Problem von Mira - 20 Jahre

dauernde Angst, schwanger zu werden.

Hallo liebes Kummerkastenteam,

Ich bin eine 20 jährige junge Frau, die eigentlich fest mit beiden Beinen im Leben steht.
Warum ich mich an euch wende ist, dass mir mein Problem sehr unangenehm ist und ich nicht gerne persönlich mit Freunden über so etwas spreche.
Vorweg möchte ich sagen, dass ich es toll finde, dass ihr hier den Leuten helft und mit Rat und Tat beiseite steht.

Nun zu meinem "Problem".
Wie oben schon geschrieben, bin ich 20 und habe mich in meinem Leben ausführlichst mit Verhütung etc beschäftigt und weiß darüber Bescheid.
Dennoch habe ich jeden Monat Angst, schwanger zu sein und mache einen Test, auch wenn ich meine Monatsblutung bekommen habe. (Nach der ich, zum Glück, die Uhr stellen kann.)

Zur Vorgeschichte muss ich sagen, dass ich schon immer ein sehr gestörtes Verhältnis zur Sexualität habe. Das kommt davon, dass in meiner Familie Sex immer als etwas sehr schlimmes und unreines dargestellt wurde und meine Mutter und ihr neuer Mann es, wenn es mal zur Sprache kam, als etwas negatives tituliert haben. Auch vom Sexualkundeunterricht wollten sie mich damals ausschließen lassen, wo aber die Schule dann eingegriffen hat.
Desweiteren wurde ich sehr lange von einem nahestehenden Verwandten missbraucht und habe Sex daher auch von der "praktischen" Seite als etwas negatives kennengelernt. (Ich wurde bei diesen Übergriffen einmal schwanger und habe das Kind abtreiben lassen.)
Mein Freund und ich sind bereits seid 6 Jahren ein Paar, und haben uns von Anfang an dazu entschlossen gehabt, erst dann Sex miteinander zu haben, wenn wir ein Kind versorgen könnten. (Wir wollen noch lange keine Kinder haben.) Da er mittlerweile seine Ausbildung hinter sich hat und eine gut verdienende Stelle in einer angesehenen Firma hat (mit guten Optionen einer tollen Beförderung!) und ich mein Duales Studium fast beendet und einen guten Nebenjob haben (wir daher ein gesichertes Einkommen haben und somit im "Notfall" für ein Baby sorgen könnten) schlafen wir seid ca 1 1/2 Jahren miteinander.
Wir haben Anfangs mit der Antibabypille (die ich wirklich auf die Sekunde genau immer eingenommen habe) und Kondom verhütet. Wegen meiner panischen Angst einer Schwangerschaft haben wir dann aber auf Spirale und Kondom gewechselt. Mein Freund hat für meine Angst Verständnis. Ich weiß, dass ich mich wegen dieser Sache (wieder) in Therapie begeben sollte. Aber genauso weiß ich, dass ich eigentlich nicht schwanger werden kann, wenn ich weiter genaustens auf Verhütung achte.
Ich möchte nur gerne die Angst loswerden.
Während des Sex denke ich da nicht einmal dran, aber irgendwann kommt dann die Panik. Kalter Schweiß, Übelkeit, Schwindel, etc. Ich bilde mir dann jedes Symptom einer Schwangerschaft ein und sage mir, dass es viele Frauen gibt, die ihre Regelblutung auch in den ersten Monaten einer Schwangerschaft haben.

Ich weiß nicht, ob ich bereit für Sex und die Folgen die eben daraus resultieren können, bin.
Einerseits denke ich mir ja. Der Sex mit meinem Freund gefällt mir, ein Baby würde nicht unsere Lebensplanung zerstören, wir kämen damit, zumindest finanziell, klar. Aber käme ich da auch emotional damit klar? - ich denke nicht.
Mittlerweile ist die Panik aber auch so schlimm, dass wir keinen Sex mehr haben. Mein Freund hat Angst mich unter Druck zu setzen.
Ich weiß, ich sollte, ich muss, dass in den Griff kriegen. Aber ich komme gerade erst aus jahrelanger Psychotherapie (was mir auch viel geholfen hat, immerhin kann ich mittlerweile die Nähe zu meinem Freund zulassen) und möchte nicht direkt wieder in die Nächste. Dazu kommt noch, dass ich Rheuma habe, oft Schmerzen und teilweise auch dann dicke Füße habe, womit ich dann wieder Schwangerschaftszeichen assoziiere. (Wassereinlagerungen etc pp.) Ich kann dann einfach nicht mehr klar denken.

Ich weiß nicht genau, was ich mir von diesem Schreiben erhoffe. Ich musste es einfach mal einer anderen Person als meinem Freund schreiben. Und ich möchte nicht mit meinen Freunden darüber reden. Vielleicht weiß ja jemand von euch Rat. Oder hat Tipps, was ich probieren könnte, ohne mich direkt wieder in eine Therapie zu stürzen. Es wäre sehr lieb, wenn mir jemand antworten würde. Und wenn es nur ein "Mira, mach endlich eine Therapie"- Denkanstoß ist.
Ich meine, kein Sex ist doch auf Dauer auch keine Lösung. Und das nicht nur, weil ich es meinem Freund nicht "antun" will. :)


Schon einmal ganz vielen lieben Dank, dass ich mein Herz hier ausschütten durfte und ich würde mich wirklich sehr über eine Antwort freuen.

Liebe Grüße,

Mira.

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Mira!

Bevor ich anfange: Ich könnte mir vorstellen, dass du eher mit der Antwort einer Frau gerechnet hast. Nachdem ich einfach den Wunsch habe, zu deinem Problem etwas zu sagen, hoffe ich, dass es für dich okay ist.

Du kannst doch sehr stolz auf dich sein! Die Erfahrungen, die du gemacht hast, werden dich auf die eine oder andere Weise, mehr oder weniger stark, immer begleiten. Aber ich hoffe doch, dass du wirklich deine Leistung würdigen kannst, die in den Sätzen liegt, die du über dich geschrieben hast: Du bist in einer Beziehung und hast Spaß am Sex, obwohl das nach einem Missbrauch bei weitem nicht immer möglich ist. Du stehst, wie du schreibst, fest im Leben - es wäre sogar nicht mal unvernünftig, wenn du ein Baby bekommen wolltest. Leisten könntet ihr es euch. Du bist mit deinem Körper vertraut und sorgst dich um Verhütung. Das alles hast du dir selbst erarbeitet, zweifellos hat dich auch dein Freund dabei unterstützt. Es stimmt mich einfach froh, dass ich hier von einem Leidensweg lesen kann, der im Wesentlichen ein gutes Ende gefunden hat.

Die Gründe für deine Angst liegen auf der Hand: Über viele Jahre hat man dir Sexualität als etwas verkauft, das man besser nicht auslebt, das gefährlich ist - vielleicht auch in dem Sinn, dass es die Menschen geißelt, Macht über sie hat, die man "ihr" besser nicht gibt. Ich weiß nicht, ob die Ablehnung deiner Mutter und deines Stiefvaters religiös getragen war? Wenn ja, dann mag es sein, dass der einzige Grund, aus dem sie Sex als notwendig ansahen, das Zeugen von Kindern war. Vielleicht ist es so, dass der Gedanke, schwanger zu werden, immer die Angst aufwirft, dich damit zugleich diesem Zwang wieder zu unterwerfen?

Dein Verhältnis zu Sex ist, so scheint es mir, ein gesundes; aber das letzte Geheimnis, das, was jetzt noch folgen kann - ein Kind zu bekommen -, das Einzige, das selbst ein religiöser Mensch und Körperfeind nicht verdammen kann - dieses Geheimnis hast du noch nicht ergründet. Man kann seinen Partner, wenn man Glück hat, selbst wählen; man kann mit ihm schlafen, und ob es angenehm ist oder nicht, ist es irgendwann vorbei. Aber eine Schwangerschaft lässt sich nicht einfach ausklammern, man lebt damit, und nicht immer einfach. Neun Monate trägt die werdende Mutter das Kind unter ihrem Herzen. Was sie isst, das isst auch das Kind. Was sie trinkt, kommt ihm zugute. Wenn es wächst, kann sie es spüren. Ein anderes, lebendiges Wesen - Blut von ihrem Blut, und von dem Mann den sie liebt -, wächst in ihr heran. Vielleicht ist es sogar ein Junge - ein Gedanke, der für manche Frauen befremdlich sein mag (habe ich gelesen). Das ist nur so eine Frage, die mir einfiel: Wie würde es sich für dich anfühlen, einen kleinen Jungen zu bekommen - nachdem du deinen Freund zwar liebst, aber auch Gewalt und Missbrauch von Männern erfahren hast?

Ich habe großen Respekt vor Frauen, denn die Natur hat es euch wirklich nicht leicht gemacht. Wer sind wir Männer, dass manche von uns einfach Nachwuchs verlangen, obwohl unsere Partnerin nicht will? Über den Einzelfall lässt sich immer diskutieren. Aber die monatliche Periode (was irgendwie auch ein beschönigendes Wort ist), die monatliche Blutung, ist etwas, das uns Männern immer erspart bleibt. Von der Übelkeit und dem Schmerz, möglicherweise Komplikationen oder Vorfällen, die zu schrecklich sind, um sie zu nennen, bei der Schwangerschaft, gar nicht zu reden.

