Problem von Katharina - 26 Jahre

Platonische Liebe

Liebes Kummerkasten-Team,

existiert es so etwas, wie 'Platonische Liebe'?

Obwohl ich auf Männer stehe, hatte ich bei Männern noch nie dieses klassische 'Verliebt-sein-Bauchkribbeln'.

Beispiel:
Ich hatte mit 20 Jahren meinen ersten Freund kennengelernt und fand ihn süß, mochte seinen Geruch. Dann dann hatte ich ein komisches Gefühl und wollte wegrennen. Ich entschied mich aber trotzdem für eine Beziehung mit ihm. Nach und nach fing ich an wirklich starke Gefühle für ihn zu entwickeln und irgendwann nach 1 - 2 Jahren konnte ich sagen, dass ich ihn liebe. Das war auch so. Ich hatte ihn sehr geliebt und konnte ihm vertrauen und vermisste ihn, wenn er nur einen Tag mal nicht da war. Aber ein Bauchkribbeln hatte ich bei ihm nie.

Dieses 'Verliebt-sein-Stadium' mit Bauchkribbeln hatte ich nur bei Frauen erlebt.

Als 16-Jährige schwärmte ich sehr für meine Musiklehrerin. Ich fand sie schön, intelligent, witzig, anmutig und warmherzig. Ich wusste damals nicht damit umzugehen und konnte diese Gefühle nicht deuten. Ich dachte damals, ich wäre lesbisch, obwohl ich kein sexuelles Interesse an ihr verspürte. Als ich meinen Freund hatte ließen die Gefühle für meine Musiklehrerin allmählich nach.

Vor 3 Jahren hatte mich mein Freund verlassen und seit 2 Jahren entwickel ich starke Gefühle für meine Klavierdozentin. Sie ist mitte 50 und führt in meinen Augen ein perfektes Leben. Ich liebe ihr Klavierspiel, ihre Art zu unterrichten, ihr Parfum und ihren Zynismus. Sie ist eigentlich sehr distanziert und wirkt sehr streng. Aber wir verstehen uns ganz gut.
Ich bewundere sie sehr und wünschte mir sehr oft, sie wäre meine Mutter.
Ich hatte leider keine so schöne Kindheit. Meine Mutter nahm Drogen, hat mich manchmal geschlagen, an der Landstraße ausgesetzt, mich allein gelassen...
Mein Dozentin weiß auch, dass ich es nicht so leicht habe und ziemlich alleine bin. Sie hatte mich auch mal nach meinem Privatleben gefragt und hatte aus ihrem Leben erzählt. Ich vertraue ihr wirklich.
Und ich genieße es, dass mich eine Person in Klavier unterrichtet, der ich so vertrauen kann. (Musik ist für mich so etwas Sensibles). Sie muntert mich auf, gibt Ratschläge... das ist schön.
Dennoch bin ich manchmal traurig und vermisse sie. Ich habe sogar richtiges Bauchkribbeln, wenn ich sie sehe. Wenn ich weiß, dass ich gleich bei ihr Unterricht haben werde, bin ich innerlich richtig aufgeregt.

Einmal hatte sie mich umarmt. Und ich weiß noch, dass ich danach total glücklich war und vollkommen zufrieden. Mehr brauchte und wollte ich nicht. Ich könnte mir niemals vorstellen, sie zu küssen. Das wäre mir zuwider. Aber von ihr in den Arm genommen zu werden, bedeutet mir sehr viel.

Nur ich kann langsam nicht mehr mit diesen Gefühlen umgehen. Es kann doch nicht sein, dass ich nur dann glücklich bin, wenn sie sich mit mir unterhalten hat und dass ich traurig bin, wenn sie in Urlaub ist, wenn Wochenende ist...

Warum entwickel ich solche Gefühle? Ich möchte gerne dieses Bauchkribbeln für einen Mann empfinden und möchte überhaupt wieder eine Beziehung zu einem Mann haben und möchte irgendwann eine Familie gründen...

Warum 'verliebe' ich mich in eine Frau, obwohl ich nicht auf sie stehe? Ich finde einen männlichen Kommilitonen ganz attraktiv und ich weiß auch, dass er mich ganz gut findet. Warum kann ich nicht für ihn Schmetterlinge im Bauch haben?

