Problem von Anonym - 18 Jahre

Habe ich eine soziale Phobie?

Ich würde so gerne einmal einen Raum betreten, und irgendeinen Witz machen ...
Ich würde so gerne durch die Stadt laufen, einfach unbeschwert und ohne Anspannung ...
Ich würde so gerne im Hörsaal mit meinem Sitznachbar über irgendetwas reden ...
Aber ich traue mich einfach nicht.

So weit ich weiß, war ich immer schon schüchtern. So lange ich Freunde hatte, konnte ich die größte Spaßkanone sein, konnte allen Blödsinn mitmachen, hatte keine Skrupel davor, jemandem meine Meinung zu sagen, doch jetzt, auf der Uni, bin ich alleine und alles ist still um mich.
Es fällt mir Schwer, mit anderen zu reden, gleichaltrigen sowie älteren sowie jüngeren. Vielleicht ist reden nicht so sehr das Problem, aber ich würde nie ein Gespräch beginnen, mir würde kein Thema einfallen; ich würde nie mit jemandem außerhalb meiner Familie über irgendwelche persönlichen Probleme sprechen, geschweige denn überhaupt jemandem (inkl. Familie) mein Herz ausschütten. Am liebsten ist mir, wenn man mich in Ruhe lässt. Ich will zwar dabei sein, aber nur als Beobachter, am liebsten hinter einer Glaswand durch die nur ich sie sehen kann.
Es ist mir einfach nie egal, was die anderen über mich denken oder denken könnten. Jeder noch so kleine Fehler ist mir peinlich, während andere darüber lachen. Jede noch so kleine Frage oder Bitte, kostet mich mehr als nur Überwindung.
Auf der anderen Seite würde ich so gerne jemanden haben, irgendeinen Freund, bei dem ich mich wohl fühle, der mich liebt, den ich liebe (rein platonisch) - das ist es, was mir fehlt - die Liebe.
Und dann, wiederum, ist es so eine Anstrengung für mich, unter Menschen zu sein. Eine Anstrengung insofern, dass mir diese Aufmerksamkeit die ich den Menschen gebe, die sie mir geben, alle Gefühle, all diese intuitiven Handlungen die nicht vorhersehbar sind, auf die man wieder reagieren muss, flexibel sein muss, so viel Kraft abfordern, dass ich am Ende nur noch froh bin, alleine in meinem Zimmer zu sein. Ja, manchmal hält mich allein dieser Gedanke davon ab, mich zu den anderen Leuten (ich wohne in einem Studentenheim) zu setzen ...
Und dann gibt es noch dieses Gefühl, dass ich sowieso uninteressant bin, dass ich sowieso nur ein Individuum unter 8 Milliarden bin, wen interessiert's, dass ich gestern einen Clown auf der Straße gesehen habe ...
Und wieder umgekehrt denke ich mir, dass sie mir alle egal sind, denn ich habe meine Gedanken, Wertvorstellungen, Visionen und sie alle sind nur oberflächliche Idioten, die nichts besseres im Kopf haben, als über banale Geschichten des Alltags zu erzählen - das soll der Wert unserer Sprache sein? Dafür leben wir? Das ist der Sinn unseres Lebens?, wir reden und reden und reden, ohne auch nur einmal darüber nachzudenken, was denn tiefgründigeres dahinter steckt.
Und dann, wiederum, wäre ich so gerne einfach nur unter vielen Menschen, ohne zu denken, einfach nur um Spaß zu haben, einfach nur um frei und unbeschwert zu sein.

Ich will frei sein. Ich will ein Menschenfreund sein. Ich will auf Partys gehen und mich betrinken. Ich will Beziehungen haben, Beziehungen, die zu Bruch gehen, und weiter machen.
Diese Glaswand nimmt mir alle diese Erfahrungen und Möglichkeiten. Sie nimmt mir auch meinen Körper, denn ich habe ständig Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, meine Kiefermuskeln sind vor lauter Anspannung schon entzündet, mein Rücken schmerzt und in meinem Bauch herrscht ein ständiges Rumoren (auch wegen Verstopfungen)

Ich weiß, dass ich mich nur einmal überwinden müsste, aber ich weiß nicht wie. Ich bin so zu sagen asozial. Ich weiß, dass ich etwas dafür tun muss, denn Freunde springen einem nicht entgegen, aber es ist so schwer für mich, ich zu sein, bei jemanden den ich kaum kenne. Und dann, wer findet schon die Gesellschaft eines verklemmten Mädchens angenehm ...

Ich denke, ihr habt einen Einblick in meine Psyche bekommen und hoffe, dass ihr mir irgendwie helfen könnt...

Ziyin Anwort von Ziyin

Hallo,

erstmal tut's mir leid, dass ich jetzt erst antworte :/

Fangen wir mit Deiner jetzigen Situation an: Du hast angefangen zu studieren und lebst wahrscheinlich in einer ganz anderen Stadt. Alle Kommilitonen sind Dir fremd, und es sind viele. Viel zu viele, als dass man in der ersten Zeit alle oder selbst ein paar davon näher kennenlernen kann. Lass Dir Zeit. Manche kannten sich schon vor dem Studium, finden eher Anschluss als andere. Ist ganz normal. Du hast noch genug Zeit, um die anderen kennenzulernen. Niemand hetzt Dich, mehrere Hundert Leute auf einmal kennenzulernen. Und wenn Dich keiner anspricht, muss es nicht unbedingt an Dir liegen: Es kann auch einfach sein, dass die anderen Personen um Dich herum auch zu schüchtern sind. Wie gesagt, bei manchen dauert es länger als bei anderen, neue Freunde zu finden. Aber diese Phase wird auch vorbeigehen.

