Problem von Emilia - 17 Jahre

Freund/Gefühle für anderen/Zwangsstörung?

Liebes Kummerkasten-Team,

mein Problem ist folgendes: vor 4 Jahren traf ich einen Jungen (M), der damals so alt war, wie ich jetzt (also 4 Jahre älter ist, als ich). Ich war vom ersten Moment an von ihm fasziniert und schon bald so richtig in ihn verknallt. Nach einem halben Jahr hatten wir für 2 Monate Kontakt, der aber schon bald wieder abbrach, da er anscheinend kein großes Interesse an einer Freundschaft o.ä. hatte. Die nächsten Monate waren sehr schwer für mich, ich sah ihn jeden Tag in der Schule, aber traute mich nicht mehr, nochmal auf ihn zuzugehen. Er schien nicht zu bemerken, dass er für mich ein ganz besonderer Mensch ist.
Als er dann das Abitur hatte, sah ich ihn folglich nicht mehr jeden Tag. Ich war wieder am Boden zerstört und bereute meine Entscheidung, nicht doch noch einmal Kontakt zu ihm aufgenommen zu haben.

Jetzt komme ich zu meinem zweiten Problem: Ich habe seit 9 Monaten einen Freund. Ich weiß eigentlich genau, dass er nicht mein Traummann ist und ich, wenn ich es mir aussuchen könnte, meine "erste Liebe" wählen würde. Jedoch hat er sich sehr um mich bemüht, war richtig süß zu mir und der erste, dem ich mein Problem anvertrauen konnte. Ansonsten kann ich mit niemandem über (M) reden. Ich vertraue eben niemandem, sowas wie eine beste Freundin habe ich im Grunde auch nicht. Seitdem ich von (M) so verletzt und enttäuscht wurde, fällt es mir umso schwerer, jemandem zu vertrauen.

Seit ein paar Wochen muss ich nun wieder des Öfteren an (M) denken und glaube, dass ich fast alles machen würde, um mit ihm (wenigstens) befreundet sein zu können. Ich habe kein Facebook, bin nicht der Meinung, dass es nötig ist, dort angemeldet zu sein. Allerdings hat (M) natürlich FB und es wäre so einfach, darüber mit ihm Kontakt aufzunehmen. Jedoch sehe ich es nicht ein, mir dazu extra ein Profil zu erstellen. Da kann man natürlich sagen "Selbst schuld!". Ich habe es jedenfalls nicht vor ... Dann warte ich lieber, bis ich ihn zufällig auf einer Party oder an Karneval sehe und überwinde mich dort dazu, auf ihn zuzugehen.

Um nochmal auf meinen jetzigen Freund zurück zu kommen: Ich bezweifle momentan, ob ich ihn überhaupt liebe oder ob er nur ein Lückenfüller ist/war. Das alles tut/täte mir schrecklich leid, wenn dem so wäre. Ich will ihn nicht verletzen, auch nicht hinhalten. Ich weiß nicht, was ich in dieser Hinsicht machen soll. Außerdem habe ich ziemlich Angst, dass Ihr mir antworten werdet, dass ich ihn bloß ausgenutzt habe, um über (M) hinweg zu kommen.

Ich weiß, ich habe eigentlich schon mehr als genug geschrieben, jedoch möchte ich Euch noch sagen, dass ich (vermute ich sehr stark), während dieser 4 Jahre nun an einer psychischen Krankheit, bzw. Zwangsstörung leide. Hervorgerufen durch meinen Kummer, den ich knapp 3 1/2 Jahre in mich hinein gefressen habe. Die Krankheit heißt "Dermatillomanie", bzw. "Acne excoriée" oder auch "Skin Picking Disorder" genannt. Unter dieser Störung leiden rund 5% der deutschen Bevölkerung. Dabei drücken sie an jeglichen Stellen an ihrem Körper herum und versuchen, Pickel auszudrücken (die meist nicht einmal vorhanden sind). Oft sehen die Stellen nachher vollkommen gerötet und entzündet aus. Während diesem Vorgang fühlen sich die Betroffenen entspannt und vergessen alles um sich herum. Danach plagt sie dann ein schlechtes Gewissen, es schon wieder getan zu haben.

Ich mache dies, seit ich keinen Kontakt mehr zu (M) habe, in meinem Gesicht. Oft wurde ich von Familienangehörigen darauf angesprochen, dass ich ja "schlimme Akne hätte" und ich dachte jedes Mal, dass ich doch nur ein Problem habe, über das ich mit niemandem reden kann ...

Die Störung verursachte zudem, dass ich mich selbst nicht mehr im Spiegel ansehen mochte, sodass mein Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen stark darunter leidete (bis heute). Meinem momentanen Freund, dem ich alles anvertrauen konnte, verdanke ich, dass mein Gesicht längst nicht mehr so schlimm aussieht, wie noch vor einem Jahr. Daher bin ich ihm mehr als dankbar.

Was würdet Ihr mir raten? Soll ich auf (M) zugehen? Ich wäre schon so froh, nur mit ihm befreundet sein zu können.
Was soll ich meinem jetzigen Freund erzählen? Er weiß, dass (M) mir sehr wichtig ist und hat es bisher toleriert. Aber ich habe das Gefühl, dass ich für ihn das bin, was (M) für mich ist. Demnach kann ich mehr als verstehen, dass er mich nicht verlieren möchte.
Würdet Ihr an meiner Stelle, zu einem Psychologen gehen, um meine Zwangsstörung behandeln zu lassen? Ich habe bereits gelesen, dass viele seit ihrer Jugend darunter leiden und sie bis heute (in den 30er Jahren) nicht heilen konnten.
Denkt Ihr, dass die Störung durch den potentiellen Kontakt zu (M) "verschwinden" könnte?

Ich danke Euch im Voraus schon vielmals für Eure Hilfe!

Liebste Grüße,
Emilia

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Emilia!

Leider hat es einige Zeit gedauert, bis dir geantwortet wurde. Dafür bitte ich dich um Entschuldigung.

Ich möchte zuerst einmal auf die Frage nach dem Zwang eingehen. Ja, ich würde dir unbedingt raten, es mit einem Psychologen zu besprechen. Denn dieser Zwang, für den du nichts kannst, untergräbt dein Selbstbewusstsein - und selbst wenn man ihn nicht gleich heilen kann, kann man doch viel dagegen tun. Zum Beispiel kannst du Strategien erlernen, wie du es seltener tust, oder dich auf andere Weise abreagierst. Eine Therapie kann auch darauf hin führen, dass du dir selber wieder besser gefällst, und dich im Spiegel noch freudiger betrachten kannst. Allzumal, die Verletzungen im Gesicht ja auch gefährlich sein können. Selbst wenn der Zwang nicht sofort weggeht, ist es doch ratsam, etwas gegen die Wunden / Narben zu tun. Ein Psychologe oder Psychologin ist dafür zwar kein Fachmann, aber er oder sie kann sicher einen empfehlen. Wenn du schon darüber nachdenkst, möchte ich dich bestärken: Suche nach einem Therapeuten, denn das ist nie vergebens. Zwar kann es sein, dass dein Zwang (ich mag das Wort "Störung" nicht so gern), dich noch eine Weile begleitet. Jedoch, auf dem Weg zur Heilung kann schon Etliches getan werden, um es dir zu erleichtern. Das solltest du in Anspruch nehmen, denn du fühlst dich damit sicherlich besser. Eine Therapie ist noch keine Garantie für sofortige Besserung, doch sie fängt deine Sorgen auf, du kannst sie besprechen; und wenn eine Methode dir nicht hilft, dann denkt ihr gemeinsam über eine andere nach. Hab keine Angst, wage es - es ist wirklich das Beste.

Was den jungen Mann betrifft, für den du noch schwärmst: Ich würde sagen, versuche nicht, ihm näher zu kommen. Das mag jetzt hart klingen - aber du merkst vielleicht auch, warum ich "schwärmen" geschrieben habe, statt "lieben". Er geht dir schon eine Weile nicht mehr aus dem Kopf - aber er ist deutlich älter, nicht viel, aber deutlich. Er hat bisher kein echtes Interesse an dir gezeigt. Wenn du dich mit ihm befreunden würdest, dann würdest du - sag ehrlich -, doch immer hoffen, dass daraus mehr wird. Im Augenblick magst du der Überzeugung sein, dass er dir nur wichtig ist, und dein Freund werden soll. Also, ein Freund. Aber kennst du ihn denn gut? Was wäre der Grund für eine Freundschaft, wenn nicht deine Liebe, mit der du noch nicht abgeschlossen hast? Könnte er dir seinen Liebeskummer erzählen? Könntest du mit ihm so offen umgehen, wie dein jetziger Freund mit dir? Oder würdest du nicht insgeheim neidisch auf seine Freundin sein, und dich immer ärgern, wenn ihn etwas beschäftigt? Weil du ihm näher kommen möchtest, als du es als "nur-Freundin" kannst? Er ist schon so lange in deinen Gedanken - aber in deinem Herz, ist im Grunde nicht mehr als ein Wunschbild. Das schon lange darin lebt, aber immer unechter wird, je länger ihr nichts miteinander zu tun habt.

Mir tut dein Freund ein wenig leid. Überleg doch mal: Er liebt dich wie du bist, sogar mit deinem Zwang und seinen sichtbaren Spuren. Er sorgt sich um dich, du kannst ihm sagen, was dich bedrückt. Was du schreibst, erfüllt mich mit einer tiefen Sympathie für deinen Freund. Bitte, belohne seine Liebe durch Offenheit. Wenn du dir nicht sicher bist, ob du ihn liebst, dann bitte ihn doch um eine Auszeit - ich bin sicher, er wird das akzeptieren. Aber versuch solange nicht, deiner alten Liebe näher zu kommen, denn das kann dich nicht glücklich machen. Geh mit dir zu Rate, und frage dich, ob du deinen Freund nicht doch sehr liebst - auf eine andere Art. Ob du dich nicht geborgen bei ihm fühlst, und er den anderen Jungen nicht vollauf ersetzt. Ich würde mir wünschen, dass du seine Liebe so fest erwidern kannst, wie er sie dir gibt. Denn eines sage ich dir, Jungs wie er sind selten und kostbar.

Ach ja, und Facebook... ein dickes Lob, dass du nicht drin bist! Natürlich, Facebook hat viele gute Seiten, ist sehr nützlich. Aber deine Gedanken im Moment zeigen eigentlich, wie es auch zum Problem werden kann: Viele, die ständig in Facebook unterwegs sind, jagen nur dem Gefallen und der Aufmerksamkeit nach, ohne Gewähr, dass es in Wirklichkeit auch so wäre. Und wie würde es dir gehen, immer die Fotos und Posts von M. anzuschauen, und er vielleicht nie auf dich reagiert? Wie gesagt: Facebook ist in gewisser Weise was Tolles. Aber da du kein Bedürfnis hast, dich anzumelden - lass es bleiben, du tust dir einen großen Gefallen damit. Ich finde es toll, dass du das so siehst, und bisher noch nicht Mitglied bist. Wenn du es irgendwann mal möchtest, kann es dir keiner verbieten. Mein persönlicher Rat wäre jedoch, es nicht zu tun.

Ich wünsche dir gute Zeiten und die richtigen Entscheidungen. Aus deinem Text lese ich heraus, dass du ein sehr überlegter und aufrichtiger Mensch bist, aufrichtig auch zu dir selbst. Lass das auch deinem Freund angedeihen, für den du dich sehr glücklich schätzen kannst. Weiterhin wünsche ich dir die Kraft, mit deiner alten Liebe abzuschließen - und das Leben wieder in vollsten Zügen zu genießen.

Alls Gute und Liebe Grüße,

Paul