ich zwischen einige Mobber, die mich mit verbaler und körperlicher Gewalt ziemlich unglücklich erzogen.
Nachdem die von mir erfundenen Notlügen über Bauchschmerzen und immer wieder ausfallende Unterrichtsstunden verbraucht waren, kam es zu einem Gespräch mit Lehrern und Beteiligten, das zu nichts führte.
Bis zum Ende des 10. Schuljahres blieb ich in dieser Situation. Ich erinnere mich an keine weiteren konkreten Versuche, diese Situation noch zu verbessern. Ich wurde ziemlich still, introvertiert und habe isoliert. Aus Scham, Reststolz und unausgeprägtem Reflektionsvermögen, kam ich nie dazu meinen Eltern zu vermitteln, wie schlimm das alles wirklich für mich war.
Meine Lehrer prognostizierten mir einen wackeligen Hauptschulabschluss. Mit einem Realschulabschluss ging ich dann von der Schule. Trotz des älteren Hinweises eines Kinderpsychologen, zumindest das Abitur schaffen zu können.
Die folgenden Jahre kann ich nur zusammenfassend nacherzählen.
Ich habe es auf zahlreichen Schulen mit unterschiedlichsten Modellen und Berufswünschen versucht. Der Großteil dieser Versuche endete in Schulschwänzerei, die ich mit Zuspruch meiner Eltern auf Unterforderung meinerseits schob.

Zu den Errungenschaften dieser Zeit gehört der erfolgreiche Besuch einer Abendschule, um meinen Abschluss zu verbessern. Und eine mehrjährige Tätigkeit bei einem Existenzgründer, die allerdings sehr differenziert betrachtet werden muss um Aussagekraft zu erhalten.
Außerdem fühlte ich mich nicht mehr so introvertiert wie früher. Ich habe viel Lob für Sport, Einfühlungsvermögen, Kreativität und Sprache bekommen.

Nun, trotz dieser Teilerfolge sehe ich mich heute hier sitzen als Sozialleistungsempfänger ohne Zukunft in naher Zukunft. Und trotz des reflektierten Wissens um die Vergangenheit und des gestiegenen Alters, bekomme ich diese Probleme nicht in den Griff.

In Folge des Mobbings in früheren Jahren habe ich mir einen sehr unvorteilhaften Freundeskreis selektiert, der – was meine Probleme betrifft – absolut kontraproduktiv ist. Ich habe keine engen Freunde im klassischen Sinne.
Ebenso fehlt es mir seit langem an einer Liebesbeziehung. Es ist nicht nur, dass ich nicht den nötigen Mut entwickeln kann, sondern auch, dass ich die Angst habe zu versagen. Die Begierde ist natürlich umso größer. Sexuelle Triebe lebe ich überwiegend in kompletter Eigenregie aus.
Die psychische Komponente ist für mich nur schwer einschätzbar. Meine Ideen gehen in Richtung sozialer Phobie, Depressionen oder ADHS. Die Erkenntnis ziehe ich aus dem Vergleich zwischen meinen Lebenserfahrungen und den genormten Krankheitsbildern im Internet.
Ein paar oberflächliche Sätze zu meinem Drogenkonsum: Ich kam ziemlich früh mit Nikotin (Zigaretten) in Kontakt. Am Ende meiner Teenie-Laufbahn begann ich mit Cannabis. Sehr viel und bis in die Gegenwart. Beschaffungskriminalität im kleinen Rahmen gegeben.


Sonstige Punkte, die eventuell relevant/interessant sind:

Mutter hatte ähnliche Probleme
Intelligent
Sehr verträumt
Sehr vergesslich (Wichtige Geburtstage, wichtige Treffen, Versprechen)
Sehr unzuverlässig
Sehr emotional/sensibel (Des öfteren Stimmungsschwankungen)
Sehr zynisch/sarkastisch
Sehr altruistisch (Oder eben extrem egoistisch, je nach Weltanschauung)
Sehr kreativ (Ausgeprägte Phantasie)
Sehr neugierig
Sehr weltoffen (Pazifist, Kosmopolit)
Lebt in der Gegenwart, denkt nicht an die Zukunft
Er bringt nie etwas zu Ende.
Er schadet sich immerwieder selbst.


Abschließend möchte ich mich schon einmal bei jedem bedanken, der sich die Zeit nimmt um zu versuchen mich zu verstehen.
Die Ausprägung meiner Auffälligkeiten hat mich schon vor einiger Zeit zu dem Ergebnis kommen lassen, dass ich mir nicht mehr selbst helfen kann.
Eine solche Hilfe dann aber auch außerhalb meines rundlichen Kopfes in Anspruch zu nehmen, das fällt mir unheimlich schwer.

Glück Auf!

Carmen Anwort von Carmen

Lieber Nikolaus,

vielen Dank, dass du dich an uns wendest. Als ich deinen Text gelesen habe, war ich zuerst einmal beeindruckt. Von der Sprache, aber vor allem von der Analyse deiner selbst.
Du zählst alles auf: Probleme in der Schulzeit, die Folgen für deine Entwicklung, die sowohl erfolgreichen als auch erfolglosen Bildungswege, Charakterzüge, Weltanschauungen, Freundeskreis, Beziehungsprobleme, Drogenkonsum und deine aktuellen Probleme.
Du stellt sogar fest, dass du Hilfe von außen brauchst.
Aber in deinem Text fehlt trotzdem etwas. Motivation zur Veränderung. Du schreibst in keinem Satz, was du dir wünscht. Deine Ziele, deine Pläne oder deine Träume.
Es ist toll, dass du verstehst was falsch läuft und wo deine Probleme liegen. Aber das ist nur ein erster Schritt. Es klingt, als ob dir Wille, Kraft und Antrieb dafür fehlen, wirklich etwas an deiner Situation zu ändern.
2 Teile deines Textes sind mit besonders aufgefallen:
"Nun, trotz dieser Teilerfolge sehe ich mich heute hier sitzen als Sozialleistungsempfänger ohne Zukunft in naher Zukunft. Und trotz des reflektierten Wissens um die Vergangenheit und des gestiegenen Alters, bekomme ich diese Probleme nicht in den Griff."

