Anwort von Johannes

Liebe Hanna,

vielen Dank für deine E-Mail!

Was ist passiert, dass du das Gefühl hast, dass dir dein Kumpel nicht vertraut? Hat er dir das gesagt? Gab es Situationen, in denen du den Eindruck hattest, dass er dir bestimmte Dinge nicht sagen möchte? Natürlich kenne ich ihn nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass er einfach noch etwas schüchtern ist und dir nicht alles erzählen möchte, weil ihr euch noch nicht so lange kennt. Ich würde vorschlagen, dass du ihm einfach noch ein bisschen Zeit gibst. Irgendwo denke ich aber auch, dass er dir sogar sehr vertraut, weil er dir erzählt hat, dass er sich ritzt. Das ist in der Regel nicht selbstverstädlich.

Ich versuche nun auf deine Frage einzugehen, was du tun sollst. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Wenn du dich dazu in der Lage fühlst, kannst im ersten Schritt versuchen, das Problem eigenständig anzugehen. Zuerst würde ich versuchen, deinem Kumpel das Gefühl zu geben, dass er dir wichtig ist und dass er mit seinen Problemen jederzeit zu dir kommen kann, wenn er möchte. Oft ist einem schon geholfen, wenn man sich mal den ganzen Kummer von der Seele reden kann. Du kannst für ihn da sein. Sage ihm, dass du Angst um ihn hast. Ihm hilft es bestimmt auch, wenn er sich bei dir ausheult und nicht mit seinem Schmerz alleine bleibt. Das bringt nämlich in der Regel nicht viel. Ich weiß, dass viele Jungs nicht gerne über solche Sachen reden, auch wenn es ihnen sicherlich guttun würde.

Falls ihm damit alleine nicht geholfen ist (was nicht ausgeschlossen ist, weil Menschen, die sich selbst verletzen meistens professionelle Hilfe brauchen), ist es wirklich das beste für ihn, sich Hilfe bei einem Psychologen zu holen, auch wenn er es im Moment wahrscheinlich noch nicht so sieht. Dort wird er lernen, dass man auch anders mit negativen Gefühlen umgehen kann. Grundsätzlich ist es so, dass Psychologen unter Schweigepflicht stehen und keinesfalls weitererzählen dürfen, was ihnen anvertraut wird. Das kannst du deinem Kumpel auch ruhig sagen, damit er keine Angst haben muss, dass seine Probleme dann irgendwie an die Öffentlichkeit geraten. Wenn er sich dennoch unsicher sein sollte, kann er auch dirket am Anfang des Gespräches danach fragen. Je mehr sich dein Kumpel öffnet, desto besser wird man ihm auch helfen können. Dabei wäre es natürlich sehr hilfreich, wenn er Unterstützung von seinen Eltern bekommt.

Alternativ könnte sich dein Kumpel mit seinen Problemen auch zuerst an einen
Schulpsychologen oder Vertrauenslehrer wenden. Das könnte für ihn etwas einfacher sein. Falls er jegliche Hilfe verweigert, zögere bitte nicht, mit dem Vertrauenslehrer zu reden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass dir dieser Schritt sehr schwer fallen könnte, weil du deinen Kumpel nicht "verraten" möchtet. Diese Situation würde ich aber nicht als Verrat bezeichnen, weil du helfen willst und nicht länger zusehen kannst, wie er sich und seinen Körper kaputt macht. Du würdest dem Vertrauenslehrer nicht davon erzählen, weil du deinen Kumpel verpetzen oder ärgern möchtest, sondern weil du nur das beste für ihn willst und dass es ihm wieder gut geht.

Ich hoffe, dass ich dir mit meiner Antwort ein wenig weiterhelfen konnte und dass dein Kumpel bald zu einer Einsicht kommt, dass er Hilfe braucht. Ich wünsche dir die nötige Kraft, den Jungen zu unterstützen. Ich kann nur wiederholen, wie klasse ich es finde, dass du ihm helfen möchtest. Das ehrt dich wirklich sehr. Nimm aber bitte auch auf dich und deine Grenzen Rücksicht und schau, dass du selbst nicht an dem Problem deines Kumpels zugrunde gehst. Vergiss bitte nicht, dass man andere Menschen nicht ändern kann, sondern nur sich selbst. Denke immer daran, dass es nicht dein Problem ist. Lasse es nicht zu deinem Problem werden! Falls du die Situation selber gar nicht mehr ertragen kannst, weil du merkst, dass du ihm nicht helfen kannst oder er sich nicht helfen lassen will, gehe ein Stück auf Distanz. Lasse ihn los, aber nicht fallen.


Alles Liebe,

Johannes