Problem von A. - 16 Jahre

Unfähigkeit sich anzupassen wird zunehmend zum Verhängnis!

Hallo liebes Kummerkasten- Team,

ich bin froh, dass es Menschen wie Euch gibt, die sich ehrenamtlich mit den Problemen anderer beschäftigen. Und vielleicht könntet auch Ihr mir, in meiner für mich aussichtslos erscheinenden Situation, weiterhelfen. Um eine Antwort wäre ich sehr dankbar!

Zurzeit besuche ich den 11. Jahrgang einer gymnasialen Oberstufe. Aufgrund meiner starken Selbstzweifel und den daraus resultierenden Versagensängsten fällt es mir nicht leicht. Obwohl meine Noten sich in einem durchschnittlichen Rahmen befinden, gibt mir auch der Erfolg kein Selbstbewusstsein. Dies hat sich mit Beginne des neuen Schuljahres verstärkt. Außerdem wird mir meine nicht vorhandene Mündliche Mitarbeit mittlerweile zum Verhängnis.
Mich verbal zum Unterrichtsgeschehen zu äußern, hat schon immer ein großes Problem dargestellt, dass ich nie geschafft habe zu überwinden. In der Sek. 1 wurde dies allerdings von vielen Lehrern berücksichtigt, die es als Teil meiner Schüchternheit und Introvertiertheit gesehen haben. Nun ist die Diskrepanz zwischen meinen schriftlichen Leistungen und den mündlichen deutlich sichtbar.
Doch viel frustrierenden finde ich, dass es mir nicht möglich ist, an den unterrichtlichen Diskussionen teilzunehmen. Meist sitze ich also dar, höre den anderen und ihren Argumenten zu, beurteile sie still in Gedanken und tue äußerlich nichts. Am Ende der Stunde habe ich vielleicht etwas gelernt, doch es schleicht sich erneut das Gefühl, die größte Versagerin zu sein, ein. (Schon wieder habe ich nur dar gesessen und nichts getan! Wie blöd ich bin!)

Hinzu kommt noch, dass ich eine ziemliche Außenseiterin bin. Meine Position habe ich selbst gewählt, doch macht sie mich nicht glücklich. Oft fühle ich mich einsam und überflüssig. Zu Beginn der Schulzeit hätte ich bestimmt Freundschaften schließen können aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden, da mich andere Menschen meist überfordern. Sie sind laut, albern und nie kann man sich sicher sein, ob sie gesagtes, auch wirklich so meinen. Dementsprechend wird mir gesagt, ich sei zu still und zu ernst. Trotzdem war ich nie unbeliebt und immer akzeptiert. Meine Pausen habe ich meist mit einem Buch verbracht. Die Verhaltensweisen anderer, die ich mittlerweile als trivial ansehe (wahrscheinlich ist es das nicht, sondern ich selbst denke und handle falsch) machen mich plötzlich unheimlich wütend. Ich verweigere Gruppenarbeiten und ziehe mich immer mehr zurück. Selbst meine Schüchternheit hindert mich seit kurzem nicht mehr daran, meine Mitmenschen affektiert, verbal anzugreifen. Verständlicherweise hat mich dies jetzt unbeliebt gemacht.

Früher war ich in vielen Vereinen tätig und Sozial engagiert. All das habe ich aufgegeben. Es interessiert mich nicht mehr. In den letzten Wochen habe ich mich zunehmend gequält in die Schule zu gehen, doch schwänzen würde ich nie tun. Wenn ich wieder zuhause war, habe ich mich gefragt, warum ich überhaupt hingegangen bin. Alles hat mich auf ungewöhnlich starke weise belastet, dass ich sogar versucht habe, mich mit einem allergischen Schock umzubringen. In dem ewigen Leidenskreislauf des Lebens, wollte ich nicht mehr länger gefangen sein. Wie man sieht ist der Versuch gescheitert. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt wurde ich wieder entlassen und bin ganz normal zur Schule gegangen, als wäre nichts gewesen. In der Woche vor den Ferien hatte ich dann plötzlich so heftige Schlafstörungen, ich habe zwei Nächte lang nicht schlafen können, dass der Arzt mich krank geschrieben hat. Meine Bestätigung eben doch eine Versagerin zu sein.
Aufgrund des Suizid Versuches muss ich mich einer psychologischen Diagnostik unterziehen, die bereits begonnen hat. Ich persönlich vertraue dem ganzen Unterfangen allerdings kein Stück. „Die Diagnose liegt im Auge des Betrachters.“ Dieses Zitat von einem bekannten, mir aber gerade unbekannten Psychologen, habe ich neulich noch gelesen. Und ich denke, dass es in der Tat häufig zutreffend ist.

