Problem von Florance - 22 Jahre

Bin ich wirklich ein hoffnungsloser Fall?

Liebes Kuka-Team,

Ich habe mir lange überlegt, ob ich mich an euch wenden soll, doch schliesslich bleibt mir sowieso nichts anderes übrig, da mir sonst niemand zuhört. ):
Bitte entschuldigt die Länge, aber langsam bin ich mit meinem Latein ebenso am Ende, wie mit meinen Nerven, einfach, weil mein Leben so scheisse ist.

Schon als kleines Kind hat mich meine Mutter vernachlässigt und mein Stiefvater mich geschlagen.
Viele Erinnerungen an die Zeit habe ich nicht mehr, da ich ja noch klein war, doch es musste wirklich schlimm sein.
Aus Erzählungen meiner Oma weiss ich auch, dass ich als Baby oft in der Luft herum geworfen wurde. Mein Steifvater soll mich einst sogar an die Wand geschmissen haben. O.o
Ich wusste schon immer, ich bin verrückt.

Naja, gehen wir weiter. Meine Mutter liess sich scheiden, als sie endlich einmal die Augen öffnete und gerade mitkriegte, wie mich mein Stiefvater auf offener Strasse vor all meinen Quartiersfreunden verprügelte.

Wir wanderten von Frauenhaus zu Frauenhaus, gingen ein halbes Jahr nicht mehr zur Schule, bis wir schliesslich ein neues Zuhause gefunden hatten.
Es war sogar in derselben Ortschaft, wie zuvor, so dass wir nicht einmal Schule wechseln brauchten.

Doch in der Schule wurde ich eh nur gemobbt. Lehrer und Schüler machten mit, sperrten mich ein oder vergassen mich. In der Turnhalle, z.B., welche bis am nächsten Morgen abgeschlossen war. Oder andere Schülerinnen nahmen mir meine Kleidung weg, während ich am Duschen war. Sport wie auch Strassenkleidung. Schreckliche Momente, wenn ich an meine Schulzeit zurück denke.

Zuhause war es nach der Scheidung auch nicht besser.
Der beste Freund meiner Mutter - wie ich später herausfand auch ihre langjährige Affäre während der Ehe - war oft bei uns zu Besuch. Am Wochenende nahm er auch seine Kinder mit.

Eigentlich nette Jungs, die nur leider ziemlich viel Unsinn im Kopf hatten, für den natürlich immer ich die Strafe kassierte, ebenso wie für meinen Halbbruder, Sohn meines Stiefvaters.

Ich war nicht immer nur Schuld an allem, ich musste auch den Haushalt schmeissen, mich um meinen Bruder kümmern und später auch um meine schwangere Mutter, die kaum schwanger keinen Finger mehr rührte.
Sie war jetzt auch fest mit dem Typen zusammen - leider.

Das Mobbing in der Schule wurde schlimmer, weil ich die Schule immer mehr vernachlässigen musste. Der Zustand zuhause wurde ebenfalls immer schlimmer, weil ich zusätzlich Stress wegen meinen schlechten Noten bekam.

Hinzu kam auch noch, dass der Freund meiner Mutter mich ebenso wenig zu mögen schien, wie ich ihn, nur zeigte ich ihm es nicht so, wie er mir.
Er hingegen schikanierte mich, schlug mich, veräppelte mich und fügte meiner Seele noch vielen weiteren Schaden zu. Nicht sexuell, aber etwa genauso schlimm.

Es gab beispielsweise immer etwas zu essen, was ich nicht mochte. Eine seiner Regeln war es, Reste vom vergangenen Essen zur nächsten Mahlzeit wieder zu nehmen. Und zwar solange, bis es weg war.
Da konnte es schon vorkommen, dass ich beinahe eine Woche lang dasselbe Essen kalt vorgesetzt bekam.

Irgendwann in meinem 15. Lebensjahr hatte ich die Schnauze voll davon und weigerte mich zum ersten Mal, einer seiner unzähligen Aufforderungen nachzukommen, um Hausaufgaben zu machen. Um 22.00 Uhr an einem Donnerstag, versteht sich.
Natürlich wurde das nicht geduldet.
ER stellte meine Mutter vor die Wahl - Er oder Ich - und meine Mutter schmiss mich noch am selben Abend aus der Wohnung.

Vorerst fand ich Unterschlupf bei meiner Grossmutter. Mit meiner Mutter hatte ich nur selten Kontakt.
Doch nur nach wenigen Monaten bat mich meine Grossmutter zurückzugehen.
Durch die neuen Freiheiten, die ich hatte, fühlte sie sich überfordert mit mir. Ich muss zugeben, leider habe ich ziemlich über die Stränge geschlagen, blieb nächtelang fort, um Party zu machen.
Meine Grossmutter wusste nichts, von den Vorfällen zuhause, weshalb ich meine Sachen nahm und vorerst zu meinem muslimischen Freund ging, dessen Vater nichts von mir wissen durfte.
Da er aber bei genau diesem lebte, musste ich nachts draussen bleiben, wenn nicht Freunde mir einen Platz anboten.

Meine Mutter hatte natürlich mitgekriegt, dass ich nicht mehr bei meiner Grossmutter war. Da hatte sie sich zum ersten Mal in meinem Leben so für mich interessiert, dass ich mir dies auch bewusst war.
Sie hatte mich angerufen und zu sich eingeladen. Am Abend musste ich dann aber leider wieder gehen, auch wenn sie genau wusste, wie ich zurzeit lebte.

Und als ich dann auf dem "nach Hause" Weg von einem Bekannten - nicht der Freund meiner Mutter - überrascht und vergewaltigt wurde, ist irgendwas in mir gebrochen.

Mein Lächeln verschwand, meine Lebensfreude ebenso und zu allem Überfluss begann ich, nicht mehr zur Schule zu gehen. Gerade wegen der Angst vor diesem Bekannten. ):

Ich wurde von der Schule geschmissen, das Jugendamt wurde aufmerksam auf uns und ich musste in ein Heim, etliche Kilometer weg von zuhause.

In diesem Heim bemerkte ich zum ersten Mal wirklich, wie unnormal mein Leben eigentlich immer war, obwohl ich dachte, es ginge jedem so, wie mir.
Die vielen Geschichten, die sie alle erzählten, halfen mir zwar dabei, mich zu öffnen, führten aber auch dazu, dass ich mich noch öfter einsam und unverstanden fühlte.

Ich hatte jetzt zwar Freunde - zum ersten Mal in meinem Leben :D, doch dennoch konnte ich ihnen vieles nicht anvertrauen. Ganz einfach, weil ich irgendwie nicht vertrauen kann. Niemandem, nicht einmal mir selbst.
Trotzdem bin ich mir sicher, durch die Platzierung in diesem Heim wurde mir ein "Absturz" erspart.

Ich lebe noch immer in diesem Heim und bin eigentlich immernoch der Meinung, dass es mir gut tut. Jedoch nur, weil ich weiss, alleine irgendwo würde ich untergehen.

Aber trotzdem fühle ich mich einsam, allein, ungeliebt. Wie Müll, einfach.
Ich bin unsterblich Verliebt in jemanden, den ich eh nicht haben kann, bestehe höchstwahrscheinlich meine Lehrabschlussprüfungen nicht, obwohl ich keine schlechte Schülerin bin und mir fehlt das Geld an allen Ecken und Enden, weil das Amt alles einsahnt. ): Und dass, obwohl ich trotz Ausbildung Vollzeitschülerin bin.

Zudem hat sich gerade jetzt, in dieser Zeit, wo es scheint, als würde mir meine Vergangenheit einfach zuviel werden, herausgestellt, dass meine Freunde nur Zeit für mich haben, wenn sie ein Problem haben.
Nicht, dass ich nicht gerne helfe, aber gerade weil ich doch immer Hilfe, verstehe ich nicht, warum mir niemand helfen oder zuhören will. ):

Und zu Psychologen will ich auch nicht, für die bin ich nämlich ein hoffnungsloser Fall.
Entweder sie verschreiben mir irgendwelche Medikamente, mit deren Einnahme ich nicht mehr ich selbst bin, oder sie sagen mir direkt, dass sie sowieso nichts für mich machen können. Hoffnungslos eben.
Die meisten wissen einfach nicht, wie sie mir helfen können. Kann ich sogar irgendwie verstehen, bin ich manchmal genauso hoffnungslos mit mir selbst.

Nur leider wird mir das auf Dauer wirklich auch zuviel und mögen tu ich auch nicht mehr.
Schon mein Leben lang fress ich alles in mich hinein, bestimmt gibt es einiges, was ich bereits gar nicht mehr richtig weiss, weil ich es verdrängt habe.

Ich möchte nur jemanden, mit dem ich mich Austauschen kann. Vielleicht sogar jemanden, der ähnliches erlebt hat. Doch obwohl ich mitten in der Quelle, in einem Heim, lebe, gibt es niemanden. ):

Lange habe ich an die Worte geglaubt, die man mir eingetrichtert hat. Das ich wertlos sei, Müll und überflüssig. Als ich hier her kam hatte es aufgehört.
- Aber nur für eine Weile.

In meinem Leben scheint alles schief zu gehen, was nur schief gehen könnte, als wäre ich das Pech höchst persönlich. :(
Ich glaube die Worte von damals mehr den je, weil ich sie zu spüren bekomme. Man sagt es nicht mehr, aber es fühlt sich so an.

Ich habe in meinem Leben nie jemandem absichtlich Leid zugefügt, niemanden verletzten wollen. Wenn ich jetzt für irgendwas bestraft werden soll, dann möchte ich mich auch offiziell entschuldigen. Es tut mir Leid, was auch immer ich getan haben mag! :(

Und nun, liebes Kuka-Team, könnt ihr mir vielleicht sagen, ob ich wirklich so ein hoffnungsloser Fall bin, wie jeder zu glauben scheint?

Habt ihr vielleicht einen Tipp, wo ich jemanden finde, mit dem ich mich wirklich austauschen kann?
Ich fühle mich wirklich so schrecklich allein in dieser Welt. :(

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Florance!

Es tut uns leid, dass du eine Weile warten musstest. Ich finde es toll, dass du uns geschrieben hast. Wenn es etwas gibt, das ich darin erkennen möchte, dann, dass du insgeheim an deinen Selbstwert glaubst - noch oder wieder, das spielt keine Rolle. Denn das wäre das Erste, das ich dir auch sonst geschrieben hätte: Dass du eben kein hoffnungsloser Fall bist. Und niemals, niemals einer werden wirst.

Florance bedeutet "in Blüte", so glaube ich. Fühlst du dich so? Gerade zweiundzwanzig Jahre alt, hast du schon so viel durchlitten. Wie ist das mit den Blumen auf dieser Welt, von denen du eine bist?

Es gibt Blüten, die sind an guter Stelle ausgesät. Sie wachsen und blühen auf, haben immer Sonne und Wasser. Keine von ihnen käme auf die Idee, dass es Andere ihrer Art gibt, die es nicht so gut haben.

Es gibt Blüten, die haben manchmal Licht und manchmal Schatten, manchmal Wasser und manchmal herrscht Dürre. Aber die Sonne ist stark genug, sie durch die schattigen Zeiten zu tragen.

Es gibt Blüten, die lange vor der Zeit verwelken. Aber keine verwelkt spurlos. Jeder Mensch, der auf der Welt gewesen ist, hat irgendwo Spuren hinterlassen. Das Einzige, was in seinem Leben falsch war, war nicht er, sondern die, die ihn gequält und zugrunde gerichtet haben. Aber er hinterlässt auch Spuren. Kleine Lichtblicke im Denken eines Menschen, der an ihnen vorbei geht, und der das Leben danach ein Stückchen bewusster wahrnimmt; schwere Steine, die nach langer Zeit auf die Herzen der Täter zu drücken beginnen, sodass sie keine Ruhe finden. Und selbst der, der einen Anderen so verletzt hat, lässt wieder Spuren zurück. Keine angenehmen, keine, die ihn in ein gutes Licht rücken - doch wirksame.

Es gibt Blüten wie dich, von denen wir hoffen können, dass sie nach langer Dunkelheit ans Licht finden. Niemand, absolut niemand ist auf dieser Welt ohne Aufgabe. Niemand ist ohne das Recht zu leben, niemand ohne das Recht glücklich zu sein. Also auch du. An dir ist nichts falsch. Was falsch ist, das waren die Umstände, in die du schuldlos hineingeraten bist. Könnte ich erklären, warum es so etwas gibt, wäre ich ein gutes Stück klüger. Doch das kann niemand. Ich kann nur wiederholen, was ich weiß: Dass kein Mensch ohne Sinn ist, jeder richtig, wie er ist. Und dass ich den Wunsch habe, dir das Wort Hoffnungslosigkeit zu nehmen. Hoffnung darfst du haben; du bist gut, so wie du bist.

Worte wie Müll oder Schmutz zu hören, wenn jemand über sich selbst spricht, macht mich traurig. Das bist du nicht. Es gibt immer einen Weg aus der Dunkelheit. Und deine Idee, jemanden zu finden, mit dem du dich austauschen kannst, ist sehr gut. Es gibt dazu viele Möglichkeiten - natürlich hängt es davon ab, wo du lebst und wie du es tun möchtest oder kannst. Vielleicht kannst du es übers Internet tun; je nachdem, worum es dir im Einzelnen geht, kannst du Gruppen oder Adressen ausmachen, die für dich interessant sind. Vermutlich ist es schwierig, jemand mit einer möglichst ähnlichen Geschichte zu finden. Sie sind schließlich alle verschieden, aber dafür nicht weniger lang und tiefgehend. Meine erste Idee war: Halte mal Ausschau, ob es in deiner Nähe Veranstaltungen gibt, die genau darüber aufklären wollen, was du erlebt hast: Gewalt zuhause, Misshandlung, Scheidung, und wie es den Kindern damit geht? Es ist so, dass man solche Themen nicht so offen an die Leute heran trägt. Dein Ziel ist es doch, jemanden zu finden, mit dem du direkt sprechen kannst - sich vielleicht ein Kontakt aufbaut? So habe ich es verstanden. Wenn du einfach mal so tust, als würde dich das Thema nur so interessieren, wirst du feststellen, dass es auch und vor allem für Leute interessant ist, die selbst betroffen sind. So hast du gleichzeitig den Vorteil, dich nicht einzuschließen, sondern raus zu kommen.

Wie es mit deinem Einkommen und Beruf im Einzelnen aussieht, kann ich schwer beurteilen. Es hängt davon ab, wohin es dich zieht. Kannst du denn in dem Heim, wo du lebst, das Thema einmal unkritisch aufwerfen? Schließlich leistest du außergewöhnlich viel dafür, dass du all das durchgemacht hast. Wenn es einen Ansprechpartner in der Nähe gibt, wäre das der erste Schritt. Auch wenn du es vielleicht nicht hören magst, aber ich würde doch raten, ob du dir das mit der Therapie nicht doch überlegst. Vielleicht nicht jetzt, aber auf lange Sicht. Wie die Dinge sich entwickeln, kannst du eine Berufsberatung wahrnehmen, wirst vielleicht einmal allein wohnen: Sind das nicht Ziele, die erstrebenswert sind? Ein Therapeut aber kann dich kennen lernen, er wird und darf nichts weiter tragen - und du kannst mit ihm sprechen, wie deine Sorge dich überkommt: In regelmäßigen Abständen, ohne dass er etwas von dir fordert. Manchmal braucht es auch hier eine Weile bis man den richtigen gefunden hat. Was genau das Richtige ist, entscheidest trotzdem noch du. Ich will nicht sagen, dass ein Therapeut die einzige und beste Lösung ist. Wichtig ist, dass du einmal nicht von allen Schlimmes befürchtest: Denn so ist es nicht. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wer grundrichtig ist - so wie du -, und es schon so weit geschafft hat, den wird das Leben nicht fallen lassen. Wenn du nur nicht aufgibst. Es geht immer weiter, und ich bin sicher, es wird sich in deinem Sinne entwickeln. Du wirst nicht allein bleiben; dafür hast du zuviel, was man an dir schätzen, ja lieben könnte.

Versuchen wir einmal, uns klar zu machen, was du alles geleistet hast: Die Widrigkeiten, die das Leben dir bot, hast du zumindest in ihrer schlimmsten Form überwunden. Und das warst wirklich ganz allein du, denn du hast die Nächte und Tage durchlebt, hast dich gequält und dabei doch nicht aufgegeben. Wie du es uns geschrieben hast, ist es wohl verständlich und lässt mich denken, dass du auf einem guten Weg bist. Warum? Weil ich hoffe, dir ein wenig von der Bitterkeit gegen dich selbst nehmen zu können. Aber es war nicht Hass auf die Anderen, von dem du geschrieben hast - es war die Trauer über das Leben. Und sie wird nicht bleiben, denn du bist es wert. Die Sonne wird weiter aufgehen; manchmal dauert es, bis man sie sieht. Doch ich vertraue darauf, dass dein Blick scharf genug ist - anders habe ich es bei keiner deiner Zeilen empfunden. Wenn du das Licht siehst - nicht nur vor dir, sondern auch dein eigenes -, dann freue ich mich. Denn ich kann es spüren. Es ist da. Stell es nicht dahin, wo man es nicht sieht; wenn du das versuchst, ist es schon misslungen. Ich sehe deine Bedeutung, dass du gut bist, dass du etwas vor dir hast, das dir gefällt. Und ich wünsche dir, dass du es bemerken und genießen kannst.

Alles Gute und liebe Grüße,

Paul