Problem von Hana - 13 Jahre

Ich möchte in ein anderes Land ziehen

Hi, liebes Kummerkasten-Team :D,
ich weiß nicht genau, ich glaube mein "Problem" (es ist eher nur eine Zwickmühle) wird ziemlich selbstsüchtig klingen, aber ich will wirklich nicht so klingen.. :S
Na ja, also, ich wünsche mir schon seit langer Zeit, mit meiner Familie in ein anderes Land zu ziehen (bezieht sich vor allem auf Singapur oder England :D).
Es ist nicht so, dass ich einen Hass auf Deutschland habe oder gar ein Trauma oder so hier erlebt habe, ich schätze alles was ich hier habe, ich würde mit meinen Freunden auch sehr gerne in Kontakt bleiben..
Es ist nur so dass ich es in diesen Ländern einfach nur 'spannender' finde, es gefällt mir dort einfach mehr (war schon mehrmals in beiden Ländern). Ich möchte vor allem dort zur Schule gehen, ich mag diese Stilrichtung einfach, wie man in den Schulen Uniformen trägt, etc. (Gibts hier in der Umgebung nicht ._.)
Es ist nun mal so dass meine Familie (hier in Deutschland, sind die einzigsten die hier wohnen, daher wird es manchmal ein wenig einsam xD) gerade finanzielle Probleme hat, es gab schon schlechtere Tage, jetzt wendet sich eigentlich alles schon ein wenig in Richtung Besserung.
Meine Schwestern und ich versuchen meine Eltern zu unterstützen, indem wir z.B. kleine Nebenjobs machen, austragen, usw. Nur leider sieht es schlecht aus irgendwo anders hinzuziehen.
Meine Eltern wollen, wenn ich mein Abi hab (bin die jüngste) und wir mit den finanziellen Problemen durch sind nach Australien ziehen. -Wir haben halt unsere Wünsche schon untereinander besprochen- Ich halte aber nicht allzuviel davon (Entschuldige, ich kanns nicht anders beschreiben... '-')
Ich würde allzugern in Singapur oder England zur Schule gehen, dort mein Abi machen etc. (Da meine Familie auch in Singapur und England lebt)
Es wäre ein Traum :D.
Ich find mich damit, ab meine Jugend lang hier zu leben und schätze es natürlich auch (ich meine wenn man das hier im Vergleich gerade zu Syrien usw. sieht, ist das hier ein Paradies.)
Aber ich finde es hier einfach langweilig.. .-.
Ich glaube ich habe mein 'Problem' schon selbst beantwortet, oder? xD

Na ja, danke fürs Durchlesen, (ist jetzt vllt ein wenig verwirrend xD) und auch für die ganze Mühe, die ihr immer leistet :3
Alles liebe,
Hana

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Hana!

Selbstsüchtig klingt es ganz und gar nicht. Vielleicht werde ich erstmal aus meiner Erfahrung erzählen, denn mir ging es einmal ganz ähnlich wie dir:

Ich habe nahe Verwandte in Australien, die ich mehrfach besucht habe. Nicht, dass es in Deutschland nicht schön wäre, ganz im Gegenteil; aber manchmal geht es einem wie dir zur Zeit: Probleme treten auf, für die man in Augenblick keine Lösung sieht. Klar gibt es viele Länder, im Vergleich mit denen Deutschland ein Paradies ist. Aber wenn man eben gerade nicht am Zug ist, den Wohlstand und die Sicherheit - denn darum handelt es sich -, zu genießen, dann kann es sein, dass man sich woanders hin sehnt.

Mir ging es damals so, dass ich Australien zu meinem Ideal gemacht habe. Ein "gelobtes Land", wenn man so will. Dass ich wusste, dass auch dort längst nicht alles in Ordnung ist, schien dem nicht zu widersprechen: Es war eben... nun ja, nicht hier. Und sehr, sehr schön fand ich es dort auch. Die Probleme, die sich dort hätten ergeben können, waren mir nicht wichtig. Was zählte war, irgendwie wegzukommen.

Inzwischen hat sich mein Gefühl verändert, da ich die damaligen Probleme überwunden habe. Natürlich gibt es viele, viele Plätze auf der Welt, an denen es sich gut leben lässt. Und für Einige von uns ist es sicher keine schlechte Wahl, dauerhaft den Standort zu wechseln. Trotzdem ist Deutschland mein Zuhause - ob sich ein anders findet, das muss die Zeit zeigen. Ich fühle mich hier wohl, auch weil ich weiß: Egal wohin ich gehe - ich bleibe doch immer Paul.

In eurem Fall ist es so, dass ihr ja schon konkret überlegt, in ein anderes Land (sogar Australien) zu ziehen. Wir können zwar nicht sagen, ob es dabei bleibt. Trotzdem ist es nicht übel, das als Ziel vor Augen zu haben. Dabei solltest du aber immer bedenken: An welchem Ort der Erde du auch bist, du bist immer Hana. Verstehst du, wie ich es meine? Es kann sein, dass einige Probleme sich lösen lassen, indem man wegzieht. Aber die persönlichen Eigenschaften, die bleiben immer und überall erhalten. Was dich jetzt beschäftigt, was dir vielleicht Angst macht - das wird überall so sein. Wo auch immer man hinkommt, besteht die Notwendigkeit, sich mit Problemen auseinander zu setzen: Ob es nun Stress in der Schule ist, Ärger mit Freunden, Streit in der Familie; ob es Misserfolge sind, Einsamkeit, Trauer, Wut oder Angst - so wie du sie in Deutschland erlebst, werden sie dich immer wieder einholen. Euer Umzug wird euch in ein neues Umfeld setzen, in dem sich neue Schwierigkeiten ergeben können. Zwar hast du dann andere Bilder vor Augen, neue Gesichter, es ist mit einem Wort: Spannender! Ja, wirklich - am Anfang. Aber zu keinem Zeitpunkt wirst du dich leichter fühlen können, als du es hier kannst. Ein neues Land eröffnet neue Perspektiven, aber es macht keine freieren, zufriedeneren Menschen aus uns. Unser Chancen ändern sich, niemals unser Charakter.

Die Menschen in Syrien erdulden das Schlimmste: Krieg, Tod, Hunger und Krankheit. Das jedoch hindert sie nicht daran, ihr Land zu lieben - denn Syrien ist ihre Heimat. Ich glaube, dass es nur wenige Syrer gibt, die in unseren Tagen ihr Land verlassen, weil sie es als verloren ansehen. Was sie dazu zwingt, sind Verfolgung, Not und Kämpfe. Dennoch werden ihnen immer Erinnerungen bleiben, die sie lieben, und auf denen sie aufbauen wollen. Viele werden bei Gelegenheit zurück kehren, wenn - was wir alle hoffen -, bald Frieden einkehrt. Denn so schlimm es einem auch gehen mag, das Gute ist doch nie ganz entflohen, und schon gar nicht ist es auf bestimmte Orte und Länder beschränkt. Man kann überall glücklich und traurig sein - dass viele Menschen durch Krieg und Verbrechen an ihrem Glück gehindert werden, steht auf einem anderen Blatt. Derzeit mag es so sein, und deshalb nehmen andere Länder - darunter Deutschland -, die Notleidenden auf. Unter ihnen mögen viele sein, denen es hier gefällt, und die sich hier niederlassen. Aber doch werden sie, genau wie die, die heimkehren, immer eine besondere Bindung zu ihrem Land haben. Ein "nur gut oder nur schlecht" - Denken wird es für sie nicht geben.

Meine Oma musste ihre Heimat verlassen, als der Zweite Weltkrieg zuende war. Nur mit einem Koffer versehen, gingen sie zum Bahnhof - Mutter, Vater, Kinder. Sie ließen ihr Haus zurück, ihren Besitz, Freunde und sogar Familienmitglieder. Was ihnen gehörte, bekamen Andere. Das Land, das sie ihre Heimat nannten, verstieß sie, weil ihnen nicht vertraut wurde - was man verstehen kann. Aber meine Oma war ein kleines Mädchen, sie konnte nichts für die Verbrechen des Krieges, sie verstand nicht was geschah. Bis heute leidet sie im Stillen darunter. Doch würde sie niemals ein schlechtes Wort über ihre Heimat verlieren. Denn ein Teil von ihr ist immer dort.

Bitte versteh mich nicht falsch: Ich möchte dir nicht sagen, dass du etwa undankbar wärst! Das alles sind Beispiele, die dir zeigen sollen, warum es ein "hier gut, dort schlecht" oder ein "hier langweilig, dort aufregend" nicht geben kann. Im Augenblick empfindest du es so, das verstehe ich - zumal ihr finanzielle Nöte habt. Es ist wirklich begreiflich. Aber denk dir: Vor dir liegen die spannendsten Jahre deines Lebens - deine Jugend! Dass du sie vermutlich in Deutschland verbringen wirst, ist doch keine schlechte Wahl? So viel Schönes, auch Trauriges, aber im Ganzen Herrliches, das dir bald bevorsteht. Ich sage das nicht einfach nur so; man muss die Hand ausstrecken, um diese kostbare Zeit zu genießen! Wäre es nicht schade, wenn du dabei immer denken würdest: Eigentlich könnte ich jetzt woanders sein? Stell dir dich selber vor, in ein paar Jahren, bei deinem Abitur: Wie wird es dir dann gehen, wenn du zugleich mit dem Ende dieses Abschnitts, auch in ein anders Land ziehst?

Es kann gut sein, dass du dem immer noch freudig entgegen schaust. Aber trotzdem kann die Umstellung schwer fallen. Nach meinem Abitur ging es mir sehr gut, aber ich wurde auch wehmütig. Ich hatte das Bedürfnis, neue Gesichter zu sehen, neue Dinge zu erleben - aber all die Freunde und vertrauten Bilder um mich, die würde es so nicht mehr geben. Ja, wir können uns treffen, zusammen lachen, alles Mögliche unternehmen. Aber die Zeit, die da zuende ging, die kommt nicht wieder. Und ich bin sehr froh, dass ich zumindest noch ihr nachhängen kann, wenn ich aus dem Fenster sehe. Und nicht erst über Ozeane und Berge reisen muss, um diese Bilder so recht fühlen und schmecken zu können. Viele Mitschüler sind nach dem Abitur ins Ausland gegangen - manch einer bleibt vielleicht dort. Es gibt niemals nur eine Art, sowas zu betrachten. Ich muss es trotzdem sagen: Genieße die Zeit hier! Denn du bist in ein friedliches Land gekommen, und es ist ein Geschenk, in Sicherheit zu sein. Die Welt wird dir offen stehen, wenn du es magst - aber so wie es dich jetzt wegzieht, könnte es dich einmal zurückziehen.

Ich wünsche dir, dass du das Schöne und Gute in allem sehen kannst. Dass deine Sehnsucht, dein Fernweh, dir genauso erhalten bleiben, wie die Freude am Naheliegenden. Ich hoffe auch, dass es euch als Familie bald besser geht. Wie es dann auch weitergeht: Das Gras ist immer woanders grüner - aber Grün bleibt es doch überall.

Liebe Grüße,

Paul