Problem von Anonym - 18 Jahre

Bitte helfen! Starke Schuldgefühle, Freund gestorben

Hallo,

Seit dem letzten Jahr haben sich bei mir sehr viele Probleme angesammelt und ich hab sehr viele Fehler gemacht, ich muss ständig darüber nachdenken, besonders wenn ich alleine bin. Ich fang einfach mal mit dem letzten Problem an:

Ende April ist ein Freund von mir bei einem Motorradunfall gestorben. Er war erst 20 und ich weiß dass er noch sehr viel vorhatte und Familie gründen wollte und es tut mir einfach so leid für ihn. Und ich hab extreme Schuldgefühle weil er vorher in mich verliebt war und ich auch viel mit ihm unternommen hatte, ich hab auch ein paar mal bei ihm übernachtet aber ihm nie richtig gesagt dass ich nicht die gleichen Gefühle habe. Oft war ich auch einfach genervt von ihm, wollte das aber nicht sagen, weil es ja keinen Grund dafür gab und er immer nett zu mir war. Und es kommt noch dazu dass meine beste Freundin nur ein paar Monate zuvor mit ihm zusammen war, aber er hat Schluss gemacht und sie war zu der Zeit im April noch nicht darüber hinweg. Sie hat mich mehrmals gebeten nichts mehr mit ihm zu unternehmen, aber ich hab es am Anfang immer ignoriert weil ich mich dann wegem ihm schlecht gefühlt habe. Ca. eine Woche bevor er gestorben ist, bin ich dann mit meiner besten Freundin ausgegangen und sie hat mri nochmal gesagt dass sie will dass ich mich nicht mehr mit ihm treffe weil ihr das weh tut. Ich hab ihr dann auch versprochen den Kontakt abzubrechen und hab ihm am Wochenende abgesagt. Er war dann richtig wütend weil dieses Wochenende sein 20. Geburtstag war und wir haben uns gestritten. Am Dienstag hab ich dann in der Schule erfahren dass er einen Unfall hatte und ich hab es einfach so bereut dass ich oft unfreundlich zu ihm war und ihm nicht die Wahrheit gesagt habe.
Jetzt ist das schon drei Monate her und ich denke immer noch oft daran und weine deswegen und habe Schuldgefühle wegen der ganzen Sache. Und es kommt auch noch dazu dass ich mir oft einrede dass ich ihn eh nicht wirklich mochte und ich so und so den Kontakt abgebrochen hätte und dann hasse ich mich dafür dass ich so über einen Toten denke.

Zu der Zeit hatte ich auch einen "Freund" (Wir haben uns noch nicht so lange gekannt, aber er hat mir oft gesagt der er mich sehr mag und wir haben auch miteinander geschlafen). Und er hat mich auch getröstet als ich zu ihm gekommen bin. Am Sonntag in der selben Woche bin ich wieder zu ihm und da war er plötzlich ganz abweisend obwohl er am Vortag noch ganz normal geschrieben hat und gesagt hat er freut sich auf mich. Als er mich heimgefahren hat, hat er plötzlich gesagt dass er nicht verliebt in mich ich und es ihm sehr leid tut. Das hat mich richtig aus der Bahn geworfen weil vorher alles absolut in Ordnung war. Wir haben dann den Kontakt abgebrochen. 2 Wochen später hatte er eine neue Freundin.

Und das letzte über das ich ständig nachdenken muss ist letztes Jahr passiert. Ich bin in den Ferien oft mit meinen Freunden ausgegangen und hab sehr viel Alkohol getrunken und viele peinliche Sachen gemacht und erzählt. Zu der Zeit hatte ich auch (sturzbetrunken) mein erstes Mal, mit jemanden den ich nicht wirklich gut kannte und nichtmal richtig mochte. Ich bereue das sehr. Dort wollte ich endlich mal Sex haben weil ich ja schon 17 war und noch immer Jungfrau aber jetzt im nach hinein finde ich das es einfach nur dumm von mir war weil man diesen Moment für jemand besonderen aufbewahren sollte...

Und ich sage mir oft dass das Leben weitergeht, und jeder mal Fehler macht. Trotzdem kommen mir die Gedanken an die drei Probleme immer und immer wieder. Ständig ohne Vorwarnung. Dann weine ich oft und weiß nicht genau wegen was. Und ich geb mir oft selber Schuld daran (Hätte ich ihm bloss nicht zu seinem Geburtstag abgesagt, vl. hätten wir uns getroffen am Montag und er hätte den Unfall nicht gehabt. Vielleicht hat er wegen mir Schluss gemacht weil ich am Tag vorher etwas mit meiner Freundin unternommen habe anstatt mit ihm..Ich bin eine Schlampe weil ich mit einem Fremden geschlafen habe) Ich weiß dass diese Gedanken falsch sind und ich nicht daran Schuld bin aber sie schießen mir immer durch den Kopf. Ich hab Probleme nachts einzuschlafen weil ich kurz bevor ich einschlafe daran denke und ich dann so nervös werde das ich nicht mehr schlafen kann. Ich weiß echt nicht mehr was ich tun soll, ich will es niemanden erzählen weil alle glauben dass ich längst über den Tod und über meinen Ex hinweg bin. Ich möchte einfach dass ich nicht mehr ständig daran denken muss und ich mich endlich auf andere Sachen konzentrieren kann...

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich liebe Anonyme!

Du hast Recht: Wir alle machen Fehler. Aber was genau ist eigentlich ein Fehler?

