Problem von Kai - 19 Jahre

Selbstzweifel und Angst vor der Zukunft

Guten Abend Kummerkastenteam,

Eigentlich ist meine aktuelle Lage oberflächlich betrachtet gut, und vermutlich wird am Ende dieses Textes keine konkrete Frage stehen, aber ich muss versuchen mit meiner Psyche klar zukommen und die Lage zu bewältigen:

Ich habe dieses Jahr mein Abitur dank guter Prüfungen besser als erwartet mit 2,6 geschafft, studiere nun Angewandte Informatik an einer Universität und habe eine kleine 2er WG mit einem sehr guten Freund gegründet, obwohl ich auch hätte pendeln können.
Mein Elternhaus ist nur ca 20 km von der Uni entfernt, mit den öffentlichen wären das 1 - 1,5 Stunden für eine Fahrt. Das wäre eigentlich noch zumutbar gewesen, wie ich finde, aber dank Bafög ist eben auch die Wohnung ohne Nebenjob finanzierbar ohne zu hungern. Dennoch war es für mich kein leichter Schritt auszuziehen, da mir meine Familie sehr nahe liegt und auch sehr wichtig ist, ich habe da lange drüber nachgedacht, ob ich den Schritt wirklich schon wagen will und es nur gemacht, weil ich eben jeden Tag zu meinen Eltern könnte und ich meinen Mitbewohner gut kenne (,der diesen Schritt aus dem Elternhaus schon 1 Jahr früher gemacht hat, aber auch keine wirkliche Wahl hatte).

Die erste Zeit in der Wohnung habe ich gut hinbekommen, auch wenn ich meine Familie (bis heute!) jeden Tag vermisse. Ich dachte eigentlich, dass das nachlassen würde, wenn ich mich erstmal eingelebt habe und dort neue Freunde an der Uni gefunden habe. Die sind nun auch vorhanden, aber leider pendeln die selbst alle bis zu 2 Stunden je Fahrt, sodass nach den Vorlesungen etc. nichts mehr los ist und ich dann in der Wohnung rumhänge, mal mit meinem Kollegen, mal ohne ihn.
Entsprechend bin ich dann bisher jedes einzelne Wochenende bei meinen Eltern und treffe mich dann auch immer wieder mit den alten Schulkollegen, kehre mehr oder weniger in das Leben zurück, wie es von vor einem halben Jahr noch war.

Ich fühle mich eigentlich nicht unwohl in meiner Wohnung, aber es ist in den 2 Monaten, die ich hier nun lebe, noch längst nicht mein Zuhause geworden. Da bin ich geistig noch bei meiner Familie, sprich meinen Eltern, meinem Bruder, meiner Schwester und unserem Hund. Es fällt mir jeden Sonntag Abend schwer wieder aufzubrechen in den Alltag, das "neue Leben".

Zusätzlich zu diesem Problem kommt noch, dass ich immer mehr das Gefühl bekomme auch den falschen Studiengang gewählt zu haben. Dabei liegt es eigentlich nicht an den Anforderungen, sondern eher am Interesse und der damit fehlenden Motivation den Stoff zu lernen. Falls ich mich mal dazu aufraffen kann die Übungen zu machen, dann steht auch meist die Lösung am Ende des Zettels. Das geht nun schon seit 2-3 der bisher 7,5 Wochen so... Ausnahme war die letzte Woche, da habe ich alle Hausaufgaben versucht zu bearbeiten... das war ein extremer Zeitaufwand, weil ich davor schlampig war und daher auch soweit nicht auf dem Wissensstand bin, auf dem ich nun sein müsste... Trotzdem gehe ich bisher zu fast jeder Vorlesung und der Übung dazu. Wenn ich darüber nachdenke, ist das aktuell eigentlich nur der verzweifelte Versuch, noch ein wenig Interesse und Motivation zu finden, wo eigentlich keine ist.