"Die Ausprägung meiner Auffälligkeiten hat mich schon vor einiger Zeit zu dem Ergebnis kommen lassen, dass ich mir nicht mehr selbst helfen kann.
Eine solche Hilfe dann aber auch außerhalb meines rundlichen Kopfes in Anspruch zu nehmen, das fällt mir unheimlich schwer."

Der erste Satz zeigt nur,wie resigniert du bist. Der zweite aber, klingt schon etwas nach Aufbruch.
Ich bin mir sicher, dass du deine Probleme lösen kannst. Dein Text ist intelligent und deine differenzierte Betrachtung bemerkenswert. Ich bin der Meinung, dass du wirklich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen solltest. Es ist normal, dass es Menschen schwer fällt, sich Hilfe zu suchen und sie anzunehmen. Aber dafür gibt es keinen Grund. Du gehst zum Arzt, wenn du dir das Bein brichst und zum Psychotherapeuten, wenn die seelischen Probleme zu groß werden und in Eigenregie nicht mehr gelöst werden können. Daran ist nichts peinliches, nicht unmännliches und nichts schlechtes. Ich kann dir viele Argumente aufzählen, warum du einfach bei Google einen Psychotherapeuten in deiner Stadt suchen und einen Termin ausmachen solltest. Einige meiner Freunde haben mit Hilfe einer Therapie eine neue und glückliche Richtung eingeschlagen. Auch wenn es schwer fällt, es hilft wirklich. Ich kann dich aber nur schubsen, den eigentlichen Schritt musst du selber tun.
Es geht mir nicht wirklich darum, dass jemand dir eine Diagnose stellt. Du brauchst jemanden, der dir hilft, aus all deinen Erkenntnissen auch Nutzen zu ziehen und mit Mut und Lebensfreude Veränderungen in Angriff zu nehmen.

Ich denke, es würde dir helfen, große Aufgaben in kleine zu unterteilen. Nimm die ein Blatt Papier und schreibe Dinge auf, die du erreichen willst. Zum Beispiel der Gang zum Therapeuten. Dann unterteile die Aufgabe: Zuerst die Recherche nach Namen und Nummern. Dann überlege dir, an welchem Tag du kannst, wie lange du auf einen Termin warten würdest. Was du am Telefon sagen willst. Und dann der Anruf. Und zuletzt hinfahren. Du kannst auch für jede Aufgabe eine Belohnung einplanen, die dich motiviert. Ich hoffe, ich beleidige damit nicht deinen Intellekt, aber du hast offensichtlich (und schon selbsterkannt) ein Problem damit, Dinge nicht nur zu betrachten und zu beurteilen, sondern auch in Angriff zu nehmen und zu Ende zu bringen.

Natürlich wird ein Therapeut nicht mit einem Schlag alle Probleme lösen. Aber es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Es gibt auch noch andere Dinge, die du selbst in Angriff nehmen kannst. Zum Beispiel dein Freundeskreis. Vielleicht fällt dir ein Sport oder eine Veranstaltung ein, bei der du Bekanntschaften schließen könntest. Ein Sport kann auch neue Motivation bringen. Mir ist klar, dass das für einen introvertierten Menschen nicht einfach ist. Aber auch hier könntest du dir kleinere Teilaufgaben stellen und mit ein wenig Geduld, erstmal einen Bekanntenkreis aufbauen, der nicht so kontraproduktiv ist.
Außerdem will ich noch auf deinen Cannabiskonsum eingehen. Ohne irgendwas zu predigen, Gras verstärkt schon einige der Dinge, die dich behindern. Träumerisch, gegenwartsbezogen und etwas vergesslich und unzuverlässig zu sein ist nicht schlimm. Außer, es führt dazu, dass du nicht wirklich weiterkommst und in deinen Problemen versinkt. Es wäre schon hilfreich, wenn du den Konsum verringerst und nur dann kiffst, wenn danach nichts mehr ansteht.

Vielleicht wunderst du dich, warum ich nicht wirklich auf deinen Charakter und deine Probleme eingehe. Das liegt daran, dass ich ohne Ausbildung keine Diagnose stellen kann und will. Ich denke, du hast wirklich schon gut erkannt, wo deine Probleme liegen und hoffe, dir genügend Schwung und Denkanstöße gegeben zu haben, damit du endlich eine Veränderung in Angriff nimmst. Ich sehe nämlich kein unüberwindbares Hindernis. Du hast eine Zukunft. Es gibt keinen Grund, anders zu denken. Gehe die ersten Schritte und lass dir helfen.

Viel Kraft und alles Gute,
Carmen












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Klar, Mobbing ist scheiße, es ist schlimm, dass du sowas in der Schulzeit durchmachen musstest. Aber es liegt lange zurück, und du hast schon einiges verändert. Warum du wirklich auch später noch die Schule geschwä