Problem von Anonym - 12 Jahre

Ich hasse es

Hallo

Ich bin hier im Forum, weil ich mir nicht mehr anders zu helfen weiß! Ich habe tausend mal versucht mein Leben in die Hand zu nehmen und alles besser zu machen, aber jedesmal kommt es mir vor, als wäre ich in einem tiefen Loch und komme nicht mehr heraus, als wäre das eine Barikade, die mich daran hindert glücklich zu sein. Ich bin 12.

Ich fange mal bei meiner Familie an: Mein Vater war früher Alkoholabhängig, jetzt hat sich das aber gelegt. Meine Mutter wollte ihn deshalb verlassen, sie ist nur wegen uns bei ihm geblieben. Es kommt mir oft vor, als wäre sie selbst depressiv. Sie redet oft darüber, wie viel sie in ihrem Leben anders gemacht hätte, weil sie ihre Matura hingeschmissen hat usw... Meine Schwester studiert in einer anderen Stadt und ich sehe sie über das Jahr nur am Wochenende. Ich hasse es irgenwie mit meinen Eltern alleine zu sein und andererseits habe ich das Gefühl die letzte Versagerin zu sein, wenn ich sehe, wie unbeschwert sie ist. Sie kommt übrigends auch nicht gut mit meinem Vater klar. Ich weiß nicht, ich glaube ich hasse ihn, obwohl er mir wichtig ist und ich versuche über seine Schikane gegenüber meiner Mutter (es geht um alltägliche Dinge, also keine Sorge) und seine Dummheit (ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll, er hält sich einfach für einen Märtyerer, aber ich schaffe es einfach nicht. Außerdem bin ich Vegetarierin und es macht mich rasend, wenn er über Tiere redet, als wären sie willenlose "Sachen und mich ständig dazu überreden will auch wieder Fleisch zu essen, obwohl ich ihm schon tausend mal gesagt habe, dass ich nicht will. Er versteht neimals ein Nein, niemals.

Ich hasse die Schule. Es ist nicht so, als hätte ich keine guten Noten, aber ich finde so vieles dort einfach unsinnig. Die Lehrer wollen, dass wir dort "Spaß" haben, überfordern uns aber total und mir gefällt der Stoff überhaupt nicht. Ich weiß, dass ich darüber eigentlich keine Ahnung habe, aber ich meine, wenn man schon Lehrer wird, dann macht man seinen Job doch gern, oder? Und solche Fächer, wie BE... Ich mag zeichnen usw, aber bei uns ist das kein Spaß mehr. Schüler werden bloßgestellt und schikaniert, nur weil sie nicht alles perfekt gemacht haben. Sie tun gerade so, als wären Nebenfächer von unermesslicher Wichtigkeit, obwohl man genauso gut Doppelstunden einführen, damit man weniger jahre braucht oder die abfallende Zeit den Schülern zur Verfügung stellen könnte, damit sie mehr Freizeit haben könnte. Und ja, ich habe das Gefühl, ich habe nicht genug Freizeit. Meine Leidenschaft ist nämlich das Schreiben und damit ich das kann, muss ich erst einmal in meinen Rhytmus finden, oder an einen inspirierenden Ort gehen und das braucht einfach seine Zeit. Außerdem bin ich nicht gerade ein sozialer Mensch und das ich mich mit Leuten, die teils einfach sch* sind abgeben muss ist einfach schrecklich. Ich habe dort zwar meine Freunde usw., aber es ist so , dass sie erwarten, dass ich mich für alles, das sie zu Stande gebracht haben und ihre ganzen Probleme interessiere, was ich selbstverständlich tue, aber sie selbst hören mir so gut wie nie zu. Sie sind mir wichtig, aber manchmal habe ich das Gefühl, ich bin ihnen egal.

Vor zwei Wochen habe ich dann mein absolutes tief erreicht. Meine Mutter hat gedacht ich bekomme die Grippe, weil ich einen einstündigen Heulkrampf hatte. Ich begann eine Bachbütentherapie, half aber nichts. Deshalb gingen wir zur Psychologin. Ich habe ihre Fragen wahrheitsgemäß beantwortet, aber... Wie soll ich sagen einerseits habe ich ihr gar nicht alles erzählt, weil ich mit solchen Leuten einfach nicht reden kann. Ich habe ständig das Gefühl sie will mich manipulieren und sowas klappt nicht bei mir. Außerdem dachte sie es dreht sich alles nur um die Schule, das denken alle, auch meine Mutter, aber so ist es nicht:

Ich erspare auch das übliche Gelaber und fasse kurz zusammen: Ich hasse die Menschen, ich hasse mich, ich hasse mein Leben, ich hasse die Welt, weil wir sie verseucht haben und sie eigentlich so wunderschön ist.

Ich sehe in dem ganzen einfach keinen Sinn mehr und ohne das Schreiben wüsste ich eigentlich gar nicht was ich machen sollte. Ich denke ständig über Selbstmord noch, aber dafür ist mir mein Buch, meine Familie, auch mein Leben einfach zu wichtig. Ich denke ständig, dass Gott mich verlassen hat und mein Schicksal sich nicht um mich kümmert.

Bitte helft mir ich will einfach wieder glücklich werden! :(

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Warum sind wir Menschen, wie wir sind? Diese Frage stellst du dir im Augenblick, und das völlig zu Recht. Es wäre schlimm, wenn niemand sich mehr diese Frage stellen würde.

Aus irgendeinem Grund sind wir intelligenter als der Rest der Lebewesen - zumindest behaupten wir das. Wenn ich so darüber nachdenke, kommen mir gewisse Zweifel. Wir haben vor Jahrtausenden begonnen, Tiere zu jagen und Fleisch zu essen, und dabei ist es geblieben; wir haben die Technik erschaffen, die Wissenschaft aufgebaut, wir haben den Alkohol erfunden und die Schule. All das war einmal gedacht, um uns zu helfen, um für Glück und Gesundheit zu sorgen. Mittlerweile ist die Erinnerung daran verblasst, wir sind maßlos und undankbar geworden.

Warum nur? Solange es Menschen gibt, fragen wir uns das schon. Es ist nur natürlich und für dein Alter sehr reif, dass auch du dich das fragst. Du erlebst in deiner Familie, in der Schule und überall die Dinge, die dich stören. Und weil du alt genug bist, die Fehler zu kennen, aber zu jung, als dass man dich ernst nimmt, überkommt dich Verzweiflung. Korrigier mich, wenn ich Unrecht habe. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass du dir diese Gedanken machst. Mit Sicherheit bist du nicht auf dem falschen Weg. Es gibt keinen Grund, dich bessern zu wollen; du schilderst jemanden, der richtiger nicht sein könnte!

Ich bin selber noch nicht gerade alt, zum Glück. Aber grundsätzlich halte ich niemanden, der jünger ist als ich, deswegen für unverständig. Die Gedanken der Jüngeren haben dieselbe Tiefe, es sind dieselben Probleme, die sie beschäftigen; und in deinem Fall fehlen nicht einmal Worte, um sie auszudrücken. Das verdient Respekt, wirklich.

Vor einiger Zeit hielt ich meine Abiturzeitung in Händen. Eine Mitschülerin schrieb: "Ich werde berühmt durch... meinen Kampf gegen das Fleischessen." In diesem Moment beneidete ich sie sehr. Nicht so stark, weil sie Vegetarierin ist - gut wäre es, allein ich schaffe es nicht -, sondern weil sie ein klares Ziel für ihr Leben formuliert hat. Man könnte einwenden, es stand kein konkreter Beruf da - aber ich glaube, du verstehst was ich meine. In deinem Text sprichst du sehr viele Dinge an, die dich beschäftigen. Fragen, die es zu lösen gilt, Kritik, die einmal laut werden müsste. Und das ist das Allerbeste.

Lass es fließen. Halte es nicht zurück. Damit meine ich nicht, dass du es jedem an den Kopf wirfst. Schreib weiter, halte deine Gedanken fest, bilde sie heraus und komm nicht zum Ende. Ich glaube, dass in dir ganz viele Visionen stecken, ganz viel Nützliches. Es darf nicht ungenutzt bleiben.

Du sollst dir nicht als Versagerin vorkommen, das wäre ungerecht. Denn das bist du nicht. Deine Eltern wirst du wohl nicht ändern können - gut ist es schonmal, wenn du es verstehen kannst. Ich weiß nicht, wieweit du dich an einem Punkt fühlst, an dem sich zuhause unbedingt etwas ändern muss. Im Grunde hast du das Verhalten deiner Eltern richtig begriffen: In deiner Mutter ist da jemand, die vielleicht ihre eigenen Träume in dir verwirklichen möchte. Es kann sein, dass sie es deshalb einerseits mit ihrer Fürsorge übertreibt, und andererseits nicht begreift, was die wirklichen Probleme sind. Dein Vater - aber auch das ist nur meine Überlegung -, mag in sich noch mit der Alkoholsucht ringen: Mit der Erinnerung, dem schlechten Gewissen; mit dem Gefühl, dass er seiner Rolle nicht gerecht werden konnte. Du weißt, dass er sich nicht überzeugen lässt; aber du bist ein Mensch mit eigenen Gefühlen und Wünschen, du musst darauf nicht eingehen. Er ist kein Märtyrer, er hat Schwäche gezeigt und jetzt fehlt ihm Einsicht, worum es wirklich geht. Kann es so sein? Ein Stück weit ist dies ein normaler Prozess: Sich an seinen Eltern zu stören, es anders machen zu wollen. Für dich ist im Augenblick noch alles offen. Was dich unterscheidet, sind deine Auffassungsgabe, und die extreme Situation - die Trennung deiner Eltern, das Unverständnis, das aus ihrem eigenen füreinander kommt. Aber ich bin sicher, du wirst es schaffen.

