Problem von Michaela - 18 Jahre

Internetsucht

Liebes Kummerkasten-Team!

Ich hab eigentlich schon seit Jahren das Problem das ich einfach viel zu viel Zeit im Internet verbringe. Früher hatte ich nicht sehr viele Freunde und hab mich daher aus Langeweile in einem Forum angemeldet und in dem auch von Tag zu Tag mehr Zeit verbracht. Als es am schlimmsten war bin ich morgens aufgestanden, hab den Computer eingeschaltet hab mich schnell fertig gemacht und bin dann im Forum gewesen bis das mein Schulbus gekommen ist, dann in der Schule war ich den ganzen Tag nervös und hab nur daran gedacht wieder den Computer einzuschalten wenn ich nach Hause komm und nach der Schule bin ich dann oft bis Mitternacht vorm Computer gesessen und hab meine Zeit mit sinnlosen Sachen vertrieben. Nach einem Jahr ist mir endlich bewusst geworden dass ich mein Leben vergeude (meine Familie hat es mir schon oft vorgehalten das ich zu viel Zeit im Internet verbringe aber ich hab immer abgeblockt) Von einem Tag auf den anderen hab ich mich aus dem Forum löschen lassen, hab die Schule gewechselt und dort auch neue Freunde gefunden. Es ist mir am Anfang halbwegs leicht gefallen meine Freizeit nicht nur mit dem Computer zu verbringen. Ich bin ausgegangen, hab neue Leute kennengelernt usw.

Jetzt bin ich aber wieder zu einem Punkt gekommen wo ich mir eingestehen muss das ich nichts erreicht habe. Ich verbringe meine Freizeit wieder nur im Internet und ich mach nichtmal etwas sinnvolles. Ich schalte Facebook ein, seh nach ob ich E-Mails bekommen hab, seh mir Videos an und wenn ich das gemacht hab fang ich nochmal von vorne an. Es ist nicht so dass ich nie etwas mit Freunden unternehme aber wenn dann meistens nur am Wochenende und da fühl ich mich meistens fehl am Platz weil ich einfach nichts zu erzählen habe (was auch wenn ich nichts interessantes mache). Ich hab schon öfter versucht meine Internetzeit einzuteilen bin aber immer wieder gescheitert. Jetzt gerade sollte ich eigentlich für den Führerschein lernen, ich hab das ganze schon seit einem Jahr aufgeschoben und es wird von Tag zu Tag schwieriger, aber sobald ich das Übungsprogramm einschalte sag ich mir dass ich noch kurz Facebook checken will und meine E-Mails und vielleicht noch ein oder zwei Videos aber daraus wird dann wieder eine Stunde die ich sinnvoller hätte nutzen können. Ich weiß echt nicht mehr weiter, meiner Familie will ich es nicht sagen (aber eigentlich fällt es ihnen sowieso schon auf) und eine Therapie will ich auch nicht machen...

Florian Anwort von Florian

Hallo Michaela,

beim Lesen Deiner Nachricht habe ich nicht den Eindruck bekommen, dass Du wirklich nichts erreicht hättest. Du hast neue Freunde gefunden und unternimmst mit diesen, wenn auch nur ab und an am Wochenende, etwas zusammen. Das ist in meinen Augen ein großer Fortschritt im Vergleich zu vorher, selbst wenn Du sonst noch bzw. wieder sehr viel Zeit im Internet verbringst. Was Dich gerade frustet ist, dass es seit diesem Fortschritt sonst keine weiteren Fortschritte gab. Das ist jedoch ein Zustand der sich ändern lässt.

Wichtig ist, dass Du Dir einmal über Deine Ziele klar wirst. Du willst weniger Zeit im Internet und vor dem PC verbringen? Das klingt zunächst nach einem guten Vorsatz, doch musst Du Dich auch fragen was Du stattdessen tun willst. Ansonsten kannst Du Dir so häufig vornehmen wie Du willst, nicht mehr Zeit im Internet zu verbringen, wenn Du diese Zeit nicht anderweitig nutzt wirst Du Dich immer wieder am PC befinden. Was willst Du also stattdessen?
Du schreibst, dass Du Dich bei den Treffen mit Deinen Freunden immer fehl am Platz fühlst, weil Du nichts zu erzählen hast. Hier kannst Du ansetzen. Suche Dir neue Hobbys. Welche die Dich interessieren und Dir Spaß machen. Probiere immer wieder neue Dinge aus um das richtige zu finden. Vielleicht haben Deine Freunde Hobbys die Du mit ihnen teilen kannst oder einfach einmal probieren möchtest. Die beiden einzigen wichtigen Kriterien: Es muss offline stattfinden und in Dir Begeisterung hervorrufen. Selbst wenn Du nicht so schnell fündig wirst, hast Du bereits zwei Vorteile: 1. Du verbringst weniger Zeit im Internet und 2. Du hast etwas zu erzählen. Und wenn Du letztlich etwas findest was Dich begeistern kann, wirst Du automatisch noch weniger Zeit am PC verbringen und umso mehr zu erzählen haben. Zudem kannst Du, je nach Hobby, auch neue Kontakte knüpfen und kommst mit anderen Menschen auch leichter ins Gespräch, was wiederum Deinen Freundes- und Bekanntenkreis erweitern kann.

Eine weitere Falle, die Du beschreibst, ist das Aufschieben eigentlich wichtiger Angelegenheiten durch "nur kurz mal die Mails oder Facebook checken". Aus diesem "kurz" werden dann gerne mal eine Stunde, in der vielleicht sogar überhaupt nichts passiert. Solche Stunden gibt Dir niemand zurück und Du ärgerst Dich darüber letztlich sogar selbst. Doch wie kann man soetwas verhindern? Du kannst hier an mehreren Stellen eingreifen:

Ein Punkt wäre, die wichtigere Angelegenheit Dir selbst schmackhafter zu machen. Wenn es z.B. um das Lernen/Üben für den Führerschein geht, frage Dich einmal: Was hast Du davon jetzt für den Führerschein zu lernen? Klar bessere Aussichten den Führerschein baldmöglichst zu bekommen. Und was hast Du dann, wenn Du den Führerschein hast? Vielleicht hast Du schon in Aussicht gestellt bekommen das Auto Deiner Eltern fahren zu dürfen oder gar selbst ein Auto zu bekommen. Das wiederum bedeutet mehr Freiheiten für Dich, da Du dann nicht mehr davon abhängig bist von anderen gefahren zu werden oder mit Bus und Bahn zu fahren. Und so weiter. Wäre es dann nicht gut den Führerschein baldmöglichst zu bekommen?
Wenn ja, heißt das jetzt lernen und nicht erst später. Zusätzlich zu diesen, wie ich hoffen möchte, motivierenden Zukunfsaussichten, kannst Du Dich zusätzlich auch direkt nach getaner Arbeit belohnen. Die Art der Belohnung kannst Du Dir selbst aussuchen. Wichtig ist nur, dass Du sie Dir erst danach gönnst.

Ein zweiter Punkt, an dem Du ansetzten kannst, ist Dir klar zu machen: Die Erde dreht sich auch ohne Dich weiter. Das soll heißen: Es bringt Dir nichts ständig zu prüfen ob jemand eine Mail geschrieben hat oder etwas Neues gepostet hat. Das läuft Dir nicht weg und ist auch noch da nachdem Du etwas anderes gemacht hast. Ständiges Kontrollieren Deiner Mails oder von Facebook ist nicht notwendig. Zweimal am Tag ist durchaus ausreichend um auf den aktuellen Stand zu bleiben und angemessen reagieren zu können.

Der dritte Punkt setzt genau dann an, wenn Du merkst, dass Du wieder sinnlose Zeit im Internet verbringst. Sobald Du Dir dessen bewusst wirst, beende es augenblicklich. Schließe bewusst den Browser und alle weiteren Programme am PC, fahre diesen herunter und entferne Dich von ihm und mache etwas anderes. Dieser bewusste Stop verhindert es, dass Du weitere Zeit unnötig verschwendest und zwingt Dich dazu etwas anderes zu tun. Es muss nicht das produktivste sein, es reicht aus etwas anderes zu sein und nichts mit dem Internet zu tun zu haben.
Ganz wichtig: Ärgere Dich in nicht diesen Momenten der Erkenntnis, wieder Zeit verschwendet zu haben. Verzeihe Dir selbst. So wie Dir niemand diese Zeit ersetzen kann, hilft es Dir auch nicht Dich damit weiter rumzuärgern. Die Erkenntnis alleine reicht um daraus zu lernen. Und wenn Du einen bewussten Stop einlegst, kannst Du Dir zudem zeigen, dass Du Konsequenzen daraus ziehst.

Etwas was Dir auch noch helfen kann ist das Schreiben eines Protokolls. Schreibe Dir Deine Zeiten einmal auf die Du am PC bzw. im Internet verbringst. Und zwar ungeschönt, so wie sie tatsächlich sind. Fasse dann einmal zusammen wie viel Zeit Du pro Tag bzw. pro Woche nur mit dem Internet beschäftigt bist. Vielen Menschen mit Internetsucht ist dies ersteinmal sehr erschreckend, denn diese Zeit reicht nicht selten dafür aus einer Teilzeit- (ab ca. 20 Stunden/Woche) bzw. sogar einer Vollzeitbeschäftigung (ca. 40 Stunden/Woche) nachzugehen. Dieser Schock kann jedoch durchaus heilsam sein, denn er spornt noch einmal mehr an seine Zeit sinnvoller gestalten zu wollen und diese Zahl runter zu bekommen. Zudem werden Erfolge deutlicher sichtbar gemacht, wenn das Protokoll über einen längeren Zeitraum geführt wird.

Ich hoffe diese Tipps können Dich weiter bringen und helfen Dir Deinen eingeschlagenen Weg weiterzugehen und Deine Sucht bald zu überwinden.


Was mir noch zu sagen bleibt: Trau Dich ruhig Dich Deiner Familie zu öffnen und Dein Problem offen zu legen. Eine Internetsucht ist keine Schande, besonders dann nicht wenn man selbst diese erkennt und auch daran arbeitet. Deine Familie kann Dich zudem bei Deiner Problembewältigung unterstützen, sei es durch seelischen Beistand oder durch direktes Eingreifen, wenn z.B. Deine selbstgewählten Internetzeiten nicht eingehalten wird. Zudem ist es durchaus möglich, dass sie es bereits erahnen, da sie, wie Du selbst schreibst, ja schon früher auf Deine hohen Internetzeiten reagierten.
Auch eine Therapie solltest Du nicht zu schnell ausschließen. Eine Verhaltenstherapie kann Dir professionell und effektiv helfen Deine Sucht besser unter Kontrolle zu bekommen. Und das nachhaltig. Auch an einer solchen Therapie ist nichts schlimmes dran und wird zudem von den Krankenkassen bezahlt. Informiere Dich ruhig bei Deinem Hausarzt oder direkt bei einem Therapeuten. Überlege es Dir ruhig nocheinmal.


Ich wünsche Dir alles Gute

Gruß
Florian