Ich bin verwirrt , denn irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich fühle mich so abnormal und hasse mich dafür.


Ich bedanke mich schon einmal im Voraus für euren Rat!

Viele Grüße,
Katharina

Bernd Anwort von Bernd

Hallo Katharina,

Zu Deinem Satz:
"Ich möchte gerne dieses Bauchkribbeln für einen Mann empfinden und möchte überhaupt wieder eine Beziehung zu einem Mann haben und möchte irgendwann eine Familie gründen..."

fiel mir als Zusammenfassung ein: "ich will das jetzt! Ob ich will, oder nicht".
Ist irgendwo ebenso widersinnig wie der Satz: "jetzt wird gespart! Koste es, was es wolle!"

Und da ist vielleicht auch schon die Wahrheit begraben: von irgendwoher hast Du eine Vorstellung von "Normalität" eingepflanzt bekommen. Vielleicht hast Du sie Dir auch selber eingepflanzt, indem Du eben Deine Erfahrung mit Deiner Mutter als unnatürlich empfinden musstest?

Mir kommt es so vor, als dass Du einer "Normalität" hinterherläufst, die Du nicht empfindest und vor Deinen Empfindungen willst Du davonlaufen, weil sie Dir nicht "normal" erscheinen?

Du schreibst:
"Dann hatte ich ein komisches Gefühl und wollte wegrennen. Ich entschied mich aber trotzdem für eine Beziehung mit ihm."

Du bist diese Beziehung also nicht mit dem Herzen, sondern allein mit dem Kopf eingegangen?!
Wie sagt der Ostfriese?
(eingedeutscht):"was muss, das muss!"

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, dass Du Dir selber zuerst Gewalt angetan hast, als sich Dein Kopf bei der Beziehung durchgesetzt hat!

Du fragst:
"Warum 'verliebe' ich mich in eine Frau, obwohl ich nicht auf sie stehe? Ich finde einen männlichen Kommilitonen ganz attraktiv und ich weiß auch, dass er mich ganz gut findet. Warum kann ich nicht für ihn Schmetterlinge im Bauch haben?"

Ich denke, dass Du in Deiner Klavierlehrerin eine Seelenverwandte gefunden hast. Sicherlich auch ein Vorbild an Menschlichkeit und Güte. Du hast Wärme und Nähe erfahren und Dich geborgen gefühlt!

All das ist schon ein Zeichen für Liebe.
Und wenn es die mütterliche Liebe ist, die Du so sehr vermissen musstest?

Wie weit das tatsächlich geht. Ob platonisch oder nicht.

Wird die Zukunft weisen, wenn Du es zulässt, die Augen zu schließen und auch mal mit dem Herzen zu sehen!
Also den Kopf ausschalten, wenn es um Deine wirklichen Gefühle geht?

Lasse mich nochmal auf den Satz zurückkommen:
"Ich finde einen männlichen Kommilitonen ganz attraktiv und ich weiß auch, dass er mich ganz gut findet. Warum kann ich nicht für ihn Schmetterlinge im Bauch haben?"

Vielleicht fängt das ganze Dilemma ja schon bei der Auswahl der Kandidaten an?
Merkst Du es nicht selbst?
An die Klavierlehrerin stellst Du absolut keine Anforderungen. Weil Du sie ja nicht als Partner auf dem Schirm hast!
Sie erfüllt "ganz nebenbei" alles, was Dir Wohlempfinden beschert! Das nannte ich "Seelenverwandtschaft"!

Ein Typ muss zuerst einmal attraktiv sein, um ins Blickfeld zu gelangen. Und "männlich" genug, damit Du Dir eine Familie mit ihm vorstellen kannst.
Ob Du in seiner Nähe Wärme empfindest? Dich geborgen fühlst?
Vielleicht gibt es ja auch den Typen, zu dem eine Seelenverwandtschaft bestehen könnte:
wenn Du dort nicht vornweg zu viele "Ausschluss Kriterien" setzen würdest?

Wie rum ich es auch betrachte. Es führt mich immer wieder zu meinem Lieblingszitat:

Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. (Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz)

Versuch es doch einmal, Katharina!

Und lasse es einfach zu, was Dein Herz dann sieht!
Nimm Dich so an, wie Dein Herz Dich abbildet!
Ein schöneres Bild gibt es nicht!

Alles Liebe,

Bernd