Was ich jetzt schreibe, sollte kein Mann je als Begründung anführen, ein Kind haben zu müssen. Aber wer es bei seiner Partnerin sehen kann, oder wer sie danach sieht, für den muss es das schönste Geschenk sein. In der Bibel steht zu lesen "Unter Schmerzen wirst du deine Kinder gebären". Aber die Genesis schweigt sich darüber aus, wie es sein muss, ein Neugeborenes im Arm zu halten, dem man das Leben geschenkt hat. Und wie das ist, wird kein Mann je wissen, hat nie einer gewusst, und so wird es sein bis ans Ende der Welt. Manche suchen ihren Seelenverwandten in einer Frau, manche in einem Mann; dies ist es, was die Kirche nie anerkennen konnte: Dass wir Menschen das Bedürfnis haben, uns mit dem Anderen zu vereinigen - einfach weil es Spaß macht. Nachwuchs kann folgen, wenn man die Zeit für gekommen hält. Aber es ist wohl nicht so sehr der biologische Zwang, der uns dazu treibt, sondern auch unser Mensch-sein mit allem, was dazu gehört: Ein Kind aufwachsen zu sehen, das man selbst in die Welt geschickt hat, um ihm all die wunderschönen Erfahrungen zu ermöglichen, für die wir so gern am Leben sind: Der Liebe, der Freundschaft; ein Sternenhimmel, ein Lieblingsessen, der Gesang eines Vogels, der Geruch des Meeres. Und auch diejenigen Erfahrungen, die nicht angenehm sind, aber zu jedem Leben gehören: In der Nacht Angst zu haben; hinzufallen und sich zu verletzen, sich streiten und sich trennen zu müssen. Jedoch, so wie wir die schönen Momente mit unseren Kindern genießen, so können wir sie über die schlimmen hinweg tragen. Ich kann mir manchmal nichts Schöneres vorstellen, als wenn jemand bereit ist, diesen uralten Auftrag zu erfüllen, der ohne Zwang und furchtbare Kehrseite ist, einfach ein Zweck in sich: Zu leben. Deine Geschichte, Mira, zeigt, dass selbst die Schattenstellen des Lebens nicht ohne Grenze sind - und das ist schön und darf dich stolz machen.

Warum habe ich all das geschrieben? Nicht, um dich dazu zu bringen, tatsächlich schwanger zu werden. Nicht, um die Autorität über ein Thema einzunehmen, die ich nicht habe als Mann, und das Andere ganz anders sehen. Ich hoffe, dir vielleicht ein bisschen mitgeteilt zu haben, dass die Schwangerschaft nichts ist, was du eigentlich fürchten musst. Die Schatten deiner Vergangenheit sind immer da - aber die, die dich gequält haben, sind nicht die Erfinder dieser Sache, nicht ihre Verkünder und nicht ihre Bestimmer. Sie sind es, wenn jemand, die das Geheimnis des Lebens - vielleicht das einzige, das wir nicht wirklich ergründen wollen -, ein Stück weit verleugnet haben. Du hast dich ihm verschrieben, mit deiner Liebe, mit deinem Wirken; etwas Schöneres ist kaum denkbar.

Es mag sein, dass eine Therapie ratsam ist. Wenn du das Gefühl hast, eine Therapie könnte helfen, dann ist mein Rat: Ja, wage es! Dir kann nichts passieren, es kann nur besser werden. Mir erscheint vor allem wichtig, dass dir im Innersten bewusst wird, was du selbst geschrieben hast: Es würde deine Lebensplanung nicht zerstören. Ihr geht so verantwortungsbewusst wie nur irgend möglich mit Verhütung um. Spontan kam mir der Gedanke, dass ihr euch mit einer Art Ritual zusätzlich absichern könntet, bevor ihr miteinander schlaft: Ob das ist, dass du deinem Freund das Kondom überstreifst? Oder er ein bisschen dein Becken streichelt, zärtlich und langsam, um dir noch einmal zu vergewissern: Es ist gewährleistet, dass du nicht schwanger wirst. Ihr verwendet schon zwei Methoden, was gut ist - und die Spirale ist ein sehr sicheres Verhütungsmittel. Wenn du das kannst, wiederhole für dich bei jeder sich bietenden Gelegenheit: Es ist zu praktisch 100% ausgeschlossen, dass du unter diesen Voraussetzungen schwanger wirst, wenn du es nicht möchtest.

Ihr seid in der glücklichen Lage, dass ihr euch nicht sorgen müsstet, wenn es dazu käme. Aber das wird es nicht, das wäre gegen jede Erfahrung. Deiner Angst kannst du die Spitze nehmen, indem du sie offensiv angehst: Du tust alles Mögliche, nicht schwanger zu werden. Wenn du dich zu einem Zeitpunkt, den du wählst, dazu entscheidest, dann ist es auch genau der - vorher kannst du milde lächeln; die Natur ist nicht beherrschbar, aber oft berechenbar. Und eine dieser Möglichkeiten schöpft die Verhütung aus. Wenn du aber schon über eine Therapie nachdenkst, wäre es sicher kein Fehler. Zumal sie nicht derjenigen ähneln muss, die du bereits hinter dir hast. Wenn du auf Anhieb keinen passenden Ansprechpartner findest, darfst du ruhig eine Weile suchen. Ich bin sicher, dass du deine Angst überwinden kannst - alles, was ich auszeichnet, spricht dafür.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul