Problem von Anonym - 18 Jahre

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Liebe Pia,

Danke, dass du dich meinem Problem angenommen hast und mir schon mal ein etwas besseres Gefühl gegeben zu hast, damit nicht irgendwie komisch zu sein.

Ich war zwar seit knapp 5 in Therapie, aber hauptsächlich wegen Depressionen und Selbstverletzendem Verhalten, was ich aber mittlerweile im Griff habe. Wahrscheinlich hängt das alles irgendwie mit der Essstörung zusammen, ihr wurde jedoch nie wirklich viel Aufmerksamkeit gewidmet. Meine erste Therapeutin hat mir das Gefühl gegeben, dass das nur eine "Phase" wäre und nicht so ernst genommen werden muss. Meine Eltern hatten dazu die selbe Einstellung. Anfang dieses Jahres haben mein Therapeut und ich zwar mehr darüber geredet, so richtig intensiv habe ich mich aber damit noch nie beschäftigt. Da ich vor kurzem umgezogen bin, kann ich diese psychologischen Gespräche leider nicht wahr nehmen. Natürlich könnte ich bei meinem alten Therapeuten anrufen, er würde mir auch sicher helfen wollen, aber da ist die Hemmschwelle viel zu groß.

Es geht mir nicht nur um das Abnehmen. Natürlich ist es ein "angenehmer" Nebeneffekt, aber der wichtigste Punkt ist das Gefühl der Kontrolle. Ich habe sehr viel Angst, vor allem wenn ich Dinge nicht beeinflussen kann, wenn etwas anders läuft als geplant. Dieses nicht verdienen von Nahrung ist auch dabei, ich kann es mir einfach nicht erlauben. Das einzige Getränk was noch annähernd geht ist Tee.

Das schwierige ist diese Stimme in mir, die die Essstörung noch nicht los lassen kann. Es geht seit Jahren so, mal ist es besser, dann wird es wieder schlimmer. Ich hatte nie schlimmes Untergewicht. Das hält mich auch ab, mir wirklich Hilfe deswegen zu suchen. Es belastet mich sehr, ja, aber es gibt so viele essgestörte Menschen, denen es schlechter geht als mir, die 20 Kilo weniger wiegen als ich, die einen Therapie- oder Klinikplatz viel dringender brauchen als ich. Natürlich hat jeder Hilfe verdient, aber in meinem Fall habe ich das Gefühl nur Aufmerksamkeit zu wollen. Nach außen hin scheine ich ja ganz normal.

Wegen dieser Stimme schaffe ich es auch meistens nicht dauerhaft gesund zu essen und zu trinken. Ich nehme es mir oft vor, ziehe es auch durch, aber nur anfangs. Meine alten Gewohnheiten machen mir immer einen Strich durch die Rechnung und das Schlimme ist, dass ich es meistens gar nicht sofort merke, erst wenn ich dann schon wieder so in dem Muster drin bin fällt mir auf, dass ich es ja eigentlich anders machen wollte..

Auf die Idee mit der Beratungsstelle bin ich selbst schon gekommen und hab mich informiert. Eine Stelle sagt mir auch zu, wobei ich mich nur noch nicht überwinden konnte, dort hin zu schreiben um einen Termin auszumachen.

Das alles geht jetzt nur schon so lange, so viele Jahre mit Depressionen, Essstörung und Therapie. Natürlich habe ich viel gelernt, bin geistig in vielen Bereichen weiter gekommen, habe vieles aufgearbeitet, aber speziell auf die Essstörung hat es mir nicht so viel gebracht. Das demotiviert natürlich und ich weiß nicht, ob ich wieder eine Therapie anfangen möchte. Eigentlich möchte ich nicht mehr im Krankenhaus landen, weil ich dehydriert bin oder ähnliche Sachen, andererseits ist es mir auch alles in gewisser Weise egal. Damit gebe ich der Essstörung zwar wieder sehr viel Macht, aber ich bin einfach so erschöpft und ausgelaugt, weil ich einfach nicht weiß, wie ich das alles schaffen soll, wie ich so weiter leben kann.

Ich hoffe das beantwortet deine Fragen größtenteils, habe das Gefühl dass das alles ein bisschen wirr ist, aber ich denke du verstehst schon irgendwie was ich meine.