Entsprechend mache ich mir seitdem auch immer wieder Gedanken, wie es mit mir weitergehen soll. Für mich stand früher lange fest, dass ich Chemie studiere. In der Schule war es lange eines meiner besten Nebenfächer und ist in der 11. Klasse auch mein bestes schriftliches gewesen, eigentlich auch das einzige Fach, für das ich mich regelmäßig hingesetzt und gelernt hab. Daher habe ich auch Chemie LK gewählt und bin schnell enttäuscht worden. Da in unserer Stufe von über 200 Leuten nur 5 Chemie LK gewählt haben, gab es einen CO-OP-Kurs mit 2 anderen Schulen, der dann auch an einer anderen Schule stattfand. Die Lehrerin dort war grauenhaft, ich kann mich bis heute nicht mehr mit Chemie anfreunden und die Idee, mal Chemie zu studieren, war verworfen. In der gleichen Zeit stellte sich Mathe, nachdem ich in der 11. noch im 4er Bereich war, als neues bestes Fach heraus (von 8 Klausuren in der 12. + 13. Klasse waren es 5 Einsen). Nachdem die Abiprüfungen mal geschrieben waren stelle sich die Frage: "Was nun?"
Ich hab sehr lange recherchiert und die Wahl ist wie schon gesagt auf Informatik gefallen, weil ich eben wusste, dass Mathe ein wichtiger Teil sein würde (und auch wirklich ist), aber unterschätzt, was der Unterschied zwischen Schule und Uni ist und es bedeutet hier mit wenig Motivation klar zukommen. Eigentlich gibt es nur 1 aus 6 Vorlesungen, die mich nach dem Abflachen der Startmotivation einigermaßen interessiert, da es nicht nur reine Theorie ist. Zwar programmieren wir in einer anderen auch, aber das ist doch wesentlich öder als ich es mir vorgestellt habe.

Tatsache ist, dass ein Sechstel halbes Interesse nicht ausreicht, um ein Studium durchziehen zu können und zu wollen.

Und nun kommt wieder die Frage auf: "Was nun?"
Wieder Studium? Doch eine Ausbildung?
Und noch viel wichtiger: Welcher Studiengang bzw welche Ausbildung soll es werden? Welcher Beruf soll es werden?
Fragen, die ich nur mit einem "Weiß nicht..." beantworten kann. Wobei ich natürlich ein Informatikstudium nun ausschließen kann und Chemie ebenfalls nicht zur Wahl steht. Aber da sind immer noch tausende Alternativen, zu viele für mich.
Ich hab gerne mal Fußball gespielt, wegen mehrmaliger, gleicher Verletzung am Sprunggelenk aber aktuell die Schuhe an die Wand gehängt. Ansonsten wird die Freizeit mit Freunden gefüllt, ich zock auch gern an meinem Rechner, manchmal eben auch mit einigen Kollegen und öfter mit meinem Bruder.
Ich glaube mein Problem wird hier deutlich: Meine Hobbys lassen sich nicht wirklich für einen Beruf gebrauchen. Zwar bin ich abseits davon gut im Zeichnen und würde gerne mal wieder eine anfertigen, komme in meiner Situation aber nicht mehr dazu. Außerdem finde ich das Wetter und die Astronomie (besonders die Suche nach fremden Leben im All) sehr interessant, aber ich habe damals in der Schule Physik sofort abgewählt, als es ging, und eben das wäre ein zentrales Thema in einem entsprechendem Studium.

Was mich einfach zerdrückt ist die Lage, dass ich jetzt nicht bei den Personen, die mir am wichtigsten sind, sein kann und obendrein kurz davor stehe mein frisch gestartetes Studium wieder abzubrechen, was in mir die alten Fragen wieder neu aufmischt und mir das Gefühl geben zu scheitern, obwohl es ja eigentlich kein scheitern ist. Eigentlich sollte ich es als einen Schritt zu dem Beruf sehen, der mal zu mir passt, aber leider mach ich es nicht, wie ich es sollte...
"Sollte" trifft auch darauf zu, dass ich mit meinen Eltern darüber reden sollte, was mich alles fertig macht... Aber da sind wir auch wieder bei dem Punkt mit dem Scheitern... soetwas gibt man nicht gerne zu, das kostet Überwindung und Mut. Mut, der mir zur Zeit sowieso schon fehlt..

Diese Woche werde ich wohl wie die letzten auch schon wieder irgendwie herumbekommen, um dann 2,5 Tage glücklich zu sein, dass ich bei meiner Familie bin. Mal sehen, ob ich dann endlich mal mutig bin...

Dana Anwort von Dana

Lieber Kai!

Als jemand, der selbst einmal sein Studium abgebrochen hat, weil "nichts mehr ging", möchte ich dir gerne das sagen, was mein Vater mir damals gesagt hat. Er sah, wie ich immer trauriger und trauriger wurde, immer stiller...und nahm mich eines Tages zur Seite, als ich mal wieder übers Wochenende da war.

"Was ist los?"
"Ach...weiß nicht so genau..." (Natürlich wusste ich es, aber ich traute mich nicht, weil es wie Versagen aussah)
"Du bist im Studium unglücklich?"
".............."
"Schätzchen...alle meine Kinder haben die Möglichkeit, sich einmal zu vertun. Das ist nichts Schlimmes, das ist kein Versagen, sowas passiert im Leben."
Daraufhin musste ich so heulen, dass es ihm klar war.

Und das sage ich dir jetzt auch. Im Prinzip weißt du, was du tun musst.
Du ziehst zurück zu deiner Familie, wenn du sie noch brauchst und du schaust erstmal, was du wirklich lernen willst. Du musst das, was du lernst, auch dein LEBEN lang machen! Es bringt nichts, etwas zu studieren, das du gar nicht magst. Wie soll denn dann dein Beruf aussehen?

Ich selbst bin damals auch zu meiner Familie zurück gezogen, habe dann nur den Studienort, nicht das Studienfach gewechselt und war einfach NUR glücklich. Es war die richtige Wahl. Mein Dad hatte damals Mathematik studiert, war nicht glücklich...und meine Mum hat ihn dann dazu gebracht, Mathe und Englisch auf Lehrfach zu studieren. DAS wars! Er ist jetzt fast im Pensionsalter und einer der Lehrer, die immer noch JEDEN Tag fröhlich in die Schule marschieren.

Es gibt viele Wege, die du beschreiten kannst. Hast du dir mal überlegt, ein besserer Lehrer zu werden als deine Chemielehrerin es war? Oder vielleicht ist es eine Ausbildung als Bauzeichner, wenn du gerne zeichnest und dir Mathe liegt? Oder sogar ein Achitekturstudium?

Wichtig ist, dass du dich nicht als Versager fühlst. Geh zu deinen Eltern und sag: "Ich habe mich verrannt. Ich vermisse euch SO sehr, ich fühle mich ausgebrannt, das Studium passt für mich überhaupt nicht, ich bin unglücklich..." und du wirst sehen, dass deine Mum dich in die Arme schließt und ihr dann gemeinsam überlegen könnt, wie es weiter geht. Glaub mir, auch wenn ein Studienabbruch immer etwas Zeit kostet, es ist immer das Beste das zu tun, was der Seele gut tut. Dann hat man auch in der Ausübung seines Berufes meistens ein glückliches Leben.

Brich ab, zieh zurück, geh zum BIZ (Berufsinformationszentrum des Arbeitsamtes), mach eine Berufsberatung aus und besprich dich mit einem der Berater dort. Überlege selbst, in welche Richtung deine Interessen gehen könnten, wenn du deine Stärken und Hobbies mit einrechnest. Es gibt viele Berufe, die für einen Laien gar nicht präsent sind, aber für die erfahrenen Fachleute vom Arbeitsamt schon.

Du wirst sehen: der neue Weg gibt auch neue Kraft, weil man diese endlich mal wieder dafür einsetzen kann, etwas zu tun, das einem gut tut.

Ich wünsche dir mit deinem "neuen Leben" im alten Leben viel Freude und hoffe, du findest das, was dich wirklich erfüllt.

Alles Liebe,

Dana