Problem von Malte - 17 Jahre

Selbstzweifel/Depression

Hallo liebes KK-Team,

nach wochenlanger Überlegung raffe ich mich jetzt doch auf euch zu schreiben.
Ich habe mich schon mehrmals an euch gewendet und probiere es wieder.
Ich selber weiß einfach nicht mehr weiter.
Ich habe das Gefühl depressiv zu sein, auch selbsttest zeigen dies (wobei ich nie weiß wie professionell die wirklich sind) und sowohl mein Vater als auch meine Schwester nehmen Antidepressiver, weil sie Depressionen haben.
Nun zu mir, ich habe eigentlich objektiv gesehen denke ich ein relativ gutes Leben, meine Eltern sind zwar getrennt, aber wir haben weder Geldsorgen noch andere Probleme in der Richtung. Ich bin gut in der Schule, bin Vorsitzender des Jugendparlamentes und bin auch in einem Schülercafé ehrenamtlich tätlich.
Nur irgendwie habe ich das Gefühl nur ein Versager zu sein. Es gibt nichts, an das ich denken kann was ich vorzuweisen habe was mich mit Stolz o.ä. erfüllt.
Je mehr ich nach denke, desto mehr negatives schießt mir in den Kopf.
Es fängt an mit meinem Übergewicht, welches ich seit 6 Jahren nicht mehr unter Kontrolle habe (183cm, 107KG), ich würde so gerne was daran ändern, mir ist es aber unangenehm, vor anderen Sport zu machen. Alles schwabbelt bei mir und immer wenn ich Sport treibe habe ich das Gefühl alle gucken zu mir und denken sich dabei "Der fette wird das eh nie schaffen". Ich glaube das hängt damit zusammen dass ich früher in der Schule viel gemobbt wurde und dies hängen geblieben ist. Ich kriege es nie aus dem Kopf. Auch wenn ich Fotos oder Videos von mir sehe, wieder ich mich an.
Ich dachte bis vor 2 Wochen dass ich eigentlich einen guten Freundeskreis habe, der auch Interesse hat sich eben nicht immer nur in einer Gruppe sondern auch mal mit mir alleine zu treffen und wir zusammen was machen können und nicht nur rumgammeln. Desto mehr ich darüber nachdenke, wird mir klar dass ich auch da nur 2 Freunde richtig habe.
Ich hänge 6 von 7 Abenden alleine zu Hause und zerschlage mir 2-4h immer den Kopf damit. Um irgendwie Ablenkung davon zu kriegen, spiele ich am PC. Aber auch da kommt das Gefühl vom loser immer wieder. So lange alles klappt ist es nicht schlimm. Aber wenn ich verliere fühle ich mich sofort wieder als Versager einerseits durch die Niederlage, dass ich das Gefühl habe in nichts gut zu sein wo ich gut sein will und zweitens dadurch, dass ich wieder meine Probleme durchs spielen verdrängen wollte.
Dann höre ich eigentlich immer Musik um runter zukommen, da ich sehr gereizt und auch teils aggressiv bin. Doch sobald ich wieder ruhig bin denke ich wieder mehr nach und ich könnte nur noch heulen (wobei ich weiß nicht warum aber ich kann seit gut 2 Jahren nicht mehr weinen, vielleicht weil ich in der Zeit viel geweint habe weil ich gemobbt wurden bin, dies mir aber nie geholfen hatte und mein Körper das jetzt nicht mehr zulässt).
Ich bin nur noch Lust und Motivationslos.
Und dann kommen immer wieder Kleinigkeiten dazu, sei es dass sich meine Eltern getrennt haben oder schlechtere Noten. Es zieht mich alles nur noch runter.

Ich wende mich an euch, weil ich sonst nicht weiß an wen ich mich wenden soll. Es schwebt mir immer im Kopf, dass wenn ich Freunden, das erzählen würde die hinter meinen Rücken darüber lachen würden und sagen:"Der soll doch einfach mal abnehmen dann wäre Ales gut der hat doch n super leben was meckert der eigentlich rum". Genau das sage ich auch immer irgendwie zu mir, dass es anderen doch viel schlechter geht. Und Leuten denen ich in der Dache vertrauen würde, vertrauen wir wiederum ihre Sorgen an und ich habe immer das Gefühl, dass diese wichtiger sind und schlimmer und ich mich nicht beschweren bzw. sie damit jetzt nicht auch noch belasten kann.
So ist das auch bei meine Eltern, sie machen sich halt viele Sorgen um meine Schwester weil sie mit 19 Jahren schon Antidepressiver nimmt und ihr Studium nicht richtig hinkriegt und stecken ihre restliche Energie eben in sie um sie zu unterstützen, da sie eben auch 600KM weit weg studiert und alleine wohnt.
Aber auch wenn das nicht so wäre ich will mich meinen Eltern nicht anvertrauen, eigentlich niemanden, aber gerade muss irgendwie einfach alles raus. Und anonym ist mir das am liebsten. Ich will eben nicht dieses "och du ärmster"-Getue was ich aber denke, was kommt wenn ich ihnen das erzähle.
Um mich selber zu beruhigen rede ich mir immer ein irgendwann wird alles besser aber das wird es leider nicht.
Und zu ‘nem Psychologen will ich auch nicht weil ich 1. Angst habe dass ich dann wie ein völliger Depp da stehe, weil es gar nicht so schlimm ist wie ich es denke, 2. nicht als loser meiner Psyche da stehen möchte und 3. dann meine Eltern alles erzählen müsste.

Soweit war es das auch erst mal.
Ich bin erst mal nur froh das raus gelassen zu haben.

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Malte!

Zunächst einmal danke, dass du dich an uns gewandt hast. Bist du einverstanden, wenn ich einfach mal aufschreibe, was mir so an Gedanken kam?

Dass dein Übergewicht an dir nagt, ist verständlich. Ich denke, du merkst aber selbst, dass du dich in einem sprichwörtlichen "Teufelskreis" befindest: Du würdest gern etwas ändern - aber worum es geht, ist gleichzeitig der Grund, weshalb du dich nicht traust. Der Gedanke ist immer wieder derselbe: Ich bin zu dick, wäre das anders, ginge es mir besser; aber ich schaffe es ja eh nicht, abzunehmen - also bleibe ich so, und ja... Verstehst du?

Ich kann absolut verstehen, dass es schwierig ist. Zumal, wenn die schlimmen Ereignisse aus der Vergangenheit noch auf dir lasten. Aber warum denn sie als Beweis sehen, dass es nie anders sein wird? Warum sie nicht mit einer Kampfansage beantworten? Du bist ein lieber Kerl mit guten Gedanken und klaren Einsichten. Den Kampf gegen die Kilos, den kannst du gewinnen - wenn du es nur versuchst. Und daran, anzufangen - und dabei zu bleiben - führt nun mal kein Weg vorbei. Ich würde mir für dich wünschen, dass du es schaffst, anzufangen. Denn so würdest du sicher den Kopf freier haben; und wenn man erst einmal an etwas arbeitet, sieht man die Dinge oft anders, positiver. Jetzt ist nur die Frage, wie?

Ich gehe ziemlich viel laufen - besonders jetzt, wo Sommer ist und das Wetter meist gut. Damit bin ich natürlich nicht allein. In letzter Zeit sehe ich häufig Frauen, wo ich mir auf die Zunge beißen muss, sie nicht anzusprechen und zu sagen: "Bitte, hören Sie doch auf! Gehen Sie heim und essen mal was Vernünftiges." Du kannst dir die Menschen dazu sicher vorstellen. Es gibt viele, die es auf ihre eigenen Kosten, furchtbar übertreiben mit dem Sport. Natürlich geht es nie ohne ein bisschen Quälerei ab, vielleicht auch eine Verletzung ab und an; aber man sollte Acht geben, dass man das nicht herausfordert. Sondern sich langsam steigern, ein konstantes Training einführen. Wenn du Angst hast, man könnte dich auslachen, möchte ich dir noch ein weiteres Bild mitgeben: Auf einer meiner üblichen Strecken, schlenderte ich neulich ganz bequem dahin. Irgendwann kam mir ein Mann entgegen - ich würde sagen, nicht viel älter als wir. Er hatte Kopfhörer auf, schwitzte gehörig - und nun, er war wirklich alles Andere als schlank. Aber ich sage dir, ich konnte den eisernen Willen in seinen Augen sehen. Er lief vorbei, und ich beschleunigte meinen Schritt. Als ich nach einer Weile im besten Tempo gejoggt war, überholte mich jemand von hinten. Es war derselbe Mann wie zuvor - und ich konnte mir anhand des Weges denken, um den es sich handelt, dass er in kurzer Zeit ein Mehrfaches meiner Leistung gelaufen war. Das sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich ihn traf. Über alle diese Begegnungen, von der ersten an, kann ich dir sagen: Ich habe innerlich kein einziges Mal abgewunken, oder ihn belächelt. Dieser Mann hat mich schwer beeindruckt. Übergewicht ist ein Problem, das viele Menschen betrifft - aber nicht alle haben die Möglichkeit, und noch weniger den Mut, es zu ändern. Abgesehen davon, dass du ja nicht zum Olympiasieger mutieren musst, um dich freier zu fühlen, kannst du auch Vorbild für Andere sein. Lass dich nicht unterkriegen - der Anfang ist schwer zu machen, aber ist er einmal gemacht, treibt dich dein geweckter Ehrgeiz weiter. Hab Mut, es klappt bestimmt.

Was wahrscheinlich auch eine Rolle spielt, ist die Ernährung. Auch hier gilt: Man sollte es nicht übertreiben, sondern realistisch bleiben. Das heißt, als Erstes die ungesunden Sachen, Süßigkeiten und so weiter, beschränken; zweitens darauf achten, dass man nicht ständig und nicht viel mehr isst, als es nötig ist; und drittens ein Auge darauf haben, dass man alles bekommt, was es zum gesunden Leben braucht. Ich setze ein bisschen auf die berühmten "Fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag" - was am einfachsten ist durch: Mittags Gemüse bzw. Salat, und morgens und abends Obst, zwischendurch auch keine ungesunden Snacks. Was aber nicht bedeutet, sich nichts zu gönnen. Man kann es als eine Art Belohnungssystem gestalten: Süßes nicht einfach so, oder aus Gewohnheit, sondern als Preis für etwas, das man geschafft hat.

Was deine Aggressionen betrifft - aus demselben Grund würde ich dir zum Laufen raten; oder irgendeiner Sportart, bei der du Kopfhörer und Ipod mithaben kannst. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Lieblingsmusik beim Sport, Wunder wirkt: Man ist ein anderer Mensch hinterher - aber schon währenddessen, fließt durch die Musik deine Wut in die Glieder, und wird zu etwas Nützlichem verwendet. So gestaltest du die Strategie mit der Musik, die du schon jetzt besitzt, noch optimaler.

Dass du etwas zuviel wiegst, ist ja nicht deine Schuld. Es hat Umstände in deinem Leben gegeben, die das begünstigt haben - doch es wäre schade, wenn du davor kapitulieren würdest. Geh es lieber an, und denk nicht "Sie werden lästern", sondern trachte danach, es ihnen zu zeigen. "Hier bin ich, und was ihr auch sagen mögt, ihr haltet mich nicht davon ab, mir zu gefallen." Zeig ihnen, dass sie mit Mobbing und Lästern und Ausgrenzen, nicht das Geringste erreicht haben. Kilos können schmelzen - und was sie zum Schmelzen bringt, ist ein befreiter Geist, der sich nicht unterdrücken lässt. Ich weiß, dass du ihn besitzt. Du hast dich sehr strukturiert und einfühlsam geäußert, deine eigenen Gedanken nicht nur ausgelassen, sondern analysiert; und bei alldem höre ich keinen Vorwurf, sondern nur Traurigkeit. Das alles zeichnet dich aus - setze entschlossenes Handeln dazu! Ich bin sicher, es wird dir gelingen. Nur an einem Anfang führt kein Weg vorbei, auch nicht an Durststrecken. Doch auch die wirst du bewältigen, und so kann aus dir ein neuer Mensch werden. Einer, der alles Gute, das jetzt schon da ist, und das kommende Bild, das dir selbst gefällt, vereint. Es ist möglich - pack es an! Du wirst es schaffen, ganz bestimmt.

Es ehrt dich sehr, deine Eltern nicht belasten zu wollen. Ich würde auch wirklich sagen, du musst es ihnen nicht erzählen, solange es eigentlich kein Problem zwischen euch gibt. Wenn du der Meinung bist, ein Gespräch mit deinen Eltern würde deine Sorgen nur verstärken, dann muss es auch nicht sein. Sollte es aber mal dazu kommen, dass du etwas unbedingt schnell loswerden magst, oder das Bedürfnis hast, es deinen Eltern zu sagen: Dann gilt, auch du bist ihr Sohn und es ist ihr Wunsch, dass es dir gut geht. Du machst sie besonders stolz, wenn du den Alltag gut meisterst, dich ehrenamtlich engagierst, und deine Probleme angehst. Auch du trägst sehr viel dazu bei, eure Familie zu stärken und deinen Eltern ihre Sorgen zu erleichtern, denk immer daran.

Zum Verhältnis zu deinen Freunden denke ich mir: Es kann doch sein, dass gar nicht so viele Leute dich fallen lassen würden, wie du glaubst? Ich will damit nicht sagen, dass du alles schlimmer machen würdest, als es ist. Allerdings, wenn du an dir selbst nichts entdeckst, dass eine Freundschaft mit dir erstrebenswert machen würde - obwohl es viele Gründe dafür gibt -, dann liegt für dich der Gedanke umso näher, nur ausgehalten zu werden. Ob man mit dir befreundet sein will oder nicht, hat ja auch einfach mit persönlichen Sympathien zu tun; die fliegen dir noch eher zu, wenn du mit dir selbst im Reinen bist. Und du kannst sie dann eher annehmen. Mein großer Wunsch für dich ist, dass du dich als den intelligenten, interessierten und selbstlosen jungen Mann akzeptieren kannst, der du bist. Mit dem Unterschied, dass du auch etwas für dich selbst fordern darfst. Und das ist, dich gut zu fühlen, weil du an dir arbeitest, weil sich etwas bewegt - denn das sollte es idealerweise immer, bei allen von uns. Ich glaube, dass du der Mann bist, noch sehr viel aus dir zu machen. Und ich wünsche dir die Energie und den Tatendrang, es auch wirklich zu tun - weil du es wert bist.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul