Problem von Anonym - 30 Jahre

Alles oder nichts (III)

Mein leben besteht nur aus Unterschiedlichen schlechten Phasen. Manchmal lieg ich nur rum und fühle mich schlecht. Entweder ich hungere, oder Fresse regelrecht.

Ich hatte mal Hobbys. Aber jetzt, bin ich so unmotiviert. Entweder ich schreibe mal etwas, hack auf mir herum weil ich n Nichtsnutz bin, sitz' am computer, Träume von der liebe oder mache gar nichts. Manchmal hilft es lange wach zu bleiben. Auch Drogen waren jetzt länger ein Hilfsmittel.

Ich entschuldige und bedanke mich übrigens, dass ich den Kummerkasten nutze. Ich habe niemanden zum reden. Meine Freunde lachen mich lieber aus und lästern. Meine Familie will davon auch nichts hören. Sie sind geliebte menschen. Darum vertraue ich ihnen nicht. Belüge sie um zu bestehen. Schlüpf in eine Rolle und verkörpere diese.

Ich weiß das der Selbstwert wichtig ist. Ich versuche gerade etwas Selbstachtung zu entwickeln. Aber das ist schwer wenn das beste an mir so lästig und schlecht sein soll.. Wirklich schwer.

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich!

Erstmal, ich hoffe es ist für dich okay, wenn ich die Problemtitel angleiche. Ich tue das nur aus Rücksicht auf Mitleser, die sich eher etwas darunter vorstellen können - nicht, um dich zu übergehen.

Du hast von der Liebe als dem gesprochen, was man an dir am meisten - und deiner Meinung nach einzigsten - an dir schätzen kann. Es ist möglicherweise das Wertvollste, aber sicher nicht als einziges an dir wertvoll.

Im Grund genommen sind die Sätze, die ich dir so schreibe, dir wahrscheinlich nicht neu. Es sind Ziele, die ich diktiere, keine Methoden; das macht es für dich schwerer. Mit dem obigen Text hast du - vielleicht ohne es zu wollen - das Problem mit dem Selbstwert an der Wurzel gegriffen: Er kann sich nicht einstellen, wenn du nichts hast, worauf du stolz sein kannst.

Liebe ist etwas Schönes, hat aber auch die Eigenschaft, unkontrolliert wach zu werden und sich zu entwickeln. Du hast es sehr schön als "Entkleiden" beschrieben: Mit dieser Metapher erzeugst du ein gleichzeitig erschreckendes und wunderbares Bild. So wie man sich vor seinem Partner "praktisch" entkleidet, so kann die unerwiderte Liebe einen "seelisch", bis auf das Innerste, entkleiden. Der Reiz deines Satzes liegt unter Anderen darin, das wir es im ersten Fall mit einem Verhältnis tiefsten Vertrauens zu tun haben (zumindest im Idealfall). Im zweiten ist die Situation von tiefem Misstrauen geprägt. Der Angst verletzt zu werden, aber auch der Unsicherheit, ob man dem Frieden trauen kann.

In dem Moment, in dem man sich fürchtet, ist es gut, sich nicht auf die Liebe beschränken zu müssen. Hier kommen die Hobbys ins Spiel - die Dinge, die uns Spaß machen, die uns kräftigen an Körper und Geist. Und wenn ich das so schreibe, wirft es abermals die Frage nach der Schönheit auf: Ein jeder Mensch, der mit sich zufrieden ist, kann nur schön sein - ganz egal, ob dick, ob dünn, groß oder klein, blond oder dunkelhaarig, was auch immer. Es gibt das, was die Menschen um uns herum als schön empfinden - ob sie das nun selber denken, oder bloß nachplappern. Und es gibt das, was wir selbst an uns mögen. Wenn wir die Mitte zwischen beidem finden, den Kompromiss, dann sind wir unverbesserbar. Was die Anderen schön finden, kann ich nur umsetzen, wenn ich es auch schön finde. Daher treiben wir Sport, lesen Bücher, retten die Ozeane, und vieles mehr: Es sind Dinge, die zu unserem Selbstwert beitragen. Das Individuum kann nur bestehen, wenn es sich so wahrnimmt. Wenn es seine Leidenschaften hat, denen es nachgeht, und durch die es hervorsticht. Dann erst kann der Punkt kommen, an dem man sich als grundsätzlich anders, aber nicht falsch, begreift. An dem man die gerechte Unverforrenheit besitzt, zu verlangen, dass die Welt einen anerkennt.

In deiner Situation wäre es also wichtig, das du - ich sage es mal so krass -, beginnst, dich neu zu erfinden. Theoretisch hast du die Freiheit, alles auszuprobieren. Was zählt ist, dass aus dir ein Mensch wird, der sich nicht nur vor der Welt verschließt, sondern unter dem sie sich etwas vorstellen kann. Und letztlich wirst du so wieder interessant. Es gibt Menschen, die sind grundverschieden von allen, die sie umgeben; aber wenn sie zu ihrem Anderssein stehen, werden sie trotzdem und gerade gemocht. Wie sieht es bei dir aus? Ich kann ehrlich gesagt, nicht mal so ganz einschätzen, was wäre, wenn ich dich frage: Gehst du auch mal raus? Oder wenn ich es vorschlage: Geh doch mal raus!

Es ist völlig in Ordnung, wenn du in deiner Zuschrift die präzisen Details ausgespart hast; ich verstehe dich jetzt auch so. Ich weiß nicht, was du beruflich machst, wo du lebst, und in welchen Verhältnissen - für meinen Vorschlag ist das auch unerheblich. Du solltest versuchen, einen Prozess in Gang zu bringen. Und der beginnt an dem Punkt, an dem du versuchst, dich neu zu erschaffen. Deine Sehnsucht zeigt, dass du weder alt noch verbraucht bist. Es ist noch alles drin. Wenn du beginnst, dir ein Hobby zu suchen, Menschen zu treffen, wird es dir besser gehen. Und dein Verhältnis zu Familie und Freunden wird es zweifach verbessern. Erstens in dem Sinn, dass du ihnen selbstbewusster entgegen trittst. Und zum zweiten, dass sie dir mit mehr Respekt begegnen. Nach langen Durststrecken hast du den Vorteil, dass schon die kleinste Veränderung die Leute aufhorchen lässt. Was es genau sein könnte, weiß ich wiederum nicht; es ist von Bedeutung, dass du dich beschäftigst, dass du ausbrichst aus deinem Käfig.

Einen Satz gibt es, der mich beschäftigt: Ich hoffe, du hast mich nicht so verstanden, dass ich deine (empfundene) Liebe als schlecht darstellen will. Das möchte ich nicht. Es geht mir darum, dein Verhältnis zu dir selbst zu beleuchten. Deine Liebe ist das, was du an dir schätzt, wofür du dich zugleich aber ablehnst; denn das Beste an dir, scheint dir gleichzeitig Zielscheibe für die Missgunst Anderer. Es ist aber nicht so: Worauf du am meisten stolz sein kannst, die Liebe, ist auch das, wofür man dich am meisten bewundern muss - und eben nicht ablehnen. Ist doch logisch, oder? :)

Alles Gute,

Paul