Liebe Grüße

Pia Anwort von Pia

Liebe Unbekannte,
vielen Dank für dein Feedback und ich freue mich sehr, dass es Dir ein bisschen ein besseres Gefühl gegeben hat!

Ich finde es toll, dass Du so reflektiert über Deine Problematik schreiben kannst und im Grunde weißt, warum es für Dich so schwierig ist zu trinken oder zu essen. Dass Du immer wieder in den Teufelskreis gerätst kann ich sehr gut nachvollziehen, wenn Du es nie intensiv bearbeitet hast und nun schon einige Jahre damit kämpfst. Daher passiert es immer, dass Du die Muster erst zu spät erkennst, weil Du Dir das schon so angeeignet hast. Das war für Dich wohl lange Zeit Deine "Überlebensstrategie", jedoch fände ich es toll, wenn du das veränderst. Im Grunde verändern wir uns durch die Jahre, erst Recht in Deinem Alter. Du wirst gerade erwachsen, beginnst neue Dinge und wahrscheinlich Deine Ausbildung oder Dein Studium und entwickelst neue Ziele. Ich würde Dir wünschen, dass Du damit auch Dein Ess- und Trinkverhalten verändern kannst, denn wenn Du es weiterhin behältst, gehst Du das Risiko ein langfristige gesundheitliche Probleme zu bekommen.

Es ist sehr gut nachvollziehbar, dass Du Dir Gedanken machst, ob Du denn nochmals Therapie machen möchtest. Du hast schon sehr viel gemacht und bist auch schon viel weiter gekommen. Ich merke jedoch, dass Du schon einiges ausprobiert hast und trotzdem leidest Du noch sehr. Es gibt auch einen Mittelweg. Du könntest zum Beispiel regelmäßig, auch nur z.B. 1x im Monat, zu Beratungsgesprächen gehen oder zu einem Arzt. Hierzu kannst Du Dich an Beratungsstellen wenden, vielleicht gibt es ja in Deiner Nähe auch eine spezialisierte Stelle. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Du eine Ernährungsberatung machst und mit viel Disziplin versuchst das auch langfristig(!) durchzuhalten. Du könntest auch mit Deinen Eltern sprechen, ob sie Dich in dazu unterstützen könnten. Es wäre ein Versuch wert.

Wenn Du jedoch merkst, dass Du es alleine oder mit wenig Unterstützung nicht schaffst, dann rate ich Dir, dass Du eventuell nochmals eine Therapie beginnst und ehrlich mit Deiner Ess- und Trinkstörung umgehst. Du hast Hilfe verdient. Bitte denk nicht über andere nach, die im Untergewicht sind und Deiner Meinung eine Therapie mehr verdienen. Darum geht es gar nicht! Es geht nicht um das Gewicht bei einer Essstörung, sondern eher, was sie für eine Rolle spielt und wie sehr sie Dich im Alltag einschränkt. Daher kann ich Dir nur ans Herz legen, dass Du Dir so etwas nicht einreden solltest! Keiner würde Dich verurteilen und Du könntest sogar in eine Klinik für Essstörungen gehen und würdest merken, dass Du dort ernst genommen wirst und Hilfe bekommst, wie jeder andere. Das Gewicht spielt wie gesagt keine Rolle und es gibt viele Magersüchtige, die mit Normalgewicht oder sogar Übergewicht einen stationären Aufenthalt brauchen. Du schreibst, dass Du gedanklich Dich schon von der Essstörung abgrenzen, aber es nicht umsetzen kannst. Daher würde mir spontan schon einfallen, dass ein Klinikaufenthalt bei Dir den "Durchbruch" bringen könnte. Denk nochmals darüber nach und probiere es aus, glaub mir, ich möchte es nochmals verdeutlichen: Das Gewicht spielt keine Rolle, diese Erfahrung wirst Du machen!

Ich hoffe, dass Du für Dich und Deinen Körper anfängst zu kämpfen und nicht aufgibst! Therapie ist hart Arbeit und nach so langer Zeit kann ich verstehen, dass Du frustriert bist, aber ich bin mir sicher, dass Du es schaffen kannst. Gib Dir noch eine Chance und auch die Erlaubnis nochmals Hilfe zu holen. Du hast es verdient! Wenn Du noch Fragen hast, melde Dich einfach.

Alles Gute!!!
Pia