Problem von Niklas - 14 Jahre

Probleme wegen schlechten Gewissen

Hallo, mein Problem ist, das immer wenn mich jemand tadelt ich über Wochen ein schlechtes Gewisen habe. Ich fühle mich hundeelend, zum beispiel gestern da haben ich und mein Bruder eine doku über den Kuklux Clan gesehen, und ich habe gesagt, wenn die Polizisten Leute wegen total banalen Gründen erschießen können, können sie die auch gleich erschießen mein Bruder hat mich total fertig gemacht, mich als Arschloch beschimpft und so weiter. Ich habe bis heute wegen meinem Satz ein schlechtes gewissen was soll ich nur machen?

PaulG Anwort von PaulG

Grüße dich Niklas,

ich würde eher sagen, dass die Reaktion deines Bruders übertrieben war! Natürlich war dein Satz nicht gerade das Gelbe vom Ei. Gesagt werden kann er trotzdem. Etwas im Affekt zu sagen, und es in die Tat umzusetzen, sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Ich greife mal das Beispiel mit der Doku auf: Das ist eine Schwierigkeit, vor die wir besonders in Deutschland gestellt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust fällt es uns selbst am schwersten, uns solche Sätze zu erlauben. Du darfst sowas sagen, klar. In deinem Interesse sollte es aber wirklich nur daheim auf der Couch passieren - möglichst nicht vor Fremden, oder in einer größeren Runde. Sonst hast du schnell einen Ruf weg, den du so leicht nicht los wirst.

Selbst wenn es passieren sollte, ist das noch lange kein Grund, dich als A... zu beschimpfen. Allgemein denke ich: Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht ändern. Die meisten Sachen sind es nicht mal wert, groß drüber nachzudenken - und so sehen es bestimmt auch deine Familie und Freunde. Ich kenne das von mir selber. Vielleicht machst du mal die Probe aufs Exempel: Erzähl einem guten Freund davon, dass es dir schwer fällt, Kritik zu überwinden. Also, dir nach einem Tadel auch selber zu verzeihen. Das ist wichtig, denn es geht ja nicht darum, dass du keine Kritik annehmen könntest. Ganz im Gegenteil, du nimmst zuviel an. Wenn du also deinen Kumpel bittest, dir ehrlich zu antworten, wenn mal so eine Situation kommt, dann könnt ihr es ausprobieren: Wenn dir ein Satz, den er gesagt hat - oder etwas, das du falsch gemacht zu haben glaubst -, nicht mehr aus dem Kopf geht, sprich ihn drauf an. Und frag ihn, ob er sich erinnert, wie es ihm damit geht.

Ich bin mir fast sicher, wenn auch nur ein Tag dazwischen liegt, wird er schon überlegen müssen: Was war da nochmal? Jeder hat da andere Maßstäbe. Was dir wochenlang im Kopf umher geht, vielleicht noch länger, ist für Andere nicht der Rede wert. Eigentlich eine gute Sache - wenn wir alle nachtragend wären, sowohl mit Anderen als auch mit uns selber, gäbe es gar kein Verzeihen. In Wirklichkeit ist es so, dass man Freunden viel leichter verzeihen kann, weil man Ereignisse anders bewertet. Und umgekehrt: Was dir sehr wichtig ist, steht für sie nicht so hoch im Wert. So kann es auch mit deinem Bruder sein: Er geht vielleicht einfacher über ein Schimpfwort vor dem Fernseher hinweg, als du. Hättest du es gesagt, wäre er nicht verletzt gewesen. Hier ist es wichtig, sich die verschiedenen Maßstäbe klar zu machen. Ich verzeihe jemand, weil das, was er für sehr schlimm hält, sich für mich nicht so anfühlt; und er kann mir Gleiches erweisen. Das gilt zwar nicht immer: Oft ist auch klar, dass etwas echt nicht okay war. In diesem Fall ist es an dir, zu verzeihen - dein Bruder hat sich nicht richtig verhalten. Dass du wegen der Doku etwas gesagt hast, das besser nicht Realität werden sollte, finde ich in Ordnung. Es ist ja auch starker Tobak, den man da geboten bekommt. Und noch schlimmer, es geschieht tatsächlich! Da ist es nur allzu verständlich, zu schimpfen. Die Bewältigung sieht jedoch anders aus.

Wenn man dich tadelt, ist es zwar in Ordnung, dich ein bisschen schlecht zu fühlen. Darin liegt ja der Sinn der Sache. Wenn jemand dir aber wirklich etwas über Tage, Wochen oder länger nachträgt, hätte er dir gleich die Freundschaft aufkündigen können. Wir reden schließlich von Tadel, also Dingen, wie sie nun mal vorkommen - nicht von unverzeihlichen Verstößen gegen die Freundschaft, oder gegen das Gesetz. Wer es mit seiner Kritik nicht irgendwann gut sein lassen kann, der hat auch kein Recht mehr dazu. Irgendwo liegt der Punkt, wo das Verhältnis zu dem, was eigentlich passiert ist, verloren geht. Hier liegt auch der Grund, warum es ungerecht ist, ungerecht gegenüber dir selbst, die Schuldgefühle über Wochen zu verschleppen: Wenn du wirklichen Mist gebaut hast, wird man es dich schon spüren lassen. Aber so ist es ja nicht - du bürdest dir viel mehr Schuld auf, als du je hattest. (Obwohl Schuld ein sehr unschönes Wort ist, das ich nicht so mag.) Dass man es nicht sofort ändern kann, weiß ich - auch ich verschleppe manch einen Vorwurf über lange Zeit, ohne zu wissen, ob es ihn so noch gibt (oder je gab). Ich möchte diese Gedanken einfach in den Raum stellen, vielleicht helfen sie dir.

Um nochmal auf die Doku zurück zu kommen: Das Problem liegt wohl darin, dass Gruppen wie der Ku-Klux-Klan, insgeheim die Sympathie vieler Menschen haben. Und, man muss es einfach sagen, wohl auch einiger Polizisten. Das soll nicht heißen, dass es durch die Bank Rassisten wären. Wirklich nicht. Man muss auch bedenken: Amerika ist ein anderes Pflaster. Ob der Tod von Unschuldigen, wie jüngst wieder passiert, ein Willkürakt ist - oder wirklich eine Art Unfall war: Das lässt sich vielleicht nicht abschließend klären. Es ist nur richtig, dass Aufklärung und Gerechtigkeit gefordert werden. Dabei müssen sich aber beide Seiten "am Riemen reißen". Es ist auch nicht okay, gegen staatliche Willkür, gegen Rassismus und Anderes zu demonstrieren, und dabei zu den Methoden zu greifen, die man anprangert. Muss man sich zusammen schlagen lassen? Nein, sicher nicht! Aber Gleiches mit Gleichem vergelten ist idiotisch - dann wird die Spirale nie aufhören. Diese Überzeugung habe ich, und sie gilt nicht nur für Amerika. Ob man einen heftigen Rassisten wirklich "umdrehen" kann, weiß ich nicht. Aber wenn man ihn schon für seine Dummheit bestrafen muss, dann nicht auf die Weise, die er selber geübt hat. Er ist in seiner eigenen Welt, die auf anderen Grundsätzen aufbaut: Er glaubt, dass eine Bedrohung, die für uns keine ist, ihm schaden will; und Haft, oder sogar ein Todesurteil, werden ihn nur darin bestärken. Man sollte ihm vor Augen führen, dass er Unrecht hatte - aber nicht durch Demütigung, nicht durch "aus dem Verkehr ziehen", nicht durch "wie du mir, so ich dir". Damit erreicht man nichts. Wer auf Gewalt mit Gewalt antwortet, kann sich nicht im Recht fühlen. Und da ich von dir weiß, dass du es bei diesem einen Satz belässt, kann ich nur sagen: Bravo! Die Gedanken sind frei - und dürfen auch geäußert werden. Wenn es ernst wird, muss man jedoch konstruktiv sein. Das bist du, und das weiß ich. Mach dir keine Sorgen: Du hast nichts falsch gemacht.

Alles Gute und Liebe Grüße,

Paul