Ich möchte dich ermuntern, dir deine Leidenschaft zu erhalten. Ich verstehe, dass du dich von der Schule in deinem Schreiben behindert fühlst - anders ist es auch gar nicht. Ich stimme dir zu, es mangelt an Freizeit, es mangelt an Ruhe, an Inspiration, an Pausen. Beruhigt es dich, wenn ich dir schreibe, dass es fast allen so geht? Ich will es, was dich betrifft, nicht verharmlosen - es ist nur so, dies ist eine der drängenden Fragen unserer Zeit. Die Schule ist dennoch da, um dich fürs Leben auszurüsten; von da aus kannst du etwas ändern. Ich kenne es aus eigener Erfahrung, und aus mehr als einer Schule. Das Problem ist vielleicht, dass jeder Lehrer sich in seinem Fach selbst verwirklicht. Aber weil Noten über alles zählen, und weil Spezialisten in einigen Sparten besonders gefragt sind, wird dieser Kampf auf dem Rücken der Schüler ausgetragen. Es lässt sich nicht ändern, solange man es noch miterlebt; man muss es deswegen nicht hinnehmen. Sicher, Nebenfächer werden überbewertet, häufig; und ich bestreite nicht, dass es überhaupt zu viele Stunden gibt. Als Schüler hast du das Gefühl, nur über deine Leistung definiert zu werden; die, die es nicht schaffen, werden schikaniert. Das ist inzwischen fast üblich, scheint es. Aus dem Stand lässt sich nicht sagen, warum. Möglich, dass wir einfach im Ganzen zu egoistisch, zu ehrgeizig sind. Aber so muss es nicht bleiben. Lass deine Träume zu, und erlaube dir, Dinge schlecht zu finden!

Wie ist es bei euch untereinander? Es ist schön, dass du ein offenes Ohr für Andere hast. Leider kann es da leicht geschehen, dass sie keines für dich haben. Das kann mit der Zeit anders werden; vielleicht hast du auch einfach das Pech, dass es dir näher geht. Oder ist es, weil du besonders gut zuhören kannst? Weil dein Rat besser klingt als der Anderer? Sei so frei, dich ein bisschen zu loben! Es gibt gute Gründe dafür! Ich frage mich nur, ob es wert ist, das mit deinen Freunden zu besprechen - oder ob es einfach so ist, dass ihr euch alle schwer tut, mal der eine, mal der andere mehr. Gib dir etwas Zeit, und sprich es an, wenn dich etwas stört. Nur gib Acht, dass du dich nicht mehr damit belastest, als du schon fühlst. Es wird nicht dabei bleiben, da kannst du sicher sein. Freundschaften enden und andere kommen, aber vor allem bilden sich solche heraus, in denen man sich geborgen fühlt. Ich möchte dich beruhigen: Du bist nicht egal, oder nur für Probleme gut; mit der Zeit wird jeder merken, was er an dir hat. Ich will absolut keinem deiner Freunde schlecht nachreden, deshalb schreibe ich es so. Es ist eine chaotische Zeit, aber sie ist nicht für ewig. Du bist gemocht und wirst gemocht werden, wie du bist.

Zum Schluss bitte ich dich noch um eines: Tu dir nichts an - es wäre schade, es wäre ungerecht. Du tätest niemand einen Gefallen damit. Auch das Gespräch mit der Psychologin zeigt nicht, dass du krank oder unerwünscht wärst; heutzutage muss sich niemand dafür schämen. Sie ist für Menschen da, die Probleme haben, und das sind alle möglichen. Trotzdem zwingt dich keiner dazu. Vielleicht bist du noch nicht soweit, oder eine Therapie ist gerade nicht das Richtige? Auch das kann sein - aber ich will dich ermutigen, dich darauf einzulassen. Schaden kann es dir nicht. Alle Besserung ist ein Prozess. Der wird in Gang kommen, das ist sicher. Sei zuversichtlich - du bist es wert!

Alles Gute und liebe Grüße,

Paul