Problem von Kiara - 15 Jahre

Bin ich verrückt ?

Hallo erstmal, wer auch immer mir antwortet :) Mein zweiter Versuch ! Zuerst muss ich sagen dass ich es selbst ein bisschen merkwürdig finde hier reinzuschreiben, habe sowas noch nie gemacht und naja...
Jedenfalls will ich mal fragen ob ihr mir bei meinem Problem helfen könnt.
Also, ich ritze mich seit zwei Jahren, mal mehr mal weniger. Zum ersten Mal habe ich es gemacht nachdem sich meine Eltern getrennt haben als wir im Urlaub waren, vor zwei Jahren. Für mich war das damals ein ziemlicher Schock denn ich hatte die beiden immer als "perfektes" Paar angesehen, war wohl recht naiv. Jedenfalls war es sicherlich nicht so schlimm wie bei anderen, trotzdem zog es so seine Probleme mit sich. Mein Vater hat sich von meiner Mutter getrennt, weswegen sie natürlich sehr traurig und später auch wütend war. Trotzdem war ich nie wirklich auf meinen Vater wütend und hatte ihn immer noch lieb. Und auch wenn meine Mutter immer gesagt hatte dass sie möchte das wir ( also ich und meine zwei Brüder, beide älter als ich) immer noch Kontakt mit ihm haben, konnte ich ihre Enttäuschung und Wut deswegen sehen. Zudem war ich in dieser Zeit die Person die bei ihr war wenn sie Abends weinte, da mein ältester Bruder bereits ausgezogen war und mein anderer Bruder, naja, Junge
eben der nicht sehr gefühlsvoll ist, es entweder ignoriert hat oder gar nicht erst bemerkt hat. Meine Mutter war glaube ich recht depressiv, sie hat viel Gewicht verloren, war sehr schlecht gelaunt, vor allen wenn es darum ging dass ich meinen Vater sehen wollte der mittlerweile eine eigene Wohnung hatte. Sie war wirklich verzweifelt. Deswegen nehme ich ihr gar nichts übel und war gerne für sie da. Anfangs brauchte ich auch jemanden zum reden, oft ging es dabei um meine Mutter weswegen ich mit ihr schon mal nicht reden konnte, sonst wollte ich sie auch nicht mit noch mehr Problemen belasten. Meine andere Bezugsperson wäre meine allerbeste Freundin gewesen, doch sie wusste auch nicht wirklich weiter und war auch erstmal entsetzt und sauer auf das Verhalten meines Vaters. So blieb nur noch mein Vater, der war aber naja wie soll ich sagen, zu glücklich. Er hatte gerade einen "positiven" Schritt gemacht, auch wenn er egoistisch war, doch dazu hat er jedes Recht. Er baute sich sein Leben neu auf und hatte sogar recht schnell eine neue Freundin. Ich konnte nicht zu ihm gehen weil ich ihn nicht auf den Boden der Tatsachen zurückholen wollte und zeigen wollte was er für ein Chaos angerichtet hat mit seiner Scheidung, deswegen spielte ich bei ihm wie bei den anderen die die damit gut klar kamen glücklich. Ich war eine Zeit lang recht mies drauf und war enttäuscht dass die Personen denen ich vertraute nicht für mich da waren, sondern ich für sie. Da habe ich das erste Mal mich geritzt, einfach mal so, man hat davon gehört und das es angeblich nützt. Also habe ich mit einem recht stumpfen Taschenmesser geritzt am Arm wo zum Glück keine dollen Narben zurückgeblieben sind. Ich merkte es hilft nicht, doch es hat mich fasziniert, trotzdem hörte ich auf. Ich begann mich wieder zu fangen und aufzurappeln. Wenn ich Probleme hatte klärte ich sie für mich selber