Problem von Anonym - 17 Jahre

Depression - Psychotherapie?

Hallo,

ich hoffe, Sie nehmen sich die Zeit, diese Mail zu lesen.

Ich bin 17 Jahre alt und gehe in die 12. Klasse eines Gymnasiums. Ich habe den Verdacht, dass ich zwei psychische Störungen habe: eine soziale Phobie und - wahrscheinlich daraus resultierend - eine Depression.

Schon seit meiner Kindheit bin ich sehr schüchtern und habe Schwierigkeiten, auf andere Menschen zuzugehen. Zum Beispiel ist es mir unangenehm, meinem Gegenüber direkt in die Augen zu schauen. Wenn ich in Situationen komme, in denen ich mit fremden Menschen konfrontiert bin, habe ich oft einen erhöhten Puls, werde sehr nervös und fange manchmal an zu zittern. Ich habe Angst, dass andere Menschen das bemerken und dadurch steigert sich meine Angst umso mehr. Dies belastet mich sehr in meinem Alltag, z.B. in der Schule.

Zum anderen vermute ich, dass ich seit 2-3 Jahren an einer Depression leide. Ich war schon immer sehr perfektionistisch veranlagt und habe einen hohen Leistungsanspruch an mich selbst. Ich bin eigentlich ein sehr guter Schüler, aber seit 2 -3 verspüre ich eine gewisse Antriebslosigkeit. Ich schaffe es nicht einmal mehr, meine Hausaufgaben zu erledigen oder für Klausuren zu lernen. In Fächern, die meinen Stärken und Interessen entsprechen, z.B Englisch, Deutsch und Musik, gehöre ich dennoch zu den Besten; in anderen Fächern hingegen, wie z.B. Naturwissenschaften, sinkt meine Leistung in den befriedigenden/ausreichenden Bereich herab. Aufgrund dessen verspüre ich einen großen Hass auf mich selbst und habe Angst, zu versagen. Trotzdem schaffe ich es nicht, mich dazu zu motivieren, einfachste schulische Aufgaben erledigen, obwohl mir das früher sehr leicht fiel.

Da ich nur ein geringes Selbstwertgefühl habe, hatte ich auch nie besonders viele Freunde. Meine jetzigen Freunde wirken auf mich nicht so, als würde ihnen wirklich etwas an mir liegen. Ich fühle mich von ihnen nicht respektiert und ernstgenommen. Der einzige Grund, wieso ich mich nicht von ihnen lossage, ist, dass ich nicht allein dastehen will.

Ich bin homosexuell, womit ich bis heute zu kämpfen habe. In meinem Freundeskreis kann ich mich nicht outen, da ich höchstwahrscheinlich nur auf Ablehnung stoßen würde. Gleiches gilt für meine Familie, die nur einen niedrigen Bildungsgrad besitzt. Auf mir lastet ein enormer Druck. Mir ist es nicht möglich, zu dem zu stehen, was ich bin. Von allen Seiten höre ich nur, wie man sich über Homosexuelle lustig macht.

Ich würde gerne eine Psychotherapie machen, möchte aber nur ungern mit meinen Eltern darüber reden. Sie machen mir lediglich Vorwürfe und sagen mir, dass ich faul sei. Sie versuchen nicht, meine Probleme zu verstehen.

Ich bin momentan sehr verzweifelt und hoffe, dass Sie mir in irgendeiner Weise helfen können.

Dana Anwort von Dana

Lieber Unbekannte!

Ob ich dir in irgend einer Weise helfen kann, liegt vor allem an dir. Den ersten Schritt, dir Hilfe zu holen, hast du hiermit schon getan und auch sonst bist du einer der Sorte, die genau auf dem richtigen Weg ist und sehr viel klar sieht. Du bist sehr selbstreflektiert und sehr ehrlich dir gegenüber, daher bin ich mir sicher, dass du nur von mir den Anstubser brauchst.

Du kannst Recht haben mit deiner Selbstdiagnose, allerdings warne ich immer SEHR davor, sich selbst mit Internethalbwissen zu diagnostizieren. Oft trifft man nur Teilbereiche und konzentriert sich dann aber voll auf die Symptome, die immer wieder diese Selbstdiagnosen bestätigen und dann hat man schnell "den Salat". Du bist ein kluger und intelligenter Kopf, das merkt man. Und diese Köpfe haben oft ein Problem, nämlich das des zu starken Grübelns. Das geht so lange, bis der Kopf Schleifen fährt und alles andere hemmt.

Du steckst insgesamt in einem Teufelskreis fest, der Berg vor dir türmt sich immer mehr und dadurch erlahmst du komplett und "nichts geht mehr", wie man so schön sagt. Es ist absolut möglich, diese vielen übereinander gestapelten seelischen Dinge langsam abzubauen. Dazu bedarf es aber wirklich einer Therapie, das wirst du alleine nicht schaffen, da sich ein gewisser Selbsthass aufgebaut zu haben scheint, der das verhindern wird. Dazu kommt, dass dir Bezugspersonen fehlen, die deinen Horizont haben und denen Toleranz innewohnt. All dies kannst du bei einem Therapeuten finden und nicht nur das. Ein Fachmann ist einfach in der Lage, dich aufzufangen, wo du gerade fällst und dich wieder im Alltag zu stärken. Er kann mit dir deine Problematiken durchgehen und du kannst mit ihm zusammen Möglichkeiten finden, sie zu verarbeiten und vor allem ihnen zu begegnen, wenn sie wieder einmal auftauchen.

Meiner Meinung nach (ich bin allerdings Laie) gehen alle Probleme als Folgeprobleme einher mit deiner ungenügenden Selbstliebe. Wenn man in sich ruht und mit sich selbst recht zufrieden ist (nicht unkritisch, aber sich selbst bejahend), dann ist das der Schlüssel zu vielem. Das wäre für mich ein Ansatzpunkt, sowohl im täglichen Arbeiten an dir selbst als auch in der Therapie, denn es lassen sich solche Probleme wie Menschenfurcht sehr gut eliminieren oder stark reduzieren, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Und das bist du nicht. Alleine schon deine nicht geoutete Homosexualität bringt dich aus dem Gleichgewicht. Du darfst momentan nicht zu dem stehen, der du bist. Und das haut einen voll aus den Gleisen. Ich kann aber verstehen, dass das sehr schwierig ist, wenn du Menschen um dich herum hast, denen einfach der nötige Geist fehlt, um das richtig aufzufangen und dich zu unterstützen. Vielleicht fühlst du dich auch einfach falsch am Platz. Ich sehe auch bei dir null Arroganz (es gibt ja Menschen, die behaupten, wesentlich intelligenter als ihr Umfeld zu sein und erhöhen sich damit quasi in eine Isolation), sondern einfach nur den Wunsch nach Änderung.

Nun zur Psychotherapie, die ich dir wärmstens empfehle, da liegst du mit deinem Wunsch vollkommen richtig:

Du bist 17, also bist du durchaus in der Lage, ohne deine Eltern durchzustarten. Ich möchte dir den dringenden Rat geben, dich im Internet über mögliche Therapeuten in deiner Nähe zu informieren. Einfach "Psychotherapie" oder "Psychotherapeuten" und deine Heimatstadt eingeben. Solltest du in einer zu kleinen Stadt wohnen, nimm die nächstgrößere. Wichtig ist, dass du viele Therapeuten raussuchst, denn oft braucht es etwas, bis die Chemie stimmt. Nicht immer ist es der erste, dem man begegnet. Am besten wäre es, du würdest mit deinem Hausarzt sprechen. Er ist der Schweigepflicht unterlegen und darf deinen Eltern nichts erzählen, wenn du das nicht möchtest. Besprich mit ihm dein Anliegen, einen Therapeuten aufsuchen zu wollen und auch, dass du mehrere aufsuchen möchtest, um zu sehen, welcher "passt". Lass dir dann Überweisungen geben (ich weiß nicht, ob der Arzt mehrere ausgeben darf, ansonsten halt eine nach der anderen). Mach so viele Ersttermine aus wie möglich, am besten persönlich und nicht am Telefon. Solltest du dich nicht zu deinem Arzt trauen, weil er deine Eltern auch gut kennt, geh direkt zu den Therapeuten hin und kläre das mit ihnen, wie du weiter verfahren sollst. Keine Angst, du wirst Hilfe bekommen. Lass dich auch nicht abweisen, sondern versuche, mit einem Termin in der Tasche wieder zu gehen. Dieser KANN mit Wartezeit verbunden sein und ist es oft auch. Therapeuten sind in der heutigen Zeit stark gefragt, weil die Menschheit immer mehr merkt, was da für ein Hilfepotential drin steckt und wie wichtig eine gesunde Psyche ist.

Was die Kosten angeht:
Wähle einen Psychotherapeuten, keinen Psychologen! Psychologen haben Psychologie studiert. Psychotherapeuten haben Psychologie studiert und dann noch eine mehrjährige Beratungsausbildung hinter sich. Diese werden auch von den Krankenkassen unterstützt, Psychologen nicht, soweit mein Kenntnisstand.

Lieber Unbekannter, du hast erkannt, dass du Hilfe von außen benötigst, das ist der wichtigste und an erster Stelle stehende Schritt. Sei offen für das, was kommt, behalte deinen Mut und geh die Dinge an. Du hast so viel Schönes und Gutes in dir, das wieder entdeckt werden will...du bist es auf jeden Fall wert, dass alles in Ordnung kommt! Also kämpfe dafür!

Alles Liebe, trotz allem ein wirklich schönes Weihnachten und viel Erfolg bei der Therapie!

Dana