Ich weiß, dass ich auch nach den Ferien nicht mehr in der Lage sein werde, in die Schule zu gehen. All der Lärm, das Chaos; niemand scheint es zu stören. Aber ich leide immer mehr darunter. Und kann es auch nicht mehr ertragen. Dass stille rum sitzen, meine Mitschüler… die Normalität ist es, der ich nicht gewachsen bin, welche mir nach langem Aushalten über den Kopf wächst.
(im Kindergarten habe ich schon über den Lärm geklagt und mich zurückgezogen!)

Aber ich will unbedingt studieren! Mein einziges Ziel in diesem sinnlosen Leben, das gerade ernsthaft bedroht wird, durch meine Unfähigkeit. Was soll ich nach den Ferien tun? Ich kann wirklich nicht mehr. Das Diagnostikverfahren zieht sich in die Länge.
Meine Eltern wollen, dass ich eine stationäre Therapie mache, und mich in nächster Zeit einweisen lasse. Eigentlich ist das sinnvoll, doch dort stoße ich wieder mit anderen zusammen, denen ich mich nicht anpassen kann und mittlerweile in absoluter Opposition gegenüber stehe, somit auch nicht gewollt dazu bin. Meine Mutter, die die Einweisung am meisten befürwortet, ist selbst psychisch Krank. In der Vergangenheit war ich oft ihren Manipulationen ausgesetzt. Irgendwie fühle ich mich durch sie bedroht und auch von der Psychologin. Die emotionale Nähe und das vorschnelle auslegen meiner Symptome als Krankheit fürchte ich am meisten.
Mein Leben gerät außer Kontrolle! Was soll ich nur tun?
Warum bin ich nicht in der Lage, mich anderen Menschen ganz gewöhnlich anzupassen und leide so sehr unter ihnen?
Ich bin Nonkonformist, doch bin ich mir nicht sicher, ob ich es schon immer war, oder mich die Unfähigkeit zur Sozialen Interaktion erst dazu getrieben hat. Eine Therapie wäre gleichbedeutend mit dem Auflösen meiner Eigenschaften, was ich nicht will. Doch andernfalls scheitert meine Zukunft!

Über einen Rat wäre ich wirklich sehr erfreut.

Mit freundlichen Grüßen

A.

Dana Anwort von Dana

Liebe A.

Zuerst: ich nehme dein Problem sehr ernst und dich auch. Ich habe mir meine Gedanken gemacht und ich möchte dich bitten, es in Ruhe ganz durchzulesen.

Warum schreibst du uns, was ist eigentlich dein Ziel? Ich habe es nicht so ganz durchblickt.
Wenn ich deinen Text lese, lese ich überall einen gewissen, sicher unbewussten "Stolz" heraus, "Nonkonformistin" zu sein. Alleine, dass du dieses Wort benutzt, ist schon ein Zeichen dafür, es wirkt wie ein Titel. Du schreibst, dass du jetzt schon weißt, dass alles noch viel schlimmer wird. Du wirst nicht mehr zur Schule gehen (obwohl du vorher noch schriebst, dass das für dich nicht in Frage käme), eine Therapie wird mit Sicherheit keinen Erfolg haben...und so weiter.

Es ist nicht so, dass du nicht könntest. Du willst nicht.

Auch wenn du jetzt vielleicht erstmal wütend wirst, überlege, ob nicht doch ein wahrer Kern in dieser Aussage steckt.

Ein Nichtkönnen gibt es in den seltensten Fällen. Ein Nichtwollen in den meisten, aber es wird nicht als Nichtwollen gesehen.

In deinem Text widersprichst du dir öfter, was ebenfalls darauf hindeutet, dass du dir da ein Leben zurecht legst, das dich eigentlich unglücklich macht, du aber diese Charaktereigenschaften schätzt. Du fragst zB, warum du nicht in der Lage bist, dich anderen Menschen anzupassen (was man übrigens nicht muss, man muss sich ihnen nur öffnen) und im nächsten Satz sagst du, dass du Angst hast, dass eine Therapie deine Eigenschaften auflöst, was du nicht möchtest.

Ja, was nun?

