Problem von Lotte - 29 Jahre

Ich wundere mich teilweise über eure Antworten

Hallo!

Ich lese hier schon eine Weile mit und meistens finde ich eure Antworte auch gut überlegt und hilfreich. In letzter Zeit kommt es aber immer häufiger vor, dass ich mich sehr über eure Antworten wundere.

Bei dem Problem mit dem 14-jährigen Mädchen, dass sich von einem Lehrer "angemacht" fühlte, habt ihr ihr geraten zum Klassenlehrer zu gehen, sie hätte nichts zu befürchten. Sie vielleicht nicht, der Lehrer aber schon. Wenn einmal der Verdacht in der Welt ist (und da reicht es, wenn man das auch nur anspricht), dass er sich an eine Schülerin ranmacht, wird er das nie wieder los. Auch wenn es nicht stimmt. Im schlimmsten Fall kostet das ihn seinen Job. In dieser Hinsicht sind die Teenager und Eltern übersensibel und ich finde das solltet ihr auch bedenken.

Dann das italienische Mädchen, das gemobbt wird, weil sie "anders" ist: Mobbing ist immer scheiße, aber ich finde auch hier habt ihr es versäumt auch mal einen anderen Blickwinkel zu beleuchten. Das Mädchen ist stolz auf ihre italienischen Wurzeln und zeigt das auch deutlich. Habt ihr schon einmal daran gedacht, dass sie es vllt ein wenig übertreibt und ihren Mitschülerinnen damit signalisiert, dass sie nicht von ihnen, ihren Vorlieben und ihrer Nationalität hält? Anders zu sein ist nicht schlimm, die Andersartigkeit anderer ist zu tolerieren. Die Frage ist nur, ob das Mädchen nicht selber damit ein Problem hat.

Dem Mädchen, das von seinem Vater geschlagen wurde, weil sie sich mit ihrer Schwester gestritten hat, ratet ihr mit ihrer Schwester auszukommen und keinen Streit zu provozieren. Das klingt so, als hätte sie etwas falsch gemacht. Tatsache ist aber, dass ihr Vater sie geschlagen hat und so etwas ist niemals zu tolerieren. Einmal ist einmal zu viel. und meistens leider erst der Anfang. Ihre Schwester hat erlebt, dass sie Unterstützung erhält, wenn sie provoziert, warum sollte sie dann versuchen mit ihrer älteren Schwester auszukommen und den "Kreilsauf der Gewalt", wie ihr es beschreibt, zu durchbrechen? Nein, in so einen Fall gibt es nur den Weg zum Jugendamt.

Sorry, ich will wirlich nicht besserwisserisch klingen, aber das lag mir so auf der Seele, dass ich das los werden wollte. Danke.

Gruß
Lotte

Delia Anwort von Delia

Grüße dich,

ich habe nur eines der Probleme beantwortet, die du thematisiert hast. Weil ich, glaube ich, als Erster darauf gestoßen bin, antworte ich einfach mal.

Deine Kritik ist natürlich berechtigt. In meinem Fall bin ich dir auch dankbar, weil ich noch ziemlich jung bin, und meine Sicht auch sehr subjektiv bzw. persönlich gefärbt sein kann. Meines war das erste Problem, das du angesprochen hast.

Für mich persönlich klang es so, als ob die Betroffene durch den Gedanken belastet wird, ihr Lehrer könnte an ihr interessiert sein. Du schreibst, der Lehrer würde den Verdacht nicht mehr loswerden. Meinst du damit seine Kollegen oder die Schüler? Ich bin bei meiner Antwort davon ausgegangen, dass nicht immer - wie du treffend bemerkt hast - solche "Annäherung" böswillig sein muss. Es kann gut sein, dass der Lehrer es wirklich nur gut meint. Allerdings kann ich das auf die Ferne nicht beurteilen. Möglicherweise bin ich tatsächlich übers Ziel hinaus geschossen, weil ja nichts vorgefallen ist, dass an sich bedenklich oder strafbar wäre. Dennoch finde ich, dürften andere Lehrer - darunter der Klassenlehrer - in der Lage sein, die Reaktion ihres Kollegen einzuschätzen, ihm im Zweifelsfall zu etwas Zurückhaltung zu raten, und der Schülerin zu versichern, dass die Sache ein Missverständnis war. Wer, außer dem Klassenlehrer oder sonst einem Lehrer, sollte hier Ansprechpartner sein? Würde das Mädchen das an seine Eltern weitergeben - und diese dem Klassenlehrer -, wirkt die Sache ungleich prekärer, als sie es vielleicht ist. Das können wir auf die Entfernung aber nicht einschätzen. Eine Alternative wäre nur, das Gespräch zumindest hinauszuzögern und zu schauen, ob nichts mehr vorfällt. Der Haken, den ich dabei sehe, ist der: Erstens geht es der Betroffenen damit nicht besser, zweitens haftet dem Lehrer dieser Verdacht bei den Schülern längst an. Im Problemtext wurde er mit dem Begriff "Pädo" belegt, was - da hast du Recht - manchmal leichtfertig gesagt wird; aber das Gerücht ist bereits dabei, sich auszubreiten. Das betrifft auch die Eltern der Schüler. In diesem Fall, finde ich, käme eine rasche und unkomplizierte Besprechung dem Lehrer entgegen. Es könnte in so einem Fall auch mal sein, dass eine Schülerin sich geschmeichelt fühlt - das wäre genauso wenig okay.

Soweit, etwas ausschweifend, meine Gedanken. Was die anderen Probleme angeht, habe ich sie nicht beantwortet und kann mich also jetzt nicht dazu äußern. Ich möchte aber hinzufügen: Dass man etwas missversteht, kann passieren. Ich nehme deine Bedenken gern auf. Aber das Kummerkasten-Team arbeitet ehrenamtlich, und wir sind in der Regel nicht dafür ausgebildet, noch kennen wir die Problemschreiber persönlich. Da bleibt es nicht aus, dass gewisse Aspekte, hier und dort, nicht berücksichtigt werden. Ganz allgemein würde ich sagen: Oft gehören mehrere Seiten dazu. Ich kann nur versuchen, mich in die Lage der Fragenden zu versetzen; ob man seinem Anspruch genügen kann, dabei den richtigen Nerv und Ton zu treffen, ist zu hoffen - garantieren kann man es nicht.

Liebe Grüße,

Paul

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"Teil zwei"
http://mein-kummerkasten.de/304871/Mobbing-Weil-ich-anders-bin.html
Von Dahlia beantwortet

Hallo Lotte,

nichts in dem Text des Mädchens weist daraufhin, dass sie ihren deutschen Mitschülern gegenüber verächtlich oder abwertend auftritt. Natürlich kann ich die Situation nicht objektiv bewerten, schließlich kenne ich nur die Schilderungen der Fragestellerin. Aber genau um sie geht es auch, denn sie ist verzweifelt genug um sich an uns zu wenden, nicht ihre Mitschüler.
Ja, sie ist stolz und ja, damit kann man bei Menschen leicht anecken. Aber sie schreibt nichts davon, dass sie sich als etwas besseres fühlt, sondern sie wirkt eher verwirrt weil andere Menschen Erwartungen an sie haben („benimm dich wie ein richtiges Mädchen!“) die sie nicht erfüllen möchte. Und ich finde es wichtig, dass sie begreift, dass sie diese Erwartungen nicht zwangsläufig zu erfüllen braucht. Anpassung ist in unserer Gesellschaft natürlich im gewissen Maße wichtig, aber sie wird oft so stark gefordert, dass das Individuum, wenn es diesem Druck nachgibt, sich kaum noch traut morgens in den Spiegel zu schauen. Und in einem derart jungen Alter finde ich es wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass sie vor allem mit sich selbst im reinen sein müssen.

Und mal hypothetisch angenommen, das Mädchen wäre tatsächlich so arrogant und würde ihre Mitschüler mit Verachtung gegenüber treten, würde auch das nicht rechtfertigen, ihr als Vegetarierin Fleisch unter die Nase zu halten bis sie sich erbricht oder ständig an ihren Sprachproblemen herumzukritisieren. Gemobbt werden in der Regel nicht die arroganten mit dem starken Selbstbewusstsein, über die wird vielleicht gelästert, aber fertig gemacht werden die, die keinen Rückhalt haben. Und wie bereits gesagt: Nichts in den Schilderungen des Mädchens weist darauf hin, dass sie ZU stolz ist. Sie hält sich nicht abseits der deutschen Kultur auf, sondern sie spielt in einem Fußballverein und erweckt den Anschein, als wäre sie sehr gesellig und wolle Teil der Gemeinschaft sein, aber eben nicht unter der Bedingung ihre eigenen Überzeugungen aufgeben zu müssen. Und das finde ich in Ordnung.

Liebe Grüße
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Es folgt "Teil drei"
http://mein-kummerkasten.de/305162/Vater-hat-mich-geschlagen.html
von Bernd beantwortet

Das Mädel schreibt nicht von einem einfachen Streit oder nur von einer Provokation zwischen den Schwestern: es hat eine handfeste Schlägerei gegeben!
Und der Vater wurde (so wie es sich liest) Zeuge dieser Schlägerei!

Du hast vollkommen Recht: ich denke, dass das Mädel etwas falsch gemacht hat!

Ich kann nicht meinen Bruder schlagen und dann, wenn mein Vater keine bessere Antwort auf mein unwürdiges Verhalten findet, ihn als letztes Glied in der "Kette der Gewalt" an den Pranger stellen!
Das ist eine Frage, der sich z.B. unsere Polizisten im Einsatz auch immer wieder stellen müssen: wie reagiere ich "angemessen" auf körperliche Gewalt?
Was machst Du, liebe Lotte, wenn Du z.B. Geschwister oder Eltern siehst, während die sich schlagen?
Versuche es, Dir vorzustellen!
Und gib mir Deine ganz eigene Antwort:
- schaust Du weg? Um nicht Stellung für einen von beiden nehmen zu müssen?
- stellst Du Dich daneben und versuchst mit wohl gewählten Worten die beiden auseinander zu bringen
- Meldest Du es dann dem Familiengericht (bei einer Schlägerei zwischen Deinen Eltern)
-- oder dem Jugendamt (bei einer Schlägerei zwischen Deinen Geschwistern)

- stellst Du Dich zwischen die Streithähne und riskierst, selber eine Abreibung zu bekommen
- versuchst Du den Streit zu beenden, indem Du den, den du als den "Überlegenen" siehst von weiterer Gewaltanwendung abzubringen versuchst?

Für mich ist der Auslöser die Schlägerei zwischen den Geschwistern!
Die Bemerkung, dass es nun zuviel gewesen sei zeigt mir, dass Gewalt in der Familie etwas zu sein scheint, dass sie über lange Jahre für sich akzeptiert hatten. Und sich daran gewöhnt, es anderen "mit gleicher Münze" weiterzugeben!
Eine wirklich vertrakte Situation: Kinder können sich nur durch Gewaltausübung ausdrücken, weil sie es durch die Eltern nicht besser wissen!
Wie wird die Welt gerechter?
Sicherlich niemals, solange ich jedes Recht für mich durchsetzen will, während mich das Recht meines Bruders einen Scheiß interessiert!
Mir fehlt irgendwie das Verständnis dafür, dass jemand, der seine Schwester schlägt, sich über Schläge, die er selber bezieht beklagt!
Wo fange ich also bei meinen Antworten an?

Bei dem, der meine Antwort liest! In der Regel bei dem, der die Frage stellt!

Wenn (in diesem Fall) sie meine Antwort beherzigt: sich nicht mehr mit ihrer Schwester schlägt:
dann steht sie eine Stufe über allen Schlägern!

Alles Liebe,

Bernd