Problem von Anonym - 24 Jahre

Mit Leistung Liebe ersetzen und was daraus wird wenn man nicht aufpasst.....

Hallo liebes KK-Team ,
ich trage seit einiger Zeit etwas mit mir herum und ich muss es mir einfach mal von der Seele schreiben da ich niemanden den ich kenne mit solchem unwichtigen Kram belasten will.
Ich bin mein Leben lang solo , zwar nie wirklich glücklich damit gewesen aber trotzdem damit klar gekommen . Es hat sich nur durch diesen Umstand eine geistige Macke gegeben die langsam überhandnimmt .
Die Macke besteht darin ( und das ist bei Männern glaub ich recht häufig ) das man das Defizit an Nähe und Zärtlichkeit durch Leistung kompensieren will , getreu dem Motto: "Harder Better Faster Stronger ". Das Problem wurde mit der Zeit immer massiver und jetzt mit 24 macht man sich langsam Gedanken warum man was Frauen angeht so inkompetent ist, ergo ist der Leistungswille größer denn ja . D.h. Man geht jeden Tag zusätzlich zur Arbeit 2 Stunden Instrument üben , 3x Die Woche zur Mukkibude den man möchte einer Dame für den durch ein Jahrzehnt Akne mit Narben geschundenen Körper ja wenigstens einen kleinen Ausgleich geben usw. Die Kehrseite ist Natürlich das das Eigene Selbstwertgefühl quasi nicht mehr existent ist wenn die FH-Klausur nur eine 1,3 ist , oder man nach 8 Stunden Arbeiten während der Praxisphase Abends Joggen geht und dann auf der Orchesterprobe nicht brilliert , um nicht zu sagen Falsch spielt .
Man fühlt sich durch sich selbst zu Leistung gezwungen da man eigentlich keinen hat der sich drüber freuen würde wenn man nicht Sonntags um 7 aufstehen würde um irgendwas für die FH zu tun oder Joggen zu gehen .

Alles weitere wäre lediglich ein mehr oder minder großes Suhlbad an Selbstmittleid und Wehklagen über die eigene Unfähigkeit was ich mir an dieser Stelle sparen möchte da es das Problem nicht weiter konkretisiert.

MfG und habt vielen herzlichen Dank für eure Arbeit

Miriam Anwort von Miriam

Lieber Hilfesuchender!

Also erstmal finde ich das, was du mir hier schilderst gar nicht unwichtig. Aber ich könnte nur Vermutungen anstellen, warum du das behauptest. Wenn dir etwas wirklich schwer auf der Seele liegt, dann ist es für dich von immenser Wichtigkeit, weil es ein Teil von dir ist. Und was mit einem selbst zu tun hat, will man wissen und das kann ich sehr gut nachvollziehen. Also, wie gesagt, es ist für mich nicht unwichtig, weil ich dein Problem sehr anspruchsvoll und durchaus interessant finde, da es sehr zum Nachdenken anregt.

Wenn du über deinen Beziehungastatus nie glücklich warst, dann vermute ich mal, dass du ihn gerne anders hättest. Auch schreibst du, dass du etwas (Muckibude) für deine Attraktivität machst.
Beim Lesen deines Problems habe ich mich an eine Freundin erinnert. Sie ist neunzehn und hatte auch noch nie einen Freund und hat mir erzählt, dass sie denkt, dass davon ihre Macke (sie nennt es auch so) komme. Ihre Macke war/ist die ständige Rationalisierung aller Alltagsgeschehnisse. Sie fühlt weder Nähe noch sonstige Emotionen, weil nur Leistung und Wissen zählt. Ich kann mir also gut vorstellen, wie man diese fehlende Nähe durch Leistung kompensieren möchte. Ich weiß nicht, ob ich das Inkompetenz nennen würde und dafür müsste ich dich persönlich im Umgang mit dem anderen Geschlecht sehen. Aber vielleicht ist es vielmehr etwas Verdecktes. Ich dachte von mir auch jahrelang, dass ich keine Freundschaften eingehen kann, aber dann kam eine ganz plötzlich und alles funktionierte irgendwie von alleine. Und bevor das funktionierte, glaubte ich auch nicht daran. Das fehlende Selbstwertgefühl ist leider ein großer Hemmer. Zum sich selbst Überwinden gehört manchmal auch, dass man sein eigenes Bild vom "sozial" inkompetenten Mann über den Haufen wirft. Und dadurch auch etwas macht, was das Selbstwertgefühl übertrumpft. Also vielleicht solltest du einfach etwas wagen. Wenn du zur FH gehst, da gibt es bestimmt viele Frauen. Du kannst dich ja einfach mal neben eine setzen und über ganz was Triviales reden und schauen was passiert. Ich glaube, dir würde es gut tun, ein solches Erfolgserlebnis zu haben, dass du siehst, dass sich z.B. jemand für dich interessiert. Da kannst du ganz verschiedene Methoden anwenden. Ich habe damals damit begonnen, im Bus die Leute anzulächeln, dann habe ich einer, die ich jeden Tag gesehen hatte, einen schönen Tag gewünscht und das hat irgendwann dazu geführt, dass ganz nette Gespräche entstanden sind, die einen darin bestärken, dass auch die Person und nicht nur die Leistung zählt, denn die angesprochenen Leute wissen nichts über Studiumserfolge oder sportliche Leistungen, sondern konzentrieren sich auf die Person, die ihnen gegenüber sitzt. Ich denke, du hast da nicht viel zu verlieren. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie dir nicht antworten oder unhöflich sind, aber auch wenn das passiert, sollte dich das nicht davon abhalten, es wieder zu versuchen. Und wenn es zu schwierig ist, dann sehe es als Aufgabe, die du dir jeden Tag stellst.

Da du sehr leistungsorientiert bist, kannst du dir am Anfang zum Beispiel das Ziel setzen einen Tag lang ein paar Menschen im Vorbeigehen anzulächeln und zu schauen, wie sie "antworten". Ich denke, dass solche Sachen irgendwann ganz von alleine funktionieren und wenn du klein anfängst und dich langsam steigerst, wirst du Erfolge spüren. Und wenn du merkst, dass du als Mensch unabhängig von Leistung wahrgenommen wirst, dann wird sich meiner Erfahrung nach auch das Selbstwertgefühl bessern. Und wenn sich das Selbstwertgefühl bessert, wirst du auch leichter eine Partnerin finden und Nähe und Zärtlichkeit aufbauen können.

Du verlangst extrem viel von dir. Auf Dauer schadest du dir damit nur selbst. Du merkst, dass das ganze irgendwann eine Grenze erfährt und deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt für eine Wende, solange du noch etwas ändern willst, und das merke ich, und nicht mehr nur alles hinnimmst. Ich hoffe, du verstehst, was ich dir damit sagen will. Und ich wollte dir nochmal sagen, dass mir dein Schreibstil sehr gefällt. Er hat irgendwie etwas ganz Besonderes an sich, wenn ich das so gelesen habe.

Viel Glück,
Miriam