Du bist in dir total verstrickt.
Ja, es kann sein, dass es mit durch deine Mutter ausgelöst worden ist, dass du dich immer mehr in dich zurück ziehst, weil du Angst vor Manipulation hast. Ja, es kann sein, dass sich das alles so entwickelt hat und du jetzt diesen Weg entlang blickst und denkst: "Ohbacke...wie soll das denn bitte weiter gehen??"...aber trotzdem habe ich den Eindruck, dass du dich über dieses "Nonkonformistendasein" definierst, was bedeutet, dass all deine Fragen eigentlich wenig bringen, solange du das gar nicht wirklich und mit deinem Herzblut ändern willst.

Du selbst isolierst dich also - und das in einer gewissen Arroganz, wenn man dich so liest - du selbst lehnst vieles ab, unter anderen die Interaktion mit deinen Mitschülern, du selbst hast einen genauen Blick auf das, was du tust...und tust es dennoch...wenn du wollen würdest, aber auf Widerstände stößt, würdest du trotzdem alles dran setzen, deine Situation zu ändern. Momentan sehe ich dich aber nur in einem gläsernen Käfig sitzen und flüstern: "warum ist das so...warum sind alle so zu mir...warum bin ich so zu ihnen..." Das reicht nicht.

Das ist EIN Problem, das gelöst werden muss. Und zwar aktiv von deiner Seite aus.

Ein anderes Problem ist eins, bei dem ich denke, dass wirklich eine medizinische Behandlung erfolgen müsste - und das ist, dass dir alles zu chaotisch und zu laut ist. Lass bitte mal checken, ob mit Augen und Ohren alles ok ist, auch beim Neurologen solltest du einen Termin machen. Es kann durchaus sein, dass etwas nicht im Gleichgewicht ist und du daher Dinge ganz anders wahrnimmst. Fehler im Stereohören können zB fatale Folgen haben usw. Auch andere Störungen gibt es, die es so aussehen lassen, als lägen die Ursachen ganz woanders. Lass es einfach mal abklären, damit du da schon mal Sicherheit hast.

Ansonsten spreche auch ich mich stark für eine psychotherapeutische Behandlung aus. Und auch ich denke, es wäre gut, in eine Klinik zu gehen, für einen längeren Aufenthalt. Dazu müsstest du aber offen sein für Veränderungen und den Mitarbeitern Chancen einräumen, was du momentan noch nicht tust. Du scheinst es besser zu wissen. Die Therapie wird scheitern, die Psychotherapeuten werden dir all deine Eigenschaften nehmen, du wirst nicht mehr du sein...und es wird alles noch furchtbarer.

Verstehst du?
Ich will dir nichts Böses. Aber solange du so denkst, wird das nichts. Du hast massive soziale Probleme, du hast selbst gesehen, dass es immer mehr bergab geht. Solange DU nicht selbst wirklich willst, dass sich etwas ändert, wird sich nichts ändern. Der Beginn der Veränderung liegt in dir.

Ich bin mir sicher, dass du sehr klug bist. Ich bin mir auch sicher, dass du ein erfolgreiches Studium hinlegen kannst. Aber nicht so. Und DAS siehst du glücklicherweise selbst. Von daher lass dir helfen. Räume Chancen ein. Selbst wenn vielleicht andere Menschen nicht so sind wie du...sie sind toll - und viele können ein Stück Weg mit dir gehen, wenn du es zulässt. Nur dann.

Informiere dich über psychosomatische Kliniken, suche mit deiner Mutter welche heraus, geh hin, schau, wie es dir dort gefällt. Sprich mit deinem Hausarzt, bleib offen für die psychologischen Untersuchungen, sollte dir der Therapeut, der diese durchführt, absolut nicht zusagen, bitte um einen Wechsel, sowas geht. Aber bleib dran, such dir so viel Hilfe, wie du kannst...und sieh es nicht als Feindestum, sondern als Möglichkeit, deinen Lebensweg problemloser zu gehen.

Denn...wer sagt dir denn, dass die wahre "A." nicht unter dem steckt, was du momentan bist? Wäre ja auch möglich. Und dass diese wahre "A." gerne wieder atmen möchte und das Leben anders gestalten will?

Offener für Dinge zu sein und seine Ängste abzulegen, bedeutet ja nicht, dass eine Unangepasste zu einem totalen Mitläufer wird. Du wirst hinterher immer noch deine eigene Meinung haben. Aber vielleicht gibst du deinem Umfeld dann die Chance, trotz allem neben dir zu bestehen.

Ich wünsche dir alles erdenklich Gute für deinen Weg. Und ich wünsche dir von Herzen, dass du in ein paar Jahren zurück blicken und sagen kannst: "Jawoll, der Weg, den ich eingeschlagen habe, war ein wirklich guter."

Alles Liebe,

Dana