und kam auf ein besseres Ergebnis als wenn ich darüber sprach. Ich war immer glücklich und hatte wirklich Spaß, natürlich hatte ich Probleme doch ich habe es für mich so abgeschlossen dass jeder Probleme hat und was soll ich in Selbstmitleid zu anderen dackeln und ihnen davon erzählen, es gibt weit aus schlimmeres im Leben als das was ich erlebt habe. Trotzdem hatte ich irgendwann wieder Lust mich zu ritzen, also nahm ich wieder dass Taschenmesser und ritzte mich am Arm. Großer Fehler! Die nächste Sportstunde im T-shirt war schrecklich, alle bedrängten mich und mir war es total unangenehme, Gott sei Dank haben es die Lehrer nicht gesehen. Nach einiger Zeit ließen mich die Schüler in Ruhe und naja, vergaßen es einfach glaube ich. Seit dem habe ich mir geschworen mich nie mehr am Arm zu ritzen. Ich hörte wieder eine Zeit lang auf und versuchte es nicht zu machen. Doch vor einem Jahr habe ich mir dann Rasierklingen genommen und mich am Bauch geritzt. Ohne dass ich traurig, wütend oder soetwas war. Nein, überhaupt nicht, ich war einfach nur fasziniert von dem Schmerz und von den Blut an meinen Händen. Ich weiß das ist total KRANK doch ich weiß nicht wie ich es anders sagen soll. Ich habe mir jetzt schon viele Probleme hier durchgelesen und Gründe wieso andere dass machen. Doch irgendwie kann ich nicht sagen dass ich depressiv oder ähnliches bin, nein, ich bin fröhlich und glücklich. Jedesmal wenn ich es mache höre ich Musik und fühl mich gut, genauso wie vorher und nachher, nur noch besser, als wär ich auf Drogen oder soetwas ( uh ich schäme mich dafür das es sich so bescheuert anhört) Jedenfalls habe ich natürlich versucht aufzuhören denn ich weiß das soetwas ganz sicherlich nicht normal ist. Naja, ich habe mir diese Skills durchgelesen auf irgendeiner Seite und habe es ausprobiert. Zum Beispiel das mit der Gummifletsche, doch irgendwann wurde meine Haut rot und wund weil ich es zu lange gemacht habe. Dann habe ich mir auch mal eine heiße Wärmeflasche an den Arm gehalten, doch das war dann wiederrum zu heiß dass ich eine Brandwunde hatte ( es ist peinlich das alles hier reinzuschreiben, aber was solls es ist anonym) Ich kann es einfach nicht lassen mich selbst zu verletzen, sei es wenn ich mir nur mit einer Nagelbürste Dreck wischen wollte, ich habe einfach solange weitergerieben bis mein Schienbein angefangen hat zu Bluten und ich meinen Eltern erklären konnte wieso ich denn mein Schienbein aufgeschürft habe und das nicht zu wenig. Doch ich kann nicht anders also habe ich wieder mit den Ritze angefangen weil ich es einfach nicht anders kann und weil es mir naja.... spaß macht. Weswegen ich jetzt an euch schreibe ist weil ich wissen will ob ich einfach nur völlig psychisch daneben bin oder was ? Das schlimmste was passieren könnte wenn es jemand entdecken würde und ich noch in die Klapse komm, denn ich versuche nicht irgendeinen stummen Hilfeschrei auszusenden. Was könnte ich noch machen um aufzuhören ohne dass es wieder dazu führt dass ich mich doch verletzte... ? Bitte gebt mir ein ernsthafte Antwort denn ich schäme mich jetzt schon das hier alles hingeschrieben zu haben, weil es mir selber merkwürdig vorkommt -_-
Naja, liebe Grüße Kiara.

Dana Anwort von Dana

Liebe Kiara!

Ich finde es immer interessant, wie schnell man mit Worten wie "krank" oder "verrückt" bei der Stange ist, nur weil man etwas tut, was vielleicht die Masse nicht macht. Du bist weder krank, noch verrückt. Bei dir, so meine ich jedenfalls mit meiner Laienmeinung, ist es sogar einfacher als bei vielen anderen.

Das Ritzen ist für dich reines Ventil. Das erliest sich schon aus deinem Brief an uns. Du hast viel erlebt, hast viel "mit dir selbst klären" müssen UND musstest dazu noch deiner Mutter zur Seite stehen, weil sie es nicht mit sich selbst klären konnte und wollte.

Es ist auch ein Dilemma, muss ich sagen. Wenn man versucht, gesund mit einem Problem umzugehen und es NICHT in sich hinein zu fressen, hat man meist die Folge, dass man seine Mitmenschen total überfordert. Wer hat schon eine gelernte Therapeutin zur Freundin? Die meisten Menschen, die ihre Probleme hinaus schreien in die Welt und dadurch verarbeiten, überfordern also generell ihr Umfeld. Das ist einfach so. So bei deiner Mutter und dir zu sehen oder bei dir und deiner Freundin. Deine Mum hat dich, ohne dass es ihr vielleicht bewusst war, total überfordert, dir abgerungen, dich auf eine gewisse Seite zu stellen und eine Erwachsenenposition einzunehmen, die für dich eigentlich noch "zu hoch" ist. Du hingegen machst nun, nachdem du gemerkt hast, dass es deine Freundin ebenfalls überfordert und deine Mum noch nicht stark genug für deine Probleme ist, alles mit dir selbst ab, weil du der Meinung bist, das sei besser. Dadurch hast du aber kein Ventil, es kann nicht aus dir raussprudeln, weil du alles nur schluckst und kein Wort nach außen dringt. Im Gegenteil, du spielst noch das "ich scheine glücklich!"-Spiel für deine geschiedenen Eltern und versuchst, deine Freundin zu schützen, indem du ihr nicht noch mehr von deinen Problemen erzählst.

Das ist sehr nobel und edel, aber du hast auf diese Weise keinen "Gegenspieler", der den Dampf mal auffängt und dich auch ein gewisses Maß entlastet. Ich bin zB ein "Rausbrüller". Wenn es mir schlecht geht oder wenn ich mit jemandem ein Problem habe, dann kläre ich das sofort oder sage auch mal, dass es mir wirklich schlecht geht. Das mag in gewisser Weise egoistisch sein, weil die Stimmung kippen kann oder jemand total geschockt sein kann oder traurig. Aber wenn ich das nicht mache, bekomme ich Magenschmerzen. Also RAUS damit. Ich weiß, dass ich damit mein Umfeld belaste und fordere, aber meine engsten Menschen um mich herum kennen mich so und können das auch abfangen (so oft kommt es ja auch nicht vor). Du bist momentan der "Schlucker". Alles mit dir selbst, nach außen hin "hahaha, so glücklich..." - und inzwischen scheinst du es in großen Bereichen deines Lebens wieder zu sein. Aber da ist eben noch der eine Bereich, der nicht abgeschlossen ist - und das ist der, dass du Probleme immer mit dir selbst abmachst und damit völlig alleine stehst, ohne eine Möglichkeit, das so richtig zu verarbeiten und mal "gegen etwas zu schreien".

Und da kommt das Ritzen ins Spiel. Beim Ritzen löst sich ein Stück dieses Drucks, der in dir ist, ohne dass du ihn selbst als bedrohlich wahrnimmst. Aber er ist da, daher gefällt es dir so gut zu sehen, wie es blutet und schmerzt. Für viele Ritzer wirkt Ritzen einfach befreiend, man hat die Kontrolle über sich, seinen Körper, den Schmerz...und das tut meist dann gut, wenn außerhalb nicht wirklich alles unter Kontrolle ist. Das Problem ist, dass du den Druck und die "Wut/Traurigkeit/Irritation" (auch wenn du diese nicht bewusst erkennst) gegen dich selbst richtest und nicht nach außen. So, wie du deine Probleme mit dir selbst abmachst, machst du das auch mit den Gefühlen, die in dir sind.

Im Prinzip wäre es für dich heilend, ein fachliches Gegenüber zu haben, das du mal eine ganze Weile einfach mit allem anbrüllen kannst, was so in dir ist und das in der Lage ist, diese Dinge von dir aufzufangen und mit dir zu verarbeiten. Und auch wenn du das momentan nicht so siehst, ist sicher noch einiges in dir, das raus will, sonst bräuchtest du das Ritzen nicht. Du hast gelernt, dass du dir in Problemfällen selbst die Nächste bist und es sonst niemanden gibt, den du belasten kannst und willst. Das ist so goldig und fürsorglich, aber für dich selbst ist es einfach nicht gut. Du bist ZU vernünftig und ZU introvertiert mit deinen Problemen, dass es sich irgendwann rächt. Im Prinzip ist es wie ein Dampfkochtopf, den man fest verschließt und dann erhitzt. Der Druck steigt...und wenn man nicht nach einer Weile das Ventil hochzieht, damit Luft entweichen kann, gehts weder dem Essen drinnen noch dem Topf gut.

Und so ein Ventil bräuchtest du. Eine Kampfsportart oder Boxen wäre so ein Ventil. Körperbeherrschung, Kontrolle, aber auch Auspowern, das Ganze mit einem Gegner, der dich annimmt, aber auch erwidert. Sport tut sowieso allen schlechten Gefühlen in sich selbst gut.
Ich bin der Meinung, dass dir eine kurze Therapie auch gut tun würde, bei der du dich einfach mal aussprechen kannst und jemanden gegenüber sitzen hast, der damit umgehen kann und nicht zum Familienkreis oder Freundeskreis gehört. Falls du das in Erwägung ziehen willst, google einfach mal nach Gesprächstherapie oder Verhaltenstherapie in deinem städtischen Umfeld. Du kannst da auch ganz alleine hinfahren, ohne Termin und ohne Kenntnis deiner Familie. Das geht. Alles weitere würde dann dort mit dir besprochen. Es kostet dich auch nichts, solange du dir einen Therapeuten suchst und keinen Psychologen. Therapeuten werden von der Krankenkasse getragen.
Es gibt noch viele weitere Ventile, zb das Niederschreiben von Dingen, das Malen, Zeichnen, oder wenn du es nicht schaffst, die "Finger von dir zu lassen", dann versuch es doch mal mit einem "Bite-away". Das mag jetzt total lächerlich klingen, aber es hilft. Ein Bite-Away ist ein Gerät, das eigentlich zur Heilung von Mückenstichen gemacht ist. Es hat eine Metallspitze, die ziemlich heiß wird. Es gibt Menschen, die ihn nicht nutzen können, weil es ihnen ZU weh tut. Das Gute: es bizzelt, es brennt, es tut durchaus bisi weh, aber es verletzt nicht sichtbar. Das wäre ein Ersatz für eine WEILE, aber keine Lösung.

Am besten wäre wirklich die Kombination Sport+Therapie. Es ist wichtig, dass du deine Gefühle und Gedanken so lenken und ausleben kannst, dass dein Körper nicht drunter leidet. Es muss RAUS, nicht REIN. Alles, das man immer mehr befüllt, aber nie ausleert, platzt irgendwann. Logisch, oder?

Ich wünsche dir aus vollem Herzen, dass du dich nicht hinterfragst, ob du verrückt oder krank bist, sondern dass du klar siehst, dass du dir lediglich ein Ventil gewählt hast, das dir schadet, statt dir auf lange Sicht gut zu tun, auch wenn es für den Moment immer eine Erleichterung bringt. Ich bin mir sicher, dass du das hinkriegst und würde mich freuen, in ein paar Monaten von dir zu hören, wie es dir ergangen ist.

Alles Gute bis dahin!

Dana