Oberflächliche Idioten? Naja^^. Das sind nur die wenigsten. Es ist nun mal komfortabler, mit der Menge mitzugehen als dagegen anzukämpfen. Heißt: die anderen Menschen erscheinen nur oberflächlich, aber was wirklich dahinter steckt, kann keiner auf dem ersten Blick erkennen. Wenn Du die Leute nicht näher kennenlernst, dann wirst Du immer den Eindruck haben, dass sie Idioten sind und nichts anderes im Kopf haben. Sicher, es gibt Idioten, aber viele versuchen nur, das Miteinander so angenehm zu gestalten wie möglich. Und wir leben nun einmal in einer Konsum- und Spaßgesellschaft, in der es üblich ist, über belanglose Dinge zu reden. Würde jeder seine eigenen Wertvorstellungen, Gedanken etc. so wie im Internet versuchen, anderen aufzudrücken, wäre man nur noch am Zoffen und das wär's dann mit der Gesellschaft.
Je mehr Du also mit anderen Personen zu tun hast, desto besser wirst Du sie kennenlernen und merken, dass sie nicht oberflächlicher sind als Du (naja, fast alle). Aber ich würde vielleicht auch nicht gleich anfangen, mit jedem über meine persönlichen Probleme zu reden. Es geht sie nichts an, nicht wahr?

Die meisten Leute hätten gerne eine Person, der sie alles anvertrauen können und die sie am besten von allen versteht. Aber diese Person kommt nicht einfach so. Vielleicht ist sogar einer unter Deinen Kommilitonen dabei, aber dafür musst Du schon mit ihnen reden :) Es muss nichts Weltbewegendes sein, nicht Intelligentes oder dergleichen, red einfach über etwas, das Dir gerade einfällt. Es könnte noch so was Banales sein. Andere Menschen beißen nicht, und normalerweise wird keiner abweisend reagieren, weil Du ihn oder sie angesprochen hast. Und mach Dir keine Sorgen darum, ob Du interessant bist oder nicht. Jeder ist irgendwie anders und interessant. Hast Du irgendwelche Hobbys? Wenn ja, dann triff Dich doch mit den Leuten, die die gleichen Interessen wie Du haben (Sportverein, Orchester/Chor, studentische Gruppen...an der Uni gibt's echt viele verschiedene Interessengruppen). Mit ihnen kannst Du vielleicht leichter reden, denn Du magst die gleichen Sachen wie sie und kennst Dich mit dem Themengebiet auch aus.

Es ist nicht ganz einfach, die ganze Zeit mit anderen Leuten zu reden...und ziemlich anstrengend auf Dauer für introvertierte Menschen (ich hoffe, Du nimmst es mir nicht böse, wenn ich Dich dazu zähle...aber das denke ich nun mal). Es mag am Anfang anstrengend sein, aber mit der Zeit sollte es abnehmen. Mit richtigen Freunden fühlst Du Dich wohl und nicht ausgelaugt. In anderen Situationen kannst Du es Dir nicht aussuchen und musst wohl oder übel damit klarkommen...es ist nun mal so, dass Kommunikation wichtig ist. Wenn es Dir zu viel wird, darfst Du Dich ruhig in Deinem Zimmer ausruhen, aber mach es nicht zum Dauerzustand, ja? :)

Weißt Du, es gibt noch viele andere Menschen, denen es genauso geht wie Dir, wenn es darum geht, Freundschaften zu schließen. Du bist nicht die Einzige, also sei etwas lockerer! Natürlich sind Fehler peinlich, aber wenn andere darüber lachen können, warum kannst Du das nicht? Sie lachen Dich nicht unbedingt aus, sie lachen mit Dir (:

Wenn Du auf eine Party gehen willst, dann geh hin! Es gibt ganz bestimmt genug Studentenpartys, auf die Du gehen kannst (trink ein bisschen was, vielleicht hilft es Dir, locker zu werden...). Selbst wenn Du wirklich verklemmt bist, es wird Menschen geben, die auf Dich zugehen, mit Dir befreundet sein wollen und sich wirklich Mühe geben, ein guter Freund/eine gute Freundin zu sein!

Wenn Du nicht warten möchtest, Dich aber auch nicht überwinden kannst, die anderen anzusprechen, dann versuche es zuerst, sie einfach nur anzulächeln. Das funktioniert auch. Und wenn Du jemanden ansprechen möchtest, dann sprich am besten jemanden an, der nicht unbedingt im Moment von zig Freunden umringt ist. Einige tendieren dazu, netter zu sein, wenn sie alleine sind.

Und Du bist nicht asozial. Es gibt genug Menschen, denen es genauso geht wie Dir. Es ist alles in Ordnung mit Dir! Du hast keine soziale Phobie! Du bist introvertiert, aber auch introvertierte Menschen finden sich irgendwie in einer fremden Gesellschaft zurecht, wenn auch etwas langsamer :D

Langer Text, kurzer Sinn: Du bist nicht komisch oder anders, mach Dich ein wenig lockerer, nimm nicht alles zu ernst und lass Dir Zeit!

Noch einen guten Rutsch ins neue Jahr!^^

Alles Gute,

Ziyin