Siehst du diejenigen Dinge als Fehler an, die sich später nicht gut anfühlen? Das verstehe ich. Aber ist es nicht so, dass es sich in dem Moment, als du sie tatest, gut angefühlt hat? Oder dir zumindest wichtig war? Das soll jetzt kein Vorwurf an dich sein! Ich möchte sagen: Was du mit irgendeiner Begründung getan hast, die man verstehen kann, ist kein Fehler. Niemals nicht. Du hast nichts falsch gemacht.

Dein Freund war in dich verliebt, und ja - es mag sein, dass sein Unfall mit dem Ärger zusammenhing, den er empfand. Unter Anderem und möglicherweise. Du wirst es nie wissen. Dass du auf deine Freundin Rücksicht genommen hast, war gut und richtig. Und genauso gut und richtig war es, dass du ihm nicht ein "Ganz ehrlich - du nervst!" entgegen geschleudert, sondern dir gesagt hast: Er ist lieb und freundlich, er ist nicht grob oder beleidigend zu mir. Ist mir meine Ruhe für einen Moment so wichtig, dass ich einen lieben Menschen dafür abweisen muss? Du hast diese Frage mit Nein beantwortet. Und da es sich, wie du schreibst, für dich so angefühlt hat, war es gut und richtig.

Dass es zu dem Unfall kam, konntest du nicht wissen. Das konnte vielleicht niemand. Tatsache ist, dass du rein gar nichts getan hast, das man dir vorwerfen könnte. Du hast die richtigen Prioritäten gesetzt, hast die richtigen Schlüsse gezogen - und wenn man das tut, schließt es oftmals nicht aus, dass jemand verletzt ist. Das war dir klar, aber du hast deiner Freundin zu Recht den Vorzug gegeben. Ja, er war verletzt, was wir verstehen können; ja, es war sein zwanzigster Geburtstag. Aber das musstest du in diesem Moment in Kauf nehmen, um dich gut zu fühlen. Es war das Richtige. Ich hätte auch so gehandelt wie du. Dass ab diesem Zeitpunkt die Dinge sich in eine Richtung entwickelten, die niemand sich wünscht - das konntest du nicht wissen, und auch nicht beeinflussen. Dich trifft keine Schuld. Wie deine Gefühle für ihn auch waren, du hast nachvollziehbar und ehrenvoll gehandelt.

Was den Jungen bewegt hat, mit dem du damals zusammen warst - das kann ich nicht sagen. Es kann tausend Gründe geben, aber ganz ehrlich: Vergiss ihn. Denn er konnte sich denken, dass es dir weiter schlecht geht, dass du mehr Trost brauchst - wie wir alle noch darunter gelitten hätten. Wenn er so plötzlich nichts mehr von dir will, und wenig später eine Neue hat: Dann weißt du Bescheid, oder? Es ist verständlich, dass du jemanden brauchtest, der dir hilft. Dass er nicht so ist, wie du dachtest - das passiert. Wirf dir nicht vor, dass du so deinem verunglückten Freund Unrecht getan hättest! Er, der dich allein gelassen hat, sollte sich fragen, ob das gerecht war. Du brauchtest ihn, und das hat er ignoriert.

Dein erstes Mal mit einem Jungen gehabt zu haben, den du nicht geliebt hast, ist sicher schlimm. Doch auch das ist begreiflich: Du hattest das Gefühl, es sollte passieren. So geht es vielen, und in dieser Situation denkt man einfach nicht weiter. Du wirst es nicht ungeschehen machen, das stimmt. Aber das wirkliche, wunderbare Erlebnis mit einem Mann, dem du wirklich vertraust, steht dir doch noch bevor. Ich glaube nicht, dass du dich dafür schämen musst. Es ist passiert, aber mehr als dass du das sagen kannst, hat sich ja nicht verändert? Dein tatsächliches erstes Mal, das wirkliche Liebe, Nähe und Vertrauen über alle Maßen in sich trägt, das hast du vielleicht noch vor dir. Ist das ein Gedanke, mit dem du etwas anfangen kannst?

Es zeichnet dich aus, über all das nachzudenken, was geschehen ist. Aber der Tod eines geschätzten Menschen, oder ein Fehltritt - wenn du denn einen begangen hättest - sollen dich nicht davon abhalten, dein Leben zu genießen. Ich verstehe sehr gut, dass es dir nachgeht; aber du bist nicht schuldig. Es sind Sachen, auf die du keinen Einfluss hattest - und was du entschieden hast, hast du mit guten Gründen entschieden. Es wird vermutlich noch eine Weile brauchen, bis diese Gedanken dir nicht mehr so nahe sind. Mag auch sein, dass sie immer wieder kommen. Wenn das geschieht, ist es wichtig, dir immer wieder ins Gedächtnis zu rufen: Du bist in Ordnung, du bist nicht schuldig, du warst immer gut und bist nie schuldig gewesen. Kann es dir helfen, dir den Satz, wie er hier steht, vor Augen zu rufen?:

Hätte - hätte ich vermieden, was ich tat!
Ja, so denke ich, und anders wird doch nichts.
Es ist geschehn, vorbei, und keiner hat
Es wissen können. Ich weiß ja, doch mir bricht's
So schwer und ständig ein in die Gedanken:
Ich bin nicht schuldig!, mehr kann ich nicht sagen.
Das ist wahr. Ich kann dem Leben danken,
Dass es mir Herz und Sinn gab, mich zu fragen;
Zu wünschen, hoffen und zu trauern;
Mich zu sehnen und zu lieben.
Was geschehn, kann jeder nur bedauern.
Allein die Schuld kann keiner auf mich schieben:
Ich wollte nur das Beste! Ach, doch manchmal kommt es nicht;
Die Welt hat mir so viel - und ich ihr auch! - zu geben.
Ich gehe, eh mein Herz daran zerbricht
Mit offnen Augen hoffnungsvoll durchs Leben.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul