Problem von Anonym - 18 Jahre

Ich denke, ich bin nicht für die Welt geschaffen...

Tag für Tag vergeht und nicht ein Tag ist darunter, an dem ich nicht Hass verspüre. An dem ich nicht andere ächte und verachtet werde. Ich habe Probleme mit meinen Mitschülern, mit den wenigen Freunden die ich habe, als auch mit mir selbst. Ich bin fest davon überzeugt, dass das was meine Mitmenschen sich manchmal leisten komplett unmoralisch, dumm und eingebildet ist. So gibt es einen Schüler, der meine Schultasche an einen Pfahl festgebunden hatte, meine Flasche zerstochen und mir komplett falsche Dinge weitergegeben hat, damit ich zu spät zum Unterricht komme. 5 Jahre lang hat er mir das Leben erschwert, mit noch vielen anderen unnötigen Streichen. Egal wie sehr ich drum gebeten hatte - er hat nie aufgehört. Ich wünsche mir seinen Tod, als auch den von anderen Schülern - weiß aber das Gewalt zu nichts führt und staue deswegen meine Wut in mir. Nur ich weiß nicht, wie lange ich sie halten kann. Ich glaube stehts daran, dass ich ein guter Mensch bin. Schließlich habe ich all dies hingenommen, wurde zwar wütend aber habe nichts getan. Vielleicht hat es ihm deswegen so sehr gefallen. Aber vielleicht bin ich auch ein Arschloch der zuviel oder das Falsche von seinen Mitmenschen erwartet. Vielleicht bin ich auch derjenige, der defekt ist. Nachdem was ich erlebt habe, weiß ich nicht ob mein Urteilsvermögen gerecht ist. Mein Vater hat schließlich meine Mutter betrogen und hat nun eine neue Familie. Er war einst mein Vorbild. Meine erste richtige Liebe war zusamm mit einem "Freund" von mir, meine erste feste Freundin hatte mich mit einem weiteren "Freund" betrogen. Liebe verstehe ich schonmal gar nicht. Dafür kenne ich Armut und Rassismus umso besser. Wir sind relativ arm, als Sohn eines deutschen Vaters und einer asiatischen Mutter bin ich weder ein vollwertiger Deutscher noch ein richtiger Asiate. Eher so ein Mischding und in jedem Land der Tourist oder ein verdammter Kanacke.
Gesundheit kenn ich auch nur bedingt - schließlich habe ich einen Tumor am Rücken und blute ab und zu gerne mal. Dies wird wahrscheinlich noch viele Monate zum heilen brauchen. Zumindest habe ich die OP überstanden. Ich danke ihnen wenn sie sich wirklich die Zeit genommen haben, um dies zu lesen und würde mich wirklich zu sehr freuen darüber...wenn sie antworten würden.

Dana Anwort von Dana

Lieber Unbekannter!

Ich habe dein Problem sehr aufmerksam gelesen und kam am Ende zu folgendem Schluss:

Schade.

Schade, dass er aus dem, was ihm widerfährt, den Schluss zieht, dass ER vielleicht defekt ist. Schade, dass es Menschen gibt, die ihn so an seinem Leben und sich selbst zweifeln lassen, dass er den Titel wählt "Ich denke, ich bin nicht für die Welt geschaffen". Das macht mich richtig traurig.

Ich möchte gerne ein paar Dinge "aufdröseln", versuchen, dir das Verarbeiten leichter zu machen...und dir helfen, dein ICH wieder gut zu finden.

Zuerst ein paar Fakten, die sich mir aus deinem Text heraus erschließen:
- du fühlst dich entwurzelt. Als "Mischling" nirgends zugehörig.
- du fühlst dich noch mehr entwurzelt, weil dein Vater dich enttäuscht hat und sich abgewandt hat von der Familie.
- du bist arm und wirst oft schlecht behandelt, weil du Halbasiat bist.
- du hast eine riesige Wut in dir, kannst sie aber noch kontrollieren, obwohl sie sehr stark ist.
- du wünschst gewissen Menschen den Tod, weißt aber (glücklicherweise), dass Gewalt nichts bringt
- du wirst gepiesakt und fühlst Hass.
- du kannst nicht vertrauen, weil du schon mehrfach betrogen wurdest und kennst keine Liebe.
- du bist momentan physisch geschwächt, weil du eine Wunde hast, die heilen muss.
- du bist momentan psychisch geschwächt, weil du auch innerlich eine Wunde hast, die momentan nicht heilen kann.

So. Das ist das, was ich aus deinem Brief an uns heraus gelesen habe. Zum Teil steht es wörtlich drin, zum Teil spürt man es.

Es gibt eine Sache, die ich gut finde.
Du hast so viele Dinge, die dich momentan runterziehen, aber nirgends lese ich: "ich hab mich dann geritzt" oder "ich will sterben". Viele Menschen ziehen ihre Aggressionen in sich, richten sie gegen sich selbst. Das tust du nicht. Du würdest am liebsten dem einen Jungen unglaublich in die Fr...schlagen und ich wette, das hast du dir auch schon vorgestellt. Das bedeutet, du hast theoretisch einen GUTEN Selbstwert, auch wenn das momentan nicht so aussieht. Du hast zwar Gedanken, ob irgendwas mit dir nicht stimmt, aber du siehst klar, wer die Schuld daran hat, dass es dir mies geht. DU zum Großteil nicht. Das können die meisten anderen nicht, sie klappen in sich zusammen. Du hingegen ballst die Faust und entwickelst Wut nach außen, nicht gegen dich selbst. Das ist echt gut und ein großer Vorteil, denn so kannst du arbeiten und VERarbeiten.

Es gibt nun drei Menschen, zu denen ich dir etwas schreiben möchte.
1. zu diesem Jungen
2. zu deinem Dad
3. zu dir.

1. dieser Junge. Er plagt dich, er piesakt dich, er geht dir unglaublich auf die Nerven.
Du denkst, du hättest vielleicht einen Defekt, dass er so mit dir umgeht. Sicher nicht. Im Gegenteil. Wahrscheinlich befürchtet dieser Junge sogar, dass du einen ZU guten Stand bekommen könntest, wenn er dich nicht immer wieder in den Dreck stößt. Sich selbst erhöhen, indem man andere erniedrigt, ist die absolut ärmste Form, um sich auf einer Position zu halten. Indem du nichts tust, zeigst du ihm, wie ärmlich das ist. Er rastet innerlich wahrscheinlich fast aus, weil du dich nicht provozieren lässt. Du bist anders als er. Und viele Menschen entwickeln Ängste vor dem, was anders ist. Sie verstehen es nicht und reagieren mit Aggression. Dein Mitschüler ist so. Das ist traurig und schlimm...aber sicher nichts, was dich abwertet, sondern ihn. Er ist nicht in der Lage, sich mit dir fair auseinander zu setzen. Und ich denke, das liegt daran, dass er genau weiß, dass er auf eine andere Art sich entweder eingestehen müsste, dass du gar nicht so doof bist, oder noch schlimmer: dass er verlieren könnte.

Du bist intelligent, das merkt man. Und wenn du intelligent und eher ruhig bist und zurückhaltend, kann das bei anderen dann auch mal als "Arroganz" gewertet werden, was sich aber sofort verflüchtigt, wenn man mit demjenigen dann auch mal spricht und ihm eine Chance gibt. Das fordert aber Offenheit und den Mut, sich auf etwas einzulassen, das man nicht einschätzen kann. Und diesen Mut scheint dieser Junge nicht aufbringen zu können.

Seine ganzen Aktionen sind also nur Zeichen einer gewissen Hilflosigkeit dir gegenüber, die er nicht anders gefasst kriegt als in diesen Sinnlostaten, die dir auf den Wecker fallen und dir ein schlechtes Gefühl geben. Wie du jetzt damit umgehen wirst/sollst/kannst, ist deine Sache, da rede ich dir nicht rein. Wenn es dir zu dolle wird, schnapp dir den Typen mal, wenn er alleine ist. Und dann frag ihn direkt: "hast du Angst, mich einfach kennen zu lernen, oder warum willst du mich unbedingt dumpen?" Angriff ist oft die beste Verteidigung.

2. dein Dad.
Dein Dad hat für sich einen neuen Weg eingeschlagen, auf dem deine Mutter nicht mehr vorkommt. Hier musst du unterscheiden zwischen "Vater" und "Mann". Sicher, es war keine Heldentat, deine Mutter zu betrügen. Es war falsch. Klare Schnitte sind immer besser. Aber manchmal kann man das Gefühlschaos in einem selbst erstmal gar nicht richtig ordnen und dann passiert es einfach. Fremdgehen und seine Frau verlassen, stempelt einen nicht zum Komplett-Arschloch. Da sind viele Probleme und viele Fakten maßgeblich.

Dein Vater ist eben nicht nur ein Dad. Er ist auch ein Ehemann gewesen (oder ein Lebensgefährte). Als Vater hat er dir gegenüber gewisse Pflichten und du kannst Rechtfertigung fordern (zB für den Fall, dass er dich nicht sehen will oder dass er sich als Vater unmöglich verhält). Als MANN jedoch ist er völlig unabhängig dir gegenüber. Wenn er in der Beziehung zu deiner Mutter unglücklich war, dann ist das eine Sache zwischen den beiden. Ich bin mir sicher, dass sie dir auch nicht genauestens erzählt haben, was los war, bzw dass dein Vater sicher nicht über sein innerstes Seelenleben mit dir gesprochen hat. Vielleicht war er sehr unglücklich? Vielleicht ging es ihm nicht gut in der Beziehung und er hat nach einem Ausweg gesucht? Deine Mum kann eine Superliebe und Supernette sein, aber vielleicht gab es einfach Beziehungsprobleme, die du nicht überschauen kannst?

