Problem von Anonym - 14 Jahre

Was ist los mit mir?

Vor einiger Zeit hab ich schonmal an euch geschrieben ('Verliebt in einen "Unbekannten"') und möchte mich als erstes dafür bedanken, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mir zu helfen ^.^ Nun bin ich ein weiteres Mal auf eure Hilfe angewiesen. Damals schrieb ich ja, dass ich unglücklich verliebt bin; eure Antwort war, ich solle versuchen ihn anzusprechen und Kontakt zu knüpfen. Es ist eine gute Idee, leider ist sie im jetzigen Zeitpunkt schwer umzusetzen; schließlich hat er von einer Freundin erfahren, dass ich in ihn verliebt bin. Es ist nicht so, dass er mich jetzt deswegen provozieren würde, eher im Gegenteil: Seitdem er es nun weiß, verhält er sich total seltsam... Er guckt ständig zu mir und versucht Augenkontakt zu halten; letztens hat er mir sogar zugewunken! Ich hab mir schon Hoffnungen gemacht, aber in letzter Zeit ist er wieder 'normal' geworden, d.h. keine Reaktion mir gegenüber. Und damit bin nun bei meinem eigentlichen Problem: Durch dieses ganze Liebeskummer geht mein Leben langsam den Bach runter.
1) In letzter Zeit hab ich auf nix Lust. Wenn meine Freundinnen irgendwo hingehen, will ich einfach nicht mit. Ich hab noch nicht mal mehr Lust darauf, zu singen; dabei ist Singen schon seit 10 Jahren meine große Leidenschaft
2) Ich kann mich nicht mehr konzentrieren (was wohl auch an meinem Schlafmangel liegt). Wenn wir im Unterricht Texte lesen, kann ich noch nicht mal richtig vorlesen. Vorallem körperlich bin total leistunsunfähig geworden
3) Mir ist nur noch zu heulen zumute; Zuhause weine ich die ganze Zeit, und auch in der Schule will ich manchmal am liebsten in Tränen ausbrechen
4) Mein Essverhalten ist in letzter Zeit total seltsam. Ne Woche lang hab ich Fressattacken, dann guck ich in den Spiegel, denk mir nur "Ich bin viel zu dick", und hungere dann ne Woche; und dann fängt die Routine von vorne an
5) In letzter Zeit bin ich total aggressiv. Wenn mich was nervt, dann hab ich das Verlangen jmd eine reinzuhauen. Und wenn ich das nicht tue, dann wird mir total übel, ich krieg keine Luft mehr und mir wird schwarz vor Augen (für 5-10sek)
6) Ich hab mich auch schon ein paarmal geritzt (immer wegen ihm) und hab seit kurzem auch Selbstmordgedanken
Ich versteh langsam nicht mehr, was mit mir los ist. Bin ich etwa depressiv? Ich denke nämlich nicht, dass das nur noch Pubertät ist. Jeder ist mal unglücklich verliebt und vorallem in meinem Alter reagiert man oft über; aber... Ich weiß ja auch, dass es am besten wäre, ihn zu vergessen, doch ich kann einfach nicht...
PS: Sagt nicht, ich soll mit meinen Freunden darüber reden. Vor einiger Zeit hab mich meine 'BF' nämlich total verarscht und seitdem vertraue ich niemandem mehr.

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Ich könnte jetzt mit so einem Satz anfangen, der bestimmt herrlich Lust aufs Weiterlesen macht: Als ich in deinem Alter war... Ach was! Dafür müsste ich mindestens dreißig Jahre älter sein. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich sowas nur aus Ironie schreiben will.

Jeder ist mal verliebt, hast du geschrieben. Stimmt, aber: Jeder ist auch mal so richtig verliebt. Das muss nicht heißen, dass alles in Rosa getaucht ist, um dann plötzlich in Schwärze zu versinken. Die schlimmeren Lieben sind vielleicht die, bei denen langsam alles grau in grau wird. Die Hoffnung wird immer kleiner, der Wunsch immer größer, und man hat keinen Antrieb. Wenn ich unglücklich verliebt war, habe ich oft für Tage oder Wochen nur wenig gegessen, bin durch die Gegend gewandert, war immer müde... Nicht, dass das gefährlich gewesen wäre! Es ist eben aufgefallen. Aber: Irgendwann kommt der Tag, an dem man um sich schaut, alles erschreckend grün findet, und sich fühlt wie nach einem komischen Traum. Auf diese Hoffnung kannst auch du setzen.

Depressionen haben viele Leute; die Grenzen zum "Normalen" sind fließend. Das wichtigste, ob nun Depression oder nicht, ist aber, dass man ihr keinen Raum gibt: Es ist ungünstig, sich hinzulegen, oder sich darin zu ergeben; bitte denk nicht, dass ich dich belehren will. Ich nehme dein Gefühl ernst. Es können Depressionen sein, und die muss man ernst nehmen. Die Dunkelheit nimmt sich immer mehr Raum, je mehr ihr gegeben wird, verstehst du?

Ich glaube, du bist dabei, in eine Art Kreislauf zu kommen. Den gilt es zu durchbrechen: Wenn du schlecht schläfst, bist du unkonzentriert. Darauf folgt wieder ein Minderwertigkeitsgefühl, dein Essverhalten ändert sich, du fühlst dich schlecht, kommst nicht zur Ruhe... Also, es sind viele Ebenen, ich will mir auch nichts einfach hineindenken. Das ist nur die Art, wie man es meistens findet.

Was wichtig ist, sind Ventile. Du schreibst, dass du das Bedürfnis hast, zu weinen. Es kann die Erschöpfung sein, vor allem aber das Nachdenken. Niemand zwingt dich, mit Freunden darüber zu sprechen. Trotzdem wäre es gut, wenn du jemand einfach alles erzählen könntest. Vielleicht bei mehreren Gelegenheiten, denn ich kann aus der Ferne nicht alles wissen; wenn man direkt etwas sagt, von Mensch zu Mensch, brechen ja auch viele Dinge hervor, die einem sonst nicht einfallen.

Gibt es jemand in deinem Bekanntenkreis oder in deiner Verwandtschaft, der dafür in Frage käme? Mir selbst hat es in solchen Situationen geholfen, ein Tagebuch zu führen, oder irgendwie alles in Worte zu fassen. Dasselbe würde auch mit Malen oder Zeichnen gehen, sicher auch mit Gesang: Nimm zum Beispiel die Melodie eines Liedes her, dass du sehr gern magst, und schreib den Text so um, dass er auf dich passt. Also, das ist jetzt ein Tipp, der vielleicht sehr von mir ausgeht. Er muss nicht passend für dich sein. Trotzdem sind gerade Hobbys es, die einem helfen können. Das Schwierige ist, glaube ich, sich nicht bei allem schlecht zu fühlen, sondern zu sagen: Das ist meins, meine Sache, mein Gefühl, das kann mir niemand nehmen. Er mag mich noch so enttäuscht haben.

Wenn dir schwarz vor Augen wird, gibt mir das schon zu denken. Es kann sein, dass der seelische Schmerz zu einem körperlichen wird - also, dass der Körper reagiert. Das kommt öfter vor als man denkt, jedoch solltest du vielleicht mal mit einem Arzt / Ärztin sprechen, wenn es immer wieder kommt. Ich kann keine Diagnose stellen - aber ignorieren sollte man es nicht.

Worum ich dich bitten möchte, ist mit dem Ritzen aufzuhören. Das Schlimme am Ritzen ist, dass es auch zu einem Bedürfnis werden kann: Möglicherweise, weil der Schmerz der Wunden den inneren Schmerz übertönt. Ich sage nicht, dass es einfach ist. Aber ohne übertreiben zu wollen, bitte ich dich einfach darum; es mag vorkommen, aber es darf sich nicht fortsetzen. Das wäre gefährlich, und absolut ungerecht. So wenig wie er etwas für seine Gefühle kann, kannst du etwas für deine. Niemand ist es wert, dass man sich seinetwegen Schmerzen zufügt.

Ich möchte dir keine Angst machen, indem ich irgendwo dramtisiere. Aber es wäre schon eine Möglichkeit, auch mal einen Psychologen zu Rate zu ziehen. Sie dürfen nichts weitergeben und sind in der Lage, Probleme gut einzuschätzen. Du musst auch keine Angst davor haben. Vielleicht ist es einfach, um mal eine andere Einschätzung zu bekommen.

Doch, nach allem: Es ist auch in Ordnung, mal verzweifelt zu sein! Schwierig wird es erst, wenn man nicht aus eigener Kraft ein Ende setzen kann. Wichtig für dich ist es, auszubrechen: Ich möchte dich ermutigen, dich kräftig deinen Hobbys zu widmen, auch mal mit Freunden rauszugehen, einfach alles zu tun, damit die Trauer nicht so hochkommt. Ich will es nicht darstellen, als sei das das Einfachste der Welt; aber doch ist es der beste Weg. Wenn es dir schwerfällt, dann zögere nicht, dir Unterstützung zu holen! Denn das Zentrale ist immer, gerade etwas zu tun. Auf einem Weg zu sein, so schwer er auch ist. Man muss noch nichts erreicht haben, um sich besser zu fühlen. Nur etwas tun, immer etwas tun, sich etwas vornehmen, beschäftigt sein: Dann sieht die Welt schon anders aus.

Ich wünsche dir alles Gute,

Paul