Die Liebe zu deiner Mum war weg und er hat sich für eine neue Beziehung entschieden. Aber hat er DICH wirklich verlassen? Ist es wirklich so, dass er nun auch keinen Kontakt mehr zu dir möchte? Oder ist es nicht eher so, dass du ihn als Verräter siehst und ihn aus deiner Vorbilder-Kartei gestrichen hast? Wenn er dich mit abgesägt hat, ist er ein schlechter Vater und deine Wut ist berechtigt. Wenn er aber "nur" die Beziehung verlassen hat und du jederzeit zu ihm könntest, dann ist er keiner. Eltern, die nicht mehr miteinander klar kommen, trennen das oft von ihren Kindern. Die Kinder sind weiter ganz normal in ihren Herzen - und die Trennung der Beziehung tut dem keinen Abbruch. Daher möchte ich dich bitten, in dem Punkt fair zu sein. Und wenn es wirklich so ist, dass dein Vater einfach gegangen ist, ohne dir einen weiteren Weg mit ihm anzubieten, dann ist er wirklich jemand, der keinen Gedanken mehr verdient. Allerdings ist auch DAS dann ein Armutszeichen deines Vaters - und kein Grund, sich selbst unperfekt zu fühlen. Da spielen dann ganz andere Dinge mit hinein, nicht zuletzt das ungute Gefühl, das man hat, wenn man die "Vergangenheit" wiederholt. Wenn er dir allerdings schon mehrfach die Hand gereicht hat, dann würde ich dir raten, sie zu ergreifen.

Hass ist insgesamt ein schlechter Ratgeber, denn er verdüstert nur alle guten Gedanken, auch die, die man sich selbst gegenüber haben könnte.

Und damit kommen wir zu dir.

Bevor du dich um "Liebe" oder solche Dinge erfolgreich kümmern kannst, wäre es erstmal wichtig, dich selbst zu lieben. Ich schrieb vorhin etwas von einem guten Selbstwert. Du weißt, dass es unrecht ist, wenn man dich wertlos behandelt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob du weißt, warum das so ist.
Warum bist du nicht wertlos? Wo liegen deine Wertigkeiten?
Fangen wir an mit deiner Intelligenz und deinen guten Lebenseinstellungen, was Gewalt angeht.
Ist Armut/sind einfache Verhältnisse ein Makel? Sicher nicht. Sie ist blöd und wird dich in deinen Träumen und Wünschen behindern, aber ein Makel, der an dir haftet, ist sie nicht. Jedenfalls müsste sie das nicht. Es gibt arme Menschen, die mit sich und der Welt hadern und es gibt arme Menschen, die mit sich und der Welt zufrieden sind. Und die strahlen das auch aus! Und die hat man gerne um sich. Ein Mensch, der in sich ruht und sich selbst gut findet, der kann arm sein, dem können Finger fehlen, der kann klein und verwachsen sein, man wird ihn mögen. Einfach, weil er ER ist.
Ist eine Wunde am Rücken ein Makel? Nein. Sie ist doof, sie braucht Zeit zum Heilen, sie nervt dich. Aber ein Makel ist sie nicht.
Ist Halbasiat sein ein Makel? Auf keinen Fall! Kulturen sind in diesem Punkt leider gerne mal bescheuert. Ist ja bei Türken ähnlich. Halbtürken sind hier "Ausländer" und in der Türkei ebenfalls. Das ist eine schreckliche Situation. Doch eigentlich sind gerade solche Menschen unglaublich interessant! Sie vereinen Nationen in sich! Sicherlich hast du als Mischling auch optisch beides an dir, sowohl ein wenig europäische Züge als auch asiatische. Ich hatte eine Schülerin, die halb Japanerin, halb Deutsche war. Ich habe noch NIE so ein schönes Geschöpf gesehen wie sie. Und selbst wenn du dich vielleicht nicht hübsch findest (ich kenne dich ja nicht), so bist du doch etwas Besonderes. Und IN dir ist sicher auch einiges besonders. Es ist nur SO verschüttet, wie es scheint, dass du denkst, nicht für diese Welt geschaffen zu sein.

Es wäre toll zu sehen, wie du deine Besonderheiten findest und sie nutzt. Hass lähmt alles. Ich würde dir also eher zu einer praktikablen "Ignorefunktion" in deinem Kopf raten, wenn jemand oder etwas dir in die Quere kommt. Lass den Typen doch an seinen ärmlichen Versuchen, dir zu schaden, zugrunde gehen, anstatt ihn aktiv zu verletzen. Sprich mit deinem Vater, wenn er dir früher immer eine Stütze war. Besinne dich auf DICH selbst, auf das, was du kannst, auf das, was du lernen und wissen willst. Werde so, dass sich ein anderer gerne DICH zum Vorbild aussuchen würde. Und dann klappt das auch mit der Liebe. Sowohl mit der Selbstliebe als auch mit der Liebe und der Zuneigung anderer Menschen für dich. Denn du wirst auf eine andere Art und Weise ausstrahlen als jetzt.

Du hast der Welt noch viel zu geben.

Alles Liebe für dich.

Dana